Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Aktive Außenpolitik! führenden Köpfen die Feinde Deutschlands als der Krieg 1914 ausbrach und Ob sich dieser Haß bereits ausgetobt hat? Die Frage mag unerörtert Jetzt treten wir in den so überaus wichtigen Abschnitt der deutsch- 21"
Aktive Außenpolitik! führenden Köpfen die Feinde Deutschlands als der Krieg 1914 ausbrach und Ob sich dieser Haß bereits ausgetobt hat? Die Frage mag unerörtert Jetzt treten wir in den so überaus wichtigen Abschnitt der deutsch- 21»
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336549"/> <fw type="header" place="top"> Aktive Außenpolitik!</fw><lb/> <p xml:id="ID_952" prev="#ID_951"> führenden Köpfen die Feinde Deutschlands als der Krieg 1914 ausbrach und<lb/> fast die ganze Welt gegen das Deutschtum in die Schranken trat. Sie hofften<lb/> Zwar nicht auf den Sieg Rußlands, aber wenn sie damals zwischen Deutschland und<lb/> Rußland zu wählen gehabt hätten, wären sie zu Rußland gegangen, das augenschein¬<lb/> lich vor der Revolution stand, während Deutschland einen unerschütterlichen Eindruck<lb/> machte. Die Gefahr national im Russentum untergehen zu müssen, schien<lb/> damals nicht so groß. Bethmann Hollwegs Polenkurs konnte in die Gesamt¬<lb/> richtung der polnischen Sympathien gewisse Schwankungen hineintragen, solange<lb/> die deutschen Waffen siegreich blieben. Beim ersten Anzeichen für die innere<lb/> Schwäche der Mittelmächte setzte sich ganz folgerichtig die uns feindliche<lb/> Richtung durch, die ihre Hoffnung auf die Entente stellte. Unsere Schwäche<lb/> ist den Polen nicht erst 1916 oder gar erst 1918 offenbar geworden. Schon<lb/> M Winter 1914/15. als die Verhandlungen zwischen Berlin und Wien wegen<lb/> der Verteilung des polnischen Etappen- und Verwaltungsgebiets geführt wurden,<lb/> ^fuhren sie von dem tiefen Riß, der die Bundesgenossen in allen ihren<lb/> Politischen und militärischen Maßnahmen behinderte. Die Stimmung gegen<lb/> Deutschland wächst mit der Ausdehnung der Besetzung Polens und der schärferen<lb/> Ausnutzung des Landes in wirtschaftlicher Beziehung, als natürliche Folge<lb/> dieser Maßnahmen. Nach dem völligen Zusammenbruch Rußlands erscheint<lb/> ein siegreiches Deutschland nicht mehr als Freiheitshort für die Zukunft<lb/> Polens, sondern als das einzige Hindernis für die Wiederaufrichtung eines<lb/> völlig unabhängigen Polenstaates mit einem Zugänge zum Meer. Der Verlauf<lb/> der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk erschütterte das Vertrauen der<lb/> wenigen Freunde Deutschlands und als nach den programmatischen Erklärungen<lb/> d/es preußischen Ministers Drews im März 1918 die Herren Trampczynski<lb/> und Korfanty im Reichstage den Schleier von den weitgehenden gegen den<lb/> Bestand des alten Preußen gerichteten Wünschen der Polen lüften, wissen sie das<lb/> gesamte polnische Volk hinter sich im Haß gegen den wankenden Riesen<lb/> Deutschland.</p><lb/> <p xml:id="ID_953"> Ob sich dieser Haß bereits ausgetobt hat? Die Frage mag unerörtert<lb/> bleiben. — ich glaube es nicht. Wo er verschwindet, tritt jedenfalls zunächst<lb/> ein anderes Gefühl ein: die Furcht! Und — die Furcht hat große Augen,<lb/> sagt ein russisches Sprichwort. Die Polen, denen der neue polnische Staat<lb/> zuletzt fast ohne Schwertstreich, vorwiegend als Ergebnis des diplomatischen<lb/> Siegs der Entente über Deutschland zugefallen ist. fürchten die frühzeitige<lb/> Wiedergeburt der Deutschen. Haß und Furcht aber sind schlechte Berater.</p><lb/> <p xml:id="ID_954" next="#ID_955"> Jetzt treten wir in den so überaus wichtigen Abschnitt der deutsch-<lb/> polnischen Beziehungen, in dem beide überwunden werden können, indem sich<lb/> entscheiden muß, ob Polen wirklich „der" Feind im Osten werden wird oder<lb/> U'ehe. Die Entscheidung kann nicht einseitig gefällt werden, weder von den<lb/> ÄüSbegünstigten Polen, noch von den unterlegenen Deutschen. Auf beiden Seiten<lb/> uwß ein Ausgleichswille vorhanden sein. Es ist daher Aufgabe einer aktiven<lb/> deutschen Außenpolitik, die tragenden Elemente der deutsch-polnischen Beziehungen<lb/> Mit der größten Sorgfalt zu erforschen und alles gemeinsame und vereinigende zu<lb/> Pflegen, das trennende aber auszuscheiden oder zu überbrücken. Nachdem die<lb/> deutsche Negierung das Diktat von Versailles angenommen hat. durch das<lb/> annähernd zwei Millionen Deutsche dem polnischen Staate zugeteilt werden,<lb/> Nachdem die Regierung sich auch prinzipiell zu den Grundsätzen der Völker-<lb/> vundsideen bekannt hat, ist der Weg, den das Deutsche Reich den Polen gegenüber<lb/> einzuschlagen hat, klar vorgezeichnet. Deutschland würde die neuerworbenen Rechte<lb/> der Polen offensichtlich bedrohen, wenn es eine Politik der Wiedervereinigung</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 21»</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0259]
Aktive Außenpolitik!
führenden Köpfen die Feinde Deutschlands als der Krieg 1914 ausbrach und
fast die ganze Welt gegen das Deutschtum in die Schranken trat. Sie hofften
Zwar nicht auf den Sieg Rußlands, aber wenn sie damals zwischen Deutschland und
Rußland zu wählen gehabt hätten, wären sie zu Rußland gegangen, das augenschein¬
lich vor der Revolution stand, während Deutschland einen unerschütterlichen Eindruck
machte. Die Gefahr national im Russentum untergehen zu müssen, schien
damals nicht so groß. Bethmann Hollwegs Polenkurs konnte in die Gesamt¬
richtung der polnischen Sympathien gewisse Schwankungen hineintragen, solange
die deutschen Waffen siegreich blieben. Beim ersten Anzeichen für die innere
Schwäche der Mittelmächte setzte sich ganz folgerichtig die uns feindliche
Richtung durch, die ihre Hoffnung auf die Entente stellte. Unsere Schwäche
ist den Polen nicht erst 1916 oder gar erst 1918 offenbar geworden. Schon
M Winter 1914/15. als die Verhandlungen zwischen Berlin und Wien wegen
der Verteilung des polnischen Etappen- und Verwaltungsgebiets geführt wurden,
^fuhren sie von dem tiefen Riß, der die Bundesgenossen in allen ihren
Politischen und militärischen Maßnahmen behinderte. Die Stimmung gegen
Deutschland wächst mit der Ausdehnung der Besetzung Polens und der schärferen
Ausnutzung des Landes in wirtschaftlicher Beziehung, als natürliche Folge
dieser Maßnahmen. Nach dem völligen Zusammenbruch Rußlands erscheint
ein siegreiches Deutschland nicht mehr als Freiheitshort für die Zukunft
Polens, sondern als das einzige Hindernis für die Wiederaufrichtung eines
völlig unabhängigen Polenstaates mit einem Zugänge zum Meer. Der Verlauf
der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk erschütterte das Vertrauen der
wenigen Freunde Deutschlands und als nach den programmatischen Erklärungen
d/es preußischen Ministers Drews im März 1918 die Herren Trampczynski
und Korfanty im Reichstage den Schleier von den weitgehenden gegen den
Bestand des alten Preußen gerichteten Wünschen der Polen lüften, wissen sie das
gesamte polnische Volk hinter sich im Haß gegen den wankenden Riesen
Deutschland.
Ob sich dieser Haß bereits ausgetobt hat? Die Frage mag unerörtert
bleiben. — ich glaube es nicht. Wo er verschwindet, tritt jedenfalls zunächst
ein anderes Gefühl ein: die Furcht! Und — die Furcht hat große Augen,
sagt ein russisches Sprichwort. Die Polen, denen der neue polnische Staat
zuletzt fast ohne Schwertstreich, vorwiegend als Ergebnis des diplomatischen
Siegs der Entente über Deutschland zugefallen ist. fürchten die frühzeitige
Wiedergeburt der Deutschen. Haß und Furcht aber sind schlechte Berater.
Jetzt treten wir in den so überaus wichtigen Abschnitt der deutsch-
polnischen Beziehungen, in dem beide überwunden werden können, indem sich
entscheiden muß, ob Polen wirklich „der" Feind im Osten werden wird oder
U'ehe. Die Entscheidung kann nicht einseitig gefällt werden, weder von den
ÄüSbegünstigten Polen, noch von den unterlegenen Deutschen. Auf beiden Seiten
uwß ein Ausgleichswille vorhanden sein. Es ist daher Aufgabe einer aktiven
deutschen Außenpolitik, die tragenden Elemente der deutsch-polnischen Beziehungen
Mit der größten Sorgfalt zu erforschen und alles gemeinsame und vereinigende zu
Pflegen, das trennende aber auszuscheiden oder zu überbrücken. Nachdem die
deutsche Negierung das Diktat von Versailles angenommen hat. durch das
annähernd zwei Millionen Deutsche dem polnischen Staate zugeteilt werden,
Nachdem die Regierung sich auch prinzipiell zu den Grundsätzen der Völker-
vundsideen bekannt hat, ist der Weg, den das Deutsche Reich den Polen gegenüber
einzuschlagen hat, klar vorgezeichnet. Deutschland würde die neuerworbenen Rechte
der Polen offensichtlich bedrohen, wenn es eine Politik der Wiedervereinigung
21»
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |