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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

Seit Mitte September ist das Land vom Bolschewismus erfaßt. Die
polnische sozialistische Partei (P. P. S.) hat sich gespalten. Der ausgetretene
Teil, der sich "die Opposition der P. P. S." nennt, richtet an die Landarbeiter
einen Aufruf, den Streik zu beginnen, den Behörden bewaffneten Widerstand zu
leisten und mit den Kommunisten zusammenzugehen. Der Aufruf führt nach der
"Gazeta Poranna" aus, Hauptziel sei die Vergesellschaftung des Bodens. Das
ganze Land müsse den Grundbesitzern ohne Entschädigung weggenommen werden.
Im Verein mit dem städtischen Proletariat, das zur sozialen Revolution rüste,
werde es gelingen, den jetzigen Machthabern die Macht zu entreißen und die
Diktatur des Proletariats aufzurichten. Alle Güter, so heißt es weiter, müßten
beschlagnahmt werden. Besitzer und Verwalter müßten entfernt, an ihre Stelle
müßte ein Gutskomitee eingesetzt werden, das von sämtlichen Gutsarbeitern und
kleinen Bauern gewählt wird. Arbeiterräte müßten über die Führung der Wirt-
schaft wachen. Ferner heißt es: "Die entscheidende Aktion muß sofort einsetzen
denn aus Furcht vor der Revolution parzellieren jetzt die Herren mit Gewalt das
Land und verkaufen es an reiche Bauern, von denen es schwer zu bekommen
sein wird. Ihr müßt daher einerseits von der Regierung fordern, daß sie sofort
ein Verbot des Handels mit Land erläßt, sowie sämtliche in der letzten Zeit ab¬
geschlossenen Verkäufe rückgängig macht und andererseits mit eurer organisierten
Kraft die Parzellierung nicht zulassen. Will jemand sein Gut parzellieren, so
beschlagnahmt es und setzt ein Gutskomitee ein. Der Aufruf schließt mit den
üblichen kommunistischen Phrasen: "Hinweg mit der ParzellierungI", "Es lebe die
Vergesellschaftlichungl", "Hinweg mit den Herren der Bourgeoisie und ihrer blutigen
Regierung I", Es lebe die Diktatur des Proletariats in Stadt und Land die soziale
Revolution, die polnische sozialistische Republik!" Das genannte polnische Blatt
meint, die hundert Millionen Rubel, die Lenin und Trotzki für die bolschewistische
Agitation in Polen hergegeben, haben ihre Wirkung nicht verfehlt.-

Das Ziel der Bewegung scheint der Sturz der polnischen Regierung zu sein.
Mit dem Aufruf an die Landarbeiter richtete die "Opposition" einen Appell an
das polnische Proletariat, die unverzügliche Beendigung des Krieges im Osten zu
erzwingen.

Wie weit die bolschewistischen Bestrebungen gediehen sind, das läßt sich
aus einem Alarmartikel in Ur. 226 des "Kurjer Poznanski" (Posen) erkennen, in
dem es heißt:

"Noch ist das Gebäude des polnischen Staates auf keiner festen Basis be¬
gründet, noch befinden sich kostbare Landesstriche, uralte Ansiedelungen des pol¬
nischen Volkes in den Händen des Feindes, die im Osten lauernde, aber noch
nicht niedergedrückte Macht des bolschewistischen Rußlands, die im Osten vorläufig
noch zurückgeworfen ist, ist jeden Augenblick sprungbereit -- und schon zittern und
wanken die Gerüste unseres staatlich-sozialen Gebäudes, schon beginnen wir in den
sumpfigen Pfuhl der Antagonismen und inneren Kämpfe zu sinken. Die Nach¬
richten aus dem Königreich berichten über die Erscheinungen einer Krise, die man
nicht leicht nehmen darf. Der soziale Radikalismus, dem man schmeichelte, den
man durch Kompromisse bemüht war zu mildern, ist eine brennende Frage ge¬
worden und erschüttert den sozialen Organismus gleich einem schweren Fieber.
Als der Landtag unter Triumphbezeigungen der Linken die radikalste Agrarreform
beschloß, welche die Gegenwart kennt, schien es, daß die innere Ordnung und
Ruhe in der Republik auf Kosten dieses großen Opfers der besitzenden Klassen
gesichert bleiben wird. Die Führer der Bauernpartei erklärten die Notwendigkeit
der Reform eben durch dieses Argument, wobei sie an die patriotischen Gefühle
des Landtages appellierten. Heute sehen wir schon, daß die Folgen der nicht¬
durchdachten Reform, die in den von der Bauerndemagogie erregten Debatten
mit Gewalt durchgeführt wurde, ganz andere sind, als man voraussehen konnte.
Die nunmehr geweckte Habgier auf fremdes Eigentum ist nicht an den Grenzen
des Zwangsauskaufes, wie ihn das Agrargese? bei der Durchführung der Par¬
zellierung von größeren Gütern vorsieht, stehen geblieben. Aus diesem Wege


Materialien zur ostdeutschen Frage

Seit Mitte September ist das Land vom Bolschewismus erfaßt. Die
polnische sozialistische Partei (P. P. S.) hat sich gespalten. Der ausgetretene
Teil, der sich „die Opposition der P. P. S." nennt, richtet an die Landarbeiter
einen Aufruf, den Streik zu beginnen, den Behörden bewaffneten Widerstand zu
leisten und mit den Kommunisten zusammenzugehen. Der Aufruf führt nach der
„Gazeta Poranna" aus, Hauptziel sei die Vergesellschaftung des Bodens. Das
ganze Land müsse den Grundbesitzern ohne Entschädigung weggenommen werden.
Im Verein mit dem städtischen Proletariat, das zur sozialen Revolution rüste,
werde es gelingen, den jetzigen Machthabern die Macht zu entreißen und die
Diktatur des Proletariats aufzurichten. Alle Güter, so heißt es weiter, müßten
beschlagnahmt werden. Besitzer und Verwalter müßten entfernt, an ihre Stelle
müßte ein Gutskomitee eingesetzt werden, das von sämtlichen Gutsarbeitern und
kleinen Bauern gewählt wird. Arbeiterräte müßten über die Führung der Wirt-
schaft wachen. Ferner heißt es: „Die entscheidende Aktion muß sofort einsetzen
denn aus Furcht vor der Revolution parzellieren jetzt die Herren mit Gewalt das
Land und verkaufen es an reiche Bauern, von denen es schwer zu bekommen
sein wird. Ihr müßt daher einerseits von der Regierung fordern, daß sie sofort
ein Verbot des Handels mit Land erläßt, sowie sämtliche in der letzten Zeit ab¬
geschlossenen Verkäufe rückgängig macht und andererseits mit eurer organisierten
Kraft die Parzellierung nicht zulassen. Will jemand sein Gut parzellieren, so
beschlagnahmt es und setzt ein Gutskomitee ein. Der Aufruf schließt mit den
üblichen kommunistischen Phrasen: „Hinweg mit der ParzellierungI", „Es lebe die
Vergesellschaftlichungl", „Hinweg mit den Herren der Bourgeoisie und ihrer blutigen
Regierung I", Es lebe die Diktatur des Proletariats in Stadt und Land die soziale
Revolution, die polnische sozialistische Republik!" Das genannte polnische Blatt
meint, die hundert Millionen Rubel, die Lenin und Trotzki für die bolschewistische
Agitation in Polen hergegeben, haben ihre Wirkung nicht verfehlt.-

Das Ziel der Bewegung scheint der Sturz der polnischen Regierung zu sein.
Mit dem Aufruf an die Landarbeiter richtete die „Opposition" einen Appell an
das polnische Proletariat, die unverzügliche Beendigung des Krieges im Osten zu
erzwingen.

Wie weit die bolschewistischen Bestrebungen gediehen sind, das läßt sich
aus einem Alarmartikel in Ur. 226 des „Kurjer Poznanski" (Posen) erkennen, in
dem es heißt:

„Noch ist das Gebäude des polnischen Staates auf keiner festen Basis be¬
gründet, noch befinden sich kostbare Landesstriche, uralte Ansiedelungen des pol¬
nischen Volkes in den Händen des Feindes, die im Osten lauernde, aber noch
nicht niedergedrückte Macht des bolschewistischen Rußlands, die im Osten vorläufig
noch zurückgeworfen ist, ist jeden Augenblick sprungbereit — und schon zittern und
wanken die Gerüste unseres staatlich-sozialen Gebäudes, schon beginnen wir in den
sumpfigen Pfuhl der Antagonismen und inneren Kämpfe zu sinken. Die Nach¬
richten aus dem Königreich berichten über die Erscheinungen einer Krise, die man
nicht leicht nehmen darf. Der soziale Radikalismus, dem man schmeichelte, den
man durch Kompromisse bemüht war zu mildern, ist eine brennende Frage ge¬
worden und erschüttert den sozialen Organismus gleich einem schweren Fieber.
Als der Landtag unter Triumphbezeigungen der Linken die radikalste Agrarreform
beschloß, welche die Gegenwart kennt, schien es, daß die innere Ordnung und
Ruhe in der Republik auf Kosten dieses großen Opfers der besitzenden Klassen
gesichert bleiben wird. Die Führer der Bauernpartei erklärten die Notwendigkeit
der Reform eben durch dieses Argument, wobei sie an die patriotischen Gefühle
des Landtages appellierten. Heute sehen wir schon, daß die Folgen der nicht¬
durchdachten Reform, die in den von der Bauerndemagogie erregten Debatten
mit Gewalt durchgeführt wurde, ganz andere sind, als man voraussehen konnte.
Die nunmehr geweckte Habgier auf fremdes Eigentum ist nicht an den Grenzen
des Zwangsauskaufes, wie ihn das Agrargese? bei der Durchführung der Par¬
zellierung von größeren Gütern vorsieht, stehen geblieben. Aus diesem Wege


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[0518] Materialien zur ostdeutschen Frage Seit Mitte September ist das Land vom Bolschewismus erfaßt. Die polnische sozialistische Partei (P. P. S.) hat sich gespalten. Der ausgetretene Teil, der sich „die Opposition der P. P. S." nennt, richtet an die Landarbeiter einen Aufruf, den Streik zu beginnen, den Behörden bewaffneten Widerstand zu leisten und mit den Kommunisten zusammenzugehen. Der Aufruf führt nach der „Gazeta Poranna" aus, Hauptziel sei die Vergesellschaftung des Bodens. Das ganze Land müsse den Grundbesitzern ohne Entschädigung weggenommen werden. Im Verein mit dem städtischen Proletariat, das zur sozialen Revolution rüste, werde es gelingen, den jetzigen Machthabern die Macht zu entreißen und die Diktatur des Proletariats aufzurichten. Alle Güter, so heißt es weiter, müßten beschlagnahmt werden. Besitzer und Verwalter müßten entfernt, an ihre Stelle müßte ein Gutskomitee eingesetzt werden, das von sämtlichen Gutsarbeitern und kleinen Bauern gewählt wird. Arbeiterräte müßten über die Führung der Wirt- schaft wachen. Ferner heißt es: „Die entscheidende Aktion muß sofort einsetzen denn aus Furcht vor der Revolution parzellieren jetzt die Herren mit Gewalt das Land und verkaufen es an reiche Bauern, von denen es schwer zu bekommen sein wird. Ihr müßt daher einerseits von der Regierung fordern, daß sie sofort ein Verbot des Handels mit Land erläßt, sowie sämtliche in der letzten Zeit ab¬ geschlossenen Verkäufe rückgängig macht und andererseits mit eurer organisierten Kraft die Parzellierung nicht zulassen. Will jemand sein Gut parzellieren, so beschlagnahmt es und setzt ein Gutskomitee ein. Der Aufruf schließt mit den üblichen kommunistischen Phrasen: „Hinweg mit der ParzellierungI", „Es lebe die Vergesellschaftlichungl", „Hinweg mit den Herren der Bourgeoisie und ihrer blutigen Regierung I", Es lebe die Diktatur des Proletariats in Stadt und Land die soziale Revolution, die polnische sozialistische Republik!" Das genannte polnische Blatt meint, die hundert Millionen Rubel, die Lenin und Trotzki für die bolschewistische Agitation in Polen hergegeben, haben ihre Wirkung nicht verfehlt.- Das Ziel der Bewegung scheint der Sturz der polnischen Regierung zu sein. Mit dem Aufruf an die Landarbeiter richtete die „Opposition" einen Appell an das polnische Proletariat, die unverzügliche Beendigung des Krieges im Osten zu erzwingen. Wie weit die bolschewistischen Bestrebungen gediehen sind, das läßt sich aus einem Alarmartikel in Ur. 226 des „Kurjer Poznanski" (Posen) erkennen, in dem es heißt: „Noch ist das Gebäude des polnischen Staates auf keiner festen Basis be¬ gründet, noch befinden sich kostbare Landesstriche, uralte Ansiedelungen des pol¬ nischen Volkes in den Händen des Feindes, die im Osten lauernde, aber noch nicht niedergedrückte Macht des bolschewistischen Rußlands, die im Osten vorläufig noch zurückgeworfen ist, ist jeden Augenblick sprungbereit — und schon zittern und wanken die Gerüste unseres staatlich-sozialen Gebäudes, schon beginnen wir in den sumpfigen Pfuhl der Antagonismen und inneren Kämpfe zu sinken. Die Nach¬ richten aus dem Königreich berichten über die Erscheinungen einer Krise, die man nicht leicht nehmen darf. Der soziale Radikalismus, dem man schmeichelte, den man durch Kompromisse bemüht war zu mildern, ist eine brennende Frage ge¬ worden und erschüttert den sozialen Organismus gleich einem schweren Fieber. Als der Landtag unter Triumphbezeigungen der Linken die radikalste Agrarreform beschloß, welche die Gegenwart kennt, schien es, daß die innere Ordnung und Ruhe in der Republik auf Kosten dieses großen Opfers der besitzenden Klassen gesichert bleiben wird. Die Führer der Bauernpartei erklärten die Notwendigkeit der Reform eben durch dieses Argument, wobei sie an die patriotischen Gefühle des Landtages appellierten. Heute sehen wir schon, daß die Folgen der nicht¬ durchdachten Reform, die in den von der Bauerndemagogie erregten Debatten mit Gewalt durchgeführt wurde, ganz andere sind, als man voraussehen konnte. Die nunmehr geweckte Habgier auf fremdes Eigentum ist nicht an den Grenzen des Zwangsauskaufes, wie ihn das Agrargese? bei der Durchführung der Par¬ zellierung von größeren Gütern vorsieht, stehen geblieben. Aus diesem Wege

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/518>, abgerufen am 15.01.2025.