Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Neupolens wirtschaftliche Kräfte glänzende Entwicklung dem Deutschtum zugute gekommen wäre, würde sich in Die Provinz Westpreußen unterscheidet sich in ihrem wirtschaftlichen Auf¬ Neupolens wirtschaftliche Kräfte glänzende Entwicklung dem Deutschtum zugute gekommen wäre, würde sich in Die Provinz Westpreußen unterscheidet sich in ihrem wirtschaftlichen Auf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336557"/> <fw type="header" place="top"> Neupolens wirtschaftliche Kräfte</fw><lb/> <p xml:id="ID_982" prev="#ID_981"> glänzende Entwicklung dem Deutschtum zugute gekommen wäre, würde sich in<lb/> völligem Irrtum befinden. Gerade dem alten Posener, der nach längerer Ab¬<lb/> wesenheit in die Heimat zurückkehrte, mußte es auf Schritt und Tritt zum Bewußt¬<lb/> sein kommen, wie das polnische Wesen vorwärts drängte, und die Deutschen<lb/> immer mehr ins Hintertreffen gerieten. Es kam dies nicht so sehr in den<lb/> statistischen Ziffern zum Ausdruck, die bei 167 000 Einwohnern 42 Prozent<lb/> Deutsche neben 58 Prozent Ortsangehöriger polnischer Zunge zum Nachweis<lb/> brachten, sondern in den polnischen Warmhäusern, den Gastwirtschaften, die mehr<lb/> und mehr in polnische Hände übergegangen waren, und in der immer größeren<lb/> Zahl rein polnischer Ladenschilder, deren Besitzern an deutscher Kundschaft offenbar<lb/> nichts mehr gelegen war. Im Gasthaus der kleinen Stadt, wo der junge Rechts-<lb/> beflissene dreißig Jahre früher ein gern gesehener Gast gewesen war. sah er sich<lb/> jetzt geradezu al? Eindringling behandelt, und wer die Augen nicht geflissentlich ver¬<lb/> schloß, mußte inne werden, daß man inmitten einer zielbewußter Kriegsvorbereitung<lb/> stand, die durch die unausgesetzten Fehler, der von den „Kennern des Polentums"<lb/> geleiteten Politik der Nadelstiche nur immer mehr beschleunigt und in allen Einzel¬<lb/> heiten durchgearbeitet wurde. Hier erwies sich, daß das vielgerühmte Ansiedlungs-<lb/> Werk in einer Beziehung einen schlimmen politischen Fehler darstellte, indem es<lb/> den durch jüdische Wucherer dem Zusammenbruch nahegebrachten adligen Guts¬<lb/> besitzer aufkaufte, so daß er als Rentner nach Posen zog, wo er seine Muße in<lb/> den Dienst der polnischen Mobilmachung stellte. Zu seinem Gelde gesellten sich<lb/> die Ersparnisse der polnischen Arbeiter in den Industriegebieten des Westens, denen<lb/> man den Ankauf einer Bauernstelle in der Heimat verweigerte, und so sammelte<lb/> sich in den polnischen Banken und Kreditinstituten ein Kriegsschatz, der nicht nur<lb/> das wirtschaftliche Vorwärtskommen der Polen unterstützte, sondern zu gegebener<lb/> Zeit — und diese ist jetzt herbeigekommen — die Möglichkeit bieten sollte, dem<lb/> deutschen Wesen in jeder gewünschten Richtung jeden nur möglichen Abbruch zu<lb/> tun. Auch hier sprach Moritz Jaffö in seiner Stadtgeschichte vor Jahren schon<lb/> mahnende Worte, die leider ungehört verhallten. Jetzt ist das Deutschtum im<lb/> Posener Lande auf der ganzen Front geschlagen, deutsche Arbeit ist ausschließlich<lb/> zum Nutzen eines rührigen rücksichtslosen Feindes in größtem Umfang geleistet<lb/> worden, und gering ist die Hoffnung, daß es kommenden Geschlechtern beschieden<lb/> sein sollte, hier das verlorene Gelände wieder zu gewinnen. Was für Posen gilt,<lb/> wird für Gnesen durch den Generalsekretär Vosberg in dem oben erwähnten<lb/> Buche „Städte im Nationalitätenkampf" nachgewiesen, während die ungünstige<lb/> Lage des Deutschtums in den von der Verkehrsentwicklung nur benachteiligten<lb/> kleineren Städten in der Abhandlung des Bürgermeisters Zitzlaff überzeugend' er-<lb/> läutert wird. Nur für das immer noch überwiegend deutsche Bromberg mag eine<lb/> bessere Voraussicht auch heut noch berechtigt erscheinen, wenn anch die Tages¬<lb/> presse von dem schön ausgebauten Platze als von einer „sterbenden Stadt" ge¬<lb/> sprochen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_983" next="#ID_984"> Die Provinz Westpreußen unterscheidet sich in ihrem wirtschaftlichen Auf¬<lb/> bau, wenn man von Danzig absieht, nicht wesentlich von dem Posener Lande,<lb/> auch hier bildet bei wenig entwickelter Industrie die Landwirtschaft die vornehm-<lb/> nchste Grundlage des Broterwerbs. Bei der Schwierigkeit einer Abtrennung<lb/> Ueber wir die ganze Provinz einschließlich des der Abstimmung unterliegenden<lb/> Bezirks von Marienwerder für die beabsichtigten Erwägungen in Betracht. Die<lb/> Provinz umfaßt rund 25 000 Quadratkilometer mit 1,7 Millionen Einwohnern,<lb/> p»n denen 790 000 dem evangelischen, 880 000 dem katholischen Glaubens-<lb/> bekenntnis angehören, so daß rund 46 Prozent dem deutschen, 52 Prozent dem<lb/> polnischen Bestandteil der Bevölkerung zuzurechnen sein würden; die Zahl der<lb/> >?uden nimmt hier 8 vom 1000 der Gesamtzahl für sich in Anspruch. Die Polen<lb/> Md auch hier in starker Zunahme begriffen und drängen sich auch in den früher<lb/> Überwiegend deutschen Bezirken mehr und mehr in den Vordergrund. Gerade<lb/> das scharfe Vorgehen der deutschen Behörden aber, das augenfällig an Deutsche<lb/> und Polen zweierlei Maß anlegte, hat außerdem einen schnellen Rückgang des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0267]
Neupolens wirtschaftliche Kräfte
glänzende Entwicklung dem Deutschtum zugute gekommen wäre, würde sich in
völligem Irrtum befinden. Gerade dem alten Posener, der nach längerer Ab¬
wesenheit in die Heimat zurückkehrte, mußte es auf Schritt und Tritt zum Bewußt¬
sein kommen, wie das polnische Wesen vorwärts drängte, und die Deutschen
immer mehr ins Hintertreffen gerieten. Es kam dies nicht so sehr in den
statistischen Ziffern zum Ausdruck, die bei 167 000 Einwohnern 42 Prozent
Deutsche neben 58 Prozent Ortsangehöriger polnischer Zunge zum Nachweis
brachten, sondern in den polnischen Warmhäusern, den Gastwirtschaften, die mehr
und mehr in polnische Hände übergegangen waren, und in der immer größeren
Zahl rein polnischer Ladenschilder, deren Besitzern an deutscher Kundschaft offenbar
nichts mehr gelegen war. Im Gasthaus der kleinen Stadt, wo der junge Rechts-
beflissene dreißig Jahre früher ein gern gesehener Gast gewesen war. sah er sich
jetzt geradezu al? Eindringling behandelt, und wer die Augen nicht geflissentlich ver¬
schloß, mußte inne werden, daß man inmitten einer zielbewußter Kriegsvorbereitung
stand, die durch die unausgesetzten Fehler, der von den „Kennern des Polentums"
geleiteten Politik der Nadelstiche nur immer mehr beschleunigt und in allen Einzel¬
heiten durchgearbeitet wurde. Hier erwies sich, daß das vielgerühmte Ansiedlungs-
Werk in einer Beziehung einen schlimmen politischen Fehler darstellte, indem es
den durch jüdische Wucherer dem Zusammenbruch nahegebrachten adligen Guts¬
besitzer aufkaufte, so daß er als Rentner nach Posen zog, wo er seine Muße in
den Dienst der polnischen Mobilmachung stellte. Zu seinem Gelde gesellten sich
die Ersparnisse der polnischen Arbeiter in den Industriegebieten des Westens, denen
man den Ankauf einer Bauernstelle in der Heimat verweigerte, und so sammelte
sich in den polnischen Banken und Kreditinstituten ein Kriegsschatz, der nicht nur
das wirtschaftliche Vorwärtskommen der Polen unterstützte, sondern zu gegebener
Zeit — und diese ist jetzt herbeigekommen — die Möglichkeit bieten sollte, dem
deutschen Wesen in jeder gewünschten Richtung jeden nur möglichen Abbruch zu
tun. Auch hier sprach Moritz Jaffö in seiner Stadtgeschichte vor Jahren schon
mahnende Worte, die leider ungehört verhallten. Jetzt ist das Deutschtum im
Posener Lande auf der ganzen Front geschlagen, deutsche Arbeit ist ausschließlich
zum Nutzen eines rührigen rücksichtslosen Feindes in größtem Umfang geleistet
worden, und gering ist die Hoffnung, daß es kommenden Geschlechtern beschieden
sein sollte, hier das verlorene Gelände wieder zu gewinnen. Was für Posen gilt,
wird für Gnesen durch den Generalsekretär Vosberg in dem oben erwähnten
Buche „Städte im Nationalitätenkampf" nachgewiesen, während die ungünstige
Lage des Deutschtums in den von der Verkehrsentwicklung nur benachteiligten
kleineren Städten in der Abhandlung des Bürgermeisters Zitzlaff überzeugend' er-
läutert wird. Nur für das immer noch überwiegend deutsche Bromberg mag eine
bessere Voraussicht auch heut noch berechtigt erscheinen, wenn anch die Tages¬
presse von dem schön ausgebauten Platze als von einer „sterbenden Stadt" ge¬
sprochen hat.
Die Provinz Westpreußen unterscheidet sich in ihrem wirtschaftlichen Auf¬
bau, wenn man von Danzig absieht, nicht wesentlich von dem Posener Lande,
auch hier bildet bei wenig entwickelter Industrie die Landwirtschaft die vornehm-
nchste Grundlage des Broterwerbs. Bei der Schwierigkeit einer Abtrennung
Ueber wir die ganze Provinz einschließlich des der Abstimmung unterliegenden
Bezirks von Marienwerder für die beabsichtigten Erwägungen in Betracht. Die
Provinz umfaßt rund 25 000 Quadratkilometer mit 1,7 Millionen Einwohnern,
p»n denen 790 000 dem evangelischen, 880 000 dem katholischen Glaubens-
bekenntnis angehören, so daß rund 46 Prozent dem deutschen, 52 Prozent dem
polnischen Bestandteil der Bevölkerung zuzurechnen sein würden; die Zahl der
>?uden nimmt hier 8 vom 1000 der Gesamtzahl für sich in Anspruch. Die Polen
Md auch hier in starker Zunahme begriffen und drängen sich auch in den früher
Überwiegend deutschen Bezirken mehr und mehr in den Vordergrund. Gerade
das scharfe Vorgehen der deutschen Behörden aber, das augenfällig an Deutsche
und Polen zweierlei Maß anlegte, hat außerdem einen schnellen Rückgang des
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