Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Wahlergebnisse der Parteipolitik gegeben haben werden. Die Parteien sind keineswegs, auch Für die belgischen und italienischen Wahlen charakteristisch ist, die Nieder Wahlergebnisse der Parteipolitik gegeben haben werden. Die Parteien sind keineswegs, auch Für die belgischen und italienischen Wahlen charakteristisch ist, die Nieder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336578"/> <fw type="header" place="top"> Wahlergebnisse</fw><lb/> <p xml:id="ID_1067" prev="#ID_1066"> der Parteipolitik gegeben haben werden. Die Parteien sind keineswegs, auch<lb/> wenn sie die alten Namen beibehalten hoben, dieselben geblieben, die sie vor dem<lb/> Kriege waren. Ein Prüfstein wird die Abstimmung über Wiederaufnahme der<lb/> diplomatischen Beziehungen zum Vatikan sein. Die Antiklerikalen haben zwar<lb/> bei den Wahlen der Blockbildung zuliebe ihre Gegensätze zu den Klerikalen zurück¬<lb/> gestellt, andererseits ergibt sich die Notwendigkeit guter Beziehungen zum Vatikan<lb/> nicht nnr aus der Annexion von Elsatz-Lothringen, sondern vor allem, aus der<lb/> Entwicklung von Syrien. Gibt man aber hier nach, so werden auch die Anti¬<lb/> klerikalen zurückstecken müssen, und es ist möglich, daß es über diese Frage zu<lb/> einer neuen Kraftprobe zwischen rechts und links kommt. Wie sich die neue<lb/> Kammer Deutschland gegenüber einstellen wird, ist noch nicht zu übersehen. Daß<lb/> sie rationalistisch sein wird, ist klar, es fragt sich nur, ob man das nationalistische<lb/> Interesse mehr darin sehen wird, Deutschland mit äußerster Erbarmungslosigkeit<lb/> und auf die Gefahr hin, es völlig zu ruinieren, zur restlosen Erfüllung des Ver-<lb/> sailler Vertrages anzuhalten oder darin, einen mociuL vivencii anzubahnen, der<lb/> in beiderseitigen Interesse beiden Ländern die Wiedergenesung verbürgt. Es ist<lb/> nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß die Ausnahme der neuen<lb/> Sieuervorlagen. die dem französischen Steuerzahler ja erst die Lasten der Siege<lb/> in voller Deutlichkeit erfaßbar machen werden, die neue französische Negierung<lb/> zwingen wird, gegen den anscheinend säumigen Schuldner Deutschland mit den<lb/> äußersten ZwancMiaßregeln vorzugehen, sehr möglich, daß die neutralistische Be¬<lb/> wegung im Elsaß, die Diskussionen über die Verwaltung und später die periodi¬<lb/> schen Räumungen der Rheinlands und des SaarbeckenS diese Richtung immer<lb/> wieder verstärken werden, es kann aber — besonders bei der .Sprödigkeit des<lb/> englischen und mehr noch des amerikanischen Kapitals, Frankreich beim Tragen<lb/> seiner finanziellen Lasten zu helfen und bei der damit im Zusammenhang stehenden<lb/> fortschreitenden Entwertung des Franken — auch so kommen, daß das Gro߬<lb/> kapital seinen Einfluß auf die Kammer in dem Sinne geltend macht, daß man<lb/> sich entschließt, dem deutschen Kapital im gemeinsamen Interesse zu helfen.<lb/> Wirklich sind ja beide Länder durch die Tatsache der Verwüstung Nordfrankreichs,<lb/> von deren weitgehender Wirkung sich eigentlich nur der einen Begriff machen<lb/> kann, der sie mit Augen gesehen hat, zu Gedeih und Verderb aneinnndergekettet,<lb/> es ist aber durchaus nicht, wie die Wirtschaftspolitiker zu glauben Pflegen, der<lb/> Fall, daß die Menschen immer das wirtschaftlich Vernünftige tun. Der Mensch<lb/> lebt nicht vom Brot allein und es ist mehr als einmal in der Geschichte vor¬<lb/> gekommen, daß politische Entschließungen gegen wirtschaftliche Lebensinteressen<lb/> ausgefallen sind. Jedenfalls besteht Anlaß genug, vor übertriebenen Optimismus<lb/> in dieser Hinsicht zu warnen.¬</p><lb/> <p xml:id="ID_1068" next="#ID_1069"> Für die belgischen und italienischen Wahlen charakteristisch ist, die Nieder<lb/> lage des Liberalismus und dementsprechend der Sieg Hder Sozialisten und (in<lb/> Italien) Klerikalen, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Klerikalismus in beiden<lb/> Ländern neuerdings starke sozialistische Tendenzen aufweist, vor allem aber, daß<lb/> auch hier die alten Parteien sich vielfach innerlich verändert haben. Die belgischen<lb/> Sozialisten zum Beispiel verdanken ihren Erfolg, ein Mehr von 27 Sitzen, außer<lb/> der Herabsetzung des aktiven Wahlrechts vom 25. aufs 21. Lebensjahr, einem<lb/> relativ gemäßigten Programm, ihrer ausdrücklichen Stellungnahme gegen den<lb/> Bolschewismus und — o Weltrevolution I — der Weigerung, nach dem Waffen¬<lb/> stillstand die Beziehungen, zur deutschen Sozialdemokratie wiederaufzunehmen-<lb/> In welcher Weise sich die Regierung bilden wird, ist noch unklar, da keine Partei<lb/> stark genug sein wird, für sich allein die Regierung zu übernehmen (gewählt sind<lb/> 77 Katholiken, 67 Sozialisten, 33 Liberale, 3 flämische Aktivisten, 3 Frontparte,,<lb/> 2 Vertreter des Mittelstandes, 1 Nationalpartei), so wäre ein Block aus Katholiken<lb/> und Sozialisten das gegebene. Aber es ist fraglich, ob er zustande kommen wird.<lb/> Die Sozialisten werden vielleicht ihre Bedingungen: Anerkennung des Achtstunden¬<lb/> tages und des Streikrechts usw. durchsetzen aber nicht geneigt sein, auf die<lb/> Forderung der Katholiken: volle Ausübung des Frauenstimmrechts einzugehen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
Wahlergebnisse
der Parteipolitik gegeben haben werden. Die Parteien sind keineswegs, auch
wenn sie die alten Namen beibehalten hoben, dieselben geblieben, die sie vor dem
Kriege waren. Ein Prüfstein wird die Abstimmung über Wiederaufnahme der
diplomatischen Beziehungen zum Vatikan sein. Die Antiklerikalen haben zwar
bei den Wahlen der Blockbildung zuliebe ihre Gegensätze zu den Klerikalen zurück¬
gestellt, andererseits ergibt sich die Notwendigkeit guter Beziehungen zum Vatikan
nicht nnr aus der Annexion von Elsatz-Lothringen, sondern vor allem, aus der
Entwicklung von Syrien. Gibt man aber hier nach, so werden auch die Anti¬
klerikalen zurückstecken müssen, und es ist möglich, daß es über diese Frage zu
einer neuen Kraftprobe zwischen rechts und links kommt. Wie sich die neue
Kammer Deutschland gegenüber einstellen wird, ist noch nicht zu übersehen. Daß
sie rationalistisch sein wird, ist klar, es fragt sich nur, ob man das nationalistische
Interesse mehr darin sehen wird, Deutschland mit äußerster Erbarmungslosigkeit
und auf die Gefahr hin, es völlig zu ruinieren, zur restlosen Erfüllung des Ver-
sailler Vertrages anzuhalten oder darin, einen mociuL vivencii anzubahnen, der
in beiderseitigen Interesse beiden Ländern die Wiedergenesung verbürgt. Es ist
nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß die Ausnahme der neuen
Sieuervorlagen. die dem französischen Steuerzahler ja erst die Lasten der Siege
in voller Deutlichkeit erfaßbar machen werden, die neue französische Negierung
zwingen wird, gegen den anscheinend säumigen Schuldner Deutschland mit den
äußersten ZwancMiaßregeln vorzugehen, sehr möglich, daß die neutralistische Be¬
wegung im Elsaß, die Diskussionen über die Verwaltung und später die periodi¬
schen Räumungen der Rheinlands und des SaarbeckenS diese Richtung immer
wieder verstärken werden, es kann aber — besonders bei der .Sprödigkeit des
englischen und mehr noch des amerikanischen Kapitals, Frankreich beim Tragen
seiner finanziellen Lasten zu helfen und bei der damit im Zusammenhang stehenden
fortschreitenden Entwertung des Franken — auch so kommen, daß das Gro߬
kapital seinen Einfluß auf die Kammer in dem Sinne geltend macht, daß man
sich entschließt, dem deutschen Kapital im gemeinsamen Interesse zu helfen.
Wirklich sind ja beide Länder durch die Tatsache der Verwüstung Nordfrankreichs,
von deren weitgehender Wirkung sich eigentlich nur der einen Begriff machen
kann, der sie mit Augen gesehen hat, zu Gedeih und Verderb aneinnndergekettet,
es ist aber durchaus nicht, wie die Wirtschaftspolitiker zu glauben Pflegen, der
Fall, daß die Menschen immer das wirtschaftlich Vernünftige tun. Der Mensch
lebt nicht vom Brot allein und es ist mehr als einmal in der Geschichte vor¬
gekommen, daß politische Entschließungen gegen wirtschaftliche Lebensinteressen
ausgefallen sind. Jedenfalls besteht Anlaß genug, vor übertriebenen Optimismus
in dieser Hinsicht zu warnen.¬
Für die belgischen und italienischen Wahlen charakteristisch ist, die Nieder
lage des Liberalismus und dementsprechend der Sieg Hder Sozialisten und (in
Italien) Klerikalen, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Klerikalismus in beiden
Ländern neuerdings starke sozialistische Tendenzen aufweist, vor allem aber, daß
auch hier die alten Parteien sich vielfach innerlich verändert haben. Die belgischen
Sozialisten zum Beispiel verdanken ihren Erfolg, ein Mehr von 27 Sitzen, außer
der Herabsetzung des aktiven Wahlrechts vom 25. aufs 21. Lebensjahr, einem
relativ gemäßigten Programm, ihrer ausdrücklichen Stellungnahme gegen den
Bolschewismus und — o Weltrevolution I — der Weigerung, nach dem Waffen¬
stillstand die Beziehungen, zur deutschen Sozialdemokratie wiederaufzunehmen-
In welcher Weise sich die Regierung bilden wird, ist noch unklar, da keine Partei
stark genug sein wird, für sich allein die Regierung zu übernehmen (gewählt sind
77 Katholiken, 67 Sozialisten, 33 Liberale, 3 flämische Aktivisten, 3 Frontparte,,
2 Vertreter des Mittelstandes, 1 Nationalpartei), so wäre ein Block aus Katholiken
und Sozialisten das gegebene. Aber es ist fraglich, ob er zustande kommen wird.
Die Sozialisten werden vielleicht ihre Bedingungen: Anerkennung des Achtstunden¬
tages und des Streikrechts usw. durchsetzen aber nicht geneigt sein, auf die
Forderung der Katholiken: volle Ausübung des Frauenstimmrechts einzugehen-
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