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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Rumänien

Macht gelangenden Ungarn aufs neue Beziehungen zu Deutschland herstellen und
auf diese Weise Deutschlands Brücke zum Orient bauen helfen könnten. Hinzu¬
kommt, dasz die im Lande allmächtigen rumänischen Militärbehörden aller poli¬
tischen Ziele ungeachtet sich an das Nächstliegende halten und an Beute nehmen,
was sie nur kriegen können. In "wahrhaft großzügiger" und mithin skrupel¬
losester Weise wird alles, was den Rumänen irgendwie brauchbar erscheint: Eisen-
bahnmaterial, Rohstoffe, Maschinen, Lebensmittel requiriert, wobei das Beispiel
des Staates dem rumänischen Militär derartig in Fleisch und Blut übergeht, daß
sie es osteuropäischen Gepflogenheiten getreu auch zu Privatzwecken nachahmen.
Man braucht nicht alle diesbezüglich umlaufenden Schauermären im einzelnen zu
glauben oder zu verallgemeinern, wenn aber sogar der rumänenfreundliche Be-
richterstatter des "Matin" erzählt: "Gewisse Requisitionen sind geschmacklos und
unvernünftig. Wenn es auch keineswegs zutrifft, daß die Rumänen die Buda¬
pester Trambahnen beschlagnahmt haben, wie erzählt wurde, so haben sie sich doch
in Privatwohnungen oder auf der Straße (!) gewisser Gegenstände bemächtigt,
deren Mangel das Leben des Landes stillegt, ohne ihnen selbst unentbehrlich zu
sein. Ebenso erscheinen mir, nach allem, was ich erzählen höre, die bei den
Bauern vollzogenen Requisitionen allzu radikal," so kann man sich ein Bild da¬
von machen, wie die rumänische Soldateska im Lande haust. Man muß dabei
bedenken, daß auch die österreichisch-ungarische Kriegführung Rumänien schwere
Wunden geschlagen hat und daß ganz abgesehen von begreiflichen Rachegefühlen
jeder rumänische Offizier glauben kann, nur seine vaterländische Pflicht zu tun,
wenn er den feindlichen Staat durch Requisitionen aller Art möglichst schwächt.
Offiziell behaupten die Rumänen gegenüber den zahlreichen Protestnoten der
Pariser Konferenz, daß sie mir das seinerzeit durch die Ungarn in Rumänien
requirierte Material zurückführen. Die Entente, die, Ungarn natürlich im Interesse
des Friedenszustandes und um neue Bolschewistenunruhen zu vermeiden, wenigstens
die notwendigsten Mittel zum Wiederaufbau lassen möchte, wendet ein, daß die
angrenzenden Staaten ihre Ersatzansprüche gemeinsam anmelden müßten, um
späterhin, nach umfassender Bestandsaufnahme im Verhältnis der entstandenen
Verluste befriedigt zu werden, die Rumänen aber erwidern, daß es sich jetzt gar
nicht mehr um die Liquidierung des Weltkrieges, sondern ihres eigenen, besonderen
Krieges gegen die Bolschewisten handelt. Das ganze Hin und Her des Notenwechsels
ist überaus bezeichnend für die Veränderung, die inzwischen in den Machtverhält¬
nissen eingetreten ist. Die Rumänen leugnen entweder den Empfang der Protest¬
noten oder ziehen die Antwort hin oder versichern, entsprechende Befehle erteilt
zu haben, die natürlich nicht befolgt werden. Endlich, nach drei Monaten, nach¬
dem wahrscheinlich nichts mehr zu holen ist, ist es der Entente durch Bedrohung
Konstanzas gelungen, die Rumänen zum Abzug aus Bukarest zu bewegen. Ob
sie dabei beträchtlich hinter die alte, von der Entente festgesetzte Demarkationslinie
oder wie sie sollen, nur hinter die Theiß zurückgehen, ist zweifelhaft, jedenfalls
darf man gespannt darauf sein, wie sich in den nächsten Wochen die Dinge in
Budapest entwickeln werden. Entweder es entstehen hier neue Unruhen, die er¬
neutes Eingreifen der Rumänen notwendig machen werden, oder die Monarchisten
setzen ihre Pläne durch -- neuerdings spricht man von der Prätendentschaft des
Erzherzogs Otto, des siebenjährigen Sohnes Kaiser Karls, was einer diploma¬
tischen Niederlage mindestens Frankreichs, das sich gegen eine Habsburgische
Restauration festgelegt hat, gleichkäme. Daß eine solche schon aus dynastischen,
aber auch aus wirtschaftlichen Gründen ein lebhaftes Interesse daran hätte, ein
Einvernehmen zu Rumänien, dem vorläufig einzigen noch monarchisch regierten
Lande Osteuropas herzustellen, liegt auf der Hand; in welcher Form das ge¬
schehen würde, hängt ganz von der Art der Regentschaft ab, es ist aber anzu¬
nehmen, daß es im oben bezeichneten Sinne der in der Mehrzahl monarchistisch
gesinnten Großgrundbesitzer der Fall sein wird.

Die Frage ist allerdings, ob Rumänien imstande sein wird, seine Opposition
gegen den österreichischen Friedensvertrag ans die Dauer aufrecht zu erhalten.


Rumänien

Macht gelangenden Ungarn aufs neue Beziehungen zu Deutschland herstellen und
auf diese Weise Deutschlands Brücke zum Orient bauen helfen könnten. Hinzu¬
kommt, dasz die im Lande allmächtigen rumänischen Militärbehörden aller poli¬
tischen Ziele ungeachtet sich an das Nächstliegende halten und an Beute nehmen,
was sie nur kriegen können. In „wahrhaft großzügiger" und mithin skrupel¬
losester Weise wird alles, was den Rumänen irgendwie brauchbar erscheint: Eisen-
bahnmaterial, Rohstoffe, Maschinen, Lebensmittel requiriert, wobei das Beispiel
des Staates dem rumänischen Militär derartig in Fleisch und Blut übergeht, daß
sie es osteuropäischen Gepflogenheiten getreu auch zu Privatzwecken nachahmen.
Man braucht nicht alle diesbezüglich umlaufenden Schauermären im einzelnen zu
glauben oder zu verallgemeinern, wenn aber sogar der rumänenfreundliche Be-
richterstatter des „Matin" erzählt: „Gewisse Requisitionen sind geschmacklos und
unvernünftig. Wenn es auch keineswegs zutrifft, daß die Rumänen die Buda¬
pester Trambahnen beschlagnahmt haben, wie erzählt wurde, so haben sie sich doch
in Privatwohnungen oder auf der Straße (!) gewisser Gegenstände bemächtigt,
deren Mangel das Leben des Landes stillegt, ohne ihnen selbst unentbehrlich zu
sein. Ebenso erscheinen mir, nach allem, was ich erzählen höre, die bei den
Bauern vollzogenen Requisitionen allzu radikal," so kann man sich ein Bild da¬
von machen, wie die rumänische Soldateska im Lande haust. Man muß dabei
bedenken, daß auch die österreichisch-ungarische Kriegführung Rumänien schwere
Wunden geschlagen hat und daß ganz abgesehen von begreiflichen Rachegefühlen
jeder rumänische Offizier glauben kann, nur seine vaterländische Pflicht zu tun,
wenn er den feindlichen Staat durch Requisitionen aller Art möglichst schwächt.
Offiziell behaupten die Rumänen gegenüber den zahlreichen Protestnoten der
Pariser Konferenz, daß sie mir das seinerzeit durch die Ungarn in Rumänien
requirierte Material zurückführen. Die Entente, die, Ungarn natürlich im Interesse
des Friedenszustandes und um neue Bolschewistenunruhen zu vermeiden, wenigstens
die notwendigsten Mittel zum Wiederaufbau lassen möchte, wendet ein, daß die
angrenzenden Staaten ihre Ersatzansprüche gemeinsam anmelden müßten, um
späterhin, nach umfassender Bestandsaufnahme im Verhältnis der entstandenen
Verluste befriedigt zu werden, die Rumänen aber erwidern, daß es sich jetzt gar
nicht mehr um die Liquidierung des Weltkrieges, sondern ihres eigenen, besonderen
Krieges gegen die Bolschewisten handelt. Das ganze Hin und Her des Notenwechsels
ist überaus bezeichnend für die Veränderung, die inzwischen in den Machtverhält¬
nissen eingetreten ist. Die Rumänen leugnen entweder den Empfang der Protest¬
noten oder ziehen die Antwort hin oder versichern, entsprechende Befehle erteilt
zu haben, die natürlich nicht befolgt werden. Endlich, nach drei Monaten, nach¬
dem wahrscheinlich nichts mehr zu holen ist, ist es der Entente durch Bedrohung
Konstanzas gelungen, die Rumänen zum Abzug aus Bukarest zu bewegen. Ob
sie dabei beträchtlich hinter die alte, von der Entente festgesetzte Demarkationslinie
oder wie sie sollen, nur hinter die Theiß zurückgehen, ist zweifelhaft, jedenfalls
darf man gespannt darauf sein, wie sich in den nächsten Wochen die Dinge in
Budapest entwickeln werden. Entweder es entstehen hier neue Unruhen, die er¬
neutes Eingreifen der Rumänen notwendig machen werden, oder die Monarchisten
setzen ihre Pläne durch — neuerdings spricht man von der Prätendentschaft des
Erzherzogs Otto, des siebenjährigen Sohnes Kaiser Karls, was einer diploma¬
tischen Niederlage mindestens Frankreichs, das sich gegen eine Habsburgische
Restauration festgelegt hat, gleichkäme. Daß eine solche schon aus dynastischen,
aber auch aus wirtschaftlichen Gründen ein lebhaftes Interesse daran hätte, ein
Einvernehmen zu Rumänien, dem vorläufig einzigen noch monarchisch regierten
Lande Osteuropas herzustellen, liegt auf der Hand; in welcher Form das ge¬
schehen würde, hängt ganz von der Art der Regentschaft ab, es ist aber anzu¬
nehmen, daß es im oben bezeichneten Sinne der in der Mehrzahl monarchistisch
gesinnten Großgrundbesitzer der Fall sein wird.

Die Frage ist allerdings, ob Rumänien imstande sein wird, seine Opposition
gegen den österreichischen Friedensvertrag ans die Dauer aufrecht zu erhalten.


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[0224] Rumänien Macht gelangenden Ungarn aufs neue Beziehungen zu Deutschland herstellen und auf diese Weise Deutschlands Brücke zum Orient bauen helfen könnten. Hinzu¬ kommt, dasz die im Lande allmächtigen rumänischen Militärbehörden aller poli¬ tischen Ziele ungeachtet sich an das Nächstliegende halten und an Beute nehmen, was sie nur kriegen können. In „wahrhaft großzügiger" und mithin skrupel¬ losester Weise wird alles, was den Rumänen irgendwie brauchbar erscheint: Eisen- bahnmaterial, Rohstoffe, Maschinen, Lebensmittel requiriert, wobei das Beispiel des Staates dem rumänischen Militär derartig in Fleisch und Blut übergeht, daß sie es osteuropäischen Gepflogenheiten getreu auch zu Privatzwecken nachahmen. Man braucht nicht alle diesbezüglich umlaufenden Schauermären im einzelnen zu glauben oder zu verallgemeinern, wenn aber sogar der rumänenfreundliche Be- richterstatter des „Matin" erzählt: „Gewisse Requisitionen sind geschmacklos und unvernünftig. Wenn es auch keineswegs zutrifft, daß die Rumänen die Buda¬ pester Trambahnen beschlagnahmt haben, wie erzählt wurde, so haben sie sich doch in Privatwohnungen oder auf der Straße (!) gewisser Gegenstände bemächtigt, deren Mangel das Leben des Landes stillegt, ohne ihnen selbst unentbehrlich zu sein. Ebenso erscheinen mir, nach allem, was ich erzählen höre, die bei den Bauern vollzogenen Requisitionen allzu radikal," so kann man sich ein Bild da¬ von machen, wie die rumänische Soldateska im Lande haust. Man muß dabei bedenken, daß auch die österreichisch-ungarische Kriegführung Rumänien schwere Wunden geschlagen hat und daß ganz abgesehen von begreiflichen Rachegefühlen jeder rumänische Offizier glauben kann, nur seine vaterländische Pflicht zu tun, wenn er den feindlichen Staat durch Requisitionen aller Art möglichst schwächt. Offiziell behaupten die Rumänen gegenüber den zahlreichen Protestnoten der Pariser Konferenz, daß sie mir das seinerzeit durch die Ungarn in Rumänien requirierte Material zurückführen. Die Entente, die, Ungarn natürlich im Interesse des Friedenszustandes und um neue Bolschewistenunruhen zu vermeiden, wenigstens die notwendigsten Mittel zum Wiederaufbau lassen möchte, wendet ein, daß die angrenzenden Staaten ihre Ersatzansprüche gemeinsam anmelden müßten, um späterhin, nach umfassender Bestandsaufnahme im Verhältnis der entstandenen Verluste befriedigt zu werden, die Rumänen aber erwidern, daß es sich jetzt gar nicht mehr um die Liquidierung des Weltkrieges, sondern ihres eigenen, besonderen Krieges gegen die Bolschewisten handelt. Das ganze Hin und Her des Notenwechsels ist überaus bezeichnend für die Veränderung, die inzwischen in den Machtverhält¬ nissen eingetreten ist. Die Rumänen leugnen entweder den Empfang der Protest¬ noten oder ziehen die Antwort hin oder versichern, entsprechende Befehle erteilt zu haben, die natürlich nicht befolgt werden. Endlich, nach drei Monaten, nach¬ dem wahrscheinlich nichts mehr zu holen ist, ist es der Entente durch Bedrohung Konstanzas gelungen, die Rumänen zum Abzug aus Bukarest zu bewegen. Ob sie dabei beträchtlich hinter die alte, von der Entente festgesetzte Demarkationslinie oder wie sie sollen, nur hinter die Theiß zurückgehen, ist zweifelhaft, jedenfalls darf man gespannt darauf sein, wie sich in den nächsten Wochen die Dinge in Budapest entwickeln werden. Entweder es entstehen hier neue Unruhen, die er¬ neutes Eingreifen der Rumänen notwendig machen werden, oder die Monarchisten setzen ihre Pläne durch — neuerdings spricht man von der Prätendentschaft des Erzherzogs Otto, des siebenjährigen Sohnes Kaiser Karls, was einer diploma¬ tischen Niederlage mindestens Frankreichs, das sich gegen eine Habsburgische Restauration festgelegt hat, gleichkäme. Daß eine solche schon aus dynastischen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen ein lebhaftes Interesse daran hätte, ein Einvernehmen zu Rumänien, dem vorläufig einzigen noch monarchisch regierten Lande Osteuropas herzustellen, liegt auf der Hand; in welcher Form das ge¬ schehen würde, hängt ganz von der Art der Regentschaft ab, es ist aber anzu¬ nehmen, daß es im oben bezeichneten Sinne der in der Mehrzahl monarchistisch gesinnten Großgrundbesitzer der Fall sein wird. Die Frage ist allerdings, ob Rumänien imstande sein wird, seine Opposition gegen den österreichischen Friedensvertrag ans die Dauer aufrecht zu erhalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/224>, abgerufen am 15.01.2025.