Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.Richard Wagner im Lichte älterer und neuerer biographischer Forschung jetzt gibt mir für dessen öffentliche Berichtigung der erste, ganz gewiß nicht un¬ Um es kurz zu sagen: Glasenapp ist dem Fanatismus der Vergötterung Es ist begreiflich, und mag Glasenapp gutgeschrieben werden, wie er dazu Richard Wagner im Lichte älterer und neuerer biographischer Forschung jetzt gibt mir für dessen öffentliche Berichtigung der erste, ganz gewiß nicht un¬ Um es kurz zu sagen: Glasenapp ist dem Fanatismus der Vergötterung Es ist begreiflich, und mag Glasenapp gutgeschrieben werden, wie er dazu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336971"/> <fw type="header" place="top"> Richard Wagner im Lichte älterer und neuerer biographischer Forschung</fw><lb/> <p xml:id="ID_402" prev="#ID_401"> jetzt gibt mir für dessen öffentliche Berichtigung der erste, ganz gewiß nicht un¬<lb/> berufene, unter jenen Nachfolgern die beste Handhabe mit seinem Ausspruche,<lb/> daß Glasenapps Monumentalwerk „jeder anderen Lebensbeschreibung Wagners<lb/> zur Grundlage zu dienen habe." (Max Koch, a. a. O., Teil I, Seite 246.) DaS<lb/> ist die Wahrheit. Was Glasenapp geliefert hat, ist vor allem eine großartige<lb/> Stoffsammlung, von höchster archivcilischer Bedeutsamkeit, in vielen Teilen mehr<lb/> eine Chronik als eine eigentliche Biographie. Sein vielgerühmter Fleiß, seine<lb/> Ausdauer, seine Begeisterung, seine Treue hatten in der genannten Richtung in<lb/> der Tat Erstaunliches zustande gebracht; aber gerade diese seine Leistung erbringt<lb/> in ihren Vorzügen wie in ihren Mängeln zugleich den handgreiflichen Beweis,<lb/> daß „die" Biographie Wagners, das heißt eine solche, welche die ungeheure Auf¬<lb/> gabe nach allen Seiten befriedigend löste und damit alle anderen gewissermaßen<lb/> überflüssig machte, wohl überhaupt nie geschrieben werden dürfte. (Wie viele<lb/> derartige Musterwerke mag es überhaupt geben? Aus der Welt der Musik wüßte<lb/> wenigstens ich nur allenfalls Jahns Mozart in diesem Sinne anzuführen.)<lb/> Glasenapp selbst hat jedenfalls auf den ihm von anderer Seite zugesprochenen<lb/> Ruhm insofern von Hause aus verzichtet, als er sich in der ästhetischen Einzel-<lb/> beleuchtung der Kunstwerke eine Beschränkung auferlegt hat, die offenbar mit der<lb/> Erkenntnis seines eigenen Talentes gegeben war. Weit größeren Nachdruck aber<lb/> muß ich noch auf den Umstand legen, daß er auch im Punkte der Kritik — dem<lb/> entscheidenden für einen Biographen — zu ernstlichen Bedenken Anlaß gibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_403"> Um es kurz zu sagen: Glasenapp ist dem Fanatismus der Vergötterung<lb/> verfallen; die Pietät hat alle Kritik, soweit Wagner selbst in Frage kommt, bei<lb/> ihm erdrückt und dadurch die Wahrheit um manche Frucht gebracht. In allen<lb/> mit seinem Herrn und Meister auch nur entfernt und mittelbar in Beziehung<lb/> stehenden Dingen schmiegt er sich diesem grundsätzlich an und verzichtet auf<lb/> jedes eigene Urteil. Scharfsinn und Kritik werden durchaus nur zugunsten<lb/> Wagners in Szene gesetzt, nach der Gegenseite versagen sie völlig. Selbst da,<lb/> wo hinter dem Meister Einflüsse sichtbar werden, welche stellenweise die Kritik<lb/> geradezu herausfordern, gilt das gleiche: Glasenapp hat immer und überall nur<lb/> die eine, ihm von vornherein feststehende Seite gesehen. ES ist klar, daß dabei<lb/> am Ende nur ein Wagner herauskommen konnte, wie er ihn eben verstand, und<lb/> daß die kritisch-aktive Mitarbeit, welche die Biographie doch nun einmal zu<lb/> leisten hat, nun von anderer Seite in mancher Beziehung nachzuholen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_404" next="#ID_405"> Es ist begreiflich, und mag Glasenapp gutgeschrieben werden, wie er dazu<lb/> gekommen ist, eine Richtung einzuschlagen, welche ihn notgedrungen gelegentlich<lb/> auf Irrwege führen mußte. Sein großes Werk geht in seinen Anfängen auf<lb/> jene Zeiten zurück, da sowohl das künstlerische Schaffen wie die menschliche<lb/> Persönlichkeit des Bahreuther Meisters gegen eine Welt von Neidern und Feinden<lb/> zu verteidigen und ins Licht zu setzen war. Hierfür war gerade dieser Jünger<lb/> in hervorragender, ja einziger Weise geeignet. Jenen auch absolut, ganz auf sich<lb/> gestellt, ohne Rücksicht auf die Welt rein im Lichte der Wahrheit zu würdigen,<lb/> ihn an sich selbst abzumessen, unter Umständen auch gegen sich selbst zu verteidigen<lb/> und durchzusetzen, war ihm nicht gegeben. Er sah nicht, wollte oder konnte nicht<lb/> sehen, wo auch der ganz große Mensch doch auch wieder nur ein irrender^<lb/> schwacher Mensch war; und doch liegt es aus der Hand, daß gerade bei jenen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0126]
Richard Wagner im Lichte älterer und neuerer biographischer Forschung
jetzt gibt mir für dessen öffentliche Berichtigung der erste, ganz gewiß nicht un¬
berufene, unter jenen Nachfolgern die beste Handhabe mit seinem Ausspruche,
daß Glasenapps Monumentalwerk „jeder anderen Lebensbeschreibung Wagners
zur Grundlage zu dienen habe." (Max Koch, a. a. O., Teil I, Seite 246.) DaS
ist die Wahrheit. Was Glasenapp geliefert hat, ist vor allem eine großartige
Stoffsammlung, von höchster archivcilischer Bedeutsamkeit, in vielen Teilen mehr
eine Chronik als eine eigentliche Biographie. Sein vielgerühmter Fleiß, seine
Ausdauer, seine Begeisterung, seine Treue hatten in der genannten Richtung in
der Tat Erstaunliches zustande gebracht; aber gerade diese seine Leistung erbringt
in ihren Vorzügen wie in ihren Mängeln zugleich den handgreiflichen Beweis,
daß „die" Biographie Wagners, das heißt eine solche, welche die ungeheure Auf¬
gabe nach allen Seiten befriedigend löste und damit alle anderen gewissermaßen
überflüssig machte, wohl überhaupt nie geschrieben werden dürfte. (Wie viele
derartige Musterwerke mag es überhaupt geben? Aus der Welt der Musik wüßte
wenigstens ich nur allenfalls Jahns Mozart in diesem Sinne anzuführen.)
Glasenapp selbst hat jedenfalls auf den ihm von anderer Seite zugesprochenen
Ruhm insofern von Hause aus verzichtet, als er sich in der ästhetischen Einzel-
beleuchtung der Kunstwerke eine Beschränkung auferlegt hat, die offenbar mit der
Erkenntnis seines eigenen Talentes gegeben war. Weit größeren Nachdruck aber
muß ich noch auf den Umstand legen, daß er auch im Punkte der Kritik — dem
entscheidenden für einen Biographen — zu ernstlichen Bedenken Anlaß gibt.
Um es kurz zu sagen: Glasenapp ist dem Fanatismus der Vergötterung
verfallen; die Pietät hat alle Kritik, soweit Wagner selbst in Frage kommt, bei
ihm erdrückt und dadurch die Wahrheit um manche Frucht gebracht. In allen
mit seinem Herrn und Meister auch nur entfernt und mittelbar in Beziehung
stehenden Dingen schmiegt er sich diesem grundsätzlich an und verzichtet auf
jedes eigene Urteil. Scharfsinn und Kritik werden durchaus nur zugunsten
Wagners in Szene gesetzt, nach der Gegenseite versagen sie völlig. Selbst da,
wo hinter dem Meister Einflüsse sichtbar werden, welche stellenweise die Kritik
geradezu herausfordern, gilt das gleiche: Glasenapp hat immer und überall nur
die eine, ihm von vornherein feststehende Seite gesehen. ES ist klar, daß dabei
am Ende nur ein Wagner herauskommen konnte, wie er ihn eben verstand, und
daß die kritisch-aktive Mitarbeit, welche die Biographie doch nun einmal zu
leisten hat, nun von anderer Seite in mancher Beziehung nachzuholen ist.
Es ist begreiflich, und mag Glasenapp gutgeschrieben werden, wie er dazu
gekommen ist, eine Richtung einzuschlagen, welche ihn notgedrungen gelegentlich
auf Irrwege führen mußte. Sein großes Werk geht in seinen Anfängen auf
jene Zeiten zurück, da sowohl das künstlerische Schaffen wie die menschliche
Persönlichkeit des Bahreuther Meisters gegen eine Welt von Neidern und Feinden
zu verteidigen und ins Licht zu setzen war. Hierfür war gerade dieser Jünger
in hervorragender, ja einziger Weise geeignet. Jenen auch absolut, ganz auf sich
gestellt, ohne Rücksicht auf die Welt rein im Lichte der Wahrheit zu würdigen,
ihn an sich selbst abzumessen, unter Umständen auch gegen sich selbst zu verteidigen
und durchzusetzen, war ihm nicht gegeben. Er sah nicht, wollte oder konnte nicht
sehen, wo auch der ganz große Mensch doch auch wieder nur ein irrender^
schwacher Mensch war; und doch liegt es aus der Hand, daß gerade bei jenen
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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