Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Zu den neuen Reichssteuern auf das Einkommen Steuersätze nach oberflächlicher Erwägung, wie sie ohne dieses Material allein angestellt Aber auch hier, könnte man einwenden, tut sich ein Hoffnungsstrahl auf, Prüfen wir unter diesen Gesichtspunkten das Wort des Neichsfinanzministers Zu den neuen Reichssteuern auf das Einkommen Steuersätze nach oberflächlicher Erwägung, wie sie ohne dieses Material allein angestellt Aber auch hier, könnte man einwenden, tut sich ein Hoffnungsstrahl auf, Prüfen wir unter diesen Gesichtspunkten das Wort des Neichsfinanzministers <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336624"/> <fw type="header" place="top"> Zu den neuen Reichssteuern auf das Einkommen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1215" prev="#ID_1214"> Steuersätze nach oberflächlicher Erwägung, wie sie ohne dieses Material allein angestellt<lb/> werden kann, einen bei weitem höheren Ertrag der Steuern wahrscheinlich erscheinen<lb/> lassen, als ihn der Neichsfinanzminister einstellt. Das würde aber bedeuten, daß die<lb/> Gefahr der wirtschaftlich unerträglichen Folgen in Wahrheit eine noch weit größere wäre,<lb/> als es jetzt den Anschein hat! Oder stellt die Negierung von vornherein mit Rücksicht<lb/> auf die erwartete außerordentliche Kapitalflucht — vielfach ist sie bereits vollzogen —<lb/> und die außerordentlichen Steuerhinterziehungen von vornherein sehr hohe Ab¬<lb/> striche ein? Gewiß, Not kennt kein Gebot, und wie die Zwangswirtschaft im<lb/> ganzen Volke ohne Unterschied den Schleichhandel fair gemocht hat, da wir ohne<lb/> ihn nicht leben können, und zwar in einem Umfange, daß der Staat machtlos<lb/> gegen ihn ist und der Umgehung seiner Gebote mit offenen Augen zusehen muß,<lb/> so ist auch zu erwarten, daß diese Steuergesetze den Steuerbetrug fair und all¬<lb/> gemein machen werden bei gleicher Unfähigkeit des Staates, diesen zu hindern.<lb/> Ich denke an den Ausspruch eines Frankfurter Kaufmanns, der vor einiger Zeit<lb/> — natürlich im vertrauten Kreise — fiel: „Das müßte ein schlechter Kaufmann<lb/> sein, der nicht sein Geld schon längst im Auslande hätteI" Ich denke ferner an<lb/> einen Fall, der vor kurzem in rechtsstehenden Blättern veröffentlicht wurde: Ein<lb/> Herr N. hat von der Neichsverwertungsstelle einen sehr großen Posten gebrauchter<lb/> aber gut erhaltener Militärstiefel gekauft. Der Preis, natürlich sehr niedrig,<lb/> wurde nicht veröffentlicht. Er verkaufte die Stiefel nach Dänemark zum Preise<lb/> von 25 Mark für die Reitstiefel und 18 Mark für die anderen Stiefel, das heißt<lb/> bei unseren Valutaverhältnissen zur Zeit des Verkaufes für 2,60 Mark beziehungs¬<lb/> weise 1.80 Mark nach dänischer Währung. Dieser Wert kommt in dänischer<lb/> Währung nach Deutschland zurück. Die Stiefel haben aber auch in Dänemark<lb/> einen Wert von mindestens 25 Mark beziehungsweise 18 Mark dänischer Währung-<lb/> Sollte das dem Kaufmann R. unbekannt gewesen sein? — Man sollte doch ver¬<lb/> muten dürfen, daß er dem dünischen Abnehmer nicht einen Gewinn von 1lX)l)<lb/> Prozent gutwillig überlassen wird. Sollte er nicht mit dem Dänen verabredet<lb/> haben, daß er mindestens zur Hälfte am Geschäft der Weiterveräußerung in<lb/> Dänemark beteiligt ist? Damit würde er sich 500 Prozent des durch den Weiter¬<lb/> verkauf in Dänemark erzielten Gewinnes in ausländ isch ein Vermögen gesichert<lb/> haben. Da aber die Stiefel auch in Deutschland einen wesentlich höheren Verkaufs¬<lb/> wert als 13 Mark beziehungsweise 25 Mark gehabt haben dürften, wahrscheinlich<lb/> einen solchen, der der Höhe des Gewinnes entspricht, zu dem R. am dänischen<lb/> Geschäft vermutlich beteiligt ist, also einen fünffach höheren, so ist also mit einem<lb/> einzigen formal durchaus legalen Geschäfte ein deutscher Millionenwert ins Aus-<lb/> land abgeflossen. Und in welchem Umfange der „deutsche Ausverkauf" ins Aus¬<lb/> land gegenwärtig stattfindet, ist ja allgemein bekannt. Natürlich profitiert hier¬<lb/> von nur das mobile,Kapital. Das investierte aber hat die Steuer mit allem<lb/> Drucke zu tragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1216"> Aber auch hier, könnte man einwenden, tut sich ein Hoffnungsstrahl auf,<lb/> der die Vernichtung der Produktion hintenan halten wird: das ausländische<lb/> Kapital wird für das konfiszierte inländische einspringen! Der Ausländer kauft<lb/> ja schon heute dank dem Stande unserer Auslandsvaluta in Deutschland mu<lb/> deutschem Gelde deutsche Werte und auch deutsche Unternehmungen zum zwölften<lb/> Teil ihres deutschen Preises. Welch eine günstige KaufgelegenheitI In welchen<lb/> Massen wird das ausländische Kapital hereinströmen und sich diese günstige<lb/> Gelegenheit zunutze machen! Dieses Bild aufrollen bedeutet eine neue ver¬<lb/> nichtende Kritik einer Steuerreform, die in solchen Maßnahmen der Enteignung<lb/> deutschen Vermögens zum Vorteil des Auslandes noch eine Rettung sehen müßtei<lb/> -</p><lb/> <p xml:id="ID_1217" next="#ID_1218"> Prüfen wir unter diesen Gesichtspunkten das Wort des Neichsfinanzministers<lb/> „Eine hohe Steuer ist die beste Sozialisierung." Daß es unrichtig ist, ist riaw<lb/> dem Vorausgesagten klar. Sozialisierung bedeutet: Überleitung des privaten<lb/> Kapitals und zwar des investierten, der Unternehmungen in die Hand des Staates-<lb/> Das kann mit einer Steuer nicht erreicht werden. Der Erfolg einer zu hohen<lb/> Steuer ist entweder Vernichtung der Unternehmungen, der einheimischen Volks-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0334]
Zu den neuen Reichssteuern auf das Einkommen
Steuersätze nach oberflächlicher Erwägung, wie sie ohne dieses Material allein angestellt
werden kann, einen bei weitem höheren Ertrag der Steuern wahrscheinlich erscheinen
lassen, als ihn der Neichsfinanzminister einstellt. Das würde aber bedeuten, daß die
Gefahr der wirtschaftlich unerträglichen Folgen in Wahrheit eine noch weit größere wäre,
als es jetzt den Anschein hat! Oder stellt die Negierung von vornherein mit Rücksicht
auf die erwartete außerordentliche Kapitalflucht — vielfach ist sie bereits vollzogen —
und die außerordentlichen Steuerhinterziehungen von vornherein sehr hohe Ab¬
striche ein? Gewiß, Not kennt kein Gebot, und wie die Zwangswirtschaft im
ganzen Volke ohne Unterschied den Schleichhandel fair gemocht hat, da wir ohne
ihn nicht leben können, und zwar in einem Umfange, daß der Staat machtlos
gegen ihn ist und der Umgehung seiner Gebote mit offenen Augen zusehen muß,
so ist auch zu erwarten, daß diese Steuergesetze den Steuerbetrug fair und all¬
gemein machen werden bei gleicher Unfähigkeit des Staates, diesen zu hindern.
Ich denke an den Ausspruch eines Frankfurter Kaufmanns, der vor einiger Zeit
— natürlich im vertrauten Kreise — fiel: „Das müßte ein schlechter Kaufmann
sein, der nicht sein Geld schon längst im Auslande hätteI" Ich denke ferner an
einen Fall, der vor kurzem in rechtsstehenden Blättern veröffentlicht wurde: Ein
Herr N. hat von der Neichsverwertungsstelle einen sehr großen Posten gebrauchter
aber gut erhaltener Militärstiefel gekauft. Der Preis, natürlich sehr niedrig,
wurde nicht veröffentlicht. Er verkaufte die Stiefel nach Dänemark zum Preise
von 25 Mark für die Reitstiefel und 18 Mark für die anderen Stiefel, das heißt
bei unseren Valutaverhältnissen zur Zeit des Verkaufes für 2,60 Mark beziehungs¬
weise 1.80 Mark nach dänischer Währung. Dieser Wert kommt in dänischer
Währung nach Deutschland zurück. Die Stiefel haben aber auch in Dänemark
einen Wert von mindestens 25 Mark beziehungsweise 18 Mark dänischer Währung-
Sollte das dem Kaufmann R. unbekannt gewesen sein? — Man sollte doch ver¬
muten dürfen, daß er dem dünischen Abnehmer nicht einen Gewinn von 1lX)l)
Prozent gutwillig überlassen wird. Sollte er nicht mit dem Dänen verabredet
haben, daß er mindestens zur Hälfte am Geschäft der Weiterveräußerung in
Dänemark beteiligt ist? Damit würde er sich 500 Prozent des durch den Weiter¬
verkauf in Dänemark erzielten Gewinnes in ausländ isch ein Vermögen gesichert
haben. Da aber die Stiefel auch in Deutschland einen wesentlich höheren Verkaufs¬
wert als 13 Mark beziehungsweise 25 Mark gehabt haben dürften, wahrscheinlich
einen solchen, der der Höhe des Gewinnes entspricht, zu dem R. am dänischen
Geschäft vermutlich beteiligt ist, also einen fünffach höheren, so ist also mit einem
einzigen formal durchaus legalen Geschäfte ein deutscher Millionenwert ins Aus-
land abgeflossen. Und in welchem Umfange der „deutsche Ausverkauf" ins Aus¬
land gegenwärtig stattfindet, ist ja allgemein bekannt. Natürlich profitiert hier¬
von nur das mobile,Kapital. Das investierte aber hat die Steuer mit allem
Drucke zu tragen.
Aber auch hier, könnte man einwenden, tut sich ein Hoffnungsstrahl auf,
der die Vernichtung der Produktion hintenan halten wird: das ausländische
Kapital wird für das konfiszierte inländische einspringen! Der Ausländer kauft
ja schon heute dank dem Stande unserer Auslandsvaluta in Deutschland mu
deutschem Gelde deutsche Werte und auch deutsche Unternehmungen zum zwölften
Teil ihres deutschen Preises. Welch eine günstige KaufgelegenheitI In welchen
Massen wird das ausländische Kapital hereinströmen und sich diese günstige
Gelegenheit zunutze machen! Dieses Bild aufrollen bedeutet eine neue ver¬
nichtende Kritik einer Steuerreform, die in solchen Maßnahmen der Enteignung
deutschen Vermögens zum Vorteil des Auslandes noch eine Rettung sehen müßtei
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Prüfen wir unter diesen Gesichtspunkten das Wort des Neichsfinanzministers
„Eine hohe Steuer ist die beste Sozialisierung." Daß es unrichtig ist, ist riaw
dem Vorausgesagten klar. Sozialisierung bedeutet: Überleitung des privaten
Kapitals und zwar des investierten, der Unternehmungen in die Hand des Staates-
Das kann mit einer Steuer nicht erreicht werden. Der Erfolg einer zu hohen
Steuer ist entweder Vernichtung der Unternehmungen, der einheimischen Volks-
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