Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.Auslieferungsfrago und (vstproblem stimmte Vorschläge für eine Demarkationslinie auf. Zugleich droht Trotzki um! Die Aufhebung der Blockade gegen Rußland scheint doch noch nicht daS tiefe Dies krause Bild des OstproblemS mußte bis in die Einzelzüge ausgestrichelt In diesen Aeußerungen Lenins löst sich die Idee völlig von den höchst ümm Wir trauen Lenin von vornherein bereitwillig alles denkbare taktische Auslieferungsfrago und (vstproblem stimmte Vorschläge für eine Demarkationslinie auf. Zugleich droht Trotzki um! Die Aufhebung der Blockade gegen Rußland scheint doch noch nicht daS tiefe Dies krause Bild des OstproblemS mußte bis in die Einzelzüge ausgestrichelt In diesen Aeußerungen Lenins löst sich die Idee völlig von den höchst ümm Wir trauen Lenin von vornherein bereitwillig alles denkbare taktische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337047"/> <fw type="header" place="top"> Auslieferungsfrago und (vstproblem</fw><lb/> <p xml:id="ID_1789" prev="#ID_1788"> stimmte Vorschläge für eine Demarkationslinie auf. Zugleich droht Trotzki um!<lb/> einer Offensive im Frühjahr, obgleich Kenner der russischen Verhältnisse an der<lb/> Durchführbarkeit einer solchen zu so frühem Zeitpunkt zweifeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1790"> Die Aufhebung der Blockade gegen Rußland scheint doch noch nicht daS tiefe<lb/> Mißtrauen besiegen zu können, das sich in der verzweifelnden Nation, aber auch<lb/> in der tatkräftigen Regierung gegen Europa und insbesondere gegen die Entente<lb/> angesammelt hat. Bezeichnend dafür ist eine Aeußerung Joffes, der als Chef<lb/> der bolschewistischen Friedensdelegation sich über die Friedensverhandlungen mit<lb/> England äußerte und dabei die skeptische Bemerkung machte, wenn die Entente<lb/> nach Nußland statt Lokomotiven und Maschinen nur „Federmesser und anderen<lb/> Dreck" einführen wolle, so brauche man ihr für die Aufhebung der Blockade<lb/> keinen großen Dank zu wissen. Diese interessante Aeußerung bestätigt die v»n<lb/> Kennern vertretene Anschauung, daß Mißtrauen und Haß gegen die Alliierten<lb/> in Nußland auch noch einen Sturz des Bolschewismus überleben würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1791"> Dies krause Bild des OstproblemS mußte bis in die Einzelzüge ausgestrichelt<lb/> werden, wenn die ungeheure Gefahr nicht verschleiert werden soll, die eine ent ><lb/> schlössen« Hinwendung zum Osten für ein in die Verzweiflung getriebenes Deutsch¬<lb/> land bedeuten wird? Es bleibt eine Rechnung mit unzähligen Unbekannten.<lb/> Und es ist viel, wenn es auch nur gelingt, die einzelnen Alternativen und<lb/> Fragenkomplexe reinlich herauszufordern. Noch schwieriger ist ein Urteil darüber,<lb/> wie es mit dem Bolschewismus, diesem über alles Erwarten zähen Todeskandi¬<lb/> daten Europas, im eigenen Lande steht. Während das „Berliner Tageblatt"<lb/> den Kadettenführer Hessen als Kronzeugen für das übliche Schauerbild vom ster¬<lb/> benden Rußland anführt, mehren sich die Stimmen, die die Glaubwürdigkeit<lb/> dieser Berichte anzweifeln. Das Wachsen dieser Skepsis bei uns ist dabei selber<lb/> ein hochbedeutsames Anzeichen. Man wird Grund haben, in Ratels Ausfüh¬<lb/> rungen in der „Zukunft" Rattenfängerei zu wittern. Ganz aber kann die Zu-<lb/> vsrsichtlichkeit seiner Zynismen nicht gespielt sein. Und als höchst beachtlich muh<lb/> der Eindruck gelten, den der amerikanische Oberst Robins aus einem Gespräche<lb/> mit Lenin gewinnt, dessen Niederschlag das „Tagebuch" einer amerikanischen<lb/> Zeitschrift entnimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1792"> In diesen Aeußerungen Lenins löst sich die Idee völlig von den höchst ümm<lb/> länglichen Erscheinungsformen, die dieser „Bolschewismus" am russischen Volkskörper<lb/> gefunden hat. Wie aber kommt es, daß der nüchterne Amerikaner, der doch das offen¬<lb/> bare praktische Mißlingen vor Augen hat, sich dem Baums dieser Ideen nicht ent¬<lb/> ziehen kann. Es kommt sicherlich zum großen Teil aus der Person, es kommt<lb/> aber doch auch aus der Sache. In Gedankenbildern, die wie rohe Quadern an-<lb/> muten, stellt der Arbeiter Lenin dem demokratischen Bürger ein Sozialgefögc<lb/> vor Augen, das den Erzeugerstandpunkt zum Ausgangspunkt aller Politik macht.<lb/> Der Begriff des Arbeiters ist hier schon so weit gefaßt, daß er die höchste<lb/> geistige Leistung der Produktionslenkung einbezieht. Der politisch-demokratischen<lb/> Kontrolle des Staates, wie sie der alternde Westen vertritt, wird die soziale<lb/> wirtschaftliche Kontrolle, der westlerischen Bürgerrepublik die Republik von Er¬<lb/> zeugern gegenübergestellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1793" next="#ID_1794"> Wir trauen Lenin von vornherein bereitwillig alles denkbare taktische<lb/> Raffinement zu. Auch überzeugen uns die ziemlich ideologischen Bekundungcn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0202]
Auslieferungsfrago und (vstproblem
stimmte Vorschläge für eine Demarkationslinie auf. Zugleich droht Trotzki um!
einer Offensive im Frühjahr, obgleich Kenner der russischen Verhältnisse an der
Durchführbarkeit einer solchen zu so frühem Zeitpunkt zweifeln.
Die Aufhebung der Blockade gegen Rußland scheint doch noch nicht daS tiefe
Mißtrauen besiegen zu können, das sich in der verzweifelnden Nation, aber auch
in der tatkräftigen Regierung gegen Europa und insbesondere gegen die Entente
angesammelt hat. Bezeichnend dafür ist eine Aeußerung Joffes, der als Chef
der bolschewistischen Friedensdelegation sich über die Friedensverhandlungen mit
England äußerte und dabei die skeptische Bemerkung machte, wenn die Entente
nach Nußland statt Lokomotiven und Maschinen nur „Federmesser und anderen
Dreck" einführen wolle, so brauche man ihr für die Aufhebung der Blockade
keinen großen Dank zu wissen. Diese interessante Aeußerung bestätigt die v»n
Kennern vertretene Anschauung, daß Mißtrauen und Haß gegen die Alliierten
in Nußland auch noch einen Sturz des Bolschewismus überleben würden.
Dies krause Bild des OstproblemS mußte bis in die Einzelzüge ausgestrichelt
werden, wenn die ungeheure Gefahr nicht verschleiert werden soll, die eine ent >
schlössen« Hinwendung zum Osten für ein in die Verzweiflung getriebenes Deutsch¬
land bedeuten wird? Es bleibt eine Rechnung mit unzähligen Unbekannten.
Und es ist viel, wenn es auch nur gelingt, die einzelnen Alternativen und
Fragenkomplexe reinlich herauszufordern. Noch schwieriger ist ein Urteil darüber,
wie es mit dem Bolschewismus, diesem über alles Erwarten zähen Todeskandi¬
daten Europas, im eigenen Lande steht. Während das „Berliner Tageblatt"
den Kadettenführer Hessen als Kronzeugen für das übliche Schauerbild vom ster¬
benden Rußland anführt, mehren sich die Stimmen, die die Glaubwürdigkeit
dieser Berichte anzweifeln. Das Wachsen dieser Skepsis bei uns ist dabei selber
ein hochbedeutsames Anzeichen. Man wird Grund haben, in Ratels Ausfüh¬
rungen in der „Zukunft" Rattenfängerei zu wittern. Ganz aber kann die Zu-
vsrsichtlichkeit seiner Zynismen nicht gespielt sein. Und als höchst beachtlich muh
der Eindruck gelten, den der amerikanische Oberst Robins aus einem Gespräche
mit Lenin gewinnt, dessen Niederschlag das „Tagebuch" einer amerikanischen
Zeitschrift entnimmt.
In diesen Aeußerungen Lenins löst sich die Idee völlig von den höchst ümm
länglichen Erscheinungsformen, die dieser „Bolschewismus" am russischen Volkskörper
gefunden hat. Wie aber kommt es, daß der nüchterne Amerikaner, der doch das offen¬
bare praktische Mißlingen vor Augen hat, sich dem Baums dieser Ideen nicht ent¬
ziehen kann. Es kommt sicherlich zum großen Teil aus der Person, es kommt
aber doch auch aus der Sache. In Gedankenbildern, die wie rohe Quadern an-
muten, stellt der Arbeiter Lenin dem demokratischen Bürger ein Sozialgefögc
vor Augen, das den Erzeugerstandpunkt zum Ausgangspunkt aller Politik macht.
Der Begriff des Arbeiters ist hier schon so weit gefaßt, daß er die höchste
geistige Leistung der Produktionslenkung einbezieht. Der politisch-demokratischen
Kontrolle des Staates, wie sie der alternde Westen vertritt, wird die soziale
wirtschaftliche Kontrolle, der westlerischen Bürgerrepublik die Republik von Er¬
zeugern gegenübergestellt.
Wir trauen Lenin von vornherein bereitwillig alles denkbare taktische
Raffinement zu. Auch überzeugen uns die ziemlich ideologischen Bekundungcn
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