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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Trostgcsang

gewiß nicht Vergewaltigung, sondern Festhalten und Heranziehen. Folglich
muß aber auch innerhalb der Netchsgrenzen jeder Gedanke, durch Zwcnu; ^ein¬
zudeutschen", verpönt sein. Infolgedessen darf mau aber auch nicht einer
Jtiee Macht verschaffen wollen, die alle lockenden Inhalte verloren hat. Dies
trifft, z. B. in Boy/rü, das Hohcnzollcrntum. Was schuld daran ist, steht
hier nicht zur Untersuchung. Aber die Tatsache ist da und will berücksichtigt
werden. Ganz nüchtern.

Gerade weil der Süden Deutschlands so nüchtern denkt und nicht zu
Schwärmereien und Verstiegenheiteu neigt, und weil er eifersüchtig ist, müßte
dem allen Rechnung, getragen werden. Die Deutschen lassen sich nicht über
einen Kamm scheren.

Nichts hat weniger Aussicht auf Erfolg in Süddeutschland, als das,
was ich als galoppierenden Idealismus bezeichnet habe, und was in unsere
ernste Zeit deS Aufbaus und der bitteren Notwendigkeiten nicht hineinpaßt.

Es ist durchaus nicht unmöglich, daß Deutschland als Phönix aus der
Asche steigt. Aber zur Wiedergebint gehört vor allem innere Einheit. Um
diese zu erreichen, sind Kompromisse nötig. Der richtige Politiker versteht
auch zu subtrahieren und zu dwidieren. Wer immer nur addiere oder gar
multipliziert, ist im Raume, wo sich hart die Sachen stoßen, kein Politiker.




Trostgesang
Deutschland, heiliges Vaterland,
arm und bloß
wie ein Kind aus der Mutter Schoß
läßt dich Gott aus seiner wägenden Hand.
Nackt, wie er die ersten Menschen schuf,
treibt er dich aus dem Garten des Übermuts,
aber ius Fordern deines Bluts
wurzelt er tief seinen Werderuf.
Noch einmal gibt er dir Zukunft und Anbeginn
und öffnet dir seinen weihenden Pfad --
nun steige über Geröll und Grat
in die wartende Frühlingsebene hin.
Ausgerissen, unbestellt
klaffen die Furchen; nun säe, säe --
nach Blut und Wehe --
Liebe in das bereite Feld!
Sieh, ein zögernder Taubenflug
senkt sich und kreist
um der Schlachten gestürzten Pflug --:
so über Jrrsal und Nächten gleißt Lrnst Ludwig Schellcnberg unverlierbar der ewige GeistI



Trostgcsang

gewiß nicht Vergewaltigung, sondern Festhalten und Heranziehen. Folglich
muß aber auch innerhalb der Netchsgrenzen jeder Gedanke, durch Zwcnu; ^ein¬
zudeutschen", verpönt sein. Infolgedessen darf mau aber auch nicht einer
Jtiee Macht verschaffen wollen, die alle lockenden Inhalte verloren hat. Dies
trifft, z. B. in Boy/rü, das Hohcnzollcrntum. Was schuld daran ist, steht
hier nicht zur Untersuchung. Aber die Tatsache ist da und will berücksichtigt
werden. Ganz nüchtern.

Gerade weil der Süden Deutschlands so nüchtern denkt und nicht zu
Schwärmereien und Verstiegenheiteu neigt, und weil er eifersüchtig ist, müßte
dem allen Rechnung, getragen werden. Die Deutschen lassen sich nicht über
einen Kamm scheren.

Nichts hat weniger Aussicht auf Erfolg in Süddeutschland, als das,
was ich als galoppierenden Idealismus bezeichnet habe, und was in unsere
ernste Zeit deS Aufbaus und der bitteren Notwendigkeiten nicht hineinpaßt.

Es ist durchaus nicht unmöglich, daß Deutschland als Phönix aus der
Asche steigt. Aber zur Wiedergebint gehört vor allem innere Einheit. Um
diese zu erreichen, sind Kompromisse nötig. Der richtige Politiker versteht
auch zu subtrahieren und zu dwidieren. Wer immer nur addiere oder gar
multipliziert, ist im Raume, wo sich hart die Sachen stoßen, kein Politiker.




Trostgesang
Deutschland, heiliges Vaterland,
arm und bloß
wie ein Kind aus der Mutter Schoß
läßt dich Gott aus seiner wägenden Hand.
Nackt, wie er die ersten Menschen schuf,
treibt er dich aus dem Garten des Übermuts,
aber ius Fordern deines Bluts
wurzelt er tief seinen Werderuf.
Noch einmal gibt er dir Zukunft und Anbeginn
und öffnet dir seinen weihenden Pfad —
nun steige über Geröll und Grat
in die wartende Frühlingsebene hin.
Ausgerissen, unbestellt
klaffen die Furchen; nun säe, säe —
nach Blut und Wehe —
Liebe in das bereite Feld!
Sieh, ein zögernder Taubenflug
senkt sich und kreist
um der Schlachten gestürzten Pflug —:
so über Jrrsal und Nächten gleißt Lrnst Ludwig Schellcnberg unverlierbar der ewige GeistI



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[0037] Trostgcsang gewiß nicht Vergewaltigung, sondern Festhalten und Heranziehen. Folglich muß aber auch innerhalb der Netchsgrenzen jeder Gedanke, durch Zwcnu; ^ein¬ zudeutschen", verpönt sein. Infolgedessen darf mau aber auch nicht einer Jtiee Macht verschaffen wollen, die alle lockenden Inhalte verloren hat. Dies trifft, z. B. in Boy/rü, das Hohcnzollcrntum. Was schuld daran ist, steht hier nicht zur Untersuchung. Aber die Tatsache ist da und will berücksichtigt werden. Ganz nüchtern. Gerade weil der Süden Deutschlands so nüchtern denkt und nicht zu Schwärmereien und Verstiegenheiteu neigt, und weil er eifersüchtig ist, müßte dem allen Rechnung, getragen werden. Die Deutschen lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Nichts hat weniger Aussicht auf Erfolg in Süddeutschland, als das, was ich als galoppierenden Idealismus bezeichnet habe, und was in unsere ernste Zeit deS Aufbaus und der bitteren Notwendigkeiten nicht hineinpaßt. Es ist durchaus nicht unmöglich, daß Deutschland als Phönix aus der Asche steigt. Aber zur Wiedergebint gehört vor allem innere Einheit. Um diese zu erreichen, sind Kompromisse nötig. Der richtige Politiker versteht auch zu subtrahieren und zu dwidieren. Wer immer nur addiere oder gar multipliziert, ist im Raume, wo sich hart die Sachen stoßen, kein Politiker. Trostgesang Deutschland, heiliges Vaterland, arm und bloß wie ein Kind aus der Mutter Schoß läßt dich Gott aus seiner wägenden Hand. Nackt, wie er die ersten Menschen schuf, treibt er dich aus dem Garten des Übermuts, aber ius Fordern deines Bluts wurzelt er tief seinen Werderuf. Noch einmal gibt er dir Zukunft und Anbeginn und öffnet dir seinen weihenden Pfad — nun steige über Geröll und Grat in die wartende Frühlingsebene hin. Ausgerissen, unbestellt klaffen die Furchen; nun säe, säe — nach Blut und Wehe — Liebe in das bereite Feld! Sieh, ein zögernder Taubenflug senkt sich und kreist um der Schlachten gestürzten Pflug —: so über Jrrsal und Nächten gleißt Lrnst Ludwig Schellcnberg unverlierbar der ewige GeistI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/37>, abgerufen am 15.01.2025.