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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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zurückgedrängt wurde, ist das Volk geneigt, alle Mißlichkeiten seiner Lage den
Engländern Schuld zu geben. Und Anlaß zur Unzufriedenheit ist genug vor¬
handen. Von je her haben in Ägypten die schärfsten Gegensätze in der Verteilung
der Glücksgüter bestanden; neben wenigen sehr Reichen standen die großen Massen,
die buchstäblich von der Hand in den Mund lebten und der Krieg hat dies Ver¬
hältnis eher gefördert als ausgleichend gewirkt. Trotz höherer Löhne haben die
zahlreichen kleinen Beamten, wie die Arbeiter währeno deS Krieges, bittere
Not leiden müssen und daß von der Hochkonjunktur der Levensmittelpreise nicht
die kleinen Bauern profitiert haben, sondern nur die Vermittler, versteht sich von
selbst. Weder über die Verteilung der Lebensmittel noch über die Preise hat es
während des .Krieges in Ägypten eine Kontrolle gegeben und mitten in dem
reichen Land sind Hungertode nichts Seltenes gewesen. Ein weiterer Grund zur
Beschwerde sind die Vorkommnisse während des Kriegsdienstes gewesen. Es ver¬
stand sich von selbst, daß die Engländer kein selbständiges ägyptisches Heer auf¬
stellten, das hätte eine zweischneidige Waffe werden können. Zunächst wurde also
feierlich proklamiert, daß man von den Ägyptern keinerlei Mitwirkung am Kriege
verlangte, sie sollten nur ruhig ihrer friedlichen Beschäftigung nachgehen. Bald
aber stellte es sich heraus, daß man dringend Arbeitssoldaten brauchte, und man
begann Freiwillige aufzurufen. Da die Löhnung gut war, und man sich nicht
auf lange zu verpflichten brauchte, soll der Dienst zunächst populär gewesen sein.
Aber bald genügte die Zahl der Freiwilligen hier so wenig wie in England und
man mußte zu Zwangseinziehungen greifen. Da man hierbei jedoch letzten Endes
aus den guten Willen der Ägypter angewiesen war und allen Grund hatte, Anlaß
zu Konflikten zu vermeiden, überließ man die Einziehungsformalitäten ausschließlich
ägyptischen Behörden, denen nur die Zahl der zu stellenden Leute aufgegeben
wurde. Diese Behörden nun verfuhren bei dem Einziehungsgeschäft selbstver¬
ständlich auf rein orientalische Weise, d. h. sie benutzten ihr Amt ausschließlich dazu,
sich ihrer persönlichen (oder geschäftlichen) Feinde zu entledigen und sich
an den Lostausgeldern der Begüterten zu bereichern. Es war aber natürlich,
daß gegen den Unwillen, den dieses System erregte, stets die Engländer vor¬
geschoben wurden und daß ihr Krieg für alles herhalten mußte. Aber mit der
Demütigung dieser ungerechten Einstellung waren die Leiden der Arbeitssoldaten
nicht erschöpft, es lag gewiß nicht im Interesse der militärischen Führung, mit
diesen Arbeitskräften zimperlich und schonungsvoll umzugehen, selbstverständlich
waren auch alle hygienischen Hilfsmittel unzulänglich und so ist es gekommen,
daß Seuchen furchtbare Lücken gerissen haben. Bedenkt man, daß zu gleicher Zeit
zwar immer nur 100000 Mann, im ganzen jedoch 1000000 Mann (nach den
Angaben der "Times", die dem ägyptischen Problem erst kürzlich eine bemerkens¬
werte Artikelreihe gewidmet hat) eingezogen gewesen sind, so mag man berechnen,
daß die Einziehungsschikanen den ganzen Krieg über dauerten und kann sich vor¬
stellen, wie allgemein die erbitternde Erinnerung an diesem Zwangsdienst im
Lande verbreitet ist. Dazu kommt, daß auch Ägypten den üblen Typus des
Kriegslentnants und des ungebildeten Fcldwebelleutnants kennen gelernt hat und
daß die Sitten der in Ägypten zur Erholung oder auf Druckposten weilenden
jungen Männer dem Ansehen des Hinterlandes nicht gerade förderlich gewesen
sind, man weiß, daß der Orientale, gegen das Laster ungerechtfertigter Be¬
reicherung ziemlich nachsichtig, in andern Punkten der ' öffentlichen und privaten
Moral recht empfindlich sein kann. Zu dem allen kam dann die unter dem
Zwang der Sachlage unvermeidliche Araberpolitik der Engländer, das Hedschas
und Syrien, Völker, die längst nicht die Stufe der Zivilisation erklommen hatten,
von der die Ägypter mit Stolz auf die Nachbarvölker herabsahen, erhielten,
wenigstens theoretisch, das Selbstbestimmungsrecht zuerkannt und der Emir Faissal
durste in eigener Person auf der Friedenskonferenz erscheinen, um seine Ansprüche
anzumelden, den Ägyptern aber wurde dieses Recht eifersüchtig verweigert, Grund
genug zu bitterem Groll und Aufruhr.

Dem General Allenby gelang es allerdings, den ersten Aufstand nieder¬
zuwerfen. Aber es war gewiß keine leichte Aufgabe, besonders da währeno des


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zurückgedrängt wurde, ist das Volk geneigt, alle Mißlichkeiten seiner Lage den
Engländern Schuld zu geben. Und Anlaß zur Unzufriedenheit ist genug vor¬
handen. Von je her haben in Ägypten die schärfsten Gegensätze in der Verteilung
der Glücksgüter bestanden; neben wenigen sehr Reichen standen die großen Massen,
die buchstäblich von der Hand in den Mund lebten und der Krieg hat dies Ver¬
hältnis eher gefördert als ausgleichend gewirkt. Trotz höherer Löhne haben die
zahlreichen kleinen Beamten, wie die Arbeiter währeno deS Krieges, bittere
Not leiden müssen und daß von der Hochkonjunktur der Levensmittelpreise nicht
die kleinen Bauern profitiert haben, sondern nur die Vermittler, versteht sich von
selbst. Weder über die Verteilung der Lebensmittel noch über die Preise hat es
während des .Krieges in Ägypten eine Kontrolle gegeben und mitten in dem
reichen Land sind Hungertode nichts Seltenes gewesen. Ein weiterer Grund zur
Beschwerde sind die Vorkommnisse während des Kriegsdienstes gewesen. Es ver¬
stand sich von selbst, daß die Engländer kein selbständiges ägyptisches Heer auf¬
stellten, das hätte eine zweischneidige Waffe werden können. Zunächst wurde also
feierlich proklamiert, daß man von den Ägyptern keinerlei Mitwirkung am Kriege
verlangte, sie sollten nur ruhig ihrer friedlichen Beschäftigung nachgehen. Bald
aber stellte es sich heraus, daß man dringend Arbeitssoldaten brauchte, und man
begann Freiwillige aufzurufen. Da die Löhnung gut war, und man sich nicht
auf lange zu verpflichten brauchte, soll der Dienst zunächst populär gewesen sein.
Aber bald genügte die Zahl der Freiwilligen hier so wenig wie in England und
man mußte zu Zwangseinziehungen greifen. Da man hierbei jedoch letzten Endes
aus den guten Willen der Ägypter angewiesen war und allen Grund hatte, Anlaß
zu Konflikten zu vermeiden, überließ man die Einziehungsformalitäten ausschließlich
ägyptischen Behörden, denen nur die Zahl der zu stellenden Leute aufgegeben
wurde. Diese Behörden nun verfuhren bei dem Einziehungsgeschäft selbstver¬
ständlich auf rein orientalische Weise, d. h. sie benutzten ihr Amt ausschließlich dazu,
sich ihrer persönlichen (oder geschäftlichen) Feinde zu entledigen und sich
an den Lostausgeldern der Begüterten zu bereichern. Es war aber natürlich,
daß gegen den Unwillen, den dieses System erregte, stets die Engländer vor¬
geschoben wurden und daß ihr Krieg für alles herhalten mußte. Aber mit der
Demütigung dieser ungerechten Einstellung waren die Leiden der Arbeitssoldaten
nicht erschöpft, es lag gewiß nicht im Interesse der militärischen Führung, mit
diesen Arbeitskräften zimperlich und schonungsvoll umzugehen, selbstverständlich
waren auch alle hygienischen Hilfsmittel unzulänglich und so ist es gekommen,
daß Seuchen furchtbare Lücken gerissen haben. Bedenkt man, daß zu gleicher Zeit
zwar immer nur 100000 Mann, im ganzen jedoch 1000000 Mann (nach den
Angaben der „Times", die dem ägyptischen Problem erst kürzlich eine bemerkens¬
werte Artikelreihe gewidmet hat) eingezogen gewesen sind, so mag man berechnen,
daß die Einziehungsschikanen den ganzen Krieg über dauerten und kann sich vor¬
stellen, wie allgemein die erbitternde Erinnerung an diesem Zwangsdienst im
Lande verbreitet ist. Dazu kommt, daß auch Ägypten den üblen Typus des
Kriegslentnants und des ungebildeten Fcldwebelleutnants kennen gelernt hat und
daß die Sitten der in Ägypten zur Erholung oder auf Druckposten weilenden
jungen Männer dem Ansehen des Hinterlandes nicht gerade förderlich gewesen
sind, man weiß, daß der Orientale, gegen das Laster ungerechtfertigter Be¬
reicherung ziemlich nachsichtig, in andern Punkten der ' öffentlichen und privaten
Moral recht empfindlich sein kann. Zu dem allen kam dann die unter dem
Zwang der Sachlage unvermeidliche Araberpolitik der Engländer, das Hedschas
und Syrien, Völker, die längst nicht die Stufe der Zivilisation erklommen hatten,
von der die Ägypter mit Stolz auf die Nachbarvölker herabsahen, erhielten,
wenigstens theoretisch, das Selbstbestimmungsrecht zuerkannt und der Emir Faissal
durste in eigener Person auf der Friedenskonferenz erscheinen, um seine Ansprüche
anzumelden, den Ägyptern aber wurde dieses Recht eifersüchtig verweigert, Grund
genug zu bitterem Groll und Aufruhr.

Dem General Allenby gelang es allerdings, den ersten Aufstand nieder¬
zuwerfen. Aber es war gewiß keine leichte Aufgabe, besonders da währeno des


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[0050] Aegypten zurückgedrängt wurde, ist das Volk geneigt, alle Mißlichkeiten seiner Lage den Engländern Schuld zu geben. Und Anlaß zur Unzufriedenheit ist genug vor¬ handen. Von je her haben in Ägypten die schärfsten Gegensätze in der Verteilung der Glücksgüter bestanden; neben wenigen sehr Reichen standen die großen Massen, die buchstäblich von der Hand in den Mund lebten und der Krieg hat dies Ver¬ hältnis eher gefördert als ausgleichend gewirkt. Trotz höherer Löhne haben die zahlreichen kleinen Beamten, wie die Arbeiter währeno deS Krieges, bittere Not leiden müssen und daß von der Hochkonjunktur der Levensmittelpreise nicht die kleinen Bauern profitiert haben, sondern nur die Vermittler, versteht sich von selbst. Weder über die Verteilung der Lebensmittel noch über die Preise hat es während des .Krieges in Ägypten eine Kontrolle gegeben und mitten in dem reichen Land sind Hungertode nichts Seltenes gewesen. Ein weiterer Grund zur Beschwerde sind die Vorkommnisse während des Kriegsdienstes gewesen. Es ver¬ stand sich von selbst, daß die Engländer kein selbständiges ägyptisches Heer auf¬ stellten, das hätte eine zweischneidige Waffe werden können. Zunächst wurde also feierlich proklamiert, daß man von den Ägyptern keinerlei Mitwirkung am Kriege verlangte, sie sollten nur ruhig ihrer friedlichen Beschäftigung nachgehen. Bald aber stellte es sich heraus, daß man dringend Arbeitssoldaten brauchte, und man begann Freiwillige aufzurufen. Da die Löhnung gut war, und man sich nicht auf lange zu verpflichten brauchte, soll der Dienst zunächst populär gewesen sein. Aber bald genügte die Zahl der Freiwilligen hier so wenig wie in England und man mußte zu Zwangseinziehungen greifen. Da man hierbei jedoch letzten Endes aus den guten Willen der Ägypter angewiesen war und allen Grund hatte, Anlaß zu Konflikten zu vermeiden, überließ man die Einziehungsformalitäten ausschließlich ägyptischen Behörden, denen nur die Zahl der zu stellenden Leute aufgegeben wurde. Diese Behörden nun verfuhren bei dem Einziehungsgeschäft selbstver¬ ständlich auf rein orientalische Weise, d. h. sie benutzten ihr Amt ausschließlich dazu, sich ihrer persönlichen (oder geschäftlichen) Feinde zu entledigen und sich an den Lostausgeldern der Begüterten zu bereichern. Es war aber natürlich, daß gegen den Unwillen, den dieses System erregte, stets die Engländer vor¬ geschoben wurden und daß ihr Krieg für alles herhalten mußte. Aber mit der Demütigung dieser ungerechten Einstellung waren die Leiden der Arbeitssoldaten nicht erschöpft, es lag gewiß nicht im Interesse der militärischen Führung, mit diesen Arbeitskräften zimperlich und schonungsvoll umzugehen, selbstverständlich waren auch alle hygienischen Hilfsmittel unzulänglich und so ist es gekommen, daß Seuchen furchtbare Lücken gerissen haben. Bedenkt man, daß zu gleicher Zeit zwar immer nur 100000 Mann, im ganzen jedoch 1000000 Mann (nach den Angaben der „Times", die dem ägyptischen Problem erst kürzlich eine bemerkens¬ werte Artikelreihe gewidmet hat) eingezogen gewesen sind, so mag man berechnen, daß die Einziehungsschikanen den ganzen Krieg über dauerten und kann sich vor¬ stellen, wie allgemein die erbitternde Erinnerung an diesem Zwangsdienst im Lande verbreitet ist. Dazu kommt, daß auch Ägypten den üblen Typus des Kriegslentnants und des ungebildeten Fcldwebelleutnants kennen gelernt hat und daß die Sitten der in Ägypten zur Erholung oder auf Druckposten weilenden jungen Männer dem Ansehen des Hinterlandes nicht gerade förderlich gewesen sind, man weiß, daß der Orientale, gegen das Laster ungerechtfertigter Be¬ reicherung ziemlich nachsichtig, in andern Punkten der ' öffentlichen und privaten Moral recht empfindlich sein kann. Zu dem allen kam dann die unter dem Zwang der Sachlage unvermeidliche Araberpolitik der Engländer, das Hedschas und Syrien, Völker, die längst nicht die Stufe der Zivilisation erklommen hatten, von der die Ägypter mit Stolz auf die Nachbarvölker herabsahen, erhielten, wenigstens theoretisch, das Selbstbestimmungsrecht zuerkannt und der Emir Faissal durste in eigener Person auf der Friedenskonferenz erscheinen, um seine Ansprüche anzumelden, den Ägyptern aber wurde dieses Recht eifersüchtig verweigert, Grund genug zu bitterem Groll und Aufruhr. Dem General Allenby gelang es allerdings, den ersten Aufstand nieder¬ zuwerfen. Aber es war gewiß keine leichte Aufgabe, besonders da währeno des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/50>, abgerufen am 15.01.2025.