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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Auf dem U?eg zum Einheitsstaat!

Wenn man den Landtag und das Ministerium in Württemberg betrachtet,
so ist man erstaunt, welche landsmännischen Verhältnisse in diesem, alles Fremde
und besonders alles "norddeutsche" so gern ablehnenden Lande in Wirklichkeit
in den Sphären der Regierung herrschen. Weit davon entfernt, daß lauter
Schwaben die maßgebenden Posten inne hätten! Der erste Staatspräsident, Blos,
ist ein Badener; der Minister des Innern, Lindemann, ein Norddeutscher von
Abkunft; der Minister des Unterrichts, Heymann, stammt aus Posen; der
Präsident des Landtags, Keil, aus dem Regierungsbezirk Cassel; eine ganze Reihe
von Abgeordneten -- allerdings meist Sozialdemokraten -- sind Bayern, Badener,
Sachsen.

Es geht also ganz gut; viel besser als man denkt! Wir stecken aber noch
tief in Vorurteilen. Die Einheitsfreunde waren immer der Ansicht, daß es nur
Vorurteile sind; und sie behalten Recht.

Es dämmert sehr stark in den Einzelstaaten. Das Reich als Zentrale, --
dieser gefurchtste Popanz -- verheißt Vorteile und Fortkommen; es gewährleistet,
daß alle Teilbetriebe und Teilgebiete gleichmäßig behandelt und bedacht werden.
Das ist eine Überraschung, eine endlich gemachte Entdeckung, der man sich nicht
entziehen kann und nicht entziehen wird. Das Wort: Freie Bahn dem Tüchtigen,
welches in der Revolution so selten in Erfüllung ging und so tiefe Enttäuschungen
bereitet hat, wird auf dieser Linie in Erfüllung gehen! Das Mißtrauen weicht
dem Vertrauen. Und das fehlte bisher; darauf kommt es an!

Das Reich, welches nicht nur fördert, entzieht, raubt, auffrißt, wie das
bismarcksche Reich es in der Vorstellung der Partikularisten und Preußenfeinde
tat, sondern welches allen gibt, fordert, bessert, schützt und hilft, das ist etwas,
dem man gleich ganz anders gegenübersteht; da ist die Einsicht nicht so schwer,
als da, wo das Reich durch Preußen bestimmt erschien.

Gerade deshalb kann man zweifellos in Preußen selbst den Unterschied
nicht so deutlich empfinden. Man kann dort auch nicht erfassen, welche große,
segensreiche, ideelle und praktische Bedeutung für das Deutsche Reich, seine
Erstarkung und seine nationale Entwicklung die Niederlegung der partikularen
Dämme und das Erwachen tieferen vaterländischen Vertrauens zum Reich in den
anderen Ländern hat. , Da Preußen selten im Gegensatz zum Reich stand und
der Preuße sein Land und das Reich so ziemlich gleichstellte, fällt es ihm schwer,
umzudenken; auch muß er es gerade in der umgekehrten Richtung tun, wie alle
die andern.

Aber sowohl diese wie der Preuße bringen Opfer. Sie bringen sie dem
gemeinsamen Vaterlande.

Die Einheitsfreunde haben trotz allen Elends und Jammers ihre großen
Tage erlebt, und da der Stein im Rollen ist, sehen sie getrost in die Zukunft.
Sie schauen in weite Fernen; und sehen ein einiges Deutschland, frei von eng¬
herzigen, unübersteiglichen Jnnengrenzen, frei von den Schlacken der gegenseitigen,
verderblichen und häßlichen Anfeindung und Behinderung; ein einig Volk von
Brüdern wo keiner mehr heimatlos sein wird; ein Deutschland, wie eS noch nie
bestand!




Auf dem U?eg zum Einheitsstaat!

Wenn man den Landtag und das Ministerium in Württemberg betrachtet,
so ist man erstaunt, welche landsmännischen Verhältnisse in diesem, alles Fremde
und besonders alles „norddeutsche" so gern ablehnenden Lande in Wirklichkeit
in den Sphären der Regierung herrschen. Weit davon entfernt, daß lauter
Schwaben die maßgebenden Posten inne hätten! Der erste Staatspräsident, Blos,
ist ein Badener; der Minister des Innern, Lindemann, ein Norddeutscher von
Abkunft; der Minister des Unterrichts, Heymann, stammt aus Posen; der
Präsident des Landtags, Keil, aus dem Regierungsbezirk Cassel; eine ganze Reihe
von Abgeordneten — allerdings meist Sozialdemokraten — sind Bayern, Badener,
Sachsen.

Es geht also ganz gut; viel besser als man denkt! Wir stecken aber noch
tief in Vorurteilen. Die Einheitsfreunde waren immer der Ansicht, daß es nur
Vorurteile sind; und sie behalten Recht.

Es dämmert sehr stark in den Einzelstaaten. Das Reich als Zentrale, —
dieser gefurchtste Popanz — verheißt Vorteile und Fortkommen; es gewährleistet,
daß alle Teilbetriebe und Teilgebiete gleichmäßig behandelt und bedacht werden.
Das ist eine Überraschung, eine endlich gemachte Entdeckung, der man sich nicht
entziehen kann und nicht entziehen wird. Das Wort: Freie Bahn dem Tüchtigen,
welches in der Revolution so selten in Erfüllung ging und so tiefe Enttäuschungen
bereitet hat, wird auf dieser Linie in Erfüllung gehen! Das Mißtrauen weicht
dem Vertrauen. Und das fehlte bisher; darauf kommt es an!

Das Reich, welches nicht nur fördert, entzieht, raubt, auffrißt, wie das
bismarcksche Reich es in der Vorstellung der Partikularisten und Preußenfeinde
tat, sondern welches allen gibt, fordert, bessert, schützt und hilft, das ist etwas,
dem man gleich ganz anders gegenübersteht; da ist die Einsicht nicht so schwer,
als da, wo das Reich durch Preußen bestimmt erschien.

Gerade deshalb kann man zweifellos in Preußen selbst den Unterschied
nicht so deutlich empfinden. Man kann dort auch nicht erfassen, welche große,
segensreiche, ideelle und praktische Bedeutung für das Deutsche Reich, seine
Erstarkung und seine nationale Entwicklung die Niederlegung der partikularen
Dämme und das Erwachen tieferen vaterländischen Vertrauens zum Reich in den
anderen Ländern hat. , Da Preußen selten im Gegensatz zum Reich stand und
der Preuße sein Land und das Reich so ziemlich gleichstellte, fällt es ihm schwer,
umzudenken; auch muß er es gerade in der umgekehrten Richtung tun, wie alle
die andern.

Aber sowohl diese wie der Preuße bringen Opfer. Sie bringen sie dem
gemeinsamen Vaterlande.

Die Einheitsfreunde haben trotz allen Elends und Jammers ihre großen
Tage erlebt, und da der Stein im Rollen ist, sehen sie getrost in die Zukunft.
Sie schauen in weite Fernen; und sehen ein einiges Deutschland, frei von eng¬
herzigen, unübersteiglichen Jnnengrenzen, frei von den Schlacken der gegenseitigen,
verderblichen und häßlichen Anfeindung und Behinderung; ein einig Volk von
Brüdern wo keiner mehr heimatlos sein wird; ein Deutschland, wie eS noch nie
bestand!




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[0170] Auf dem U?eg zum Einheitsstaat! Wenn man den Landtag und das Ministerium in Württemberg betrachtet, so ist man erstaunt, welche landsmännischen Verhältnisse in diesem, alles Fremde und besonders alles „norddeutsche" so gern ablehnenden Lande in Wirklichkeit in den Sphären der Regierung herrschen. Weit davon entfernt, daß lauter Schwaben die maßgebenden Posten inne hätten! Der erste Staatspräsident, Blos, ist ein Badener; der Minister des Innern, Lindemann, ein Norddeutscher von Abkunft; der Minister des Unterrichts, Heymann, stammt aus Posen; der Präsident des Landtags, Keil, aus dem Regierungsbezirk Cassel; eine ganze Reihe von Abgeordneten — allerdings meist Sozialdemokraten — sind Bayern, Badener, Sachsen. Es geht also ganz gut; viel besser als man denkt! Wir stecken aber noch tief in Vorurteilen. Die Einheitsfreunde waren immer der Ansicht, daß es nur Vorurteile sind; und sie behalten Recht. Es dämmert sehr stark in den Einzelstaaten. Das Reich als Zentrale, — dieser gefurchtste Popanz — verheißt Vorteile und Fortkommen; es gewährleistet, daß alle Teilbetriebe und Teilgebiete gleichmäßig behandelt und bedacht werden. Das ist eine Überraschung, eine endlich gemachte Entdeckung, der man sich nicht entziehen kann und nicht entziehen wird. Das Wort: Freie Bahn dem Tüchtigen, welches in der Revolution so selten in Erfüllung ging und so tiefe Enttäuschungen bereitet hat, wird auf dieser Linie in Erfüllung gehen! Das Mißtrauen weicht dem Vertrauen. Und das fehlte bisher; darauf kommt es an! Das Reich, welches nicht nur fördert, entzieht, raubt, auffrißt, wie das bismarcksche Reich es in der Vorstellung der Partikularisten und Preußenfeinde tat, sondern welches allen gibt, fordert, bessert, schützt und hilft, das ist etwas, dem man gleich ganz anders gegenübersteht; da ist die Einsicht nicht so schwer, als da, wo das Reich durch Preußen bestimmt erschien. Gerade deshalb kann man zweifellos in Preußen selbst den Unterschied nicht so deutlich empfinden. Man kann dort auch nicht erfassen, welche große, segensreiche, ideelle und praktische Bedeutung für das Deutsche Reich, seine Erstarkung und seine nationale Entwicklung die Niederlegung der partikularen Dämme und das Erwachen tieferen vaterländischen Vertrauens zum Reich in den anderen Ländern hat. , Da Preußen selten im Gegensatz zum Reich stand und der Preuße sein Land und das Reich so ziemlich gleichstellte, fällt es ihm schwer, umzudenken; auch muß er es gerade in der umgekehrten Richtung tun, wie alle die andern. Aber sowohl diese wie der Preuße bringen Opfer. Sie bringen sie dem gemeinsamen Vaterlande. Die Einheitsfreunde haben trotz allen Elends und Jammers ihre großen Tage erlebt, und da der Stein im Rollen ist, sehen sie getrost in die Zukunft. Sie schauen in weite Fernen; und sehen ein einiges Deutschland, frei von eng¬ herzigen, unübersteiglichen Jnnengrenzen, frei von den Schlacken der gegenseitigen, verderblichen und häßlichen Anfeindung und Behinderung; ein einig Volk von Brüdern wo keiner mehr heimatlos sein wird; ein Deutschland, wie eS noch nie bestand!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/170>, abgerufen am 15.01.2025.