Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.der Armee Awaloff das Leben schwer zu machen. Lettlands kriegerische Macht Mit dieser Front also ist Sowjetrußland fertig; hier hat ihnen die Entente In Sibirien nimmt der Feldzug für die Bolschewisten wieder einen günstigen In den weiten Gebieten Transkaspiens und Turkestans wechselten die Erfolge. Im Westen der Sowjetrepublik haben die Polen nach den ersten schweren der Armee Awaloff das Leben schwer zu machen. Lettlands kriegerische Macht Mit dieser Front also ist Sowjetrußland fertig; hier hat ihnen die Entente In Sibirien nimmt der Feldzug für die Bolschewisten wieder einen günstigen In den weiten Gebieten Transkaspiens und Turkestans wechselten die Erfolge. Im Westen der Sowjetrepublik haben die Polen nach den ersten schweren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336504"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_803" prev="#ID_802"> der Armee Awaloff das Leben schwer zu machen. Lettlands kriegerische Macht<lb/> ist ausschließlich bei Riga gegen die kleine russische Nordarmee in Anspruch ge¬<lb/> nommen. Ihm ist von der Entente nahe gelegt, daß diese Armee für die Selbst-<lb/> ständigkeit der jungen Republik viel gefährlicher ist als Sowjetrußland. Und<lb/> während im Norden die eine russische Armee von England gegen Petersburg ge¬<lb/> hetzt wird, wird die andere vor Riga mit schweren englischen Geschützen beschossen!<lb/> Wer glaubt da noch an den ernsten Willen Englands, die Sowjetmacht nieder<lb/> zuwerfen I Die Armee Awaloff ist in noch schwierigerer Lage als jene bei Narwa.<lb/> — Beide haben kein Hinterland, keine Operationsbasis: jene wird aber wenigstens<lb/> zum Schein von den Engländern versorgt und unterstützt, diese ganz offen von<lb/> ihnen bekämpft. Auch der deutschen Zufuhr an Kriegsbedarf beraubt, ist sie kaum<lb/> lebensfähig und kein ernster Faktor im Kampf gegen den Volschewistenstaat. Fällt<lb/> sie auch aus, so haben wir keinen militärischen Schutz mehr zwischen Sowjet¬<lb/> rußland und Ostpreußen.</p><lb/> <p xml:id="ID_804"> Mit dieser Front also ist Sowjetrußland fertig; hier hat ihnen die Entente<lb/> geholfen, bis auf weiteres alle Gefahren zu beseitigen. Wird Finnland, das der<lb/> zweiten Offensive auf Petersburg mit Gewehr bei Fuß zugesehen hat, es wagen,<lb/> sich nunmehr allein in kriegerische Abenteuer zu stürzen? Es wäre militärisch<lb/> nicht zu verstehen, nachdem der richtige Moment bei Judenitschs zweiter Offensive<lb/> verpaßt ist und die Sowjetrepublik dank der für sie günstigen Lage in Sibirien<lb/> und Südrußland unschwer eine vielfache Überlegenheit von Truppen bei Peters¬<lb/> burg zusammenfassen kann. Denn auch die Nordfront an den Bahnen von der<lb/> Murmanküste und von Archangelsk hat nunmehr nach dem Abzüge der regulären<lb/> englischen Truppen jede Bedeutung für eine Offensive gegen die Sowjetrepublik<lb/> völlig verloren.</p><lb/> <p xml:id="ID_805"> In Sibirien nimmt der Feldzug für die Bolschewisten wieder einen günstigen<lb/> Verlauf. Ihr Sieg zwischen Wolga und Ural über Koltschak und die anschließende<lb/> Verfolgung bis an den Jshim in Sibirien endete im Spätsommer mit einem Rück¬<lb/> schläge, als sie Verstärkungen von dieser Front an die Südfront abgeben und zur<lb/> Bergung der so wertvollen Ernte beiderseits des Ural zahlreiche Beurlaubungen<lb/> aus der Truppe verfügen mußten. Koltschak benutzte diese ihm bekannt gewordene<lb/> Schwäche seiner Gegner und drückte sie im Herbst wieder bis hinter den Tobol<lb/> zurück. Nun aber haben ihrerseits wieder die Bolschewiken den Jshim mit Abatsk<lb/> und Petropawlowsk erreicht und sind anscheinend im Vorgehen aus Omsk. Kolt-<lb/> schaks Armeen sollen in trauriger Verfassung sein. Es scheint, daß er zur Sicherung<lb/> der Bahn und zur Bekämpfung mehrerer Aufstandsherde in Sibirien seine Kampf¬<lb/> front übermüßig schwächen mußte und daß in der sibirischen Bevölkerung die<lb/> bolschewistische Propaganda erhebliche Fortschritte gemacht hat. Der Winter macht<lb/> hier größeren Operationen bald ein Ende; man kann damit rechnen, daß die<lb/> Bolschewiken den Jshim als Basis für weitere Operationen nach Sibirien im<lb/> nächsten Jahre vorläufig halten werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_806"> In den weiten Gebieten Transkaspiens und Turkestans wechselten die Erfolge.<lb/> Dieses weite Kriegstheater hat bisher keine der beiden Parteien veranlaßt, dort<lb/> durch Einsatz stärkerer Kräfte eine dauernde Überlegenheit zu suchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_807" next="#ID_808"> Im Westen der Sowjetrepublik haben die Polen nach den ersten schweren<lb/> Kämpfen um Wilna anscheinend keinen nennenswerten Widerstand gefunden.<lb/> Die Bolschewiken scheinen sich hier mit einem selbständigen Großpolen abgefunden<lb/> zu haben. Bei Dünaburg haben die Polen die Litauer abgelöst und den auf<lb/> dem Südufer des Flusses gelegenen Stadtteil erobert. Bei Dresia gelang eS vor<lb/> einiger Zeit den Bolschewiken, einen Brückenkopf auf dem Südufer zu gewinnen,<lb/> auch Lepel fiel ihnen wieder in die Hand. Ebenso glückte es ihnen, die Polen,<lb/> die schon im Vorgehen gegen den Dujepr waren, wieder auf die Beresina zurück¬<lb/> zuwerfen. Im Pripjetgebiet sind polnische Truppen über Petrikowo nicht vor¬<lb/> gekommen; weiter südlich scheint sich ihre Front, die östlich Nowograd Wolynsk-<lb/> Satzlaw verlaufend den Anschluß an die ostgalizische Grenze findet, in den letzten<lb/> Monaten nicht verändert zu haben- Nach letzten Nachrichten wollen die Polen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
der Armee Awaloff das Leben schwer zu machen. Lettlands kriegerische Macht
ist ausschließlich bei Riga gegen die kleine russische Nordarmee in Anspruch ge¬
nommen. Ihm ist von der Entente nahe gelegt, daß diese Armee für die Selbst-
ständigkeit der jungen Republik viel gefährlicher ist als Sowjetrußland. Und
während im Norden die eine russische Armee von England gegen Petersburg ge¬
hetzt wird, wird die andere vor Riga mit schweren englischen Geschützen beschossen!
Wer glaubt da noch an den ernsten Willen Englands, die Sowjetmacht nieder
zuwerfen I Die Armee Awaloff ist in noch schwierigerer Lage als jene bei Narwa.
— Beide haben kein Hinterland, keine Operationsbasis: jene wird aber wenigstens
zum Schein von den Engländern versorgt und unterstützt, diese ganz offen von
ihnen bekämpft. Auch der deutschen Zufuhr an Kriegsbedarf beraubt, ist sie kaum
lebensfähig und kein ernster Faktor im Kampf gegen den Volschewistenstaat. Fällt
sie auch aus, so haben wir keinen militärischen Schutz mehr zwischen Sowjet¬
rußland und Ostpreußen.
Mit dieser Front also ist Sowjetrußland fertig; hier hat ihnen die Entente
geholfen, bis auf weiteres alle Gefahren zu beseitigen. Wird Finnland, das der
zweiten Offensive auf Petersburg mit Gewehr bei Fuß zugesehen hat, es wagen,
sich nunmehr allein in kriegerische Abenteuer zu stürzen? Es wäre militärisch
nicht zu verstehen, nachdem der richtige Moment bei Judenitschs zweiter Offensive
verpaßt ist und die Sowjetrepublik dank der für sie günstigen Lage in Sibirien
und Südrußland unschwer eine vielfache Überlegenheit von Truppen bei Peters¬
burg zusammenfassen kann. Denn auch die Nordfront an den Bahnen von der
Murmanküste und von Archangelsk hat nunmehr nach dem Abzüge der regulären
englischen Truppen jede Bedeutung für eine Offensive gegen die Sowjetrepublik
völlig verloren.
In Sibirien nimmt der Feldzug für die Bolschewisten wieder einen günstigen
Verlauf. Ihr Sieg zwischen Wolga und Ural über Koltschak und die anschließende
Verfolgung bis an den Jshim in Sibirien endete im Spätsommer mit einem Rück¬
schläge, als sie Verstärkungen von dieser Front an die Südfront abgeben und zur
Bergung der so wertvollen Ernte beiderseits des Ural zahlreiche Beurlaubungen
aus der Truppe verfügen mußten. Koltschak benutzte diese ihm bekannt gewordene
Schwäche seiner Gegner und drückte sie im Herbst wieder bis hinter den Tobol
zurück. Nun aber haben ihrerseits wieder die Bolschewiken den Jshim mit Abatsk
und Petropawlowsk erreicht und sind anscheinend im Vorgehen aus Omsk. Kolt-
schaks Armeen sollen in trauriger Verfassung sein. Es scheint, daß er zur Sicherung
der Bahn und zur Bekämpfung mehrerer Aufstandsherde in Sibirien seine Kampf¬
front übermüßig schwächen mußte und daß in der sibirischen Bevölkerung die
bolschewistische Propaganda erhebliche Fortschritte gemacht hat. Der Winter macht
hier größeren Operationen bald ein Ende; man kann damit rechnen, daß die
Bolschewiken den Jshim als Basis für weitere Operationen nach Sibirien im
nächsten Jahre vorläufig halten werden.
In den weiten Gebieten Transkaspiens und Turkestans wechselten die Erfolge.
Dieses weite Kriegstheater hat bisher keine der beiden Parteien veranlaßt, dort
durch Einsatz stärkerer Kräfte eine dauernde Überlegenheit zu suchen.
Im Westen der Sowjetrepublik haben die Polen nach den ersten schweren
Kämpfen um Wilna anscheinend keinen nennenswerten Widerstand gefunden.
Die Bolschewiken scheinen sich hier mit einem selbständigen Großpolen abgefunden
zu haben. Bei Dünaburg haben die Polen die Litauer abgelöst und den auf
dem Südufer des Flusses gelegenen Stadtteil erobert. Bei Dresia gelang eS vor
einiger Zeit den Bolschewiken, einen Brückenkopf auf dem Südufer zu gewinnen,
auch Lepel fiel ihnen wieder in die Hand. Ebenso glückte es ihnen, die Polen,
die schon im Vorgehen gegen den Dujepr waren, wieder auf die Beresina zurück¬
zuwerfen. Im Pripjetgebiet sind polnische Truppen über Petrikowo nicht vor¬
gekommen; weiter südlich scheint sich ihre Front, die östlich Nowograd Wolynsk-
Satzlaw verlaufend den Anschluß an die ostgalizische Grenze findet, in den letzten
Monaten nicht verändert zu haben- Nach letzten Nachrichten wollen die Polen
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