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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Frankreichs deutsche Politik

auf diese Weise die den Besitz des Elsaß allein auf die Dauer verbürgende Macht
zu behalten. Da es sich nun aber zeigt, daß dieses Bündnis auf höchst unsicheren
Füßen steht, denn wenn Amerika sich zurückzieht, ist auch England berecknigt zu¬
rückzutreten, und ein Bündnis mit Italien, Spanien und Polen wegen Marokko,
wegen der Sozialistenopposition gegen den Vertrag von Versailles und infolge
Polens militärischer Ohnmacht wenig zu versprechen scheint, versucht man wenigstens,
solange es noch Zeit ist, den Gegner zu schwächen, wo es irgend geht. Jetzt
eben sucht man sich einen Vorwand zu verschaffen, bei der nächsten Gelegenheit, die
bei der Unmöglichkeit, die Friedensbedingungen restlos zu erfüllen, nicht auf sich
warten lassen wird, das Rheinland dauernd besetzt zu halten und sich, wenn möglich,
das Nuhrgebiet zu sichern. Damit wäre wenigstens die Rheingrenze gewonnen, und
für die weitere Grundbedingung des dauernden Elsaßbesitzes wird man dann schon
zu sorgen wissen. Versagen.die Bundesgenossen, muß man sich eben aus eigener
Kraft schützen.

Bis dahin wäre die französische Politik Deutschland gegenüber durchaus
klar und zielbewußt. Leider (von Frankreich aus gesprochen) entsprechen aber
diese Ziele in keiner Weise den tatsächlichen Machtverhältnissen. Nicht als ob sie
sich nicht, rein militärisch genommen, durchführen ließen, -- es gibt heute Deutsch¬
land gegenüber kein Krisgsziel, das militärisch un- oder auch nur schwer durch-
füh'bar wäre, -- die Vorgänge im Saargebiet und in Lothringen zeigen, daß man
nicht gesonnen ist, sich selbst von Streiks imponieren zu lassen. Aber es kann
doch nicht bestritten werden, daß sich Frankreich, selbst unter tatkräftigsten Bei¬
stand seiner Bundesgenossen, bei seinem Siege weit über seine Kräfte hinaus
übernommen hat. Es ist durch den Krieg unfähig geworden, aus eigener Kraft
wieder zu gesunden. Es braucht nicht nur die Kriegsentschädigungen, um dadurch
den Gegner im Zustand der Schwäche zu erhalten, sie sind ihm sogar unent¬
behrlich, weil es sonst selbst an seinen Wunden zugrunde geht. Gern würde es
sich dieser letzteren Tatsache verschließen, und bei den Bundesgenossen Hilfe suchen,
aber die einen, England und Italien, haben selbst zu schwer gelitten, um helfen
zu können, und der einzige, der es vermöchte, Amerika, will es nicht, weil er
größere Pläne hat und seine finanziellen Kräfte nicht in dem kleinen
Frankreich binden will. Die von Deutschland einzuziehenden Entschädigungen
sind demnach nicht nur ein KriegsM, sondern eine unvermeidliche Lebensnot¬
wendigkeit. Die Erlangung dieser Notwendigkeit aber hängt nicht von militärischen
Machtmitteln ab, sondern von der Arbeitskraft und dem Arbeitswillen des
deutschen Volkes selbst. Und damit ist Frankreich von dieser Arbeitskraft und
diesem Arbeitswillen abhängig. Damit aber treten wir auch in ein höheres Ge¬
biet ein, als das der militärischen Machtfragen, nämlich in das der wirtschaftlichen
Notlage, die durch keinen militärischen Befehl aus der Welt geschafft werdeu kann.
Frankreich kann ganz Deutschland militärisch besetzen, die Hungergeißel schwingen,
streikende Arbeiter zu Tausenden erschießen, der wirtschaftlichen Notlage entrinnt
es nicht. Es kann seinen Schuldner einsperren, foltern, totschlagen, seine Schuld
bekommt es dadurch uicht herein. Daraus erhellt, daß der Weg mit Gewalt
nicht der richtige sein kann. Ob man Franzose, Deutscher oder Hurone ist, diese
Tatsache kann nicht so oder so aufgefaßt werden, sie steht unumstößlich fest.

Prüfen wir nun, wie weit die französische Politik dieser Tatsache Rechnung
trägt. Verfuhr sie richtig, so tat sie alles, um den allbekannten Arbeitswillen
und die Arbeitskraft des deutschen Volkes anzufeuern, wobei sie es sorglich so
einzurichten suchte, sich die Ergebnisse dieser Arbeit in möglichst hohem Maße zu
sichern. Tat sie das nicht, so verfuhr sie falsch, nicht aus irgendwelchen ethischen
oder national bedingten Gründen, sondern weil sie gegen ihr eigenes Interesse
handelte.

Zunächst beging sie, ob mit oder ohne Hilfe der Bundesgenossen ist sachlich
ganz gleichgültig, den Fehler, uns den Friedensvertrag gegen unsere Überzeugung
mit Gewalt aufzuzwingen. Gewiß, jeder Friedensvertrag ist für den Besiegten
hart, noch nie hat ein Besiegter ihn gern unterschrieben. Aber es gibt doch immer


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auf diese Weise die den Besitz des Elsaß allein auf die Dauer verbürgende Macht
zu behalten. Da es sich nun aber zeigt, daß dieses Bündnis auf höchst unsicheren
Füßen steht, denn wenn Amerika sich zurückzieht, ist auch England berecknigt zu¬
rückzutreten, und ein Bündnis mit Italien, Spanien und Polen wegen Marokko,
wegen der Sozialistenopposition gegen den Vertrag von Versailles und infolge
Polens militärischer Ohnmacht wenig zu versprechen scheint, versucht man wenigstens,
solange es noch Zeit ist, den Gegner zu schwächen, wo es irgend geht. Jetzt
eben sucht man sich einen Vorwand zu verschaffen, bei der nächsten Gelegenheit, die
bei der Unmöglichkeit, die Friedensbedingungen restlos zu erfüllen, nicht auf sich
warten lassen wird, das Rheinland dauernd besetzt zu halten und sich, wenn möglich,
das Nuhrgebiet zu sichern. Damit wäre wenigstens die Rheingrenze gewonnen, und
für die weitere Grundbedingung des dauernden Elsaßbesitzes wird man dann schon
zu sorgen wissen. Versagen.die Bundesgenossen, muß man sich eben aus eigener
Kraft schützen.

Bis dahin wäre die französische Politik Deutschland gegenüber durchaus
klar und zielbewußt. Leider (von Frankreich aus gesprochen) entsprechen aber
diese Ziele in keiner Weise den tatsächlichen Machtverhältnissen. Nicht als ob sie
sich nicht, rein militärisch genommen, durchführen ließen, — es gibt heute Deutsch¬
land gegenüber kein Krisgsziel, das militärisch un- oder auch nur schwer durch-
füh'bar wäre, — die Vorgänge im Saargebiet und in Lothringen zeigen, daß man
nicht gesonnen ist, sich selbst von Streiks imponieren zu lassen. Aber es kann
doch nicht bestritten werden, daß sich Frankreich, selbst unter tatkräftigsten Bei¬
stand seiner Bundesgenossen, bei seinem Siege weit über seine Kräfte hinaus
übernommen hat. Es ist durch den Krieg unfähig geworden, aus eigener Kraft
wieder zu gesunden. Es braucht nicht nur die Kriegsentschädigungen, um dadurch
den Gegner im Zustand der Schwäche zu erhalten, sie sind ihm sogar unent¬
behrlich, weil es sonst selbst an seinen Wunden zugrunde geht. Gern würde es
sich dieser letzteren Tatsache verschließen, und bei den Bundesgenossen Hilfe suchen,
aber die einen, England und Italien, haben selbst zu schwer gelitten, um helfen
zu können, und der einzige, der es vermöchte, Amerika, will es nicht, weil er
größere Pläne hat und seine finanziellen Kräfte nicht in dem kleinen
Frankreich binden will. Die von Deutschland einzuziehenden Entschädigungen
sind demnach nicht nur ein KriegsM, sondern eine unvermeidliche Lebensnot¬
wendigkeit. Die Erlangung dieser Notwendigkeit aber hängt nicht von militärischen
Machtmitteln ab, sondern von der Arbeitskraft und dem Arbeitswillen des
deutschen Volkes selbst. Und damit ist Frankreich von dieser Arbeitskraft und
diesem Arbeitswillen abhängig. Damit aber treten wir auch in ein höheres Ge¬
biet ein, als das der militärischen Machtfragen, nämlich in das der wirtschaftlichen
Notlage, die durch keinen militärischen Befehl aus der Welt geschafft werdeu kann.
Frankreich kann ganz Deutschland militärisch besetzen, die Hungergeißel schwingen,
streikende Arbeiter zu Tausenden erschießen, der wirtschaftlichen Notlage entrinnt
es nicht. Es kann seinen Schuldner einsperren, foltern, totschlagen, seine Schuld
bekommt es dadurch uicht herein. Daraus erhellt, daß der Weg mit Gewalt
nicht der richtige sein kann. Ob man Franzose, Deutscher oder Hurone ist, diese
Tatsache kann nicht so oder so aufgefaßt werden, sie steht unumstößlich fest.

Prüfen wir nun, wie weit die französische Politik dieser Tatsache Rechnung
trägt. Verfuhr sie richtig, so tat sie alles, um den allbekannten Arbeitswillen
und die Arbeitskraft des deutschen Volkes anzufeuern, wobei sie es sorglich so
einzurichten suchte, sich die Ergebnisse dieser Arbeit in möglichst hohem Maße zu
sichern. Tat sie das nicht, so verfuhr sie falsch, nicht aus irgendwelchen ethischen
oder national bedingten Gründen, sondern weil sie gegen ihr eigenes Interesse
handelte.

Zunächst beging sie, ob mit oder ohne Hilfe der Bundesgenossen ist sachlich
ganz gleichgültig, den Fehler, uns den Friedensvertrag gegen unsere Überzeugung
mit Gewalt aufzuzwingen. Gewiß, jeder Friedensvertrag ist für den Besiegten
hart, noch nie hat ein Besiegter ihn gern unterschrieben. Aber es gibt doch immer


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[0316] Frankreichs deutsche Politik auf diese Weise die den Besitz des Elsaß allein auf die Dauer verbürgende Macht zu behalten. Da es sich nun aber zeigt, daß dieses Bündnis auf höchst unsicheren Füßen steht, denn wenn Amerika sich zurückzieht, ist auch England berecknigt zu¬ rückzutreten, und ein Bündnis mit Italien, Spanien und Polen wegen Marokko, wegen der Sozialistenopposition gegen den Vertrag von Versailles und infolge Polens militärischer Ohnmacht wenig zu versprechen scheint, versucht man wenigstens, solange es noch Zeit ist, den Gegner zu schwächen, wo es irgend geht. Jetzt eben sucht man sich einen Vorwand zu verschaffen, bei der nächsten Gelegenheit, die bei der Unmöglichkeit, die Friedensbedingungen restlos zu erfüllen, nicht auf sich warten lassen wird, das Rheinland dauernd besetzt zu halten und sich, wenn möglich, das Nuhrgebiet zu sichern. Damit wäre wenigstens die Rheingrenze gewonnen, und für die weitere Grundbedingung des dauernden Elsaßbesitzes wird man dann schon zu sorgen wissen. Versagen.die Bundesgenossen, muß man sich eben aus eigener Kraft schützen. Bis dahin wäre die französische Politik Deutschland gegenüber durchaus klar und zielbewußt. Leider (von Frankreich aus gesprochen) entsprechen aber diese Ziele in keiner Weise den tatsächlichen Machtverhältnissen. Nicht als ob sie sich nicht, rein militärisch genommen, durchführen ließen, — es gibt heute Deutsch¬ land gegenüber kein Krisgsziel, das militärisch un- oder auch nur schwer durch- füh'bar wäre, — die Vorgänge im Saargebiet und in Lothringen zeigen, daß man nicht gesonnen ist, sich selbst von Streiks imponieren zu lassen. Aber es kann doch nicht bestritten werden, daß sich Frankreich, selbst unter tatkräftigsten Bei¬ stand seiner Bundesgenossen, bei seinem Siege weit über seine Kräfte hinaus übernommen hat. Es ist durch den Krieg unfähig geworden, aus eigener Kraft wieder zu gesunden. Es braucht nicht nur die Kriegsentschädigungen, um dadurch den Gegner im Zustand der Schwäche zu erhalten, sie sind ihm sogar unent¬ behrlich, weil es sonst selbst an seinen Wunden zugrunde geht. Gern würde es sich dieser letzteren Tatsache verschließen, und bei den Bundesgenossen Hilfe suchen, aber die einen, England und Italien, haben selbst zu schwer gelitten, um helfen zu können, und der einzige, der es vermöchte, Amerika, will es nicht, weil er größere Pläne hat und seine finanziellen Kräfte nicht in dem kleinen Frankreich binden will. Die von Deutschland einzuziehenden Entschädigungen sind demnach nicht nur ein KriegsM, sondern eine unvermeidliche Lebensnot¬ wendigkeit. Die Erlangung dieser Notwendigkeit aber hängt nicht von militärischen Machtmitteln ab, sondern von der Arbeitskraft und dem Arbeitswillen des deutschen Volkes selbst. Und damit ist Frankreich von dieser Arbeitskraft und diesem Arbeitswillen abhängig. Damit aber treten wir auch in ein höheres Ge¬ biet ein, als das der militärischen Machtfragen, nämlich in das der wirtschaftlichen Notlage, die durch keinen militärischen Befehl aus der Welt geschafft werdeu kann. Frankreich kann ganz Deutschland militärisch besetzen, die Hungergeißel schwingen, streikende Arbeiter zu Tausenden erschießen, der wirtschaftlichen Notlage entrinnt es nicht. Es kann seinen Schuldner einsperren, foltern, totschlagen, seine Schuld bekommt es dadurch uicht herein. Daraus erhellt, daß der Weg mit Gewalt nicht der richtige sein kann. Ob man Franzose, Deutscher oder Hurone ist, diese Tatsache kann nicht so oder so aufgefaßt werden, sie steht unumstößlich fest. Prüfen wir nun, wie weit die französische Politik dieser Tatsache Rechnung trägt. Verfuhr sie richtig, so tat sie alles, um den allbekannten Arbeitswillen und die Arbeitskraft des deutschen Volkes anzufeuern, wobei sie es sorglich so einzurichten suchte, sich die Ergebnisse dieser Arbeit in möglichst hohem Maße zu sichern. Tat sie das nicht, so verfuhr sie falsch, nicht aus irgendwelchen ethischen oder national bedingten Gründen, sondern weil sie gegen ihr eigenes Interesse handelte. Zunächst beging sie, ob mit oder ohne Hilfe der Bundesgenossen ist sachlich ganz gleichgültig, den Fehler, uns den Friedensvertrag gegen unsere Überzeugung mit Gewalt aufzuzwingen. Gewiß, jeder Friedensvertrag ist für den Besiegten hart, noch nie hat ein Besiegter ihn gern unterschrieben. Aber es gibt doch immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/316>, abgerufen am 15.01.2025.