Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Die wirtschaftlichen Wettbewerber in Südrußlcind dritten reichsten Teiles des früheren riesigen Zarenreiches, gestaltet sich zusehends Angesichts dieser Lage werden von der Denikinschen Regierung die erdenk¬ Die Ententestaaten, die die antibolschewistische Aktion Denikins mit Geld Amerika beteiligt sich in erheblichem Maße an dem langsam aufrollenden Grenzboten IV 1919 27
Die wirtschaftlichen Wettbewerber in Südrußlcind dritten reichsten Teiles des früheren riesigen Zarenreiches, gestaltet sich zusehends Angesichts dieser Lage werden von der Denikinschen Regierung die erdenk¬ Die Ententestaaten, die die antibolschewistische Aktion Denikins mit Geld Amerika beteiligt sich in erheblichem Maße an dem langsam aufrollenden Grenzboten IV 1919 27
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336631"/> <fw type="header" place="top"> Die wirtschaftlichen Wettbewerber in Südrußlcind</fw><lb/> <p xml:id="ID_1238" prev="#ID_1237"> dritten reichsten Teiles des früheren riesigen Zarenreiches, gestaltet sich zusehends<lb/> günstiger. Die Bedürfnisse Südrußlands wachsen ins Riesenhafte, Fast alle<lb/> Fcriigfabrikate fehlen nahezu völlig. Vor allem sind landwirtschaftliche Maschinen,<lb/> insbesondere sa- und Dreschmaschinen, Pflüge und ähnliches, vom Marltbilde<lb/> verschwunden; nach dein Bericht eines englischen Kaufmannes, dessen Ziffern zu<lb/> gering angesetzt sein dürften, braucht Südrußland nicht weniger als 2000 Müllerei¬<lb/> maschinen', ebenso fehlt es an Werkzeugen für alle Handwerkerzweige; chemische<lb/> Produkte erreichen Preise, die sich dem bolschewistischen Wertungssystem nach Maß<lb/> und Gewicht anreihen. Ersatz der verbrauchten Textilien schafft bittere Not.</p><lb/> <p xml:id="ID_1239"> Angesichts dieser Lage werden von der Denikinschen Regierung die erdenk¬<lb/> lichsten Anstrengungen gemacht, das wirtschaftliche Leben des Lande? einigermaßen<lb/> geregelten Verhältnissen zuzuführen, um die dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen.<lb/> Denikin hat einen Wirtschaftsrat ernannt, der alle Fragen des Außenhandels von<lb/> Südrußland in sein Arbeitsgebiet aufgenommen hat. Dieser Wirtschaftsrat hat<lb/> die Aufgabe, alle nach Südrußland eingeführten Artikel nach den Schwarzmeer.<lb/> Häfen zu lenken und nach Bedarf unter die Armee, die städtische und die Dorf-<lb/> bevölkerung zu verteilen. In Noworossijsk befindet sich eine Abteilung des südrussischen<lb/> Handelsministeriums. Sie hat die Aufsicht über die Ausfuhr und die Erhebung<lb/> der Zölle. Sie besorgt die Ausladung der ausländischen Dampfer. Über den<lb/> bereits eingesetzten Warenverkehr nach Südrußland berichtete der „Prisyw" am<lb/> l(>, Dezember 1919, durch das Öffnen der Dardanellen habe sich eine derartige<lb/> llverfüllung der südrussischen Zollstationen eingestellt, daß ein Stillstand des Ver¬<lb/> kehrs einzutreten drohte. Hierauf hat die südrussische Regierung die Waren des<lb/> dringenden Bedarfs und die Produktionsgeräte für zollfrei erklärt. Von den<lb/> übrigen Waren wird ein Zoll bis 10 Prozent ihres Wertes erhoben. In Nowo¬<lb/> rossijsk betrugen die Zolleinnahmen für die letzten acht Monate etwa Is Millionen<lb/> Rubel. Unter den Zollämtern steht an erster Stelle Odessa. In den Hafenstädten<lb/> wurden auf Anlaß der südrussischen Regierung neue Dampferlinien gegründet.<lb/> Die bestehenden Reedereien nehmen ihre Tätigkeit wieder ans, knüpfen neue<lb/> Handelsbeziehungen an oder versuchen alte Fäden aufzunehmen, die der Krieg<lb/> und die Bolschewistendiktatur zerrissen und zerstört haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1240"> Die Ententestaaten, die die antibolschewistische Aktion Denikins mit Geld<lb/> und Material unterstützt haben, laufen sich in der Belieferung Südrußlands mit<lb/> den notwendigen Waren den Rang ab und es ist für die deutsche Außenpolitik<lb/> bezeichnend, daß nach dieser Richtung hin von England erfolgreiche Anstrengungen<lb/> Komacht werden konnten, ohne daß die auf alten und geschätzten Beziehungen<lb/> ruhenden deutschen Interessen ausreichend hätten gesichert werden können. Eng¬<lb/> lands Handelspolitik tritt hier klar zutage: sie will sich in Südrußland ebenso<lb/> wie in den neugebildeten Raubstaaten alte Märkte wiedererobern und, die politische<lb/> und wirtschaftliche Konjunktur nützend. neue Märkte aufschließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1241"> Amerika beteiligt sich in erheblichem Maße an dem langsam aufrollenden<lb/> wirtschaftlichen Wettkampf in Südrußland, ohne indessen den bei weitem größten<lb/> Einfluß Englands im Süden Rußlands eindämmen zu können. Die englische<lb/> Diplomatie hat dem General Denikin eine eigene Wirtschaftskommission zugeteilt<lb/> und fordert englische Firmen auf, die sich um den russischen Markt zu bemühen<lb/> beabsichtigen, ihre Offerten an die Wirtschaftskommission in Rostow am Don ein¬<lb/> zusenden. Verschiedene englische Handelssachverständige sind dort tätig, um zu¬<lb/> verlässige Nachrichten für den englischen Handel zu liefern. In diesem Zusammen¬<lb/> hange sei auf einzelne Stellen eines englischen Berichts aus Berdicmsk aus dem<lb/> -.I^oarei ol Tracie .lourrml" hingewiesen:. „In Südrußland herrscht, wie in ganz<lb/> ^ußland. höchster Bedarf an allen Fertigwaren. Nußland hat zwar kein Kapital,<lb/> ^rsür aber enorme natürliche Hilfsquellen: reiche Bodenschätze und eine ent¬<lb/> wicklungsfähige Landwirtschaft. Dringend gebraucht werden landwirtschaftliche<lb/> Maschinen und zu ihrer Ausbesserung Textilwaren und Werkzeuge. Der südrussische<lb/> ^nrkt verspricht ein Markt geschäftlichen Wettbewerbes zwischen den Jndustrienationen<lb/> SU werden, und wer als erster gut und billig liefert, wird dort die erste Rolle spielen."</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1919 27</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0341]
Die wirtschaftlichen Wettbewerber in Südrußlcind
dritten reichsten Teiles des früheren riesigen Zarenreiches, gestaltet sich zusehends
günstiger. Die Bedürfnisse Südrußlands wachsen ins Riesenhafte, Fast alle
Fcriigfabrikate fehlen nahezu völlig. Vor allem sind landwirtschaftliche Maschinen,
insbesondere sa- und Dreschmaschinen, Pflüge und ähnliches, vom Marltbilde
verschwunden; nach dein Bericht eines englischen Kaufmannes, dessen Ziffern zu
gering angesetzt sein dürften, braucht Südrußland nicht weniger als 2000 Müllerei¬
maschinen', ebenso fehlt es an Werkzeugen für alle Handwerkerzweige; chemische
Produkte erreichen Preise, die sich dem bolschewistischen Wertungssystem nach Maß
und Gewicht anreihen. Ersatz der verbrauchten Textilien schafft bittere Not.
Angesichts dieser Lage werden von der Denikinschen Regierung die erdenk¬
lichsten Anstrengungen gemacht, das wirtschaftliche Leben des Lande? einigermaßen
geregelten Verhältnissen zuzuführen, um die dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen.
Denikin hat einen Wirtschaftsrat ernannt, der alle Fragen des Außenhandels von
Südrußland in sein Arbeitsgebiet aufgenommen hat. Dieser Wirtschaftsrat hat
die Aufgabe, alle nach Südrußland eingeführten Artikel nach den Schwarzmeer.
Häfen zu lenken und nach Bedarf unter die Armee, die städtische und die Dorf-
bevölkerung zu verteilen. In Noworossijsk befindet sich eine Abteilung des südrussischen
Handelsministeriums. Sie hat die Aufsicht über die Ausfuhr und die Erhebung
der Zölle. Sie besorgt die Ausladung der ausländischen Dampfer. Über den
bereits eingesetzten Warenverkehr nach Südrußland berichtete der „Prisyw" am
l(>, Dezember 1919, durch das Öffnen der Dardanellen habe sich eine derartige
llverfüllung der südrussischen Zollstationen eingestellt, daß ein Stillstand des Ver¬
kehrs einzutreten drohte. Hierauf hat die südrussische Regierung die Waren des
dringenden Bedarfs und die Produktionsgeräte für zollfrei erklärt. Von den
übrigen Waren wird ein Zoll bis 10 Prozent ihres Wertes erhoben. In Nowo¬
rossijsk betrugen die Zolleinnahmen für die letzten acht Monate etwa Is Millionen
Rubel. Unter den Zollämtern steht an erster Stelle Odessa. In den Hafenstädten
wurden auf Anlaß der südrussischen Regierung neue Dampferlinien gegründet.
Die bestehenden Reedereien nehmen ihre Tätigkeit wieder ans, knüpfen neue
Handelsbeziehungen an oder versuchen alte Fäden aufzunehmen, die der Krieg
und die Bolschewistendiktatur zerrissen und zerstört haben.
Die Ententestaaten, die die antibolschewistische Aktion Denikins mit Geld
und Material unterstützt haben, laufen sich in der Belieferung Südrußlands mit
den notwendigen Waren den Rang ab und es ist für die deutsche Außenpolitik
bezeichnend, daß nach dieser Richtung hin von England erfolgreiche Anstrengungen
Komacht werden konnten, ohne daß die auf alten und geschätzten Beziehungen
ruhenden deutschen Interessen ausreichend hätten gesichert werden können. Eng¬
lands Handelspolitik tritt hier klar zutage: sie will sich in Südrußland ebenso
wie in den neugebildeten Raubstaaten alte Märkte wiedererobern und, die politische
und wirtschaftliche Konjunktur nützend. neue Märkte aufschließen.
Amerika beteiligt sich in erheblichem Maße an dem langsam aufrollenden
wirtschaftlichen Wettkampf in Südrußland, ohne indessen den bei weitem größten
Einfluß Englands im Süden Rußlands eindämmen zu können. Die englische
Diplomatie hat dem General Denikin eine eigene Wirtschaftskommission zugeteilt
und fordert englische Firmen auf, die sich um den russischen Markt zu bemühen
beabsichtigen, ihre Offerten an die Wirtschaftskommission in Rostow am Don ein¬
zusenden. Verschiedene englische Handelssachverständige sind dort tätig, um zu¬
verlässige Nachrichten für den englischen Handel zu liefern. In diesem Zusammen¬
hange sei auf einzelne Stellen eines englischen Berichts aus Berdicmsk aus dem
-.I^oarei ol Tracie .lourrml" hingewiesen:. „In Südrußland herrscht, wie in ganz
^ußland. höchster Bedarf an allen Fertigwaren. Nußland hat zwar kein Kapital,
^rsür aber enorme natürliche Hilfsquellen: reiche Bodenschätze und eine ent¬
wicklungsfähige Landwirtschaft. Dringend gebraucht werden landwirtschaftliche
Maschinen und zu ihrer Ausbesserung Textilwaren und Werkzeuge. Der südrussische
^nrkt verspricht ein Markt geschäftlichen Wettbewerbes zwischen den Jndustrienationen
SU werden, und wer als erster gut und billig liefert, wird dort die erste Rolle spielen."
Grenzboten IV 1919 27
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