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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Erziehung zur StaaKkunst

zusangen und darin zu vermieden, ist in der Form eines Systems von Bündnis¬
verträgen wirklich geworden. Italien kann sich ohne die englische Aufsicht nicht
rühren, und für Frankreich bedeutet das Bündnisabkommeu zur vermeintlichen
Verteidigung gegen uns und zur Sicherung der französischen Vormacht am Rhein
nur einen indirekten Ausdruck der Einspannung dieses Staatswesens in die räum¬
lichen Strebungskräfte der britischen Herrschaftsgewalt. Der Haß der beiden Erb-
feinde brennt in frischer Wildheit. Jnnereuropa hat aufgehört, in der lebendigen
Geschichte noch vorhanden zu sein.

Aber wir sind zu gleicher Zeit ein inner- und ein mitteleuropäisches Volk.
Wir sind durch und durch das innereuropäische Kernvolk. Und es ist etwas Ge¬
heimnisvolles und Unheimliches um die Völker an den Mittelpunkten der Erd¬
teile. Wer hat schon die Rätsel im tiefsten Innern des afrikanischen Kontinents
ohne Zweifel gelöst? Die Mitte Asiens erwies sich während der Jahrtausende
als ein unausschöpfoarer Quell an Menschenkräften und Völkermengen, die immer
wieder von neuem aufstiegen -- keiner wußte woher -- und sich mit ihren Be¬
drohungen und Gewalttaten und mit der Pracht ihrer Kundgebungen Hinaus¬
gossen über die Räume und die erschrockene Menschheit. Wir selber, das Volk
des europäischen Mittelpunktes, hatten den antiken Erdkreis zum Zusammen¬
brechen gebracht und damals durch die kriegerischen und staatsbildenden Energien
der germanischen Menschen, welche wanderten und Reiche ins Leben riefen, die
modernen europäischen Nationen erzeugt. Trotzdem, trotz dieser Überschwenglichkeit
in der Verschwendung, behielten wir in uns die Kraft, um hernach von
unserem eigenen Lande aus das neue Hauptreich der abendländischen Menschheit
zu schaffen. Es führte das Leben eines ganzen Jahrtausends, strahlte einen
blendenden Glanz von sich aus, vergeudete sich, schwand hin und zerfiel. Trotz¬
dem haben wir in unserem Geiste und unserem Gemüt abermals die deutsche
Seele gebildet, die jugendstark in die Wirklichkeit des Wollens einging,
um politisch und kriegerisch furchtbar zu werden. Auch trotz unseres Elends in
dieser erbärmlichen Zeit bleiben wir für uns selbst ein Geheimnis und ein Ge-
heimnis für die anderen Völker, das ihnen wieder unheimlich zu werden vermag.
Können wir unser Geheimnisvolles vielleicht nie bis zum Letzten erklären,
so wollen wir doch das unversiegbare Geistige darin heute schon stählen und blank
machen und an die Erziehung zur Staatskunst gehen.




Erziehung zur StaaKkunst

zusangen und darin zu vermieden, ist in der Form eines Systems von Bündnis¬
verträgen wirklich geworden. Italien kann sich ohne die englische Aufsicht nicht
rühren, und für Frankreich bedeutet das Bündnisabkommeu zur vermeintlichen
Verteidigung gegen uns und zur Sicherung der französischen Vormacht am Rhein
nur einen indirekten Ausdruck der Einspannung dieses Staatswesens in die räum¬
lichen Strebungskräfte der britischen Herrschaftsgewalt. Der Haß der beiden Erb-
feinde brennt in frischer Wildheit. Jnnereuropa hat aufgehört, in der lebendigen
Geschichte noch vorhanden zu sein.

Aber wir sind zu gleicher Zeit ein inner- und ein mitteleuropäisches Volk.
Wir sind durch und durch das innereuropäische Kernvolk. Und es ist etwas Ge¬
heimnisvolles und Unheimliches um die Völker an den Mittelpunkten der Erd¬
teile. Wer hat schon die Rätsel im tiefsten Innern des afrikanischen Kontinents
ohne Zweifel gelöst? Die Mitte Asiens erwies sich während der Jahrtausende
als ein unausschöpfoarer Quell an Menschenkräften und Völkermengen, die immer
wieder von neuem aufstiegen — keiner wußte woher — und sich mit ihren Be¬
drohungen und Gewalttaten und mit der Pracht ihrer Kundgebungen Hinaus¬
gossen über die Räume und die erschrockene Menschheit. Wir selber, das Volk
des europäischen Mittelpunktes, hatten den antiken Erdkreis zum Zusammen¬
brechen gebracht und damals durch die kriegerischen und staatsbildenden Energien
der germanischen Menschen, welche wanderten und Reiche ins Leben riefen, die
modernen europäischen Nationen erzeugt. Trotzdem, trotz dieser Überschwenglichkeit
in der Verschwendung, behielten wir in uns die Kraft, um hernach von
unserem eigenen Lande aus das neue Hauptreich der abendländischen Menschheit
zu schaffen. Es führte das Leben eines ganzen Jahrtausends, strahlte einen
blendenden Glanz von sich aus, vergeudete sich, schwand hin und zerfiel. Trotz¬
dem haben wir in unserem Geiste und unserem Gemüt abermals die deutsche
Seele gebildet, die jugendstark in die Wirklichkeit des Wollens einging,
um politisch und kriegerisch furchtbar zu werden. Auch trotz unseres Elends in
dieser erbärmlichen Zeit bleiben wir für uns selbst ein Geheimnis und ein Ge-
heimnis für die anderen Völker, das ihnen wieder unheimlich zu werden vermag.
Können wir unser Geheimnisvolles vielleicht nie bis zum Letzten erklären,
so wollen wir doch das unversiegbare Geistige darin heute schon stählen und blank
machen und an die Erziehung zur Staatskunst gehen.




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[0221] Erziehung zur StaaKkunst zusangen und darin zu vermieden, ist in der Form eines Systems von Bündnis¬ verträgen wirklich geworden. Italien kann sich ohne die englische Aufsicht nicht rühren, und für Frankreich bedeutet das Bündnisabkommeu zur vermeintlichen Verteidigung gegen uns und zur Sicherung der französischen Vormacht am Rhein nur einen indirekten Ausdruck der Einspannung dieses Staatswesens in die räum¬ lichen Strebungskräfte der britischen Herrschaftsgewalt. Der Haß der beiden Erb- feinde brennt in frischer Wildheit. Jnnereuropa hat aufgehört, in der lebendigen Geschichte noch vorhanden zu sein. Aber wir sind zu gleicher Zeit ein inner- und ein mitteleuropäisches Volk. Wir sind durch und durch das innereuropäische Kernvolk. Und es ist etwas Ge¬ heimnisvolles und Unheimliches um die Völker an den Mittelpunkten der Erd¬ teile. Wer hat schon die Rätsel im tiefsten Innern des afrikanischen Kontinents ohne Zweifel gelöst? Die Mitte Asiens erwies sich während der Jahrtausende als ein unausschöpfoarer Quell an Menschenkräften und Völkermengen, die immer wieder von neuem aufstiegen — keiner wußte woher — und sich mit ihren Be¬ drohungen und Gewalttaten und mit der Pracht ihrer Kundgebungen Hinaus¬ gossen über die Räume und die erschrockene Menschheit. Wir selber, das Volk des europäischen Mittelpunktes, hatten den antiken Erdkreis zum Zusammen¬ brechen gebracht und damals durch die kriegerischen und staatsbildenden Energien der germanischen Menschen, welche wanderten und Reiche ins Leben riefen, die modernen europäischen Nationen erzeugt. Trotzdem, trotz dieser Überschwenglichkeit in der Verschwendung, behielten wir in uns die Kraft, um hernach von unserem eigenen Lande aus das neue Hauptreich der abendländischen Menschheit zu schaffen. Es führte das Leben eines ganzen Jahrtausends, strahlte einen blendenden Glanz von sich aus, vergeudete sich, schwand hin und zerfiel. Trotz¬ dem haben wir in unserem Geiste und unserem Gemüt abermals die deutsche Seele gebildet, die jugendstark in die Wirklichkeit des Wollens einging, um politisch und kriegerisch furchtbar zu werden. Auch trotz unseres Elends in dieser erbärmlichen Zeit bleiben wir für uns selbst ein Geheimnis und ein Ge- heimnis für die anderen Völker, das ihnen wieder unheimlich zu werden vermag. Können wir unser Geheimnisvolles vielleicht nie bis zum Letzten erklären, so wollen wir doch das unversiegbare Geistige darin heute schon stählen und blank machen und an die Erziehung zur Staatskunst gehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/221>, abgerufen am 01.09.2024.