Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Lin Brief aus Böhmen ihren ersten, der Verbleiben bei Deutschland beziehungsweise Deutsch-Österreich Nicht, daß einzelne Schulen gesperrt werden, setzt die Deutsch Böhmen in Mag es also auch richtig sein, das? die Celbstverwaltungsbestrebungen Deutschböhmen fürchtet nicht die tschechische Regierung, sondern die Es Ut typische tschechische Negierungsphraseologie, wenn Menenius von der Lin Brief aus Böhmen ihren ersten, der Verbleiben bei Deutschland beziehungsweise Deutsch-Österreich Nicht, daß einzelne Schulen gesperrt werden, setzt die Deutsch Böhmen in Mag es also auch richtig sein, das? die Celbstverwaltungsbestrebungen Deutschböhmen fürchtet nicht die tschechische Regierung, sondern die Es Ut typische tschechische Negierungsphraseologie, wenn Menenius von der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336594"/> <fw type="header" place="top"> Lin Brief aus Böhmen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1117" prev="#ID_1116"> ihren ersten, der Verbleiben bei Deutschland beziehungsweise Deutsch-Österreich<lb/> verlangte, so ihren zweiten, der Autonomie verlangt. Ob der tschechische Staat<lb/> einen rein deutschfeindlichen Kurs, soweit das mit seinem Interesse vereinbar ist,<lb/> oder einen verhältnismäßig wenig deutschfeindlichen Kurs einschlägt, und ob sie<lb/> vielleicht durch parlamentarische Bündnisse oder sonst irgendwie einigen Einfluß<lb/> darauf gewinnen können, ist ihnen — im Vergleich zu ihrer Lebensfrage — gleichgültig.<lb/> Daher ist auch das Bedürfnis nach Angliederung an das Mutterreich sehr ab¬<lb/> hängig von der tschechischen Einwanderung. Ohne diese bestünde es wahr¬<lb/> scheinlich gar nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1118"> Nicht, daß einzelne Schulen gesperrt werden, setzt die Deutsch Böhmen in<lb/> Aufregung, sondern die Befugnis des Ministers, beliebig viel deutschen Kindern<lb/> Schulen zu entziehen, beliebig wenig tschechischen sie zu errichten. Es ist richtig,<lb/> daß der Minister dieses Mißtrauen vielleicht nicht verdient, aber das tschechische<lb/> Volk verdient es. Deutschböhmen neexistujs — Deutschböhmen gibt es nicht<lb/> — ist sein Schlagwort, und das gellt den Deutschböhinen als Todessignal aller<lb/> Selbstbestimmung und Herrschaft im eigenen Hause in die Ohren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1119"> Mag es also auch richtig sein, das? die Celbstverwaltungsbestrebungen<lb/> Deutschböhmens die Furcht vor einem Abfall und damit die künstliche Tscheche<lb/> sienmg wachhalten und den von jedem Deutschböhinen, ganz besonders aber<lb/> vom Arbeiter ersehnten Frieden hinausschieben, so muß man bedenken, daß bei<lb/> dem seit acht Jahrzehnten beobachteten und in der ganzen Reichsgründung zum<lb/> Ausdruck kommenden Expansionstrieb der Tschechen Deutschböhmen ohne<lb/> Autonomie in wenigen Jahrzehnten einen allerdings sehr ausgesprochenen<lb/> nationalen Frieden zu erwarten hat, das nationale Nirwana, das Aufgehen im<lb/> Tschechentume.</p><lb/> <p xml:id="ID_1120"> Deutschböhmen fürchtet nicht die tschechische Regierung, sondern die<lb/> tschechische Mehrheit. Es weiß zum Beispiel, daß ein dcntschlandfreundlicher<lb/> Kurs bei dieser ein Menschenalter lang nicht denkbar ist. Einfluß auf die äußere<lb/> Politik werden die Deutschen als parlamentarische Minderheit wahrscheinlich<lb/> weniger haben denn als Millionenvolk, Die erstere wird überstimmt, das Volk<lb/> aber versagt seinen Beistand in oller Dingen. Ich kann also nicht verstehen, wie<lb/> Menenius sagen kann, daß die Deutschhöhmen ohne Autonomiebestrebnng mehr<lb/> Einfluß auf die äußere Politik gewinnen. Es ist für die großen Richtlinien und<lb/> Entscheidungen das gleiche. Es ist ganz tschechische NegierungSphraseologie, wenn<lb/> Menenius den Deutschböhmen im Falle, daß sie sich „zur tätigen Mitarbeit am<lb/> tsechischen Staate bekennen", das soll heißen, auf ihre Selbstverwaltung verzichten<lb/> — als ob die Mitarbeit eines autonomen Deutschböhmen nicht ebenso leicht<lb/> möglich wäre — die „volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung" in Aussicht stellt.<lb/> Die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Person muß ,den Deutschen in ewew<lb/> europäischen Rechtsstaate ohnedies gewährt werden (Wahlrecht usw.), wenn sie<lb/> ihnen vorläufig auch vorenthalten ist, sie zum Beispiel von einem tschechischen<lb/> Parlamente, ohne befragt zu werden, Verfassung und Staatseinteilung auf¬<lb/> oktroyiert bekommen und in der Stellenbelverbrmg auch im deutschen Gebiete ge¬<lb/> wisse Hindernisse erfahren. Gleichberechtigung des Volkes aber ist es, was die<lb/> Deutschen haben wollen, dazu gehört auch das Recht, als deutsches Volk weiter¬<lb/> zuleben, wenigstens solange es der natürliche sanfte und erträgliche Grenz-<lb/> verschiebungs- und Vermengungsprozeß der Geschichte erlaubt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1121" next="#ID_1122"> Es Ut typische tschechische Negierungsphraseologie, wenn Menenius von der<lb/> wirtschaftlichen Existenzunfähigkeit eines tschechischen Staates auf tschechischen<lb/> Sprachgebiete spricht. Gewiß, der Traum, einer beherrschenden Stellung ^<lb/> Mitteleuropa, des reichen Industriestaates wird ohne die nordböhmische Industrie<lb/> und Kohle und ohne die reichlich nachströinenden Arbeitskräfte aus den Karpathen'<lb/> läutern hinfällig. Aber Brot, Steinkohle, eine ansehnliche Industrie und ein<lb/> nicht sehr dicht gesiedeltes, aber ziemlich stark sich vermehrendes Volk hätte dieser<lb/> Staat, insbesondere hätte er mehr als genug zu essen. Und wenn er<lb/> einen Hafen zur Schiffahrtsverbinbung mit Hamburg braucht, so würden der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0304]
Lin Brief aus Böhmen
ihren ersten, der Verbleiben bei Deutschland beziehungsweise Deutsch-Österreich
verlangte, so ihren zweiten, der Autonomie verlangt. Ob der tschechische Staat
einen rein deutschfeindlichen Kurs, soweit das mit seinem Interesse vereinbar ist,
oder einen verhältnismäßig wenig deutschfeindlichen Kurs einschlägt, und ob sie
vielleicht durch parlamentarische Bündnisse oder sonst irgendwie einigen Einfluß
darauf gewinnen können, ist ihnen — im Vergleich zu ihrer Lebensfrage — gleichgültig.
Daher ist auch das Bedürfnis nach Angliederung an das Mutterreich sehr ab¬
hängig von der tschechischen Einwanderung. Ohne diese bestünde es wahr¬
scheinlich gar nicht.
Nicht, daß einzelne Schulen gesperrt werden, setzt die Deutsch Böhmen in
Aufregung, sondern die Befugnis des Ministers, beliebig viel deutschen Kindern
Schulen zu entziehen, beliebig wenig tschechischen sie zu errichten. Es ist richtig,
daß der Minister dieses Mißtrauen vielleicht nicht verdient, aber das tschechische
Volk verdient es. Deutschböhmen neexistujs — Deutschböhmen gibt es nicht
— ist sein Schlagwort, und das gellt den Deutschböhinen als Todessignal aller
Selbstbestimmung und Herrschaft im eigenen Hause in die Ohren.
Mag es also auch richtig sein, das? die Celbstverwaltungsbestrebungen
Deutschböhmens die Furcht vor einem Abfall und damit die künstliche Tscheche
sienmg wachhalten und den von jedem Deutschböhinen, ganz besonders aber
vom Arbeiter ersehnten Frieden hinausschieben, so muß man bedenken, daß bei
dem seit acht Jahrzehnten beobachteten und in der ganzen Reichsgründung zum
Ausdruck kommenden Expansionstrieb der Tschechen Deutschböhmen ohne
Autonomie in wenigen Jahrzehnten einen allerdings sehr ausgesprochenen
nationalen Frieden zu erwarten hat, das nationale Nirwana, das Aufgehen im
Tschechentume.
Deutschböhmen fürchtet nicht die tschechische Regierung, sondern die
tschechische Mehrheit. Es weiß zum Beispiel, daß ein dcntschlandfreundlicher
Kurs bei dieser ein Menschenalter lang nicht denkbar ist. Einfluß auf die äußere
Politik werden die Deutschen als parlamentarische Minderheit wahrscheinlich
weniger haben denn als Millionenvolk, Die erstere wird überstimmt, das Volk
aber versagt seinen Beistand in oller Dingen. Ich kann also nicht verstehen, wie
Menenius sagen kann, daß die Deutschhöhmen ohne Autonomiebestrebnng mehr
Einfluß auf die äußere Politik gewinnen. Es ist für die großen Richtlinien und
Entscheidungen das gleiche. Es ist ganz tschechische NegierungSphraseologie, wenn
Menenius den Deutschböhmen im Falle, daß sie sich „zur tätigen Mitarbeit am
tsechischen Staate bekennen", das soll heißen, auf ihre Selbstverwaltung verzichten
— als ob die Mitarbeit eines autonomen Deutschböhmen nicht ebenso leicht
möglich wäre — die „volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung" in Aussicht stellt.
Die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Person muß ,den Deutschen in ewew
europäischen Rechtsstaate ohnedies gewährt werden (Wahlrecht usw.), wenn sie
ihnen vorläufig auch vorenthalten ist, sie zum Beispiel von einem tschechischen
Parlamente, ohne befragt zu werden, Verfassung und Staatseinteilung auf¬
oktroyiert bekommen und in der Stellenbelverbrmg auch im deutschen Gebiete ge¬
wisse Hindernisse erfahren. Gleichberechtigung des Volkes aber ist es, was die
Deutschen haben wollen, dazu gehört auch das Recht, als deutsches Volk weiter¬
zuleben, wenigstens solange es der natürliche sanfte und erträgliche Grenz-
verschiebungs- und Vermengungsprozeß der Geschichte erlaubt.
Es Ut typische tschechische Negierungsphraseologie, wenn Menenius von der
wirtschaftlichen Existenzunfähigkeit eines tschechischen Staates auf tschechischen
Sprachgebiete spricht. Gewiß, der Traum, einer beherrschenden Stellung ^
Mitteleuropa, des reichen Industriestaates wird ohne die nordböhmische Industrie
und Kohle und ohne die reichlich nachströinenden Arbeitskräfte aus den Karpathen'
läutern hinfällig. Aber Brot, Steinkohle, eine ansehnliche Industrie und ein
nicht sehr dicht gesiedeltes, aber ziemlich stark sich vermehrendes Volk hätte dieser
Staat, insbesondere hätte er mehr als genug zu essen. Und wenn er
einen Hafen zur Schiffahrtsverbinbung mit Hamburg braucht, so würden der
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