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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Der Untergang des Abendlandes

um jeden Preis. Ist sie aber in beiden Fällen echt, so ist nicht einzusehen, warum
es sich um einen "Niedergang" handeln soll und warum nicht einfach um eine
Wandlung. "Nicht umsonst verachtete der echte Römer den (Zraeculus lnstriv,
den .Künstler', den .Philosophen' auf dem Boden römischer Zivilisation. Künste
und Philosophie gehörten nicht mehr in diese Zeit, sie waren erschöpft, verbraucht,
überflüssig. Das sagte ihm sein Instinkt für die Realitäten des Lebens. Ein
römisches Gesetz wog schwerer als alle damalige Lyrik und Metaphysik der Schrilln.
Und ich behaupte, daß heute ein besse-er Philosoph in manchem Erfinder, Diplo¬
maten und Finanzmann steckt als in allen denen, welche das platte Handwerk
der experimentellen Psychologie treiben." Aber der Römer --' Spengler selbst gibt
es zu -- war denn doch auch überzeugt, daß er, und nicht die großen griech sehen
.Künstler auf dem Gipfel der LebenSwoge schwebte. Und wer null sagen, daß das
ein "Niedergang" war? "Ein Jahrhundert rein extensiver Wirksamkeit unter Aus¬
schluß hoher künstlerischer und metaphysischer Produktion, ein irreligiöses Zeitalter
ist eine Zeit des Niederganges. Gewiß." Mich dünkt, das kommt doch eden
ganz auf den Standpunkt an. Ein Cecil Rhodes halte den Historiker, der be¬
hauptet hätte, er sei eine typische Erscheinung der niedergehenden Zeit, ausgelacht,
ähnlich wie der alternde, Dämme und Kanäle für die Mensebheit bauende Faust
Goethes den Kopf geschüttelt haben würde über den Akademiker, der von nur
verlangt hätte, er sollte wieder in sein Studierzimmer zurück und Metaphysik
treiben. Spengler aber betrachtet, im Bilde zu bleiben, mit verehrender Be¬
geisterung das Studierzimmer und scheint dabei auszurufen: "Dies war die große,
heroische'Zeit, die Jugend und Reife. Di^ Zivilisation, Erfindungen, Kanäle,
das bewundere ich, aber es ist ein Niedergang." Gewiß konnte es zur Zeit der
großen Römer nur "Menschen dritten Ranges" reizen, statt ein Heer zu führen,
Line Provinz zu organisieren, Städte und Straßen zu bauen oder in Rom der
Erste zu sein, in Athen oder Rhodos irgendeine Nuance der nachplatonischen
Kathsderphilosophie auszuhecken. Aber ein Niedergang liegt noch höchstens für
das Teilgebiet der Philosophie vor. Die Menschheit aber hat sich even andern
Dingen zugewandt. Die Anschauung vom Niedergang beruht auf einseitiger
Wermng. Ich hörte einmal einen großen Künstler in einer Stunde der Nieder¬
geschlagenheit äußern, daß er als Kind eigentlich am glücklichsten, am vollkommensten,
am harmonischsten gewesen und seitdem, streng genommen, heruntergekommen sei
und doch schien ihm jedes Werk, das er schuf, besser als das vorhergehende. So
wenig man behaupten kann, daß ein im Leben stehender Mann gegen den
phanlasiebeschwiugten, begeisterten Jüngling, der überschauende Greis einen Rück¬
schritt gegen den Mann bedeutet, so wenig läßt sich gerechterweise behaupten, daß
Eäsar unterhalb des Gipfels Plato stände. Gewiß ist Nietzsche geringeren Kalibers
als Leibniz, aber ist nicht Zola bedeutender (nicht als Künstler, sondern als
geistiger Wert genommen) als Caspar von Lobenstein, Clemenceau nicht heroischer
als der große Conds? Vielleicht ist die These vom Niedergang nur ein Ergebnis
der Unfähigkeit, sich richtig einzustellen, ein Nest historisch rückschauenden Akademiker-
tnms, das, den Blick an die Erscheinungen der Vergangenheit geheftet, um die
verlorene Größe klagt, weil es sich in der Gegenwart' nicht zurechtfinden kann.

Spengler beweist seine These durch Analogie und damit kommen wir zum
methodischen Teil des Buches. Es ist nicht klar zu erkennen, welche Se.te seines
Problems dem Verfasser wichtiger gewesen ist, ob die der geschichtlichen Gegsn-
warterkenntnis oder der Methodologie. Spengler polemisiert gegen die Auffassung
vom geradlinig fortlaufenden Gang der Weltgeschichte, gegen das "unglaubwürdig
duftige und sinnlose Schema: Altertum, Mittelalter und Neuzeit", gegen den
"p, ovinzialen" Standpunkt nur das Nächstliegende oder kausal eng und unmittelbar
Verknüpfte wichtig zu nehmen und tritt für eine morphologische Geschichtsschreibung
ein. für ein System, "in dem als wechselnde Erscheinungen und Ausdrücke de3
einen, in der Mitte ruhenden Lebens Antike und Abendland n ben Indien,
Babylon, China, Ägypten, dein Arabertum und der Mayaiultur eine in keiner
Weise bevorzugte Stellung einnehmen." Ein großer Teil des Buches ist der Auf-


Der Untergang des Abendlandes

um jeden Preis. Ist sie aber in beiden Fällen echt, so ist nicht einzusehen, warum
es sich um einen „Niedergang" handeln soll und warum nicht einfach um eine
Wandlung. „Nicht umsonst verachtete der echte Römer den (Zraeculus lnstriv,
den .Künstler', den .Philosophen' auf dem Boden römischer Zivilisation. Künste
und Philosophie gehörten nicht mehr in diese Zeit, sie waren erschöpft, verbraucht,
überflüssig. Das sagte ihm sein Instinkt für die Realitäten des Lebens. Ein
römisches Gesetz wog schwerer als alle damalige Lyrik und Metaphysik der Schrilln.
Und ich behaupte, daß heute ein besse-er Philosoph in manchem Erfinder, Diplo¬
maten und Finanzmann steckt als in allen denen, welche das platte Handwerk
der experimentellen Psychologie treiben." Aber der Römer —' Spengler selbst gibt
es zu — war denn doch auch überzeugt, daß er, und nicht die großen griech sehen
.Künstler auf dem Gipfel der LebenSwoge schwebte. Und wer null sagen, daß das
ein „Niedergang" war? „Ein Jahrhundert rein extensiver Wirksamkeit unter Aus¬
schluß hoher künstlerischer und metaphysischer Produktion, ein irreligiöses Zeitalter
ist eine Zeit des Niederganges. Gewiß." Mich dünkt, das kommt doch eden
ganz auf den Standpunkt an. Ein Cecil Rhodes halte den Historiker, der be¬
hauptet hätte, er sei eine typische Erscheinung der niedergehenden Zeit, ausgelacht,
ähnlich wie der alternde, Dämme und Kanäle für die Mensebheit bauende Faust
Goethes den Kopf geschüttelt haben würde über den Akademiker, der von nur
verlangt hätte, er sollte wieder in sein Studierzimmer zurück und Metaphysik
treiben. Spengler aber betrachtet, im Bilde zu bleiben, mit verehrender Be¬
geisterung das Studierzimmer und scheint dabei auszurufen: „Dies war die große,
heroische'Zeit, die Jugend und Reife. Di^ Zivilisation, Erfindungen, Kanäle,
das bewundere ich, aber es ist ein Niedergang." Gewiß konnte es zur Zeit der
großen Römer nur „Menschen dritten Ranges" reizen, statt ein Heer zu führen,
Line Provinz zu organisieren, Städte und Straßen zu bauen oder in Rom der
Erste zu sein, in Athen oder Rhodos irgendeine Nuance der nachplatonischen
Kathsderphilosophie auszuhecken. Aber ein Niedergang liegt noch höchstens für
das Teilgebiet der Philosophie vor. Die Menschheit aber hat sich even andern
Dingen zugewandt. Die Anschauung vom Niedergang beruht auf einseitiger
Wermng. Ich hörte einmal einen großen Künstler in einer Stunde der Nieder¬
geschlagenheit äußern, daß er als Kind eigentlich am glücklichsten, am vollkommensten,
am harmonischsten gewesen und seitdem, streng genommen, heruntergekommen sei
und doch schien ihm jedes Werk, das er schuf, besser als das vorhergehende. So
wenig man behaupten kann, daß ein im Leben stehender Mann gegen den
phanlasiebeschwiugten, begeisterten Jüngling, der überschauende Greis einen Rück¬
schritt gegen den Mann bedeutet, so wenig läßt sich gerechterweise behaupten, daß
Eäsar unterhalb des Gipfels Plato stände. Gewiß ist Nietzsche geringeren Kalibers
als Leibniz, aber ist nicht Zola bedeutender (nicht als Künstler, sondern als
geistiger Wert genommen) als Caspar von Lobenstein, Clemenceau nicht heroischer
als der große Conds? Vielleicht ist die These vom Niedergang nur ein Ergebnis
der Unfähigkeit, sich richtig einzustellen, ein Nest historisch rückschauenden Akademiker-
tnms, das, den Blick an die Erscheinungen der Vergangenheit geheftet, um die
verlorene Größe klagt, weil es sich in der Gegenwart' nicht zurechtfinden kann.

Spengler beweist seine These durch Analogie und damit kommen wir zum
methodischen Teil des Buches. Es ist nicht klar zu erkennen, welche Se.te seines
Problems dem Verfasser wichtiger gewesen ist, ob die der geschichtlichen Gegsn-
warterkenntnis oder der Methodologie. Spengler polemisiert gegen die Auffassung
vom geradlinig fortlaufenden Gang der Weltgeschichte, gegen das „unglaubwürdig
duftige und sinnlose Schema: Altertum, Mittelalter und Neuzeit", gegen den
„p, ovinzialen" Standpunkt nur das Nächstliegende oder kausal eng und unmittelbar
Verknüpfte wichtig zu nehmen und tritt für eine morphologische Geschichtsschreibung
ein. für ein System, „in dem als wechselnde Erscheinungen und Ausdrücke de3
einen, in der Mitte ruhenden Lebens Antike und Abendland n ben Indien,
Babylon, China, Ägypten, dein Arabertum und der Mayaiultur eine in keiner
Weise bevorzugte Stellung einnehmen." Ein großer Teil des Buches ist der Auf-


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[0346] Der Untergang des Abendlandes um jeden Preis. Ist sie aber in beiden Fällen echt, so ist nicht einzusehen, warum es sich um einen „Niedergang" handeln soll und warum nicht einfach um eine Wandlung. „Nicht umsonst verachtete der echte Römer den (Zraeculus lnstriv, den .Künstler', den .Philosophen' auf dem Boden römischer Zivilisation. Künste und Philosophie gehörten nicht mehr in diese Zeit, sie waren erschöpft, verbraucht, überflüssig. Das sagte ihm sein Instinkt für die Realitäten des Lebens. Ein römisches Gesetz wog schwerer als alle damalige Lyrik und Metaphysik der Schrilln. Und ich behaupte, daß heute ein besse-er Philosoph in manchem Erfinder, Diplo¬ maten und Finanzmann steckt als in allen denen, welche das platte Handwerk der experimentellen Psychologie treiben." Aber der Römer —' Spengler selbst gibt es zu — war denn doch auch überzeugt, daß er, und nicht die großen griech sehen .Künstler auf dem Gipfel der LebenSwoge schwebte. Und wer null sagen, daß das ein „Niedergang" war? „Ein Jahrhundert rein extensiver Wirksamkeit unter Aus¬ schluß hoher künstlerischer und metaphysischer Produktion, ein irreligiöses Zeitalter ist eine Zeit des Niederganges. Gewiß." Mich dünkt, das kommt doch eden ganz auf den Standpunkt an. Ein Cecil Rhodes halte den Historiker, der be¬ hauptet hätte, er sei eine typische Erscheinung der niedergehenden Zeit, ausgelacht, ähnlich wie der alternde, Dämme und Kanäle für die Mensebheit bauende Faust Goethes den Kopf geschüttelt haben würde über den Akademiker, der von nur verlangt hätte, er sollte wieder in sein Studierzimmer zurück und Metaphysik treiben. Spengler aber betrachtet, im Bilde zu bleiben, mit verehrender Be¬ geisterung das Studierzimmer und scheint dabei auszurufen: „Dies war die große, heroische'Zeit, die Jugend und Reife. Di^ Zivilisation, Erfindungen, Kanäle, das bewundere ich, aber es ist ein Niedergang." Gewiß konnte es zur Zeit der großen Römer nur „Menschen dritten Ranges" reizen, statt ein Heer zu führen, Line Provinz zu organisieren, Städte und Straßen zu bauen oder in Rom der Erste zu sein, in Athen oder Rhodos irgendeine Nuance der nachplatonischen Kathsderphilosophie auszuhecken. Aber ein Niedergang liegt noch höchstens für das Teilgebiet der Philosophie vor. Die Menschheit aber hat sich even andern Dingen zugewandt. Die Anschauung vom Niedergang beruht auf einseitiger Wermng. Ich hörte einmal einen großen Künstler in einer Stunde der Nieder¬ geschlagenheit äußern, daß er als Kind eigentlich am glücklichsten, am vollkommensten, am harmonischsten gewesen und seitdem, streng genommen, heruntergekommen sei und doch schien ihm jedes Werk, das er schuf, besser als das vorhergehende. So wenig man behaupten kann, daß ein im Leben stehender Mann gegen den phanlasiebeschwiugten, begeisterten Jüngling, der überschauende Greis einen Rück¬ schritt gegen den Mann bedeutet, so wenig läßt sich gerechterweise behaupten, daß Eäsar unterhalb des Gipfels Plato stände. Gewiß ist Nietzsche geringeren Kalibers als Leibniz, aber ist nicht Zola bedeutender (nicht als Künstler, sondern als geistiger Wert genommen) als Caspar von Lobenstein, Clemenceau nicht heroischer als der große Conds? Vielleicht ist die These vom Niedergang nur ein Ergebnis der Unfähigkeit, sich richtig einzustellen, ein Nest historisch rückschauenden Akademiker- tnms, das, den Blick an die Erscheinungen der Vergangenheit geheftet, um die verlorene Größe klagt, weil es sich in der Gegenwart' nicht zurechtfinden kann. Spengler beweist seine These durch Analogie und damit kommen wir zum methodischen Teil des Buches. Es ist nicht klar zu erkennen, welche Se.te seines Problems dem Verfasser wichtiger gewesen ist, ob die der geschichtlichen Gegsn- warterkenntnis oder der Methodologie. Spengler polemisiert gegen die Auffassung vom geradlinig fortlaufenden Gang der Weltgeschichte, gegen das „unglaubwürdig duftige und sinnlose Schema: Altertum, Mittelalter und Neuzeit", gegen den „p, ovinzialen" Standpunkt nur das Nächstliegende oder kausal eng und unmittelbar Verknüpfte wichtig zu nehmen und tritt für eine morphologische Geschichtsschreibung ein. für ein System, „in dem als wechselnde Erscheinungen und Ausdrücke de3 einen, in der Mitte ruhenden Lebens Antike und Abendland n ben Indien, Babylon, China, Ägypten, dein Arabertum und der Mayaiultur eine in keiner Weise bevorzugte Stellung einnehmen." Ein großer Teil des Buches ist der Auf-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/346>, abgerufen am 15.01.2025.