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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Schuld des Liberalismus?

deutsche Reformation hat aber in Wahrheit mit Liberalismus gar nichts zu tun.
Sie ist entstanden aus etwas ganz Unliberalem, nämlich einem gewaltig vertieften
Sündenbewußtsein ihrer vornehmsten Träger, vor allem Luthers, einem Sünden-
bcroutzisein, das in den Gnadenmitteln der Kirche keinen Trost mehr fand, um so
weniger, je mehr man die damalige Kirche gleichzeitig als verwelkliche und als
nicht ernst genug bei der Spendung ihrer Gnadenmittel fand. Der Kern der
Weltanschauung der deutschen Reformation ist die ganz unliberale Rechtfertigungs-
lehre Luthers. Ich nenne die Rechtfertigungslehre Luthers unliberal, weil sie/
den Menschen ganz allein auf die Gnade Gottes verweist, weil sie himmelweit
entfernt ist von jenem Glauben an die Kraft des Menschen zum Guten, der den
Liberalismus in seiner klassischen Zeit zu der frohen Forderung der Menschen¬
rechts begeisterte. Der Subjektivismus der liberalen Religion, der aus eigner
Kraft den Weg zu Gott finden will, liegt der Reformation ganz fern. Sie fühlte
die Menschen nicht mehr gerechtfertigt vor Gottes Gericht durch die bestehende
Kirche und fand außerdem, daß das Papsttum und das ganze ihm dienende
Kirchenwesen nicht in Einklang stehe mit der heiligen Schrift. Sie wollte statt
des römischen Christentums ein Christentum, das den Ehrennamen evangelisch
verdiene. Das ist ihr bekanntlich im großen und ganzen nicht gelungen. Denn
was das Luthertum wirklich geschaffen hat, sind eine Anzahl Oorigksitskirchen,
aber keine, die auf der Höhe des Evangeliums steht. Keine Konfession ist obrig-
keitLfrommer als das Luthertum, keine steht darum auch nach der politischen Seite
hin dem Liberalismus serner.

Eher scheint es berechtigt, den Individualismus der Renaissance zu den
geistigen Ahnen des Liberalismus zu rechnen und dort die tiefsten Quellen für
die Atomisierung des heutigen Geisteslebens und die anarchistische Zersplitterung
des sittlichen Willens zu suchen. Doch sollte sich ein christlicher und katholischer
Verfasser hüten, eine Kampfstellung gegen den Individualismus einzunehmen.
Das Christentum ist selber im tiefsten Grunde individualistisch, weil sein höchster
Zweck ja kein anderer ist, als Menschenseelen zu retten. Die ganze Welt zu be¬
herrschen, könnte dem nichts nützen, der dabei Schaden nähme an seiner Seele.
In dem schönen Buche von Friedrich Thinae "Vom inneren Frieden des deutschen
Volkes" (19l6) schreibt der Jesuit Peter Lippert (S. 111): Im Wesen des
Katholizismus liegt eine Art von Individualismus, die in der Inschrift auf dem
Preysingstein im Walde bei Gauting zum Ausdruck kommt: ,Stehen in Gottes
Gnad, macht stehen allzeit grad.' An der entscheidendsten Stelle, wo es um den
höchsten Lebenszweck sich handelt, wird ein Eigenwert der Einzelpersönlichkeit be¬
hauptet, der alle Gemeinschaflszwecke überragt und in sich schließt. Ja selbst die
Kirche ist nur ein Mittel, das der Seele des einzelnen zu dienen hat; auch sie
ist für den Menschen da, und um des Heiles auch der geringsten Seele willen".
Gegenüber modernen Geistesströmungen, die in der Menschenseele weiter nichts
erblicken wollen als den Funktionär des objektiven Geistes, der sich die ganze
menschliche Wirtschaft mit kunstvoller Mechanik aufbaut (Rathenaul), gegen die
ökonomische Geschichtsauffassung, bei der die Seele nur der Exponent materieller
Verhältnisse bleibt, gegen die sozialistische Pädagogik, die den Menschen nicht für
sich, sondern für die Gesellschaft erziehen will, erscheint das Christentum heute
geradezu als Hort eines gesunden Individualismus. Wo heute etwa in alt-
liberalen Kreisen noch ein echter Individualismus gepflegt würde, nachdem schon
vor dem Auskommen der heutigen sozialistischen Geistesmoden Militarismus,
Bureaukratie, Byzantinismus, systematische Erschwerung jeder Zivilcourage daran
gearbeitet haben, daß er gewiß nicht häufig ist. da hätte das Christentum
in ihm nicht einen Gegner, sondern einen Verbündeten zu erblicken. Der
Liberalismus hat die Zeit seiner Herrschaft eher zu wenig als zu viel be¬
nutzt, um individualistischen Geist in die Welt zu bringen.

In einem Punkte deckt freilich Eberle wirklich einen tiefen Gegensatz zwischen
Christentum und Liberalismus auf: die Weltanschauung des Christentums ist
theozentrisch, die des Liberalismus anthropozentrisch. Das Christentum sieht in


Schuld des Liberalismus?

deutsche Reformation hat aber in Wahrheit mit Liberalismus gar nichts zu tun.
Sie ist entstanden aus etwas ganz Unliberalem, nämlich einem gewaltig vertieften
Sündenbewußtsein ihrer vornehmsten Träger, vor allem Luthers, einem Sünden-
bcroutzisein, das in den Gnadenmitteln der Kirche keinen Trost mehr fand, um so
weniger, je mehr man die damalige Kirche gleichzeitig als verwelkliche und als
nicht ernst genug bei der Spendung ihrer Gnadenmittel fand. Der Kern der
Weltanschauung der deutschen Reformation ist die ganz unliberale Rechtfertigungs-
lehre Luthers. Ich nenne die Rechtfertigungslehre Luthers unliberal, weil sie/
den Menschen ganz allein auf die Gnade Gottes verweist, weil sie himmelweit
entfernt ist von jenem Glauben an die Kraft des Menschen zum Guten, der den
Liberalismus in seiner klassischen Zeit zu der frohen Forderung der Menschen¬
rechts begeisterte. Der Subjektivismus der liberalen Religion, der aus eigner
Kraft den Weg zu Gott finden will, liegt der Reformation ganz fern. Sie fühlte
die Menschen nicht mehr gerechtfertigt vor Gottes Gericht durch die bestehende
Kirche und fand außerdem, daß das Papsttum und das ganze ihm dienende
Kirchenwesen nicht in Einklang stehe mit der heiligen Schrift. Sie wollte statt
des römischen Christentums ein Christentum, das den Ehrennamen evangelisch
verdiene. Das ist ihr bekanntlich im großen und ganzen nicht gelungen. Denn
was das Luthertum wirklich geschaffen hat, sind eine Anzahl Oorigksitskirchen,
aber keine, die auf der Höhe des Evangeliums steht. Keine Konfession ist obrig-
keitLfrommer als das Luthertum, keine steht darum auch nach der politischen Seite
hin dem Liberalismus serner.

Eher scheint es berechtigt, den Individualismus der Renaissance zu den
geistigen Ahnen des Liberalismus zu rechnen und dort die tiefsten Quellen für
die Atomisierung des heutigen Geisteslebens und die anarchistische Zersplitterung
des sittlichen Willens zu suchen. Doch sollte sich ein christlicher und katholischer
Verfasser hüten, eine Kampfstellung gegen den Individualismus einzunehmen.
Das Christentum ist selber im tiefsten Grunde individualistisch, weil sein höchster
Zweck ja kein anderer ist, als Menschenseelen zu retten. Die ganze Welt zu be¬
herrschen, könnte dem nichts nützen, der dabei Schaden nähme an seiner Seele.
In dem schönen Buche von Friedrich Thinae „Vom inneren Frieden des deutschen
Volkes" (19l6) schreibt der Jesuit Peter Lippert (S. 111): Im Wesen des
Katholizismus liegt eine Art von Individualismus, die in der Inschrift auf dem
Preysingstein im Walde bei Gauting zum Ausdruck kommt: ,Stehen in Gottes
Gnad, macht stehen allzeit grad.' An der entscheidendsten Stelle, wo es um den
höchsten Lebenszweck sich handelt, wird ein Eigenwert der Einzelpersönlichkeit be¬
hauptet, der alle Gemeinschaflszwecke überragt und in sich schließt. Ja selbst die
Kirche ist nur ein Mittel, das der Seele des einzelnen zu dienen hat; auch sie
ist für den Menschen da, und um des Heiles auch der geringsten Seele willen".
Gegenüber modernen Geistesströmungen, die in der Menschenseele weiter nichts
erblicken wollen als den Funktionär des objektiven Geistes, der sich die ganze
menschliche Wirtschaft mit kunstvoller Mechanik aufbaut (Rathenaul), gegen die
ökonomische Geschichtsauffassung, bei der die Seele nur der Exponent materieller
Verhältnisse bleibt, gegen die sozialistische Pädagogik, die den Menschen nicht für
sich, sondern für die Gesellschaft erziehen will, erscheint das Christentum heute
geradezu als Hort eines gesunden Individualismus. Wo heute etwa in alt-
liberalen Kreisen noch ein echter Individualismus gepflegt würde, nachdem schon
vor dem Auskommen der heutigen sozialistischen Geistesmoden Militarismus,
Bureaukratie, Byzantinismus, systematische Erschwerung jeder Zivilcourage daran
gearbeitet haben, daß er gewiß nicht häufig ist. da hätte das Christentum
in ihm nicht einen Gegner, sondern einen Verbündeten zu erblicken. Der
Liberalismus hat die Zeit seiner Herrschaft eher zu wenig als zu viel be¬
nutzt, um individualistischen Geist in die Welt zu bringen.

In einem Punkte deckt freilich Eberle wirklich einen tiefen Gegensatz zwischen
Christentum und Liberalismus auf: die Weltanschauung des Christentums ist
theozentrisch, die des Liberalismus anthropozentrisch. Das Christentum sieht in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/178>, abgerufen am 15.01.2025.