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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Ueber deutsch-esthnische Handelsbeziehungen

Schnell und glatt ging die Genehmigung der Fünfzig-Millionen-Dollar-
Anleihe in erster Lesung der konstituierenden Versammlung vonstatten. Viel
schneller als die Gehaltsfrage der Lehrer, wo es sich um einige zehn Mark
handelte.

Es interessiert die konstituierende Versammlung nicht, ob nach den Waren,
für welche diese Außenanleihe benötigt wird, bei uns auch Bedarf vorhanden
ist, und ob die Anleihebedingungen annehmbar sind oder unsere Kräfte über¬
steigen. Es wird nicht einmal für nötig befunden, das Gutachten der Finanz¬
kommission anzuhören, denn die Sache eilt sehr usw. Schließlich heißt es
in dem Artikel: "Haben die Mitglieder der konstituierenden Versammlung
nicht schon Geschichten gehört, die sehr glaubwürdig erscheinen, nämlich, daß
unter den auf den Schiffen befindlichen Heeresbeständen auch Zehntausende von
Kisten mit getrockneten Kartoffeln und Früchten sind, welche abgesehen von ihrer
Untauglichkeit bei uns nicht im geringsten benötigt werden."


Inzwischen aber sind einige Wochen vergangen. Die Presse meldete, daß
d:e Anleihe (fürs erste zwanzig Millionen Dollar) schon perfekt sei; die Waren
seien bereits angekommen. Unter ihnen befanden sich, wie jetzt feststeht, fünfzig¬
tausend Kisten getrockneter Kartoffeln, an denen in Esthland, einem der leistungs-
Migsten Kartoffelproduzenten im Osten, selbst in den schlimmsten Zeiten nie
Mangel geherrscht hat. Das war eine harte Belastungsprobe des öffentlichen
Vertrauens in die neuen Geldgeber.

Wer unter den Esthen gelebt hat, weiß, daß im Volkscharakter neben
schwerem Starrsinn ein tiefverwurzeltes Mißtrauen lebendig ist. Auch die Dollar¬
anleihe, welche nach Berechnung des "Paewaleht" eine Belastung von tausendfünf¬
hundert esthnischen Mark (nach augenblicklicher Währung) für jeden Staatsbürger
bedeutet, ist nach alledem kaum dazu angetan, Vertrauen zu erwecken.

Der deutsche Handel dagegen brauchte das öffentliche Vertrauen nicht erst
Zu suchen. Er besitzt es bereits. Wir hörten oft die fast zum Sprichwort
gewordene Redensart: "IZM sses el petra" (der Deutsche betrügt doch nicht),
praglos haben die Esthen die Deutschen gehaßt und beneidet bis zur äußerlich
w die Erscheinung tretenden Abneigung -- geachtet haben sie sie trotzdem, auch
wenn viele von ihnen gleich manchem anderen russischen Teilvolke es nicht
Zugehen wollten.

An Waren erwartet den deutschen Handel in Esthland zehn Millionen
^leer Spiritus, die zu Ausfuhrzwecken nach Amerika, England und Deutschland
bestimmt sind. In Fellin wird eine Fabrik zur Anfertigung von Ol aus Leinsaat
eingerichtet. Ein Artikel im "Maaliit" vom 5. September 1919 "Kursänderung
'u unserer Handelspolitik" stellt die Aufhebung des Flachsmonopols in Aussicht,
^-s wird sich manches andere finden, wenn der ernsthafte deutsche Handel es erst
wagt, wieder Beziehungen zu Esthland anzuknüpfen. Der Weg ist nicht geebnet,
einem klarsehenden tatkräftigen und ehrenhaften Unternehmertum aber gangbar.




Ueber deutsch-esthnische Handelsbeziehungen

Schnell und glatt ging die Genehmigung der Fünfzig-Millionen-Dollar-
Anleihe in erster Lesung der konstituierenden Versammlung vonstatten. Viel
schneller als die Gehaltsfrage der Lehrer, wo es sich um einige zehn Mark
handelte.

Es interessiert die konstituierende Versammlung nicht, ob nach den Waren,
für welche diese Außenanleihe benötigt wird, bei uns auch Bedarf vorhanden
ist, und ob die Anleihebedingungen annehmbar sind oder unsere Kräfte über¬
steigen. Es wird nicht einmal für nötig befunden, das Gutachten der Finanz¬
kommission anzuhören, denn die Sache eilt sehr usw. Schließlich heißt es
in dem Artikel: „Haben die Mitglieder der konstituierenden Versammlung
nicht schon Geschichten gehört, die sehr glaubwürdig erscheinen, nämlich, daß
unter den auf den Schiffen befindlichen Heeresbeständen auch Zehntausende von
Kisten mit getrockneten Kartoffeln und Früchten sind, welche abgesehen von ihrer
Untauglichkeit bei uns nicht im geringsten benötigt werden."


Inzwischen aber sind einige Wochen vergangen. Die Presse meldete, daß
d:e Anleihe (fürs erste zwanzig Millionen Dollar) schon perfekt sei; die Waren
seien bereits angekommen. Unter ihnen befanden sich, wie jetzt feststeht, fünfzig¬
tausend Kisten getrockneter Kartoffeln, an denen in Esthland, einem der leistungs-
Migsten Kartoffelproduzenten im Osten, selbst in den schlimmsten Zeiten nie
Mangel geherrscht hat. Das war eine harte Belastungsprobe des öffentlichen
Vertrauens in die neuen Geldgeber.

Wer unter den Esthen gelebt hat, weiß, daß im Volkscharakter neben
schwerem Starrsinn ein tiefverwurzeltes Mißtrauen lebendig ist. Auch die Dollar¬
anleihe, welche nach Berechnung des „Paewaleht" eine Belastung von tausendfünf¬
hundert esthnischen Mark (nach augenblicklicher Währung) für jeden Staatsbürger
bedeutet, ist nach alledem kaum dazu angetan, Vertrauen zu erwecken.

Der deutsche Handel dagegen brauchte das öffentliche Vertrauen nicht erst
Zu suchen. Er besitzt es bereits. Wir hörten oft die fast zum Sprichwort
gewordene Redensart: „IZM sses el petra" (der Deutsche betrügt doch nicht),
praglos haben die Esthen die Deutschen gehaßt und beneidet bis zur äußerlich
w die Erscheinung tretenden Abneigung — geachtet haben sie sie trotzdem, auch
wenn viele von ihnen gleich manchem anderen russischen Teilvolke es nicht
Zugehen wollten.

An Waren erwartet den deutschen Handel in Esthland zehn Millionen
^leer Spiritus, die zu Ausfuhrzwecken nach Amerika, England und Deutschland
bestimmt sind. In Fellin wird eine Fabrik zur Anfertigung von Ol aus Leinsaat
eingerichtet. Ein Artikel im „Maaliit" vom 5. September 1919 „Kursänderung
'u unserer Handelspolitik" stellt die Aufhebung des Flachsmonopols in Aussicht,
^-s wird sich manches andere finden, wenn der ernsthafte deutsche Handel es erst
wagt, wieder Beziehungen zu Esthland anzuknüpfen. Der Weg ist nicht geebnet,
einem klarsehenden tatkräftigen und ehrenhaften Unternehmertum aber gangbar.




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[0221] Ueber deutsch-esthnische Handelsbeziehungen Schnell und glatt ging die Genehmigung der Fünfzig-Millionen-Dollar- Anleihe in erster Lesung der konstituierenden Versammlung vonstatten. Viel schneller als die Gehaltsfrage der Lehrer, wo es sich um einige zehn Mark handelte. Es interessiert die konstituierende Versammlung nicht, ob nach den Waren, für welche diese Außenanleihe benötigt wird, bei uns auch Bedarf vorhanden ist, und ob die Anleihebedingungen annehmbar sind oder unsere Kräfte über¬ steigen. Es wird nicht einmal für nötig befunden, das Gutachten der Finanz¬ kommission anzuhören, denn die Sache eilt sehr usw. Schließlich heißt es in dem Artikel: „Haben die Mitglieder der konstituierenden Versammlung nicht schon Geschichten gehört, die sehr glaubwürdig erscheinen, nämlich, daß unter den auf den Schiffen befindlichen Heeresbeständen auch Zehntausende von Kisten mit getrockneten Kartoffeln und Früchten sind, welche abgesehen von ihrer Untauglichkeit bei uns nicht im geringsten benötigt werden." Inzwischen aber sind einige Wochen vergangen. Die Presse meldete, daß d:e Anleihe (fürs erste zwanzig Millionen Dollar) schon perfekt sei; die Waren seien bereits angekommen. Unter ihnen befanden sich, wie jetzt feststeht, fünfzig¬ tausend Kisten getrockneter Kartoffeln, an denen in Esthland, einem der leistungs- Migsten Kartoffelproduzenten im Osten, selbst in den schlimmsten Zeiten nie Mangel geherrscht hat. Das war eine harte Belastungsprobe des öffentlichen Vertrauens in die neuen Geldgeber. Wer unter den Esthen gelebt hat, weiß, daß im Volkscharakter neben schwerem Starrsinn ein tiefverwurzeltes Mißtrauen lebendig ist. Auch die Dollar¬ anleihe, welche nach Berechnung des „Paewaleht" eine Belastung von tausendfünf¬ hundert esthnischen Mark (nach augenblicklicher Währung) für jeden Staatsbürger bedeutet, ist nach alledem kaum dazu angetan, Vertrauen zu erwecken. Der deutsche Handel dagegen brauchte das öffentliche Vertrauen nicht erst Zu suchen. Er besitzt es bereits. Wir hörten oft die fast zum Sprichwort gewordene Redensart: „IZM sses el petra" (der Deutsche betrügt doch nicht), praglos haben die Esthen die Deutschen gehaßt und beneidet bis zur äußerlich w die Erscheinung tretenden Abneigung — geachtet haben sie sie trotzdem, auch wenn viele von ihnen gleich manchem anderen russischen Teilvolke es nicht Zugehen wollten. An Waren erwartet den deutschen Handel in Esthland zehn Millionen ^leer Spiritus, die zu Ausfuhrzwecken nach Amerika, England und Deutschland bestimmt sind. In Fellin wird eine Fabrik zur Anfertigung von Ol aus Leinsaat eingerichtet. Ein Artikel im „Maaliit" vom 5. September 1919 „Kursänderung 'u unserer Handelspolitik" stellt die Aufhebung des Flachsmonopols in Aussicht, ^-s wird sich manches andere finden, wenn der ernsthafte deutsche Handel es erst wagt, wieder Beziehungen zu Esthland anzuknüpfen. Der Weg ist nicht geebnet, einem klarsehenden tatkräftigen und ehrenhaften Unternehmertum aber gangbar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/221>, abgerufen am 15.01.2025.