Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Äegyptett

erklärte, war es nötig, schon um der Sicherung des Suezkanals willen, einen
energischen Gegenschlag zu führen, indem man ihr jede Einwirkungsmöglichkeit
auf Ägypten entzog, Seit Kriegsausbruch also war Ägypten ein englisches
Protektorat, das im Mai durch die Friedenskonferenz bestätigt worden ist.

Das ganze Problem dreht sich nun um die eindeutige Beantwortung der
Frage: Was ist ein Protektorat? Bedeutet es, daß Ägypten eine britische
Kolonie geworden ist, bedeutet es ein Völkerbundmandat oder was sonst? Eben
diese Frage war es, die die ägyptische Regierung beunruhigte. Sobald der Waffen¬
stillstand geschlossen war, stellte sie diese Frage in aller Form und machte Miene
zurückzutreten, als man versuchte, eine Entscheidung hinauszuschieben. Sie wurde
vertröstet, aber man konnte nicht verhindern, daß unter Führung des früheren
Justizministers Saat Zaglul, der auf eine lange Beamtenkarriere 'zurücksah, als
fähig und beredt, fanatisch und eigensinnig geschildert wird und von Lord Cromer
sehr hoch eingeschätzt worden ist, eine Anzahl von Mitgliedern des bei Kriegs¬
ausbruch vertagten Parlaments um sich sammelte und die Forderung stellte, die
ägyptischen Ansprüche selbständig auf der Friedenskonferenz zu vertreten. Da
man englischerseits einer radikaleren Gruppierung, auf die man nicht hätte
einwirken können, zuvorkommen wollte, bat man ihn höflich, sich auszusprechen.
Zaglul aber ging gründlicher vor, als man vielleicht vorausgesehen hatte, er
wußte, daß man den Engländern jeden Vorwand zu der Behauptung nehmen
mußte, daß er nur eine Sondergruppe verträte, und ließ sich und seine Mitarbeiter
zunächst von dem gesamten Parlament förmlich ermächtigen, die Sache Ägyptens zu
vertreten. Die Versammlung wurde aber von Woche zu Woche radikaler und die
Unterzeichner der Ermächtigung forderten bald Ägyptens völlige Unabhängigkeit.
Das war natürlich weit mehr als man englischerseits zugestehen wollte und mitten
in den Verwicklungen der Friedenskonferenz konnte, und daher wurde Zaglul
auf Befehl des Foreign Office im März verhaftet und mit seinen Anhängern nach
Malta deportiert. Aber es war bereits zu spät, ein Aufstand brach mit voller
Wucht los, die Polizei mußte durch Truppen unterstützt werden. Te!egraphen°
und Eisenbahnlinien wurden unterbrochen, Beduinenstämme kamen plündernd
über die Grenzen und es bedürfte keines geringeren als der Entsendung des
Orientsiegers Allenbys selber, damit die Ruhe wieder hergestellt werden konnte.

Es ist selbstverständlich, daß ein Aufruhr von derartigem Umfang nicht der
Macht einer Sondergruppe oder Partei entspringen kann, sondern in einer wirklichen
elementaren Volksbewegung wurzeln muß. Welche Ursachen aber liegen dieser
Bewegung zugrunde?

Sie sind zweierlei Art. Der oben angedeutete Doppi lcharakter der englischen
Herrschaft hat es mit sich gebracht, daß einerseits Wohl eine große Menge gebildeter
mit europäischen Gedankengängen vertrauter Männer vorhanden ist, meist Zöglinge
der El Azhar, der mohammedanischen Universität Kairos, daß andrerseits diesen
Effendi, diesen Gebildeten, durch den Mechanismus der Verwaltung in viel zu
geringem Maße Betäiigungsmöglichkeuen geboten find. Die weitgehende Durch¬
setzung der Behörden mit Engländern macht ein rasches Aufrücken der ägyptischen
Beamten schwierig. Europäische Bildung aber erzeugt im ganzen Orient ein Selbst¬
bewußtsein, das automatisch die Forderung der Selbstverwaltung nach sich zieht. Der
ägyptische Student sagt sich, ich habe dasselbe gelernt wie der Europäer, ich bin
in ganz anderm Maße mit den Verhältnissen des Landes vertraut, wie der junge
Mann, der von England hergeschickt wird und begreiflicherweise zunächst allerlei
Ungeschicklichkeiten begeht, warum soll ich nicht genau so gut das Land regieren
können, wie die Engländer, die uns doch nur beraten wollen? Entweder die
englische Erziehungsarbeit ist vergeblich, dann taugt sie nichts und die Engländer
sind uns nichts nütze, oder sie taugt etwas, dann gebe man uns Gelegenheit, sie
anzuwenden. Diese weitverbreitete Unzufriedenheit aber der Gebildeten wäre nicht
so gefährlich, wenn sie sich nicht auf eine weiter verbreitete Unzufriedenheit im
Volke zu stützen vermöchte. Die türkische Verwaltung ist zwar nie sehr beliebt
im Lande gewesen, aber da sie in der letzten Zeit vor dem Kriege mehr und mehr


Grenzboten IV ISIS 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/49>, abgerufen am 23.01.2025.