Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Tschechoslowakei an soll gewiß nicht vor jedem Erfolg kapitulieren, aber man soll Erschwert wird uns allerdings eine solche Stellungnahme durch die Nach¬ 14*
Tschechoslowakei an soll gewiß nicht vor jedem Erfolg kapitulieren, aber man soll Erschwert wird uns allerdings eine solche Stellungnahme durch die Nach¬ 14*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336461"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Tschechoslowakei</head><lb/> <p xml:id="ID_618"> an soll gewiß nicht vor jedem Erfolg kapitulieren, aber man soll<lb/> auch Tatsachen nicht verkennen. Wenn man als Deutscher rein<lb/> gefühlsmäßig auch bedauert, daß die österreichisch-ungarische Monarchie<lb/> zusammengebrochen ist, und geneigt sein mag, die Serben auch<lb/> weiterhin als verschwörerische Imperialisten, die Tschechen als Hoch¬<lb/> verräter zu bezeichnen, so muß der Politiker, der, will er nicht den<lb/> Überblick verlieren, doch immer, so weit Historiker sein muß, um das Wachsen<lb/> und Absterben der unterschiedlichen politischen Machtfaktoren zu erkennen, doch so<lb/> viel Objektivität aufbringen können, um in der Weltgeschichte das Weltgericht zu<lb/> sehen, das mit unumstößlichen Spruch Tatsachen schafft, deren Nichtanerkennung<lb/> ihn in die Reihen weltfremder Toren verweisen würde. Der katastrophale, auch<lb/> die neue Jugend schwer belastende Mißerfolg des alten österreich-ungarischen<lb/> Regimes, gleichviel durch welche Faktoren er entstanden ist, beweist, daß die<lb/> Jugend recht hatte, dem alten Regime die Gefolgschaft zu verweigern, denn<lb/> Jugend hat immer recht, gegen ein Regime zu opponieren, daS ihm keine<lb/> adäquaten Lebensformen mehr zu bieten weiß. ES wäre darum gut, wenn<lb/> man sich auch in Deutschland allgemein dazu entschließen wollte, die neuen<lb/> Staaten der alten Doppelmonarchie nicht länger als zerstörende, sondern als<lb/> gewachsene Faktoren zu betrachten, nicht als etwas Negatives, das man aus¬<lb/> streichen will, sondern als etwas Positives, das man nach Kräften nutzen möchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_619" next="#ID_620"> Erschwert wird uns allerdings eine solche Stellungnahme durch die Nach¬<lb/> richten, die uns über den Nationalitätenkampf zwischen Tschechen und Deutschen<lb/> zukommen. Die Klagen über gewaltsame Zurückdrängung des deutschen Einflusses,<lb/> über tyrannisierende Maßnahmen von seiten tschechischer Behörden, über verbitternde<lb/> Äußerungen tschechischen Volkshasses »vollen nicht verstummen und scheinen, auch<lb/> objektiv betrachtet, nicht unberechtigt zu sein. Aber es liegt doch auch im Wesen<lb/> gewaltsamer und plötzlicher Veränderungen innerhalb eines Staatswesens begründet,<lb/> daß sie sich nicht in der Form anpassenden Wachstums/ sondern als über das<lb/> eigentliche Ziel hinausgehende Reaktionen vollziehen. Tatsache ist doch, daß sich<lb/> die Tschechen, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht, unterdrückt gefühlt haben; daß<lb/> sie nun, da sie das Heft in der Hand haben, ihrerseits unterdrücken wollen, liegt<lb/> in der menschlichen Natur. Auch ist es begreiflich, daß sie Anhängern und<lb/> Stützen eines Regimes, das das Land mit den Passiver des Krieges belastet<lb/> hat. und Vertretern und Stammesverwandten von Landschaften, die sich, kaum<lb/> daß der neue Staat gebildet war. anschickten, sich abzulösen und sich sei es<lb/> nach Osterreich oder nach Deutschland hin zu orientieren, nicht eben freundlich<lb/> gegenüberstanden. Hinzukommt, daß alle Jugend sich rüde und fanatisch äußert.<lb/> Daß aber die offizielle Leitung des tschechischen Staates nicht die Absicht hat,<lb/> eme Politik vergewaltigender Tyrannei gegen . die Deutschen durchzuführen,<lb/> scheint nicht nur der letzte Kabinettswechsel zu beweisen, der ja auf noch<lb/> verschiedene andere Ursachen zurückzuführen ist, sondern vor allem die Äußerungen<lb/> Masaryks („Berliner Tageblatt" vom 12. September) und Benesch', die klar erkennen<lb/> lassen, daß man den unbedingt deutschfeindlichen und ententefreundlichen Kurs<lb/> dex Raschin und Kramarsch nicht länger mitzumachen entschlossen ist. Mag sein,<lb/> daß die Form dieser und ähnlicher Äußerungen mit bestimmt ist durch die Rück¬<lb/> sicht auf den Umstand, daß die Deutschen im Teschener Abstimmungsgebiet imstande<lb/> sind, den Ausschlag zugunsten der tschecho-slowakischen Staatsoberhoheit herbei¬<lb/> zuführen, die klar ausgesprochene Erkenntnis, daß sich ein neues Staatswesen<lb/> unmöglich entwickeln kann, wenn es ein Drittel seiner Bevölkerung vergewaltigt,<lb/> verbürgt, daß diese Erklärungen auch im Kern ehrlich gemeint sind. Was man<lb/> «egen diese Annahme vorbringt: vereinzelte Schließung von Schulen. Schlägereien.<lb/> Belästigungen, Anrempeleien, Beschimpfungen, Requisitionen, Militärregiment, ist<lb/> offenbar mehr als Folge eines Zustandes, denn als Anzeichen einer bewußt arbeitenden<lb/> Politik zu beurteilen. Wenn selbst im fest begründeten Deutschland die Regierung</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 14*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0171]
Tschechoslowakei
an soll gewiß nicht vor jedem Erfolg kapitulieren, aber man soll
auch Tatsachen nicht verkennen. Wenn man als Deutscher rein
gefühlsmäßig auch bedauert, daß die österreichisch-ungarische Monarchie
zusammengebrochen ist, und geneigt sein mag, die Serben auch
weiterhin als verschwörerische Imperialisten, die Tschechen als Hoch¬
verräter zu bezeichnen, so muß der Politiker, der, will er nicht den
Überblick verlieren, doch immer, so weit Historiker sein muß, um das Wachsen
und Absterben der unterschiedlichen politischen Machtfaktoren zu erkennen, doch so
viel Objektivität aufbringen können, um in der Weltgeschichte das Weltgericht zu
sehen, das mit unumstößlichen Spruch Tatsachen schafft, deren Nichtanerkennung
ihn in die Reihen weltfremder Toren verweisen würde. Der katastrophale, auch
die neue Jugend schwer belastende Mißerfolg des alten österreich-ungarischen
Regimes, gleichviel durch welche Faktoren er entstanden ist, beweist, daß die
Jugend recht hatte, dem alten Regime die Gefolgschaft zu verweigern, denn
Jugend hat immer recht, gegen ein Regime zu opponieren, daS ihm keine
adäquaten Lebensformen mehr zu bieten weiß. ES wäre darum gut, wenn
man sich auch in Deutschland allgemein dazu entschließen wollte, die neuen
Staaten der alten Doppelmonarchie nicht länger als zerstörende, sondern als
gewachsene Faktoren zu betrachten, nicht als etwas Negatives, das man aus¬
streichen will, sondern als etwas Positives, das man nach Kräften nutzen möchte.
Erschwert wird uns allerdings eine solche Stellungnahme durch die Nach¬
richten, die uns über den Nationalitätenkampf zwischen Tschechen und Deutschen
zukommen. Die Klagen über gewaltsame Zurückdrängung des deutschen Einflusses,
über tyrannisierende Maßnahmen von seiten tschechischer Behörden, über verbitternde
Äußerungen tschechischen Volkshasses »vollen nicht verstummen und scheinen, auch
objektiv betrachtet, nicht unberechtigt zu sein. Aber es liegt doch auch im Wesen
gewaltsamer und plötzlicher Veränderungen innerhalb eines Staatswesens begründet,
daß sie sich nicht in der Form anpassenden Wachstums/ sondern als über das
eigentliche Ziel hinausgehende Reaktionen vollziehen. Tatsache ist doch, daß sich
die Tschechen, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht, unterdrückt gefühlt haben; daß
sie nun, da sie das Heft in der Hand haben, ihrerseits unterdrücken wollen, liegt
in der menschlichen Natur. Auch ist es begreiflich, daß sie Anhängern und
Stützen eines Regimes, das das Land mit den Passiver des Krieges belastet
hat. und Vertretern und Stammesverwandten von Landschaften, die sich, kaum
daß der neue Staat gebildet war. anschickten, sich abzulösen und sich sei es
nach Osterreich oder nach Deutschland hin zu orientieren, nicht eben freundlich
gegenüberstanden. Hinzukommt, daß alle Jugend sich rüde und fanatisch äußert.
Daß aber die offizielle Leitung des tschechischen Staates nicht die Absicht hat,
eme Politik vergewaltigender Tyrannei gegen . die Deutschen durchzuführen,
scheint nicht nur der letzte Kabinettswechsel zu beweisen, der ja auf noch
verschiedene andere Ursachen zurückzuführen ist, sondern vor allem die Äußerungen
Masaryks („Berliner Tageblatt" vom 12. September) und Benesch', die klar erkennen
lassen, daß man den unbedingt deutschfeindlichen und ententefreundlichen Kurs
dex Raschin und Kramarsch nicht länger mitzumachen entschlossen ist. Mag sein,
daß die Form dieser und ähnlicher Äußerungen mit bestimmt ist durch die Rück¬
sicht auf den Umstand, daß die Deutschen im Teschener Abstimmungsgebiet imstande
sind, den Ausschlag zugunsten der tschecho-slowakischen Staatsoberhoheit herbei¬
zuführen, die klar ausgesprochene Erkenntnis, daß sich ein neues Staatswesen
unmöglich entwickeln kann, wenn es ein Drittel seiner Bevölkerung vergewaltigt,
verbürgt, daß diese Erklärungen auch im Kern ehrlich gemeint sind. Was man
«egen diese Annahme vorbringt: vereinzelte Schließung von Schulen. Schlägereien.
Belästigungen, Anrempeleien, Beschimpfungen, Requisitionen, Militärregiment, ist
offenbar mehr als Folge eines Zustandes, denn als Anzeichen einer bewußt arbeitenden
Politik zu beurteilen. Wenn selbst im fest begründeten Deutschland die Regierung
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