Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Tschecho-Slowakei komitee der Friedenskonferenz eine Denkschrift überreicht, in der Schutz durch Diese Selbständigkeitsbewegung hat auch auf die Ruthenen übergegriffen. Zu diesen Schwierigkeiten der Staatsbildung kamen die der inneren Kon¬ Tschecho-Slowakei komitee der Friedenskonferenz eine Denkschrift überreicht, in der Schutz durch Diese Selbständigkeitsbewegung hat auch auf die Ruthenen übergegriffen. Zu diesen Schwierigkeiten der Staatsbildung kamen die der inneren Kon¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336464"/> <fw type="header" place="top"> Tschecho-Slowakei</fw><lb/> <p xml:id="ID_625" prev="#ID_624"> komitee der Friedenskonferenz eine Denkschrift überreicht, in der Schutz durch<lb/> Ententetruppen und völlige LMösung von den Tschechen verlangt wurde, Grund<lb/> genug für diese, mit aller Energie gegen derartige Bestrebungen vorzugehen.<lb/> Hlinka ist genötigt, in der Schweiz zu bleiben, sein Blatt ist verböte^ worden,<lb/> die slowakische Zeitung „Ludowe Novinje" gleichfalls, ihr Leiter Tomanek wurde<lb/> interniert, auch der Abgeordnete Juriga, der seinerzeit Aufreizungen gegen den<lb/> ungarischen Staat mit zwei Jahren Gefängnis büfzen mußte, ist verhaftet worden,<lb/> in Neutra allein haben 172 slowakische Politiker sein Schicksal geteilt, aber die<lb/> gesamte Geistlichkeit tritt nach wie vor für die Loslösung ein und auch die Eisen¬<lb/> bahner haben sich der Bewegung angeschlossen. Wie wenig die Tschechen nach-<lb/> zugeben entschlossen sind, beweist die Nachtricht, daß am 1. November das slowa¬<lb/> kische Sonderministerium aufgelöst und die Verwaltung von Prag aus geleitet<lb/> werden soll. Beachtenswert ist auch, daß die tschechischen Delegierten auf dem<lb/> Berner Sozialistenkongreß eine Volksabstimmung in der Slowakei für unmöglich<lb/> erklärt haben, da sie zu ungunsten der Tschechen ausfallen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_626"> Diese Selbständigkeitsbewegung hat auch auf die Ruthenen übergegriffen.<lb/> Die ersten Anzeichen wurden bemerkt, als der französische kommandierende General<lb/> Hennoque sich der Bevölkerung vorstellte und erklärte, daß das Gebiet nunmehr<lb/> zur Tschecho-Slowakei gehöre. Die Anwesenden sangen die ungarische National¬<lb/> hymne und der General mußte abbrechen. In Szolyva wurde eine selbständige<lb/> karpatho-russische Republik ausgerufen und in Munkacs ist es noch Mitte Oktober<lb/> zu beträchtlichen Prügeleien gekommen. Auch in Mähren, das von jeher ein<lb/> scharf ausgeprägtes provinziales Selbständigkeitsgefühl hochgehalten und wo der<lb/> frühere Handelsminister Stranski im März eine Sondergruppe gegründet hat, ist<lb/> man nicht geneigt, sich der Prager Zentralisierung ohne weiteres zu fügen.</p><lb/> <p xml:id="ID_627" next="#ID_628"> Zu diesen Schwierigkeiten der Staatsbildung kamen die der inneren Kon¬<lb/> solidierung. Auch in Böhmen hat es bolschewistische Umtriebe gegeben. Schon<lb/> im Februar kam es in Preßburg, daS die Prager als ihre Hafenstadt betrachten,<lb/> zu blutigen Unruhen, Anfang März mußte über das gesamte Staatsgebiet der<lb/> Kriegszustand verhängt werden, es gab Wochen, während deren Masaryk und<lb/> Kramarsch sich nur durch die Unterstützung der von italienischen Offizieren be¬<lb/> fehligten Legionstruppen von der österreichischen Front halten konnten und der<lb/> Bezirk von Kladno kann noch heute unter Führung Munas als Hochburg der im<lb/> übrigen nicht zahlreichen Kommunisten bezeichnet werden. Daß diese Vorgänge<lb/> nicht gerade dazu beitragen, im Ausland das Vertrauen zum tschecho-slowakischen<lb/> Staat zu heben, liegt auf der Hand. Auch ergab sich bald, daß trotz der ein¬<lb/> seitig ententefreundlichen Orientierung auf weitgehende finanzielle Entlastung durch<lb/> die Ententemächte nicht oder nur unter Bedingungen, die die Selbständigkeit des<lb/> Staates völlig in Frage stellten, zu rechnen war. Es gelang der Tschecho-<lb/> Slowakei so wenig wie den Südslawen, alle finanziellen Lasten auf das öster¬<lb/> reichische Überbleibsel und das durch den Bolschewismus vollends ruinierte Ungarn<lb/> abzuwälzen, was übrigens auch beim besten Willen der Entente unmöglich ge¬<lb/> wesen wäre, die Schulden aber wuchsen durch die Anspannung des infolge der<lb/> bolschewistischen Unruhen und des Ungarneinfalls unentbehrlichen Militärwesens<lb/> immer mehr und auch der rasche Entschluß des Finanzministers Raschin, hinter<lb/> dem der Generaldirektor der Zionostenska Banka, Preiß, stand, die Kriegsanleihen<lb/> nicht zu verzinsen und den Notenumlauf durch Abstempelung und Einbehaltung<lb/> der Hälfte zu reduzieren, erwies sich als ein Fehlgriff, der die Deutschen, als die<lb/> hauptsächlichsten direkten Inhaber von Kriegsanleihen, verstimmte, durch deren<lb/> drohenden Rain aber auch weite Kreise der Tschechen selbst unvermeidlich in Mit¬<lb/> leidenschaft zog, und den Hauptzweck, die Preise für die Lebenshaltung zu senken,<lb/> jedenfalls nicht erreicht hat. Diese Mißerfolge, die eine von der Entente ge¬<lb/> wünschte Teilnahme an einer Intervention in Rußland schon materiell unmöglich<lb/> machten und die Bestrebungen einer Art sozialistischer Nebenregierung immer be¬<lb/> drohlicher erscheinen ließen, haben dann zur Bildung des jetzigen Kabinetts geführt,<lb/> das im wesentlichen auf dem Ergebnis der namentlich eben durch die Sozialisten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0174]
Tschecho-Slowakei
komitee der Friedenskonferenz eine Denkschrift überreicht, in der Schutz durch
Ententetruppen und völlige LMösung von den Tschechen verlangt wurde, Grund
genug für diese, mit aller Energie gegen derartige Bestrebungen vorzugehen.
Hlinka ist genötigt, in der Schweiz zu bleiben, sein Blatt ist verböte^ worden,
die slowakische Zeitung „Ludowe Novinje" gleichfalls, ihr Leiter Tomanek wurde
interniert, auch der Abgeordnete Juriga, der seinerzeit Aufreizungen gegen den
ungarischen Staat mit zwei Jahren Gefängnis büfzen mußte, ist verhaftet worden,
in Neutra allein haben 172 slowakische Politiker sein Schicksal geteilt, aber die
gesamte Geistlichkeit tritt nach wie vor für die Loslösung ein und auch die Eisen¬
bahner haben sich der Bewegung angeschlossen. Wie wenig die Tschechen nach-
zugeben entschlossen sind, beweist die Nachtricht, daß am 1. November das slowa¬
kische Sonderministerium aufgelöst und die Verwaltung von Prag aus geleitet
werden soll. Beachtenswert ist auch, daß die tschechischen Delegierten auf dem
Berner Sozialistenkongreß eine Volksabstimmung in der Slowakei für unmöglich
erklärt haben, da sie zu ungunsten der Tschechen ausfallen könnte.
Diese Selbständigkeitsbewegung hat auch auf die Ruthenen übergegriffen.
Die ersten Anzeichen wurden bemerkt, als der französische kommandierende General
Hennoque sich der Bevölkerung vorstellte und erklärte, daß das Gebiet nunmehr
zur Tschecho-Slowakei gehöre. Die Anwesenden sangen die ungarische National¬
hymne und der General mußte abbrechen. In Szolyva wurde eine selbständige
karpatho-russische Republik ausgerufen und in Munkacs ist es noch Mitte Oktober
zu beträchtlichen Prügeleien gekommen. Auch in Mähren, das von jeher ein
scharf ausgeprägtes provinziales Selbständigkeitsgefühl hochgehalten und wo der
frühere Handelsminister Stranski im März eine Sondergruppe gegründet hat, ist
man nicht geneigt, sich der Prager Zentralisierung ohne weiteres zu fügen.
Zu diesen Schwierigkeiten der Staatsbildung kamen die der inneren Kon¬
solidierung. Auch in Böhmen hat es bolschewistische Umtriebe gegeben. Schon
im Februar kam es in Preßburg, daS die Prager als ihre Hafenstadt betrachten,
zu blutigen Unruhen, Anfang März mußte über das gesamte Staatsgebiet der
Kriegszustand verhängt werden, es gab Wochen, während deren Masaryk und
Kramarsch sich nur durch die Unterstützung der von italienischen Offizieren be¬
fehligten Legionstruppen von der österreichischen Front halten konnten und der
Bezirk von Kladno kann noch heute unter Führung Munas als Hochburg der im
übrigen nicht zahlreichen Kommunisten bezeichnet werden. Daß diese Vorgänge
nicht gerade dazu beitragen, im Ausland das Vertrauen zum tschecho-slowakischen
Staat zu heben, liegt auf der Hand. Auch ergab sich bald, daß trotz der ein¬
seitig ententefreundlichen Orientierung auf weitgehende finanzielle Entlastung durch
die Ententemächte nicht oder nur unter Bedingungen, die die Selbständigkeit des
Staates völlig in Frage stellten, zu rechnen war. Es gelang der Tschecho-
Slowakei so wenig wie den Südslawen, alle finanziellen Lasten auf das öster¬
reichische Überbleibsel und das durch den Bolschewismus vollends ruinierte Ungarn
abzuwälzen, was übrigens auch beim besten Willen der Entente unmöglich ge¬
wesen wäre, die Schulden aber wuchsen durch die Anspannung des infolge der
bolschewistischen Unruhen und des Ungarneinfalls unentbehrlichen Militärwesens
immer mehr und auch der rasche Entschluß des Finanzministers Raschin, hinter
dem der Generaldirektor der Zionostenska Banka, Preiß, stand, die Kriegsanleihen
nicht zu verzinsen und den Notenumlauf durch Abstempelung und Einbehaltung
der Hälfte zu reduzieren, erwies sich als ein Fehlgriff, der die Deutschen, als die
hauptsächlichsten direkten Inhaber von Kriegsanleihen, verstimmte, durch deren
drohenden Rain aber auch weite Kreise der Tschechen selbst unvermeidlich in Mit¬
leidenschaft zog, und den Hauptzweck, die Preise für die Lebenshaltung zu senken,
jedenfalls nicht erreicht hat. Diese Mißerfolge, die eine von der Entente ge¬
wünschte Teilnahme an einer Intervention in Rußland schon materiell unmöglich
machten und die Bestrebungen einer Art sozialistischer Nebenregierung immer be¬
drohlicher erscheinen ließen, haben dann zur Bildung des jetzigen Kabinetts geführt,
das im wesentlichen auf dem Ergebnis der namentlich eben durch die Sozialisten
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