Schafter usw. brachten viele Momente der Verstimmung auf und hielten fortgesetzt ein Mißtrauen wach, ob auch die nicht preußischen Landeskinder und vor allem die Interessen der Einzelstaaten genügend dabei berücksichtigt würden. Der geringe Einfluß des Bundesrath auf die oft sehr persönlich geführte auswärtige Politik erregte ebenfalls die Eifersucht, und erweckte Neichsverdrossenheit, wenn keine Erfolge zu verzeichnen waren, oder Dinge geschahen, die besser unterblieben wären. Man empfand und empfindet vieles als preußischen Egoismus, weil es von Berlin aus geht. Die Verbindung der preußischen und der Reichshauptstadt zusamt der gefürchteten Aufsaugung aller Zentralen durch Berlin machte diese Stadt und ihren Namen immer unbeliebter.
Der Süden ist sich in übertriebener Weise einer älteren Kultur bewußt als sie das Land an der Spree aufzuzeigen hat, und so ist der Süden um so eifer¬ süchtiger auf den Emporkömmling. An das größere Preußen mit seinen west¬ lichen Knlturprovinzen hat man sich nie gewöhnt. Unter Preußen versteht man noch heute im Süden eigentlich nur Berlin und Umgegend. Das westelbische Land rechnet man kaum dazu. DaS Bewußtsein, daß dies meist erst vor Jahr¬ zehnten erobertes Land ist, wurde im Süden nie erstickt. Die gewaltigen Leistungen Preußens für Deutschland werden nur akademisch und bei besonderen Gelegen¬ heiten anerkannt; die preußische Art und die für geringer gehaltene Intelligenz aller Norddeutschen werden in scharfen Gegensatz zu dem für gehaltvoller angesehenen Süden gebracht. In all diesem aber steckt etwas von Angst und Beklemmung, insbe¬ sondere auch deshalb, weil man sich nicht verschweigen kann, daß Preußens Vor¬ hand in Deutschland doch mehr und mehr durchdrang. Das nennt man voll Gift und Galle "preußischen Annexionismus".
Das Unbehagen gegen Preußen war nach 1871 zunächst durch Idealismus für das Reich gemildert. Je mehr man aber das Reich mit Preußen identifizierte (oder umgekehrt), desto mehr begann daS Unbehagen in Abneigung und Auf¬ lehnung umzuschlagen. Es geschah und geschieht auch freilich so gut wie nichts, um zu zeigen, wie Preußen als entgliedernder Einheitsstaat eigentlich vorbildlich ge¬ wesen ist, wie großzügig seine Verwaltung und wie verständnisvoll die Behandlung der verschiedenen Landesteile und ihrer Bevölkerungen nach Eigenart und Kultur¬ bedingungen -- trotz aller gegenteiligen Behauptungen -- gewesen ist. Man wirft Preußen Verständnislostgkeit gegenüber anderen Stämmen und den von ihm eroberten westlichen Landesteilen vor, begreift aber selber Preußen in seiner Viel¬ gestaltigkeit nicht und steht selber diesem nur höchst mangelhaft überblickten Staats¬ wesen, diesem bedrohlichen "Koloß", überaus verständnislos gegenüber.
Man wird es in Preußen nie begreifen, wie groß die Mißgunst ihm gegen¬ über ist, weil es im Lauf der Geschichte -- groß geworden ist. Dies wird ihm in Süddeutschland geradezu als ein Unrecht verdacht, und deshalb wäre man vielfach sehr dafür gewesen, daß der Preuß sche Entwurf der "Autonomisierung" Preußens durchgegangen wäre. Daß Preußen sich dagegen gewehrt hat, solange die anderen Einzelländer ihren Bestand und ihren Staatscharakler wahrten, wird ihm auch von ganz ernst denkenden Süddeutschen ganz einfach übel genommen. Man bedenkt dabei nicht, daß die süddeutschen Regierungen sich noch viel grund- sätzlicher gegen die Auflösung der Staatshoheiten im Reich aufgelehnt haben I
Die geschichtliche Entwicklung Preußens ist in dem Denken dieser Leute nur Annexionismus, und trotz aller tatsächlichen Rücksichten, die das große Preußen seit 1866 auf die anderen genommen hat, sieht man auch in den Plänen, welche eine allgemeine Einteilung Deutschlands in Selbständigkeitsbezirke, in Reichs oder Kulturprovinzen, befürworten, oft nur ein Aufgehen der Länder in Preußen oder ein Herabsinken derselben zu dessen Annex. Man macht nicht den kleinen logischen Schritt, sich zu sagen, daß, wenn Rheinland, Niedersachsen, Großhessen, Thüringen, Bayern, Schwaben Reichsprovinzen geworden sind, Preußen als Koloß aufgehört hat zu bestehen, also auch sein partikularistischer Annexionismus nicht weiter besteht, und daß es dann auch kein Großpreußen mehr gibt, welches "reichen und eigenartigen Kulturbesitz" bedroht, von dem man im Süden an-
Auf dem Weg zum Ginheitsstaat
Schafter usw. brachten viele Momente der Verstimmung auf und hielten fortgesetzt ein Mißtrauen wach, ob auch die nicht preußischen Landeskinder und vor allem die Interessen der Einzelstaaten genügend dabei berücksichtigt würden. Der geringe Einfluß des Bundesrath auf die oft sehr persönlich geführte auswärtige Politik erregte ebenfalls die Eifersucht, und erweckte Neichsverdrossenheit, wenn keine Erfolge zu verzeichnen waren, oder Dinge geschahen, die besser unterblieben wären. Man empfand und empfindet vieles als preußischen Egoismus, weil es von Berlin aus geht. Die Verbindung der preußischen und der Reichshauptstadt zusamt der gefürchteten Aufsaugung aller Zentralen durch Berlin machte diese Stadt und ihren Namen immer unbeliebter.
Der Süden ist sich in übertriebener Weise einer älteren Kultur bewußt als sie das Land an der Spree aufzuzeigen hat, und so ist der Süden um so eifer¬ süchtiger auf den Emporkömmling. An das größere Preußen mit seinen west¬ lichen Knlturprovinzen hat man sich nie gewöhnt. Unter Preußen versteht man noch heute im Süden eigentlich nur Berlin und Umgegend. Das westelbische Land rechnet man kaum dazu. DaS Bewußtsein, daß dies meist erst vor Jahr¬ zehnten erobertes Land ist, wurde im Süden nie erstickt. Die gewaltigen Leistungen Preußens für Deutschland werden nur akademisch und bei besonderen Gelegen¬ heiten anerkannt; die preußische Art und die für geringer gehaltene Intelligenz aller Norddeutschen werden in scharfen Gegensatz zu dem für gehaltvoller angesehenen Süden gebracht. In all diesem aber steckt etwas von Angst und Beklemmung, insbe¬ sondere auch deshalb, weil man sich nicht verschweigen kann, daß Preußens Vor¬ hand in Deutschland doch mehr und mehr durchdrang. Das nennt man voll Gift und Galle „preußischen Annexionismus".
Das Unbehagen gegen Preußen war nach 1871 zunächst durch Idealismus für das Reich gemildert. Je mehr man aber das Reich mit Preußen identifizierte (oder umgekehrt), desto mehr begann daS Unbehagen in Abneigung und Auf¬ lehnung umzuschlagen. Es geschah und geschieht auch freilich so gut wie nichts, um zu zeigen, wie Preußen als entgliedernder Einheitsstaat eigentlich vorbildlich ge¬ wesen ist, wie großzügig seine Verwaltung und wie verständnisvoll die Behandlung der verschiedenen Landesteile und ihrer Bevölkerungen nach Eigenart und Kultur¬ bedingungen — trotz aller gegenteiligen Behauptungen — gewesen ist. Man wirft Preußen Verständnislostgkeit gegenüber anderen Stämmen und den von ihm eroberten westlichen Landesteilen vor, begreift aber selber Preußen in seiner Viel¬ gestaltigkeit nicht und steht selber diesem nur höchst mangelhaft überblickten Staats¬ wesen, diesem bedrohlichen „Koloß", überaus verständnislos gegenüber.
Man wird es in Preußen nie begreifen, wie groß die Mißgunst ihm gegen¬ über ist, weil es im Lauf der Geschichte — groß geworden ist. Dies wird ihm in Süddeutschland geradezu als ein Unrecht verdacht, und deshalb wäre man vielfach sehr dafür gewesen, daß der Preuß sche Entwurf der „Autonomisierung" Preußens durchgegangen wäre. Daß Preußen sich dagegen gewehrt hat, solange die anderen Einzelländer ihren Bestand und ihren Staatscharakler wahrten, wird ihm auch von ganz ernst denkenden Süddeutschen ganz einfach übel genommen. Man bedenkt dabei nicht, daß die süddeutschen Regierungen sich noch viel grund- sätzlicher gegen die Auflösung der Staatshoheiten im Reich aufgelehnt haben I
Die geschichtliche Entwicklung Preußens ist in dem Denken dieser Leute nur Annexionismus, und trotz aller tatsächlichen Rücksichten, die das große Preußen seit 1866 auf die anderen genommen hat, sieht man auch in den Plänen, welche eine allgemeine Einteilung Deutschlands in Selbständigkeitsbezirke, in Reichs oder Kulturprovinzen, befürworten, oft nur ein Aufgehen der Länder in Preußen oder ein Herabsinken derselben zu dessen Annex. Man macht nicht den kleinen logischen Schritt, sich zu sagen, daß, wenn Rheinland, Niedersachsen, Großhessen, Thüringen, Bayern, Schwaben Reichsprovinzen geworden sind, Preußen als Koloß aufgehört hat zu bestehen, also auch sein partikularistischer Annexionismus nicht weiter besteht, und daß es dann auch kein Großpreußen mehr gibt, welches „reichen und eigenartigen Kulturbesitz" bedroht, von dem man im Süden an-
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Auf dem Weg zum Ginheitsstaat
Schafter usw. brachten viele Momente der Verstimmung auf und hielten fortgesetzt
ein Mißtrauen wach, ob auch die nicht preußischen Landeskinder und vor allem
die Interessen der Einzelstaaten genügend dabei berücksichtigt würden. Der geringe
Einfluß des Bundesrath auf die oft sehr persönlich geführte auswärtige Politik
erregte ebenfalls die Eifersucht, und erweckte Neichsverdrossenheit, wenn keine
Erfolge zu verzeichnen waren, oder Dinge geschahen, die besser unterblieben wären.
Man empfand und empfindet vieles als preußischen Egoismus, weil es von Berlin
aus geht. Die Verbindung der preußischen und der Reichshauptstadt zusamt der
gefürchteten Aufsaugung aller Zentralen durch Berlin machte diese Stadt und ihren
Namen immer unbeliebter.
Der Süden ist sich in übertriebener Weise einer älteren Kultur bewußt als
sie das Land an der Spree aufzuzeigen hat, und so ist der Süden um so eifer¬
süchtiger auf den Emporkömmling. An das größere Preußen mit seinen west¬
lichen Knlturprovinzen hat man sich nie gewöhnt. Unter Preußen versteht man
noch heute im Süden eigentlich nur Berlin und Umgegend. Das westelbische
Land rechnet man kaum dazu. DaS Bewußtsein, daß dies meist erst vor Jahr¬
zehnten erobertes Land ist, wurde im Süden nie erstickt. Die gewaltigen Leistungen
Preußens für Deutschland werden nur akademisch und bei besonderen Gelegen¬
heiten anerkannt; die preußische Art und die für geringer gehaltene Intelligenz aller
Norddeutschen werden in scharfen Gegensatz zu dem für gehaltvoller angesehenen
Süden gebracht. In all diesem aber steckt etwas von Angst und Beklemmung, insbe¬
sondere auch deshalb, weil man sich nicht verschweigen kann, daß Preußens Vor¬
hand in Deutschland doch mehr und mehr durchdrang. Das nennt man voll
Gift und Galle „preußischen Annexionismus".
Das Unbehagen gegen Preußen war nach 1871 zunächst durch Idealismus
für das Reich gemildert. Je mehr man aber das Reich mit Preußen identifizierte
(oder umgekehrt), desto mehr begann daS Unbehagen in Abneigung und Auf¬
lehnung umzuschlagen. Es geschah und geschieht auch freilich so gut wie nichts, um
zu zeigen, wie Preußen als entgliedernder Einheitsstaat eigentlich vorbildlich ge¬
wesen ist, wie großzügig seine Verwaltung und wie verständnisvoll die Behandlung
der verschiedenen Landesteile und ihrer Bevölkerungen nach Eigenart und Kultur¬
bedingungen — trotz aller gegenteiligen Behauptungen — gewesen ist. Man
wirft Preußen Verständnislostgkeit gegenüber anderen Stämmen und den von ihm
eroberten westlichen Landesteilen vor, begreift aber selber Preußen in seiner Viel¬
gestaltigkeit nicht und steht selber diesem nur höchst mangelhaft überblickten Staats¬
wesen, diesem bedrohlichen „Koloß", überaus verständnislos gegenüber.
Man wird es in Preußen nie begreifen, wie groß die Mißgunst ihm gegen¬
über ist, weil es im Lauf der Geschichte — groß geworden ist. Dies wird ihm
in Süddeutschland geradezu als ein Unrecht verdacht, und deshalb wäre man
vielfach sehr dafür gewesen, daß der Preuß sche Entwurf der „Autonomisierung"
Preußens durchgegangen wäre. Daß Preußen sich dagegen gewehrt hat, solange
die anderen Einzelländer ihren Bestand und ihren Staatscharakler wahrten, wird
ihm auch von ganz ernst denkenden Süddeutschen ganz einfach übel genommen.
Man bedenkt dabei nicht, daß die süddeutschen Regierungen sich noch viel grund-
sätzlicher gegen die Auflösung der Staatshoheiten im Reich aufgelehnt haben I
Die geschichtliche Entwicklung Preußens ist in dem Denken dieser Leute nur
Annexionismus, und trotz aller tatsächlichen Rücksichten, die das große Preußen
seit 1866 auf die anderen genommen hat, sieht man auch in den Plänen, welche
eine allgemeine Einteilung Deutschlands in Selbständigkeitsbezirke, in Reichs
oder Kulturprovinzen, befürworten, oft nur ein Aufgehen der Länder in Preußen
oder ein Herabsinken derselben zu dessen Annex. Man macht nicht den kleinen
logischen Schritt, sich zu sagen, daß, wenn Rheinland, Niedersachsen, Großhessen,
Thüringen, Bayern, Schwaben Reichsprovinzen geworden sind, Preußen als Koloß
aufgehört hat zu bestehen, also auch sein partikularistischer Annexionismus nicht
weiter besteht, und daß es dann auch kein Großpreußen mehr gibt, welches
„reichen und eigenartigen Kulturbesitz" bedroht, von dem man im Süden an-
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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/166>, abgerufen am 24.01.2025.
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