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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Pressestimmen

[Beginn Spaltensatz]

auch des polnischen Staates selbst, eine Än¬
derung, eine vollständige Wendung eintreten.
Daß auf unserer Seite der gute Wille nicht
fehlt und daß ein sehr starker Prozentsatz
der deutschen Justizbeamten zum Verbleiben
im Posener Land geneigt war, ergibt die
seinerzeitige Beantwortung der polnischen
Fragebogen, Daß diese Neigung heute,
dank der Behandlung der deutschen Be¬
völkerung im allgemeinen wie der Beamten¬
schaft insbesondere, vollständig geschwunden
ist, wurde den Berliner Kommissären von
allen Vertretern der Justizbeamten aus
Stadt und Provinz Posen übereinstimmend
vor Augen geführt Sie läßt sich auch nicht
wieder schaffen durch den Hinweis auf die
Schwierigkeit der Wohnungsbeschaffung in
Deutschland, durch eine Vermögensbeschlag¬
nahme, wie sie z. B. in dem Polnischen
Memorandum für die nach 1908 Zuge¬
zogenen angedeutet ist (die Verbandsmächte
haben längst erklärt, von solchen Maßregeln
keinen Gebrauch machen zu wollen), endlich
auch nicht durch noch so große Gehalts¬
angebote, ganz abgesehen davon, wie diese
angesichts der Valutadifferenz zu bewerten sind.

Die einzige Möglichkeit, die Beamten
vielleicht noch zum Verbleiben zu bestimmen,
liegt in einer willigen Umkehr des Gesamt¬
bildes, in einer Änderung der Atmosphäre,
die dem Beamten die unbehinderte, nur nach
gesetzlichen Gesichtspunkten orientierte Aus¬
übung seines Amtes ohne Beeinflussung und
Einengung durch Volksstimmungen und
Volksleidenschaften ermöglicht. Was im
einzelnen an Sicherungen in dieser Be¬
ziehung erforderlich ist, soll hier zunächst
nicht erörtert werden. Nur darauf sei zum
Schluß hingewiesen, daß die Stärkung der
Staatsautorität im ganzen die Stärkung
des Einzelamtes voraussetzt und daß die
Schwächung der Autorität des Einzelamtes,
gleichgültig, ob es mit einem Deutschen oder
einem Polen besetzt ist, letzten Endes auch
den Staat als ganzen schwächt. Es ist irrig
Zu glauben, daß die Beseitigung des deutschen
Beamten oder auch nur die Beeinträchtigung
seiner amtlichen Stellung und Befugnisse für
den Polnischen Staat im Sinne der Polo-
"isierung vorteilhaft wäre. Der Bolsche¬
wismus steht, wie Paderewski in seiner

[Spaltenumbruch]

jüngsten Rede andeutet, vor der Tür. Wir
Deutsche und Polen, haben das Interesse'
gegen ihn eine gemeinsame Front aufzu¬
richten. Der deutsche Beamte ist dazu be¬
reit und imstande. Er ist, wenn ihm eine
starke, gesicherte Stellung gegeben wird,
bereit, zum Wohle des Polnischen Staates
zu arbeiten nach dem Worte des Propheten:
„Suchet der Stadt Bestes, darinnen Ihr
wohnet, denn so es ihr Wohl geht, wird es
Euch auch Wohlergehen."

2. polnische Presse

Die Übergabe der abzutretenden Gebiete
im Lichte der Polenprcsfe.

Die Polenpresse beschäftigt sich in der
letzten Zeit besonders mit der nach ihrer,
Meinung kurz bevorstehenden Übergabe der
abzutretenden Gebiete. Aus allen Leitartikeln,
Aufsätzen usw. geht deutlich hervor, daß die
Polen den Zeitpunkt der Übergabe sehr her¬
beisehnen, wobei der deutschen Verwaltung
dauernd der Vorwurf gemacht wird, daß
sie auf die kurz bevorstehende Übergabe gar
nicht vorbereitet sei, sich hierzu auch keine
Mühe gebe. In Wirklichkeit sind aber sämt¬
liche deutsche» Verwaltungen auf die Über¬
gabe bis ins Kleinste vorbereitet, wie es sich
die Polen Wohl kaum vorstellen können.
Jede Behörde hat umfangreiche Inventar¬
verzeichnisse über alle vorhandenen Möbel,
Bureaugegeustände, Mensilien, ja sogar über
Formularbestände «ufgestellt. Dazu kommen
die außerordentlich zahlreichen Versetzungen
von Beamten, die nunmehr bis auf wenige
endgültig erfolgt sind. Die Culmer polnische
Zeitung „Nadwislanin" schreibt zu der bevor¬
stehenden Übergabe:

Wenn nicht unvorhergesehene Vorfälle
eintreten, dann wird nach zwei, spätestens
drei Wochen der Friedensvertrag ratifiziert,
werden, und selbst die Protokolle der Rati¬
fikation können bis zu der Zeit in Paris
gesammelt werden. Die Deutschen müssen
dann sofort mit der Herausgabe derjenigen
Länder an die polnische Negierung beginnen,
die ohne Abstimmung Polen abgegeben
werden sollen. Zu diesen Gebieten gehört
vor allem Westpreußen in seinem weitaus
größten Teil. Den größten Teil des Groß-

[Ende Spaltensatz]
30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/511>, abgerufen am 22.01.2025.