Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Materialien zur ostdeutschen Frage jeder staatlichen Ordnung in Polen können wir nicht wünschen, weil deren Zu¬ Der ungeheure Fehler der Politik der polnischen Staatslenker, sich nur vom In Berlin werden zurzeit Verhandlungen geführt, der erste deutsch polnische Materialien zur ostdeutschen Frage jeder staatlichen Ordnung in Polen können wir nicht wünschen, weil deren Zu¬ Der ungeheure Fehler der Politik der polnischen Staatslenker, sich nur vom In Berlin werden zurzeit Verhandlungen geführt, der erste deutsch polnische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336810"/> <fw type="header" place="top"> Materialien zur ostdeutschen Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_2644" prev="#ID_2643"> jeder staatlichen Ordnung in Polen können wir nicht wünschen, weil deren Zu¬<lb/> sammenbruch nicht — wie naive Seelen nieinen oder hoffen — uns die Rückkehr<lb/> zum Vaterlande bringen würde. Wir Deutschen hier würden lediglich in den<lb/> tosenden Strudel mit hineingezogen. An dein gemeinsamen Untergang mit dem<lb/> polnischen Staat können wir hier wirklich kein Interesse haben. Wir wollen leben,<lb/> schaffen, arbeiten in einem Staat, der Arbeit, Ordnung und Leben zu schützen<lb/> vermag, auch wenn wir diesem Staat nur gezwungen angehören.</p><lb/> <p xml:id="ID_2645"> Der ungeheure Fehler der Politik der polnischen Staatslenker, sich nur vom<lb/> rein nationalegoistischen Drang leiten zu lasse», rächt sich heute schon, er wird<lb/> sich in der Zukunft noch mehr als die Kraft erweisen, die den polnischen Staat<lb/> zu keiner inneren Konsolidierung kommen laßt. Ein junges zartes Staatsgebilde<lb/> wie Polen, zerrissen von Parteien, zerrüttet in seinen Finanzen, ohne sicher<lb/> funktionierenden Veamteuapparat, bar aller Einrichtungen eines modernen Staates,<lb/> bedroht von tausend Gefahren im Innern und von Außen, müßte als Hauptziel<lb/> seiner Politik betrachten: den Aufbau, die Konsolidierung, die Zusammenfassung<lb/> aller vorhandenen Kräfte im Innern zu staatsfördernder Arbeit. Ein wesentlicher<lb/> Faktor bei dieser Arbeit wäre das deutsche Element, das jetzt von Polen in Ver-<lb/> kennung der tatsächlichen Verhältnisse zurückgestoßen wird. Die Welt hat heute<lb/> ein anderes Gesicht wie vor 1914, aber auch einen anderen Geist. Das ver¬<lb/> kennen die Polen ganz und gar. Kein Ententegeld und kein Eutenteheer kann<lb/> dem polnischen Staate das geben, was ihm seine ihm zugehörenden Deutschen<lb/> bei der Errichtung des polnischen Stanlswescns bieten können. Die lebenden<lb/> Glieder eines Staates leisten, wenn sie an diesem Staat ein Interesse haben,<lb/> weit mehr als fremde Völker, da diese bei aller Freundschaft doch mehr selbstsüchtige<lb/> Zwecke verfolgen. — Was dem polnischen Staat jetzt nottut, das ist eine wahre<lb/> Verständigung mit seinen Deutschen, eine Verständigung, die die Deutschen hier<lb/> zu Förderern des polnischen Staates gewinnt. Durch eine solche Verständigung<lb/> wäre das polnische Staatswesen schon zur Hälfte konsolidiert. Dem nationalen<lb/> Überschwang der Polen alle Anerkennung, aber damit allein baut man kein Reich.<lb/> Was hat es denn für einen Zweck, wenn in polnischen Blättern bei Besprechung<lb/> der bolschewistischen Welle, die Polen ergriffen hat, immer wieder die Phrase er¬<lb/> scheint, das sei „die schuftige Arbeit der Volschewisten und preußischen Verräter"<lb/> oder wenn der „Dziennik Gdanski" schreibt, „die polnische Armee habe noch soviel<lb/> gesunden Geist trotz der deutsch-russischen Agitation, daß es reicht, um nicht nur<lb/> den deu Polen auf den Hals geschickten Agenten, sondern auch den frechen<lb/> Deutschen selbst das Leder durchzugehen". Das mag für das Ohr eines Teiles<lb/> des polnischen Volkes schön klingen, ist aber in Wirklichkeit und angesichts der<lb/> tatsächlichen Verhältnisse eine politische Kinderei, mit der die Blätter eines Vierzig-<lb/> millionenstaates sich nicht nur lächerlich machen, sondern mit der sie, und das ist<lb/> weit schlimmer, eine ernste, auf das Wohl des polnischen Staates gerichtete Politik<lb/> durch Verhetzung unmöglich machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2646"> In Berlin werden zurzeit Verhandlungen geführt, der erste deutsch polnische<lb/> Staatsvertrag ist bereits abgeschlossen. Das ist schön und gut so. Wir meinen<lb/> aber, die Verständigung zwischen Polen und den Deutschen hier muß viel weiter<lb/> gehen als durch einen Staatsvertrag. Polen muß, um zur Festigung seines<lb/> Staatsbaues zu gelangen und um sich Mitau heller in den staatsfördernden<lb/> Deutschen hier zu gewinnen, das Vertrauen dieser Deutschen erobern durch eine<lb/> restlose Verständigung, durch einen Ausgleich, der den Deutschen hier die volle<lb/> kulturelle Autonomie gibt und damit den Polen eine nicht zu unterschätzende<lb/> Mithilfe am Aufbau des polnischen Staatswesens. Der erste politische Nichlpunkt,<lb/> den die „Vereinigung des deutschen Volkstums in Polen" in seinen Richtlinien<lb/> vor vielen Wochen schon aufgestellt hat, beweist ihren Sinn für praktische, nüchterne,<lb/> vorausschauende Politik. Die Polen kennen diesen Richtpunkt der deutschen<lb/> Organisation, wir wünschen nur, daß sie angesichts der jetzigen Verhältnisse sich<lb/> zu einer gleichen Politik der Tatsachen bekennen und alle Schlußfolgerungen<lb/> daraus ziehen.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0520]
Materialien zur ostdeutschen Frage
jeder staatlichen Ordnung in Polen können wir nicht wünschen, weil deren Zu¬
sammenbruch nicht — wie naive Seelen nieinen oder hoffen — uns die Rückkehr
zum Vaterlande bringen würde. Wir Deutschen hier würden lediglich in den
tosenden Strudel mit hineingezogen. An dein gemeinsamen Untergang mit dem
polnischen Staat können wir hier wirklich kein Interesse haben. Wir wollen leben,
schaffen, arbeiten in einem Staat, der Arbeit, Ordnung und Leben zu schützen
vermag, auch wenn wir diesem Staat nur gezwungen angehören.
Der ungeheure Fehler der Politik der polnischen Staatslenker, sich nur vom
rein nationalegoistischen Drang leiten zu lasse», rächt sich heute schon, er wird
sich in der Zukunft noch mehr als die Kraft erweisen, die den polnischen Staat
zu keiner inneren Konsolidierung kommen laßt. Ein junges zartes Staatsgebilde
wie Polen, zerrissen von Parteien, zerrüttet in seinen Finanzen, ohne sicher
funktionierenden Veamteuapparat, bar aller Einrichtungen eines modernen Staates,
bedroht von tausend Gefahren im Innern und von Außen, müßte als Hauptziel
seiner Politik betrachten: den Aufbau, die Konsolidierung, die Zusammenfassung
aller vorhandenen Kräfte im Innern zu staatsfördernder Arbeit. Ein wesentlicher
Faktor bei dieser Arbeit wäre das deutsche Element, das jetzt von Polen in Ver-
kennung der tatsächlichen Verhältnisse zurückgestoßen wird. Die Welt hat heute
ein anderes Gesicht wie vor 1914, aber auch einen anderen Geist. Das ver¬
kennen die Polen ganz und gar. Kein Ententegeld und kein Eutenteheer kann
dem polnischen Staate das geben, was ihm seine ihm zugehörenden Deutschen
bei der Errichtung des polnischen Stanlswescns bieten können. Die lebenden
Glieder eines Staates leisten, wenn sie an diesem Staat ein Interesse haben,
weit mehr als fremde Völker, da diese bei aller Freundschaft doch mehr selbstsüchtige
Zwecke verfolgen. — Was dem polnischen Staat jetzt nottut, das ist eine wahre
Verständigung mit seinen Deutschen, eine Verständigung, die die Deutschen hier
zu Förderern des polnischen Staates gewinnt. Durch eine solche Verständigung
wäre das polnische Staatswesen schon zur Hälfte konsolidiert. Dem nationalen
Überschwang der Polen alle Anerkennung, aber damit allein baut man kein Reich.
Was hat es denn für einen Zweck, wenn in polnischen Blättern bei Besprechung
der bolschewistischen Welle, die Polen ergriffen hat, immer wieder die Phrase er¬
scheint, das sei „die schuftige Arbeit der Volschewisten und preußischen Verräter"
oder wenn der „Dziennik Gdanski" schreibt, „die polnische Armee habe noch soviel
gesunden Geist trotz der deutsch-russischen Agitation, daß es reicht, um nicht nur
den deu Polen auf den Hals geschickten Agenten, sondern auch den frechen
Deutschen selbst das Leder durchzugehen". Das mag für das Ohr eines Teiles
des polnischen Volkes schön klingen, ist aber in Wirklichkeit und angesichts der
tatsächlichen Verhältnisse eine politische Kinderei, mit der die Blätter eines Vierzig-
millionenstaates sich nicht nur lächerlich machen, sondern mit der sie, und das ist
weit schlimmer, eine ernste, auf das Wohl des polnischen Staates gerichtete Politik
durch Verhetzung unmöglich machen.
In Berlin werden zurzeit Verhandlungen geführt, der erste deutsch polnische
Staatsvertrag ist bereits abgeschlossen. Das ist schön und gut so. Wir meinen
aber, die Verständigung zwischen Polen und den Deutschen hier muß viel weiter
gehen als durch einen Staatsvertrag. Polen muß, um zur Festigung seines
Staatsbaues zu gelangen und um sich Mitau heller in den staatsfördernden
Deutschen hier zu gewinnen, das Vertrauen dieser Deutschen erobern durch eine
restlose Verständigung, durch einen Ausgleich, der den Deutschen hier die volle
kulturelle Autonomie gibt und damit den Polen eine nicht zu unterschätzende
Mithilfe am Aufbau des polnischen Staatswesens. Der erste politische Nichlpunkt,
den die „Vereinigung des deutschen Volkstums in Polen" in seinen Richtlinien
vor vielen Wochen schon aufgestellt hat, beweist ihren Sinn für praktische, nüchterne,
vorausschauende Politik. Die Polen kennen diesen Richtpunkt der deutschen
Organisation, wir wünschen nur, daß sie angesichts der jetzigen Verhältnisse sich
zu einer gleichen Politik der Tatsachen bekennen und alle Schlußfolgerungen
daraus ziehen.
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