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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Die politische Lage in Nord-Schleswig

im Abstimmungsgebiet wohnt, stimmt am Geburtsort. Es ist natürlich von
der äußersten Wichtigkeit, daß die vielen Tausende von Stimmberechtigten, die
im Abstimmungsgebiet geboren sind und nun im übrigen Deutschland verstreut
wohnen, geschlossen und vollzählig zur Stimmabgabe anrücken. Zu diesem Zweck
ist von dem deutschen Ausschuß für das Herzogtum Schleswig in Flensburg
eine großzügige Organisation geschaffen, durch die jedem Stimmberechtigten freie
Eisenbahnfahrt an den Abstimmungsvrt und freie Unterkunft und Verpflegung
daselbst gewährleistet ist.

Wenn man nun fragt: Wie ist die Stimmung im Lande, wie sind die
Aussichten? So kann man getrost sagen: Die Aussichten für die zweite Zone
und für Flensburg sind gut. Zu Beginn des Jahres allerdings, als man noch
unter dem frischen Eindruck der Revolution in Deutschland und unter der vollen
Wirkung der Blockade stand, machte sich gerade auch in Flensburg eine große
Panik und Kopflosigkeit geltend. Man erblickte in Dänemark ein Paradies, in
das man sich retten konnte. Wenn man vor Lcbensmittelliiden in der Kette
stand, hörte man die Frauen sagen: Das dauert nun ja bloß noch ein paar
Wochen, dann sind wir dänisch und dann haben wir viles, was wir brauchen.
Eine eifrige dänische Agitation tat das ihrige, um durch Lebensmitlelpakete für die
Stimmberechtigten, Konfirmationsanzüge, Stiefel und Ferieneinladungen für die
Kinder diesen Wahn zu stärken. Seitdem ist man aber zur Besinnung gekommen,
und zwar ist der Punkt, der den Leuten -- und nicht nur den Deutschen
allein sondern auch den dänisch gesinnten -- am meisten zu denken gibt, die
Valutafrage.

Bei der großen Verschiedenheit der Wirtschaftsverhältnisse in Deutschland
und Dänemark ist es klar, daß durch eine Änderung der politischen und damit
der wirtschaftlichen Grenzen so gut wie alle wirtschaftlichen Werte betroffen werden,
die sich im Abtretungsgebiete befinden. Zunächst tritt der an Dänemark fallende
Landesteil unter die dänische Münzhoheit. Die deutsche Markwährung wird durch
die dänische Kronenwährung ersetzt. Damit verliert der Besitzer von Markwerten
heutzutage rund vier Fünftel seines Vermögens. Denn der Tageskurs der Mark
beträgt jetzt für 100 Mark noch nicht 20 Kronen, während die Friedensparität
89 Kronen war. Überdies ist die Kaufkraft der Krone in Dänemark sehr stark
gesunken und zurzeit nicht größer als die der Mark in Deutschland. Es ist ganz
ausgeschlossen, daß die dänische Regierung einen höheren Kurs als den Tageskurs
festsetzt, weil das die finanzielle Leistungsfähigkeit des kleinen Landes bei weitem
übersteigen würde. Die .145 Millionen Kronen der sogenannten dänischen Wieder-
vereinigungscmleihe können für eine Valutaregulierung nicht aufgewendet werden,
weil sie bestimmt sind für, den Erwerb des preußischen fiskalischen Eigentums
und zur Übernahme der Verbindlichkeiten gegenüber deu Empfängern von Staats¬
pensionen und Renten. Allein für diese Zwecke wird die durch die Wieder-
vereinigungsanleihe aufgebrachte Summe nicht annähernd ausreichen, für eine
allgemeine Valutaregulierung kommt sie keinesfalls in Betracht.

Die Bevölkerung Nordschleswigs ist vorwiegend bäuerlich und lebt vom
Absatz landwirtschaftlicher und namentlich viehwirtschaftlicher Erzeugnisse, für die
das iudustriereiche Deutschland, auch wenn man seine Zukunft noch so pessimistisch
beurteilt, ein immer bereiter Abnehmer sein wird. Dänemark ist selbst ein
Agrarexportland und in seiner während des Krieges so lohnenden Ausfuhr durch
die zollpolitischen Maßnahmen Englands und durch deu schlechten Valutastand
Deutschlands jetzt so eingeschränkt, daß die Zahlungsbilanz bereits wieder passiv
geworden und der ganze Scheinreichtum in Frage gestellt ist. Das weiß der
nordschleswigsche Landwirt. Und der Städter in Flensburg weiß, daß seine
Stadt beim Verbleib bei Deutschland Freihafen wird, also Auslaudshandelsort,
für den das bißchen Hinterland keine Rolle mehr spielt, während ein dänisches
Flensburg bald durch Kopenhagen an die Wand gedrückt wird. Dies alles ist
dem Nordschleswiger im Lause dieser Monate zum Bewußtsein gekommen, und
man kann beobachten, daß viele dänische Fahnenstangen, die in Nordschleswig des
Dcmebrogs harrten, jetzt bereits wieder verschwunden sind.


Die politische Lage in Nord-Schleswig

im Abstimmungsgebiet wohnt, stimmt am Geburtsort. Es ist natürlich von
der äußersten Wichtigkeit, daß die vielen Tausende von Stimmberechtigten, die
im Abstimmungsgebiet geboren sind und nun im übrigen Deutschland verstreut
wohnen, geschlossen und vollzählig zur Stimmabgabe anrücken. Zu diesem Zweck
ist von dem deutschen Ausschuß für das Herzogtum Schleswig in Flensburg
eine großzügige Organisation geschaffen, durch die jedem Stimmberechtigten freie
Eisenbahnfahrt an den Abstimmungsvrt und freie Unterkunft und Verpflegung
daselbst gewährleistet ist.

Wenn man nun fragt: Wie ist die Stimmung im Lande, wie sind die
Aussichten? So kann man getrost sagen: Die Aussichten für die zweite Zone
und für Flensburg sind gut. Zu Beginn des Jahres allerdings, als man noch
unter dem frischen Eindruck der Revolution in Deutschland und unter der vollen
Wirkung der Blockade stand, machte sich gerade auch in Flensburg eine große
Panik und Kopflosigkeit geltend. Man erblickte in Dänemark ein Paradies, in
das man sich retten konnte. Wenn man vor Lcbensmittelliiden in der Kette
stand, hörte man die Frauen sagen: Das dauert nun ja bloß noch ein paar
Wochen, dann sind wir dänisch und dann haben wir viles, was wir brauchen.
Eine eifrige dänische Agitation tat das ihrige, um durch Lebensmitlelpakete für die
Stimmberechtigten, Konfirmationsanzüge, Stiefel und Ferieneinladungen für die
Kinder diesen Wahn zu stärken. Seitdem ist man aber zur Besinnung gekommen,
und zwar ist der Punkt, der den Leuten — und nicht nur den Deutschen
allein sondern auch den dänisch gesinnten — am meisten zu denken gibt, die
Valutafrage.

Bei der großen Verschiedenheit der Wirtschaftsverhältnisse in Deutschland
und Dänemark ist es klar, daß durch eine Änderung der politischen und damit
der wirtschaftlichen Grenzen so gut wie alle wirtschaftlichen Werte betroffen werden,
die sich im Abtretungsgebiete befinden. Zunächst tritt der an Dänemark fallende
Landesteil unter die dänische Münzhoheit. Die deutsche Markwährung wird durch
die dänische Kronenwährung ersetzt. Damit verliert der Besitzer von Markwerten
heutzutage rund vier Fünftel seines Vermögens. Denn der Tageskurs der Mark
beträgt jetzt für 100 Mark noch nicht 20 Kronen, während die Friedensparität
89 Kronen war. Überdies ist die Kaufkraft der Krone in Dänemark sehr stark
gesunken und zurzeit nicht größer als die der Mark in Deutschland. Es ist ganz
ausgeschlossen, daß die dänische Regierung einen höheren Kurs als den Tageskurs
festsetzt, weil das die finanzielle Leistungsfähigkeit des kleinen Landes bei weitem
übersteigen würde. Die .145 Millionen Kronen der sogenannten dänischen Wieder-
vereinigungscmleihe können für eine Valutaregulierung nicht aufgewendet werden,
weil sie bestimmt sind für, den Erwerb des preußischen fiskalischen Eigentums
und zur Übernahme der Verbindlichkeiten gegenüber deu Empfängern von Staats¬
pensionen und Renten. Allein für diese Zwecke wird die durch die Wieder-
vereinigungsanleihe aufgebrachte Summe nicht annähernd ausreichen, für eine
allgemeine Valutaregulierung kommt sie keinesfalls in Betracht.

Die Bevölkerung Nordschleswigs ist vorwiegend bäuerlich und lebt vom
Absatz landwirtschaftlicher und namentlich viehwirtschaftlicher Erzeugnisse, für die
das iudustriereiche Deutschland, auch wenn man seine Zukunft noch so pessimistisch
beurteilt, ein immer bereiter Abnehmer sein wird. Dänemark ist selbst ein
Agrarexportland und in seiner während des Krieges so lohnenden Ausfuhr durch
die zollpolitischen Maßnahmen Englands und durch deu schlechten Valutastand
Deutschlands jetzt so eingeschränkt, daß die Zahlungsbilanz bereits wieder passiv
geworden und der ganze Scheinreichtum in Frage gestellt ist. Das weiß der
nordschleswigsche Landwirt. Und der Städter in Flensburg weiß, daß seine
Stadt beim Verbleib bei Deutschland Freihafen wird, also Auslaudshandelsort,
für den das bißchen Hinterland keine Rolle mehr spielt, während ein dänisches
Flensburg bald durch Kopenhagen an die Wand gedrückt wird. Dies alles ist
dem Nordschleswiger im Lause dieser Monate zum Bewußtsein gekommen, und
man kann beobachten, daß viele dänische Fahnenstangen, die in Nordschleswig des
Dcmebrogs harrten, jetzt bereits wieder verschwunden sind.


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[0072] Die politische Lage in Nord-Schleswig im Abstimmungsgebiet wohnt, stimmt am Geburtsort. Es ist natürlich von der äußersten Wichtigkeit, daß die vielen Tausende von Stimmberechtigten, die im Abstimmungsgebiet geboren sind und nun im übrigen Deutschland verstreut wohnen, geschlossen und vollzählig zur Stimmabgabe anrücken. Zu diesem Zweck ist von dem deutschen Ausschuß für das Herzogtum Schleswig in Flensburg eine großzügige Organisation geschaffen, durch die jedem Stimmberechtigten freie Eisenbahnfahrt an den Abstimmungsvrt und freie Unterkunft und Verpflegung daselbst gewährleistet ist. Wenn man nun fragt: Wie ist die Stimmung im Lande, wie sind die Aussichten? So kann man getrost sagen: Die Aussichten für die zweite Zone und für Flensburg sind gut. Zu Beginn des Jahres allerdings, als man noch unter dem frischen Eindruck der Revolution in Deutschland und unter der vollen Wirkung der Blockade stand, machte sich gerade auch in Flensburg eine große Panik und Kopflosigkeit geltend. Man erblickte in Dänemark ein Paradies, in das man sich retten konnte. Wenn man vor Lcbensmittelliiden in der Kette stand, hörte man die Frauen sagen: Das dauert nun ja bloß noch ein paar Wochen, dann sind wir dänisch und dann haben wir viles, was wir brauchen. Eine eifrige dänische Agitation tat das ihrige, um durch Lebensmitlelpakete für die Stimmberechtigten, Konfirmationsanzüge, Stiefel und Ferieneinladungen für die Kinder diesen Wahn zu stärken. Seitdem ist man aber zur Besinnung gekommen, und zwar ist der Punkt, der den Leuten — und nicht nur den Deutschen allein sondern auch den dänisch gesinnten — am meisten zu denken gibt, die Valutafrage. Bei der großen Verschiedenheit der Wirtschaftsverhältnisse in Deutschland und Dänemark ist es klar, daß durch eine Änderung der politischen und damit der wirtschaftlichen Grenzen so gut wie alle wirtschaftlichen Werte betroffen werden, die sich im Abtretungsgebiete befinden. Zunächst tritt der an Dänemark fallende Landesteil unter die dänische Münzhoheit. Die deutsche Markwährung wird durch die dänische Kronenwährung ersetzt. Damit verliert der Besitzer von Markwerten heutzutage rund vier Fünftel seines Vermögens. Denn der Tageskurs der Mark beträgt jetzt für 100 Mark noch nicht 20 Kronen, während die Friedensparität 89 Kronen war. Überdies ist die Kaufkraft der Krone in Dänemark sehr stark gesunken und zurzeit nicht größer als die der Mark in Deutschland. Es ist ganz ausgeschlossen, daß die dänische Regierung einen höheren Kurs als den Tageskurs festsetzt, weil das die finanzielle Leistungsfähigkeit des kleinen Landes bei weitem übersteigen würde. Die .145 Millionen Kronen der sogenannten dänischen Wieder- vereinigungscmleihe können für eine Valutaregulierung nicht aufgewendet werden, weil sie bestimmt sind für, den Erwerb des preußischen fiskalischen Eigentums und zur Übernahme der Verbindlichkeiten gegenüber deu Empfängern von Staats¬ pensionen und Renten. Allein für diese Zwecke wird die durch die Wieder- vereinigungsanleihe aufgebrachte Summe nicht annähernd ausreichen, für eine allgemeine Valutaregulierung kommt sie keinesfalls in Betracht. Die Bevölkerung Nordschleswigs ist vorwiegend bäuerlich und lebt vom Absatz landwirtschaftlicher und namentlich viehwirtschaftlicher Erzeugnisse, für die das iudustriereiche Deutschland, auch wenn man seine Zukunft noch so pessimistisch beurteilt, ein immer bereiter Abnehmer sein wird. Dänemark ist selbst ein Agrarexportland und in seiner während des Krieges so lohnenden Ausfuhr durch die zollpolitischen Maßnahmen Englands und durch deu schlechten Valutastand Deutschlands jetzt so eingeschränkt, daß die Zahlungsbilanz bereits wieder passiv geworden und der ganze Scheinreichtum in Frage gestellt ist. Das weiß der nordschleswigsche Landwirt. Und der Städter in Flensburg weiß, daß seine Stadt beim Verbleib bei Deutschland Freihafen wird, also Auslaudshandelsort, für den das bißchen Hinterland keine Rolle mehr spielt, während ein dänisches Flensburg bald durch Kopenhagen an die Wand gedrückt wird. Dies alles ist dem Nordschleswiger im Lause dieser Monate zum Bewußtsein gekommen, und man kann beobachten, daß viele dänische Fahnenstangen, die in Nordschleswig des Dcmebrogs harrten, jetzt bereits wieder verschwunden sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/72>, abgerufen am 15.01.2025.