Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Georg Lleinow und die Grenzl'öde"

rechnen. So kam es, daß Bethmann Hollweg, der sich durchaus bewußt war,
daß kein Staat ohne eine starke Dosis liberaler Prinzipien vorwärts gebracht
werden kann, ohne das keineswegs liberale Zentrum keine Politik machen wollte
und konnte.

Neben Konservativen und Zentrum rang die nationalliberale Partei um
ihr Leben. Es bestand das Bestreben, sie zu sprengen und die gesamten Ver¬
treter der Industrie an die Rechte zu ketten, während die Jungliberalen dem
Freisinn zugeführt werden sollten. Aber weil wir in Deutschland mit dem
Zentrum als unumstößlichen politischen Faktor zu rechnen haben, brauchen wir
eine liberale Mittelpartei. "Liberal muß diese Partei sein, um der Nation die
Ideale erhalten zu können, die sie seit der Reformation vorangeführt haben.
Liberal muß diese Partei sein, weil sowohl in der konservativen Partei, wie in
der sozialdemokratischen Neigungen versteckt sind, die in kritischen Augenblicken
der Macht des Zentrums nur förderlich sein können -- hier das natürliche
Bedürfnis nach Anlehnung an einen Glauben, das die liberalen Parteien der
Gegenwart nur scheinbar zu befriedigen vermögen, dort die Hinneigung zum
Klerikalismus, die selbst die Grenze zwischen Katholizismus und Protestantismus
zugunsten des ersteren verwischt. . . . Solange das Reich besteht, hat die
nationalliberale Partei diese ihr zugefallene Aufgabe schlecht und recht erfüllt
und es ist neben ihr noch keine politische Organisation entstanden, die die Ge¬
währ böte, die große nationale Aufgabe besser durchzuführen." (Grenzboten 1911,
l, Ur. 15) Allerdings glomm innerhalb der nationalliberalen Partei die
Flamme des großen Ideals, dem sie einst gedient und das ihre ausschlaggebende
Bedeutung im jungen Reich gesichert hatte, nur noch matt. Cleinow glaubte
aber zunächst in dem Ringen der Jungliberalen gegen die Altliberalen die
fleischgewordene Auflehnung des deutschen Einheitsgedankens gegen das Vor¬
dringen der partikularen Bestrebungen der wirtschaftlichen Organisationen zu
erkennen. Bei Furchtlosigkeit und Fleiß hätte die nationalliberale Partei
nach der Auffassung Cleinows eine Reformpartei werden können, wie sie dem
Reiche bitter not tat, jedoch schließlich spannten sich auch die Jungliberalen
an den Wagen der Wirtschaft. Jndustriepolitik kann aber nicht wahrhaf
national sein!

Es war ein Verhängnis, daß die nationale Kulturpolitik mit den Be¬
dürfnissen der deutschen Staatspolitik nicht in Einklang gebracht werden konnte.
Die Aufgabe wäre gewesen, zunächst einmal eine nationale Wirtschaftspolitik zu
treiben, die das Volk und nicht das rollende Kapital im Auge hatte.

Daß die Lösung dieser Aufgabe nicht vom Freisinn erwartet werden
konnte, war selbstverständlich. Die grundlegende Verfassungsänderung, die Ein¬
führung des parlamentarischen Systems, die von den Demokraten eifrig be¬
trieben wurde, hat Cleinow nicht als unbedingt unheilvoll zurückgewiesen, wie
es die Konservativen taten, trotzdem sie die Parteiherrschaft für sich
forderten. Er teilte in diesem Punkt die Auffassung Bülows, daß die


Georg Lleinow und die Grenzl'öde»

rechnen. So kam es, daß Bethmann Hollweg, der sich durchaus bewußt war,
daß kein Staat ohne eine starke Dosis liberaler Prinzipien vorwärts gebracht
werden kann, ohne das keineswegs liberale Zentrum keine Politik machen wollte
und konnte.

Neben Konservativen und Zentrum rang die nationalliberale Partei um
ihr Leben. Es bestand das Bestreben, sie zu sprengen und die gesamten Ver¬
treter der Industrie an die Rechte zu ketten, während die Jungliberalen dem
Freisinn zugeführt werden sollten. Aber weil wir in Deutschland mit dem
Zentrum als unumstößlichen politischen Faktor zu rechnen haben, brauchen wir
eine liberale Mittelpartei. „Liberal muß diese Partei sein, um der Nation die
Ideale erhalten zu können, die sie seit der Reformation vorangeführt haben.
Liberal muß diese Partei sein, weil sowohl in der konservativen Partei, wie in
der sozialdemokratischen Neigungen versteckt sind, die in kritischen Augenblicken
der Macht des Zentrums nur förderlich sein können — hier das natürliche
Bedürfnis nach Anlehnung an einen Glauben, das die liberalen Parteien der
Gegenwart nur scheinbar zu befriedigen vermögen, dort die Hinneigung zum
Klerikalismus, die selbst die Grenze zwischen Katholizismus und Protestantismus
zugunsten des ersteren verwischt. . . . Solange das Reich besteht, hat die
nationalliberale Partei diese ihr zugefallene Aufgabe schlecht und recht erfüllt
und es ist neben ihr noch keine politische Organisation entstanden, die die Ge¬
währ böte, die große nationale Aufgabe besser durchzuführen." (Grenzboten 1911,
l, Ur. 15) Allerdings glomm innerhalb der nationalliberalen Partei die
Flamme des großen Ideals, dem sie einst gedient und das ihre ausschlaggebende
Bedeutung im jungen Reich gesichert hatte, nur noch matt. Cleinow glaubte
aber zunächst in dem Ringen der Jungliberalen gegen die Altliberalen die
fleischgewordene Auflehnung des deutschen Einheitsgedankens gegen das Vor¬
dringen der partikularen Bestrebungen der wirtschaftlichen Organisationen zu
erkennen. Bei Furchtlosigkeit und Fleiß hätte die nationalliberale Partei
nach der Auffassung Cleinows eine Reformpartei werden können, wie sie dem
Reiche bitter not tat, jedoch schließlich spannten sich auch die Jungliberalen
an den Wagen der Wirtschaft. Jndustriepolitik kann aber nicht wahrhaf
national sein!

Es war ein Verhängnis, daß die nationale Kulturpolitik mit den Be¬
dürfnissen der deutschen Staatspolitik nicht in Einklang gebracht werden konnte.
Die Aufgabe wäre gewesen, zunächst einmal eine nationale Wirtschaftspolitik zu
treiben, die das Volk und nicht das rollende Kapital im Auge hatte.

Daß die Lösung dieser Aufgabe nicht vom Freisinn erwartet werden
konnte, war selbstverständlich. Die grundlegende Verfassungsänderung, die Ein¬
führung des parlamentarischen Systems, die von den Demokraten eifrig be¬
trieben wurde, hat Cleinow nicht als unbedingt unheilvoll zurückgewiesen, wie
es die Konservativen taten, trotzdem sie die Parteiherrschaft für sich
forderten. Er teilte in diesem Punkt die Auffassung Bülows, daß die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336867"/>
          <fw type="header" place="top"> Georg Lleinow und die Grenzl'öde»</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_14" prev="#ID_13"> rechnen. So kam es, daß Bethmann Hollweg, der sich durchaus bewußt war,<lb/>
daß kein Staat ohne eine starke Dosis liberaler Prinzipien vorwärts gebracht<lb/>
werden kann, ohne das keineswegs liberale Zentrum keine Politik machen wollte<lb/>
und konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_15"> Neben Konservativen und Zentrum rang die nationalliberale Partei um<lb/>
ihr Leben. Es bestand das Bestreben, sie zu sprengen und die gesamten Ver¬<lb/>
treter der Industrie an die Rechte zu ketten, während die Jungliberalen dem<lb/>
Freisinn zugeführt werden sollten. Aber weil wir in Deutschland mit dem<lb/>
Zentrum als unumstößlichen politischen Faktor zu rechnen haben, brauchen wir<lb/>
eine liberale Mittelpartei. &#x201E;Liberal muß diese Partei sein, um der Nation die<lb/>
Ideale erhalten zu können, die sie seit der Reformation vorangeführt haben.<lb/>
Liberal muß diese Partei sein, weil sowohl in der konservativen Partei, wie in<lb/>
der sozialdemokratischen Neigungen versteckt sind, die in kritischen Augenblicken<lb/>
der Macht des Zentrums nur förderlich sein können &#x2014; hier das natürliche<lb/>
Bedürfnis nach Anlehnung an einen Glauben, das die liberalen Parteien der<lb/>
Gegenwart nur scheinbar zu befriedigen vermögen, dort die Hinneigung zum<lb/>
Klerikalismus, die selbst die Grenze zwischen Katholizismus und Protestantismus<lb/>
zugunsten des ersteren verwischt. . . . Solange das Reich besteht, hat die<lb/>
nationalliberale Partei diese ihr zugefallene Aufgabe schlecht und recht erfüllt<lb/>
und es ist neben ihr noch keine politische Organisation entstanden, die die Ge¬<lb/>
währ böte, die große nationale Aufgabe besser durchzuführen." (Grenzboten 1911,<lb/>
l, Ur. 15) Allerdings glomm innerhalb der nationalliberalen Partei die<lb/>
Flamme des großen Ideals, dem sie einst gedient und das ihre ausschlaggebende<lb/>
Bedeutung im jungen Reich gesichert hatte, nur noch matt. Cleinow glaubte<lb/>
aber zunächst in dem Ringen der Jungliberalen gegen die Altliberalen die<lb/>
fleischgewordene Auflehnung des deutschen Einheitsgedankens gegen das Vor¬<lb/>
dringen der partikularen Bestrebungen der wirtschaftlichen Organisationen zu<lb/>
erkennen. Bei Furchtlosigkeit und Fleiß hätte die nationalliberale Partei<lb/>
nach der Auffassung Cleinows eine Reformpartei werden können, wie sie dem<lb/>
Reiche bitter not tat, jedoch schließlich spannten sich auch die Jungliberalen<lb/>
an den Wagen der Wirtschaft. Jndustriepolitik kann aber nicht wahrhaf<lb/>
national sein!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_16"> Es war ein Verhängnis, daß die nationale Kulturpolitik mit den Be¬<lb/>
dürfnissen der deutschen Staatspolitik nicht in Einklang gebracht werden konnte.<lb/>
Die Aufgabe wäre gewesen, zunächst einmal eine nationale Wirtschaftspolitik zu<lb/>
treiben, die das Volk und nicht das rollende Kapital im Auge hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_17" next="#ID_18"> Daß die Lösung dieser Aufgabe nicht vom Freisinn erwartet werden<lb/>
konnte, war selbstverständlich. Die grundlegende Verfassungsänderung, die Ein¬<lb/>
führung des parlamentarischen Systems, die von den Demokraten eifrig be¬<lb/>
trieben wurde, hat Cleinow nicht als unbedingt unheilvoll zurückgewiesen, wie<lb/>
es die Konservativen taten, trotzdem sie die Parteiherrschaft für sich<lb/>
forderten.  Er teilte in diesem Punkt die Auffassung Bülows, daß die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] Georg Lleinow und die Grenzl'öde» rechnen. So kam es, daß Bethmann Hollweg, der sich durchaus bewußt war, daß kein Staat ohne eine starke Dosis liberaler Prinzipien vorwärts gebracht werden kann, ohne das keineswegs liberale Zentrum keine Politik machen wollte und konnte. Neben Konservativen und Zentrum rang die nationalliberale Partei um ihr Leben. Es bestand das Bestreben, sie zu sprengen und die gesamten Ver¬ treter der Industrie an die Rechte zu ketten, während die Jungliberalen dem Freisinn zugeführt werden sollten. Aber weil wir in Deutschland mit dem Zentrum als unumstößlichen politischen Faktor zu rechnen haben, brauchen wir eine liberale Mittelpartei. „Liberal muß diese Partei sein, um der Nation die Ideale erhalten zu können, die sie seit der Reformation vorangeführt haben. Liberal muß diese Partei sein, weil sowohl in der konservativen Partei, wie in der sozialdemokratischen Neigungen versteckt sind, die in kritischen Augenblicken der Macht des Zentrums nur förderlich sein können — hier das natürliche Bedürfnis nach Anlehnung an einen Glauben, das die liberalen Parteien der Gegenwart nur scheinbar zu befriedigen vermögen, dort die Hinneigung zum Klerikalismus, die selbst die Grenze zwischen Katholizismus und Protestantismus zugunsten des ersteren verwischt. . . . Solange das Reich besteht, hat die nationalliberale Partei diese ihr zugefallene Aufgabe schlecht und recht erfüllt und es ist neben ihr noch keine politische Organisation entstanden, die die Ge¬ währ böte, die große nationale Aufgabe besser durchzuführen." (Grenzboten 1911, l, Ur. 15) Allerdings glomm innerhalb der nationalliberalen Partei die Flamme des großen Ideals, dem sie einst gedient und das ihre ausschlaggebende Bedeutung im jungen Reich gesichert hatte, nur noch matt. Cleinow glaubte aber zunächst in dem Ringen der Jungliberalen gegen die Altliberalen die fleischgewordene Auflehnung des deutschen Einheitsgedankens gegen das Vor¬ dringen der partikularen Bestrebungen der wirtschaftlichen Organisationen zu erkennen. Bei Furchtlosigkeit und Fleiß hätte die nationalliberale Partei nach der Auffassung Cleinows eine Reformpartei werden können, wie sie dem Reiche bitter not tat, jedoch schließlich spannten sich auch die Jungliberalen an den Wagen der Wirtschaft. Jndustriepolitik kann aber nicht wahrhaf national sein! Es war ein Verhängnis, daß die nationale Kulturpolitik mit den Be¬ dürfnissen der deutschen Staatspolitik nicht in Einklang gebracht werden konnte. Die Aufgabe wäre gewesen, zunächst einmal eine nationale Wirtschaftspolitik zu treiben, die das Volk und nicht das rollende Kapital im Auge hatte. Daß die Lösung dieser Aufgabe nicht vom Freisinn erwartet werden konnte, war selbstverständlich. Die grundlegende Verfassungsänderung, die Ein¬ führung des parlamentarischen Systems, die von den Demokraten eifrig be¬ trieben wurde, hat Cleinow nicht als unbedingt unheilvoll zurückgewiesen, wie es die Konservativen taten, trotzdem sie die Parteiherrschaft für sich forderten. Er teilte in diesem Punkt die Auffassung Bülows, daß die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/22
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/22>, abgerufen am 01.09.2024.