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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Zwanvswirtschaft und Sozialisierung

Persönlichen Auslesemethoden so zu verquicken und zu ergänzen haben, daß
Arbeitsgemeinschaft, die immer im sachlichen und Persönlichen zugleich begründet
ist, zu höchster Entfaltung zu kommen vermag.

Dieser Lsistungswille des Neudeutschtums ist die wahre Eisenkur, die uns
aus der Erschlaffung und Versumpfung des Zusammenbruches herausreißen kann.
Mit diesen harten Mitteln allein kann ein tragsnhiger Untergrund für eine deutsche
Zukunft geschaffen werden. Ob darauf dereinst trächtige Kultur erwachsen wird,
ob wir uns endgültig zur Zivilisation beschickn haben, darf und soll nicht
vorausberechnet, sondern gläubig und vertrauend erwartet werden. Bewußtem
Wollen unterliegt nur der Zivilisationsbereich, den dies neudeutsche Leistungssystem
absteckt, um ihn einer sehr rauhen Zukunft abzutrotzen. Jedem Einzelnen fällt
die Absage an das rostende Erbe einer zu überwindenden Daseinsform, die
entschlosseng Ausprägung persönlichen Neudeutschtums schwer genug. Aber es
geht heute nicht um romantische Sentimentalitäten. Wenn der Weltkrieg keine
Ähule neudeutschen Willens gewesen ist, dann ist der Verfall jeder deutschen
Daseinsform unaufhaltsam.




Zwangswirtschaft und Tozialisierung
!Uax Lonrad von

^^^^althcr Rathenau bezeichnete sich in einem Vortrage über die Kriegs¬
rohstoffversorgung, der auch im Buchhandel erschienen ist, selbst
als den Begründer der Zwangswirtschaft, und er nimmt dies wohl
mit Recht für sich in Anspruch. Die Initiative, die er im Herbst
1914 durch seine bekannten Schritte beim damaligen Kriegsminister
v- Halkenhciyn und seine darauf folgenden Gründungen von Organisationen zur,
Kriegsrohstoffversorgung gegeben hat, kann ihm jedenfalls nicht abgesprochen
werden. Rathenau soll nun selbst erklärt haben, bei seinem Vorgehen habe ihm
das Beispiel Josephs in Ägypten vorgeschwebt, der den Pharao überredet habe,
rechtzeitig für die Zeiten der Not zu sammeln. Es ist interessant, daß uns
neuerdings geschichtliche Dokumente belehren, daß die Erzählung von Joseph in
Ägypten höchst wahrscheinlich historischen Untergrund hat. Sie scheint mit den
Begebenheiten unter Cheops identisch zu sein. Allerdings erscheint nach diesen
von nicht jüdischer Seite stammenden Überlieferungen der geschichtliche Hergang
in ganz anderem Lichte: Zum Pharao Cheops (2500 vor Christi) kamen landfremde
Männer, charakterisiert durch gebogene Nasen, und überredeten den König, daß er selbst
allen Handel im Lande an sich nehme. Der Pharao wurde unermeßlich reich,
über ein Ende seiner langen Negierung war das ägyptische Volk arm und die
Acker unbestellt. Sein Nachfolger Chefren setzte sein System fort. Beide hinter¬
ließen Pyramiden, die größer waren als alle ihre Vorgänger und Nachfolger,
und die Zeugnis ablegen für den unermeßlichen Reichtum der beiden Pharaonen,
nicht aber für den Reichtum ihres Volkes, das vorher eins blühende Periode


Zwanvswirtschaft und Sozialisierung

Persönlichen Auslesemethoden so zu verquicken und zu ergänzen haben, daß
Arbeitsgemeinschaft, die immer im sachlichen und Persönlichen zugleich begründet
ist, zu höchster Entfaltung zu kommen vermag.

Dieser Lsistungswille des Neudeutschtums ist die wahre Eisenkur, die uns
aus der Erschlaffung und Versumpfung des Zusammenbruches herausreißen kann.
Mit diesen harten Mitteln allein kann ein tragsnhiger Untergrund für eine deutsche
Zukunft geschaffen werden. Ob darauf dereinst trächtige Kultur erwachsen wird,
ob wir uns endgültig zur Zivilisation beschickn haben, darf und soll nicht
vorausberechnet, sondern gläubig und vertrauend erwartet werden. Bewußtem
Wollen unterliegt nur der Zivilisationsbereich, den dies neudeutsche Leistungssystem
absteckt, um ihn einer sehr rauhen Zukunft abzutrotzen. Jedem Einzelnen fällt
die Absage an das rostende Erbe einer zu überwindenden Daseinsform, die
entschlosseng Ausprägung persönlichen Neudeutschtums schwer genug. Aber es
geht heute nicht um romantische Sentimentalitäten. Wenn der Weltkrieg keine
Ähule neudeutschen Willens gewesen ist, dann ist der Verfall jeder deutschen
Daseinsform unaufhaltsam.




Zwangswirtschaft und Tozialisierung
!Uax Lonrad von

^^^^althcr Rathenau bezeichnete sich in einem Vortrage über die Kriegs¬
rohstoffversorgung, der auch im Buchhandel erschienen ist, selbst
als den Begründer der Zwangswirtschaft, und er nimmt dies wohl
mit Recht für sich in Anspruch. Die Initiative, die er im Herbst
1914 durch seine bekannten Schritte beim damaligen Kriegsminister
v- Halkenhciyn und seine darauf folgenden Gründungen von Organisationen zur,
Kriegsrohstoffversorgung gegeben hat, kann ihm jedenfalls nicht abgesprochen
werden. Rathenau soll nun selbst erklärt haben, bei seinem Vorgehen habe ihm
das Beispiel Josephs in Ägypten vorgeschwebt, der den Pharao überredet habe,
rechtzeitig für die Zeiten der Not zu sammeln. Es ist interessant, daß uns
neuerdings geschichtliche Dokumente belehren, daß die Erzählung von Joseph in
Ägypten höchst wahrscheinlich historischen Untergrund hat. Sie scheint mit den
Begebenheiten unter Cheops identisch zu sein. Allerdings erscheint nach diesen
von nicht jüdischer Seite stammenden Überlieferungen der geschichtliche Hergang
in ganz anderem Lichte: Zum Pharao Cheops (2500 vor Christi) kamen landfremde
Männer, charakterisiert durch gebogene Nasen, und überredeten den König, daß er selbst
allen Handel im Lande an sich nehme. Der Pharao wurde unermeßlich reich,
über ein Ende seiner langen Negierung war das ägyptische Volk arm und die
Acker unbestellt. Sein Nachfolger Chefren setzte sein System fort. Beide hinter¬
ließen Pyramiden, die größer waren als alle ihre Vorgänger und Nachfolger,
und die Zeugnis ablegen für den unermeßlichen Reichtum der beiden Pharaonen,
nicht aber für den Reichtum ihres Volkes, das vorher eins blühende Periode


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/153>, abgerufen am 01.09.2024.