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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zweifelbar deutsche. -- Vorgeschichtliche Funde
erweisen interessanterweise die Entwicklung
Oberschlesiens als unverkennbare Analogie
zum übrigen Schlesien. Wann des Menschen
Fuß zum ersten Male oberschlesischen Boden
betrat, ist allerdings unbekannt. Erst für
die Steinzeit ist eine Besiedlung nachweis¬
bar. Funde aus dem frühen Eisenalter
lassen den Schluß zu, daß die damaligen
Bewohner Schlesiens Jllyrier waren. Schon
800 v. Chr. kamen Germanen ins Land,
wie Grabfunde aus dem Ovpelner Kreise
erkennbar machen. Die Germanen wurden
zeitweilig von Kelten verdrängt, um sich
weiterhin fortdauernd zu behaupten bis zur
Auswanderung am Ende des dritten Jahr¬
hunderts. Germanische Volksreste blieben
aber zurück bis ins fünfte Jahrhundert.
Dann erst kamen die Slawen, von denen
Funde aber nur seit dem neunten Jahr¬
hundert berichten. Wenn sich der Aus-
stellungsbesucher all dies an der Hand des
trefflichen Führers aus Waffen-, Geräten-,
Urnenfunden klar machen läßt, wenn er
dann weiter die Urkunden des dreizehnten
bis neunzehnten Jahrhunderts aus dem
Staatsarchiv und den: Diözesanmuseum über
die Gründung von Städten und Klöstern,
über Privilegienverleihung und Bergordnung
durchsieht -- deutscher tragender, führender
Kulturgeist grüßt ihnl Die spätgotische
Jakobikirche, die barocke Jesuiten- und die
gleichfalls barocke Kreuzkirche zu Neisse sind
Kleinodien oberschlesischer alter Baudenk¬
mäler.

Vielgestaltig ist das Abbild der industri¬
ellen Entwicklung Oberschlesiens. Ob wir
nun die reiche, von Friedrich dem Großen
ins Leben gerufene, leider mehr und mehr
eingeschlafene Fayencefabrikation in Prosken,
Glinitz. Ratibor, Tillowitz, den Gleiwitzer
kunstvollen Eisenguß, die gewaltigen Unter¬
nehmungen des Bergbaus, der der Initiative
eines v. Heinitz und v. Reden, eines Karsten,
Georg von Giesche u. a. in, so viel ver¬
dankt, die Neustädter Textilindustrie be¬
trachten, deutschor erfolgreicher Unter-
nehmungSsinn und deutsche Sachkenntnis
begegnen uns. Das künstlerische Schaffen
trägt für die ältere Generation deutsches
Wesen an der Stirn; die Bilder der

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Modernen, -- abgesehen von Wahrer, dessen
Malschule eine bemerkenswerte Leistung dar¬
stellt, sind suchend-uncharakteristisch, zum Teil
Kitsch. Für Odoy möchte man um seiner
glänzenden Linienrhythmik willen die Abkehr
von den modernen Farb- und Formver-
stiegenheiten wünschen. Kulturcharakteristisch
sind solche Malereiproben nicht; sie hätten
fortbleiben und Raum schaffen können für
eine Riesenscunmlung des oberschlesischen
Schrifttums, das auf ein Lesezimmer be¬
schränkt ist. Wohl geben Tabellen eine Über¬
sicht über das Schulwesen, künden zum
Beispiel, daß seit 1882 bis 19 it die Zahl
der Volksschulen von 1199 auf 1ö89 stieg,
Wohl ist eine schöne Lehrmittelsammlung
vorhanden, Wohl findet man Kollektivum
der oberschlesischen Verlagsanstalten vor,
Wohl sind Werke oberschlesischer Dichter aus¬
gestellt, aber was sonst Oberschlesier schrieben
und wirkten, wird nicht ausführlich genug
dargetan. Hier klafft eine bedauerliche Lücke,
die das Lesezimmer nicht füllen kann, für
deren Beseitigung allerdings die Zeit viel¬
leicht zu knapp war. Aber daß nirgends --
oder übersah ich's? -- die Philomatischen
Gesellschaften mit ihren Buchjahresberichten
vertreten sind und die zahlreichen wissen¬
schaftlichen Vereine, während Geologie, Tier-
und Pflanzenwelt Oberschlesiens (nicht etwa
nur, soweit sie durch einheimische Forschung
klargelegt sind, sondern ganz allgemein) zur
Darbietung gelangen, ist nicht recht ver¬
ständlich. Genug der Kritik, genug des
Wanderns durch die Ausstellung! Nur dies
sei noch erwähnt: die großen Deutschen
Eichendorff und der Dichter des Bürgertums
Gustav' Freytag sind Oberschlesier I Und
welcher Geist durchweht die Lieder eines
Philo vom Walde, eines Paul Barsch, der
den wunderbaren Roman schrieb "Von
einem, der auszog"? Sind sie nicht echte
Deutsche, echte Oberschlesier in ihrem tiefen
Empfinden, ihrer derbfrohen Realistik und
sehnenden Schwermut? Ist der Alte von
Neisse, Carl Jentsch, der Niederschlesier, der
durch mehr als drei Jahrzehnte langes
Schaffen festwurzelte in der oberschlesischen
Erde, nicht kernhaft deutsch geblieben?
spiegelt sich nicht in Sage und Volkslied
Oberschlesiens deutsches Wesen? Ob Wir

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zweifelbar deutsche. — Vorgeschichtliche Funde
erweisen interessanterweise die Entwicklung
Oberschlesiens als unverkennbare Analogie
zum übrigen Schlesien. Wann des Menschen
Fuß zum ersten Male oberschlesischen Boden
betrat, ist allerdings unbekannt. Erst für
die Steinzeit ist eine Besiedlung nachweis¬
bar. Funde aus dem frühen Eisenalter
lassen den Schluß zu, daß die damaligen
Bewohner Schlesiens Jllyrier waren. Schon
800 v. Chr. kamen Germanen ins Land,
wie Grabfunde aus dem Ovpelner Kreise
erkennbar machen. Die Germanen wurden
zeitweilig von Kelten verdrängt, um sich
weiterhin fortdauernd zu behaupten bis zur
Auswanderung am Ende des dritten Jahr¬
hunderts. Germanische Volksreste blieben
aber zurück bis ins fünfte Jahrhundert.
Dann erst kamen die Slawen, von denen
Funde aber nur seit dem neunten Jahr¬
hundert berichten. Wenn sich der Aus-
stellungsbesucher all dies an der Hand des
trefflichen Führers aus Waffen-, Geräten-,
Urnenfunden klar machen läßt, wenn er
dann weiter die Urkunden des dreizehnten
bis neunzehnten Jahrhunderts aus dem
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die Gründung von Städten und Klöstern,
über Privilegienverleihung und Bergordnung
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Kulturgeist grüßt ihnl Die spätgotische
Jakobikirche, die barocke Jesuiten- und die
gleichfalls barocke Kreuzkirche zu Neisse sind
Kleinodien oberschlesischer alter Baudenk¬
mäler.

Vielgestaltig ist das Abbild der industri¬
ellen Entwicklung Oberschlesiens. Ob wir
nun die reiche, von Friedrich dem Großen
ins Leben gerufene, leider mehr und mehr
eingeschlafene Fayencefabrikation in Prosken,
Glinitz. Ratibor, Tillowitz, den Gleiwitzer
kunstvollen Eisenguß, die gewaltigen Unter¬
nehmungen des Bergbaus, der der Initiative
eines v. Heinitz und v. Reden, eines Karsten,
Georg von Giesche u. a. in, so viel ver¬
dankt, die Neustädter Textilindustrie be¬
trachten, deutschor erfolgreicher Unter-
nehmungSsinn und deutsche Sachkenntnis
begegnen uns. Das künstlerische Schaffen
trägt für die ältere Generation deutsches
Wesen an der Stirn; die Bilder der

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Modernen, — abgesehen von Wahrer, dessen
Malschule eine bemerkenswerte Leistung dar¬
stellt, sind suchend-uncharakteristisch, zum Teil
Kitsch. Für Odoy möchte man um seiner
glänzenden Linienrhythmik willen die Abkehr
von den modernen Farb- und Formver-
stiegenheiten wünschen. Kulturcharakteristisch
sind solche Malereiproben nicht; sie hätten
fortbleiben und Raum schaffen können für
eine Riesenscunmlung des oberschlesischen
Schrifttums, das auf ein Lesezimmer be¬
schränkt ist. Wohl geben Tabellen eine Über¬
sicht über das Schulwesen, künden zum
Beispiel, daß seit 1882 bis 19 it die Zahl
der Volksschulen von 1199 auf 1ö89 stieg,
Wohl ist eine schöne Lehrmittelsammlung
vorhanden, Wohl findet man Kollektivum
der oberschlesischen Verlagsanstalten vor,
Wohl sind Werke oberschlesischer Dichter aus¬
gestellt, aber was sonst Oberschlesier schrieben
und wirkten, wird nicht ausführlich genug
dargetan. Hier klafft eine bedauerliche Lücke,
die das Lesezimmer nicht füllen kann, für
deren Beseitigung allerdings die Zeit viel¬
leicht zu knapp war. Aber daß nirgends —
oder übersah ich's? — die Philomatischen
Gesellschaften mit ihren Buchjahresberichten
vertreten sind und die zahlreichen wissen¬
schaftlichen Vereine, während Geologie, Tier-
und Pflanzenwelt Oberschlesiens (nicht etwa
nur, soweit sie durch einheimische Forschung
klargelegt sind, sondern ganz allgemein) zur
Darbietung gelangen, ist nicht recht ver¬
ständlich. Genug der Kritik, genug des
Wanderns durch die Ausstellung! Nur dies
sei noch erwähnt: die großen Deutschen
Eichendorff und der Dichter des Bürgertums
Gustav' Freytag sind Oberschlesier I Und
welcher Geist durchweht die Lieder eines
Philo vom Walde, eines Paul Barsch, der
den wunderbaren Roman schrieb „Von
einem, der auszog"? Sind sie nicht echte
Deutsche, echte Oberschlesier in ihrem tiefen
Empfinden, ihrer derbfrohen Realistik und
sehnenden Schwermut? Ist der Alte von
Neisse, Carl Jentsch, der Niederschlesier, der
durch mehr als drei Jahrzehnte langes
Schaffen festwurzelte in der oberschlesischen
Erde, nicht kernhaft deutsch geblieben?
spiegelt sich nicht in Sage und Volkslied
Oberschlesiens deutsches Wesen? Ob Wir

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[0054] Maßgebliches und Unmaßgebliches zweifelbar deutsche. — Vorgeschichtliche Funde erweisen interessanterweise die Entwicklung Oberschlesiens als unverkennbare Analogie zum übrigen Schlesien. Wann des Menschen Fuß zum ersten Male oberschlesischen Boden betrat, ist allerdings unbekannt. Erst für die Steinzeit ist eine Besiedlung nachweis¬ bar. Funde aus dem frühen Eisenalter lassen den Schluß zu, daß die damaligen Bewohner Schlesiens Jllyrier waren. Schon 800 v. Chr. kamen Germanen ins Land, wie Grabfunde aus dem Ovpelner Kreise erkennbar machen. Die Germanen wurden zeitweilig von Kelten verdrängt, um sich weiterhin fortdauernd zu behaupten bis zur Auswanderung am Ende des dritten Jahr¬ hunderts. Germanische Volksreste blieben aber zurück bis ins fünfte Jahrhundert. Dann erst kamen die Slawen, von denen Funde aber nur seit dem neunten Jahr¬ hundert berichten. Wenn sich der Aus- stellungsbesucher all dies an der Hand des trefflichen Führers aus Waffen-, Geräten-, Urnenfunden klar machen läßt, wenn er dann weiter die Urkunden des dreizehnten bis neunzehnten Jahrhunderts aus dem Staatsarchiv und den: Diözesanmuseum über die Gründung von Städten und Klöstern, über Privilegienverleihung und Bergordnung durchsieht — deutscher tragender, führender Kulturgeist grüßt ihnl Die spätgotische Jakobikirche, die barocke Jesuiten- und die gleichfalls barocke Kreuzkirche zu Neisse sind Kleinodien oberschlesischer alter Baudenk¬ mäler. Vielgestaltig ist das Abbild der industri¬ ellen Entwicklung Oberschlesiens. Ob wir nun die reiche, von Friedrich dem Großen ins Leben gerufene, leider mehr und mehr eingeschlafene Fayencefabrikation in Prosken, Glinitz. Ratibor, Tillowitz, den Gleiwitzer kunstvollen Eisenguß, die gewaltigen Unter¬ nehmungen des Bergbaus, der der Initiative eines v. Heinitz und v. Reden, eines Karsten, Georg von Giesche u. a. in, so viel ver¬ dankt, die Neustädter Textilindustrie be¬ trachten, deutschor erfolgreicher Unter- nehmungSsinn und deutsche Sachkenntnis begegnen uns. Das künstlerische Schaffen trägt für die ältere Generation deutsches Wesen an der Stirn; die Bilder der Modernen, — abgesehen von Wahrer, dessen Malschule eine bemerkenswerte Leistung dar¬ stellt, sind suchend-uncharakteristisch, zum Teil Kitsch. Für Odoy möchte man um seiner glänzenden Linienrhythmik willen die Abkehr von den modernen Farb- und Formver- stiegenheiten wünschen. Kulturcharakteristisch sind solche Malereiproben nicht; sie hätten fortbleiben und Raum schaffen können für eine Riesenscunmlung des oberschlesischen Schrifttums, das auf ein Lesezimmer be¬ schränkt ist. Wohl geben Tabellen eine Über¬ sicht über das Schulwesen, künden zum Beispiel, daß seit 1882 bis 19 it die Zahl der Volksschulen von 1199 auf 1ö89 stieg, Wohl ist eine schöne Lehrmittelsammlung vorhanden, Wohl findet man Kollektivum der oberschlesischen Verlagsanstalten vor, Wohl sind Werke oberschlesischer Dichter aus¬ gestellt, aber was sonst Oberschlesier schrieben und wirkten, wird nicht ausführlich genug dargetan. Hier klafft eine bedauerliche Lücke, die das Lesezimmer nicht füllen kann, für deren Beseitigung allerdings die Zeit viel¬ leicht zu knapp war. Aber daß nirgends — oder übersah ich's? — die Philomatischen Gesellschaften mit ihren Buchjahresberichten vertreten sind und die zahlreichen wissen¬ schaftlichen Vereine, während Geologie, Tier- und Pflanzenwelt Oberschlesiens (nicht etwa nur, soweit sie durch einheimische Forschung klargelegt sind, sondern ganz allgemein) zur Darbietung gelangen, ist nicht recht ver¬ ständlich. Genug der Kritik, genug des Wanderns durch die Ausstellung! Nur dies sei noch erwähnt: die großen Deutschen Eichendorff und der Dichter des Bürgertums Gustav' Freytag sind Oberschlesier I Und welcher Geist durchweht die Lieder eines Philo vom Walde, eines Paul Barsch, der den wunderbaren Roman schrieb „Von einem, der auszog"? Sind sie nicht echte Deutsche, echte Oberschlesier in ihrem tiefen Empfinden, ihrer derbfrohen Realistik und sehnenden Schwermut? Ist der Alte von Neisse, Carl Jentsch, der Niederschlesier, der durch mehr als drei Jahrzehnte langes Schaffen festwurzelte in der oberschlesischen Erde, nicht kernhaft deutsch geblieben? spiegelt sich nicht in Sage und Volkslied Oberschlesiens deutsches Wesen? Ob Wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/54>, abgerufen am 15.01.2025.