Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Die künftigen Grenzen Deutsch-Gesterreichs griff Italien über die geforderte Wasserscheide der Adria an drei wichtigen Das Ergebnis dieser "billigen Erwägungen ist die Verstümmelung und Ehe wir diese betrachten, sei eine Übersicht der Gebietsverluste gegeben; 2) Die Sprachgrenze in Tirol gäbe den Italienern eine militärisch gesicherte. Bogen
bedrohende und beherrschende Grenzstellung. Sie wurde von Deutsch-Österreich vorgeschlagen. Die künftigen Grenzen Deutsch-Gesterreichs griff Italien über die geforderte Wasserscheide der Adria an drei wichtigen Das Ergebnis dieser „billigen Erwägungen ist die Verstümmelung und Ehe wir diese betrachten, sei eine Übersicht der Gebietsverluste gegeben; 2) Die Sprachgrenze in Tirol gäbe den Italienern eine militärisch gesicherte. Bogen
bedrohende und beherrschende Grenzstellung. Sie wurde von Deutsch-Österreich vorgeschlagen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0086" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336376"/> <fw type="header" place="top"> Die künftigen Grenzen Deutsch-Gesterreichs</fw><lb/> <p xml:id="ID_278" prev="#ID_277"> griff Italien über die geforderte Wasserscheide der Adria an drei wichtigen<lb/> Stellen hinaus, indem es Sexten, Tarvis und Adelsberg an sich riß.^)<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_279"> Das Ergebnis dieser „billigen Erwägungen ist die Verstümmelung und<lb/> die Lebensunfähigkeit Deutsch-Österreichs, das in seiner Versorgung mit'Nahrung<lb/> und Rohstoffen an die feindlichen Nachbarn und die Staaten der Entente ge¬<lb/> bunden, durch offene, verteidigungsunfähige Grenzen entwaffnet, dem slawischen<lb/> Imperialismus preisgegeben, alle Selbständigkeit gegenüber den Ententemächten<lb/> verliert und durch ein wahres Hereinstuten fremder Unternehmer, die seine<lb/> Bodenschätze und Industrien billig erwerben, mit dauernder wirtschaftlicher<lb/> Knechtung bedroht ist. Der Umfang seines Gebiets stempelt es zum Kleinstaat,<lb/> die Form des Staatsgebiets begünstigt die Sonderbestrebungen der Länder,<lb/> von denen ein andermal die Rede sein soll. Vorarlberg, dessen Erwähnung<lb/> in Se. Germain man erwartete — sein Landeshauptmann war anfangs in<lb/> unserer Delegation — kam dort nicht zur Sprache. Es bleibt nach dem<lb/> Vertrag bei Deutsch-Österreich, und damit wird auch Nordtirol fester an dieses<lb/> gekittet. Der Kanzler fand entschiedene Worte der Abwehr gegen die früher<lb/> ziemlich gelassen hingenommenen Ablösungsbestrebnngen und gegen die staats¬<lb/> rechtliche Auffassung der Tiroler, unter denen der Gedanke einer Vereinigung<lb/> mit Italien lebendig zu werden scheint. Durch ihn soll die Einheit des Landes<lb/> erhalten bleiben. Er ist übrigens nicht neu. Die vorarlbergisch-inntalerische<lb/> Grenzhalbinsel vom Großvenediger bis zum Bodensee sucht ihresgleichen auf<lb/> der Karte von Kulturstaaten; sie erinnert an den Caprivizipfel oder an das<lb/> afghanische Gebiet am Pamir. Wirtschaftlich hängt sie mit dem Kern des Staats kaum<lb/> mehr zusammen; die einzige Bahn, die sie mit diesem verbindet, ist wichtiger<lb/> als Verbindung „Österreichs" mit der Schweiz und dem Westen, wie als solche<lb/> mit dem vorgeschobenen Teil des eigenen Staatsgebiets. Dieser ist aber auch<lb/> zwischen Deutschland, Schweiz und dem erweiterten Italien keines selbständigen<lb/> Wirtschaftslebens fähig, er wird ein Kampf- und Durchgangsgebiet für die<lb/> Interessen dieser Nachbarländer. Verteidigen kann ihn weder er selbst, noch<lb/> das mit ihm so schlecht verbundene Reich, ganz abgesehen von der Entwaffnung.<lb/> Der Rest des Staats ist geschlossener, bekommt aber überall offene Grenzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_280" next="#ID_281"> Ehe wir diese betrachten, sei eine Übersicht der Gebietsverluste gegeben;<lb/> da die Grenze fast nirgends genau festgelegt ist, sondern im einzelnen noch<lb/> durch Kommissionen bestimmt werden soll, kann das nur in runden Zahlen/,<lb/> geschehen. Deutsch-Österreich wurden rund 82000 Quadratkilometer zugesprochen,<lb/> auf denen im Jahre 1910 6.6 Millionen Menschen, davon 6 Millionen Deutsche<lb/> lebten. Das sind etwa 68 v. H. des als Staatsgebiet Deutsch-Österreichs<lb/> beanspruchten Bodens. 63 v. H. seiner Bewohner und 64 v. H. seiner Deutschen.<lb/> Bayern mit 76 000 Quadratkilometer ist etwas kleiner, hat aber mit<lb/> 6,9 Millionen etwas mehr Einnahme. Verloren gehen an die Tschechen<lb/> 27 000 Quadratkilometer mit 3.3 Millionen Einwohnern (3,1 Millionen<lb/> Deutsche), an die Italiener 9000 Quadratkilometer mit etwa 287 000<lb/> Menschen (231 000 Deutsche), an die Südslawen 2500 Quadratkilometer mit<lb/> 200 000 Einwohnern, darunter 60 000 Deutsche. Dazu kommen die beiden<lb/> Abstimmungsgebiete in Körnten. Das südöstliche, das von den Jugoslawen<lb/> besetzt ist und in dem sie rücksichtslos die Abstimmung „vorbereiten", hat eine<lb/> Fläche von 1740 Quadratkilometern und 72 000 Einwohner, davon 22 600<lb/> Deutsche. Stimmt es für Deutsch-Österreich — wie es bei einer wirklich freien</p><lb/> <note xml:id="FID_6" place="foot"> 2) Die Sprachgrenze in Tirol gäbe den Italienern eine militärisch gesicherte. Bogen<lb/> bedrohende und beherrschende Grenzstellung. Sie wurde von Deutsch-Österreich vorgeschlagen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0086]
Die künftigen Grenzen Deutsch-Gesterreichs
griff Italien über die geforderte Wasserscheide der Adria an drei wichtigen
Stellen hinaus, indem es Sexten, Tarvis und Adelsberg an sich riß.^)
"
Das Ergebnis dieser „billigen Erwägungen ist die Verstümmelung und
die Lebensunfähigkeit Deutsch-Österreichs, das in seiner Versorgung mit'Nahrung
und Rohstoffen an die feindlichen Nachbarn und die Staaten der Entente ge¬
bunden, durch offene, verteidigungsunfähige Grenzen entwaffnet, dem slawischen
Imperialismus preisgegeben, alle Selbständigkeit gegenüber den Ententemächten
verliert und durch ein wahres Hereinstuten fremder Unternehmer, die seine
Bodenschätze und Industrien billig erwerben, mit dauernder wirtschaftlicher
Knechtung bedroht ist. Der Umfang seines Gebiets stempelt es zum Kleinstaat,
die Form des Staatsgebiets begünstigt die Sonderbestrebungen der Länder,
von denen ein andermal die Rede sein soll. Vorarlberg, dessen Erwähnung
in Se. Germain man erwartete — sein Landeshauptmann war anfangs in
unserer Delegation — kam dort nicht zur Sprache. Es bleibt nach dem
Vertrag bei Deutsch-Österreich, und damit wird auch Nordtirol fester an dieses
gekittet. Der Kanzler fand entschiedene Worte der Abwehr gegen die früher
ziemlich gelassen hingenommenen Ablösungsbestrebnngen und gegen die staats¬
rechtliche Auffassung der Tiroler, unter denen der Gedanke einer Vereinigung
mit Italien lebendig zu werden scheint. Durch ihn soll die Einheit des Landes
erhalten bleiben. Er ist übrigens nicht neu. Die vorarlbergisch-inntalerische
Grenzhalbinsel vom Großvenediger bis zum Bodensee sucht ihresgleichen auf
der Karte von Kulturstaaten; sie erinnert an den Caprivizipfel oder an das
afghanische Gebiet am Pamir. Wirtschaftlich hängt sie mit dem Kern des Staats kaum
mehr zusammen; die einzige Bahn, die sie mit diesem verbindet, ist wichtiger
als Verbindung „Österreichs" mit der Schweiz und dem Westen, wie als solche
mit dem vorgeschobenen Teil des eigenen Staatsgebiets. Dieser ist aber auch
zwischen Deutschland, Schweiz und dem erweiterten Italien keines selbständigen
Wirtschaftslebens fähig, er wird ein Kampf- und Durchgangsgebiet für die
Interessen dieser Nachbarländer. Verteidigen kann ihn weder er selbst, noch
das mit ihm so schlecht verbundene Reich, ganz abgesehen von der Entwaffnung.
Der Rest des Staats ist geschlossener, bekommt aber überall offene Grenzen.
Ehe wir diese betrachten, sei eine Übersicht der Gebietsverluste gegeben;
da die Grenze fast nirgends genau festgelegt ist, sondern im einzelnen noch
durch Kommissionen bestimmt werden soll, kann das nur in runden Zahlen/,
geschehen. Deutsch-Österreich wurden rund 82000 Quadratkilometer zugesprochen,
auf denen im Jahre 1910 6.6 Millionen Menschen, davon 6 Millionen Deutsche
lebten. Das sind etwa 68 v. H. des als Staatsgebiet Deutsch-Österreichs
beanspruchten Bodens. 63 v. H. seiner Bewohner und 64 v. H. seiner Deutschen.
Bayern mit 76 000 Quadratkilometer ist etwas kleiner, hat aber mit
6,9 Millionen etwas mehr Einnahme. Verloren gehen an die Tschechen
27 000 Quadratkilometer mit 3.3 Millionen Einwohnern (3,1 Millionen
Deutsche), an die Italiener 9000 Quadratkilometer mit etwa 287 000
Menschen (231 000 Deutsche), an die Südslawen 2500 Quadratkilometer mit
200 000 Einwohnern, darunter 60 000 Deutsche. Dazu kommen die beiden
Abstimmungsgebiete in Körnten. Das südöstliche, das von den Jugoslawen
besetzt ist und in dem sie rücksichtslos die Abstimmung „vorbereiten", hat eine
Fläche von 1740 Quadratkilometern und 72 000 Einwohner, davon 22 600
Deutsche. Stimmt es für Deutsch-Österreich — wie es bei einer wirklich freien
2) Die Sprachgrenze in Tirol gäbe den Italienern eine militärisch gesicherte. Bogen
bedrohende und beherrschende Grenzstellung. Sie wurde von Deutsch-Österreich vorgeschlagen.
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