Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Llemeneeau und die 95 deutschen Intellektuellen (Llemenceau und die 93 deutschen Intellektuellen Dr. Max Hildebert Bochen von in Oktober 1914 wandten sich 93 führende Männer deutscher Mit dem Aufgebot des ganzen Carl, der auch heute noch die "lateinische Das "Berliner Tageblatt" kann den Tag nicht erwarten, wo der Unter- Llemeneeau und die 95 deutschen Intellektuellen (Llemenceau und die 93 deutschen Intellektuellen Dr. Max Hildebert Bochen von in Oktober 1914 wandten sich 93 führende Männer deutscher Mit dem Aufgebot des ganzen Carl, der auch heute noch die „lateinische Das „Berliner Tageblatt" kann den Tag nicht erwarten, wo der Unter- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336439"/> <fw type="header" place="top"> Llemeneeau und die 95 deutschen Intellektuellen</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> (Llemenceau und die 93 deutschen Intellektuellen<lb/><note type="byline"> Dr. Max Hildebert Bochen</note> von</head><lb/> <p xml:id="ID_506"> in Oktober 1914 wandten sich 93 führende Männer deutscher<lb/> Wissenschaft mit einer Kundgebung an die Kulturwelt, die unter<lb/> feierlicher Apostrophierung eines „Es ist nicht wahr" gegen die<lb/> Behauptungen der ententistischen Wellpropaganda Einspruch erhob,<lb/> daß Deutschland den Krieg verschuldet, daß wir freventlich die<lb/> belgische Neutralität verletzt und ohne Zwang bitterster Notwehr<lb/> Leben und Eigentum belgischer Bürger angetastet, daß unsere Truppen brutal<lb/> gegen Löwen gewütet, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts miß-<lb/> achtet hätte und daß der Kampf der Entente gegen unseren Militarismus kein<lb/> Kampf gegen unsere Kultur sei. Der Aufruf ist in der Formulierung gedrungen,<lb/> er ist von dem Pathos getragen, das im Rahmen der damals herrschenden<lb/> Stimmung echt und der Lage angemessen war, im übrigen unterscheidet er sich<lb/> von den gleichzeitigen Kundgebungen der Ententepropaganda durch den maßvollen<lb/> Ton und durch das Fehlen unritterlicher Ausfälle und Beschimpfungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_507"> Mit dem Aufgebot des ganzen Carl, der auch heute noch die „lateinische<lb/> Civilisation" auszeichnet, hat Clemenceciu sich in seiner letzten großen Senatsrede<lb/> über dieses Dokument dem „Berliner Tageblatt" zufolge mit den nachstehenden<lb/> Äußerungen verbreitet: „Und auch daran muß ich denken, was ich für das<lb/> größte Verbrechen Deutschlands halten möchte, an dies schamlose Manifest der<lb/> sogenannten Intellektuellen, ja leider wirklichen Intellektuellen . . .1 Di?s Mani¬<lb/> fest ist ein schlimmeres Verbrechen als alle anderen Taten, von denen wir wissen.<lb/> Die geistige Kultur ist ein Element sittlicher Bescherung. Je höher ein Mensch<lb/> auf den Stufen des Wissens steigt, desto tiefer will ich mich vor ihm beugen,<lb/> weil er nach meiner Überzeugung Möglichkeiten des Urteils besitzen muß, die nur<lb/> ein sittliches Empfinden von besonderer Feinheit verleihen kann. Und nun<lb/> kommen 93 Männer, Männer, von denen ich einige kenne, und deren Werke, —<lb/> soweit es sich nur um Bücher handelt I — ich bewundere, aber die ich um<lb/> dieses Manifestes willen verachten muß. (Anfall.) Die 93, Gelehrte, Techniker,<lb/> Philosophen. Schriftsteller, Priester, kurz alle, die durch ihr Wort auf die<lb/> öffentliche Meinung wirken können, haben es gewagt, am 11. Oktober 1914 zu<lb/> verkünden: Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg provoziert hat (Ach,<lb/> wie gern möchten sie ihr Wort heute zurücknehmen!). Weder das Volk, noch der<lb/> Kaiser haben den Krieg gewollt usw. (Clemenceau verliest, von Beifall und<lb/> Entrüstungsrufen unterbrochen, das bekannte Manifest und führt dann fort:)<lb/> Wenn die bedeutendsten Männer eines Landes, die berufenen Führer der sittlichen<lb/> Gesinnung und der hohen Gedanken, nach denen die Völker geleitet werden sollen,<lb/> so dreist zu lügen wagen, dann ist es wohl erlaubt, einige Zweifel an der Rück-<lb/> kehr zur Vernunft auszudrücken, die uns die Herren Debiörre und Flaisiercs<lb/> ankündigen. Wir müssen es abwarten. Der Präsident Wilson, der keineswegs<lb/> Prodeutsch ist, — das will ich mit lauter Stimme sagen — hatte dennoch die<lb/> Hoffnung, daß die Deutschen bald in den Völkerbund eintreten könnten. Wenn<lb/> die Zeit gekommen ist, darüber zu sprechen, dann wollen wir sie fragen, was sie<lb/> von diesem Manifest ihrer Intellektuellen halten. Und danach wollen wir sie<lb/> beurteilen."</p><lb/> <p xml:id="ID_508" next="#ID_509"> Das „Berliner Tageblatt" kann den Tag nicht erwarten, wo der Unter-<lb/> drücker Deutschlands diese dreiste Frage an unser Volk richten wird. Nachdem<lb/> schon Theodor Wolff in einem Montagsartikel die deutschen Intellektuellen hatte<lb/> fallen lassen, leitet nunmehr der bekannie Pazifist Dr. Hans Wehberg in der<lb/> Nummer vom 23. Oktober eine Aktion ein, die auf pazifistische Art, nämlich<lb/> durch reumütigen Widerruf und öffentlich zur Schau des Auslands getragene<lb/> Zerknirschung der Angeklagten unseren moralischen Kredit in der Welt wieder-<lb/> herzustellen sucht. Ausgerechnet den gegenwärtigen Augenblick, wo durch Clemenceaus<lb/> unerhörte Anwürfe moralisch eine völlig neue Lage geschaffen ist, benützt das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
Llemeneeau und die 95 deutschen Intellektuellen
(Llemenceau und die 93 deutschen Intellektuellen
Dr. Max Hildebert Bochen von
in Oktober 1914 wandten sich 93 führende Männer deutscher
Wissenschaft mit einer Kundgebung an die Kulturwelt, die unter
feierlicher Apostrophierung eines „Es ist nicht wahr" gegen die
Behauptungen der ententistischen Wellpropaganda Einspruch erhob,
daß Deutschland den Krieg verschuldet, daß wir freventlich die
belgische Neutralität verletzt und ohne Zwang bitterster Notwehr
Leben und Eigentum belgischer Bürger angetastet, daß unsere Truppen brutal
gegen Löwen gewütet, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts miß-
achtet hätte und daß der Kampf der Entente gegen unseren Militarismus kein
Kampf gegen unsere Kultur sei. Der Aufruf ist in der Formulierung gedrungen,
er ist von dem Pathos getragen, das im Rahmen der damals herrschenden
Stimmung echt und der Lage angemessen war, im übrigen unterscheidet er sich
von den gleichzeitigen Kundgebungen der Ententepropaganda durch den maßvollen
Ton und durch das Fehlen unritterlicher Ausfälle und Beschimpfungen.
Mit dem Aufgebot des ganzen Carl, der auch heute noch die „lateinische
Civilisation" auszeichnet, hat Clemenceciu sich in seiner letzten großen Senatsrede
über dieses Dokument dem „Berliner Tageblatt" zufolge mit den nachstehenden
Äußerungen verbreitet: „Und auch daran muß ich denken, was ich für das
größte Verbrechen Deutschlands halten möchte, an dies schamlose Manifest der
sogenannten Intellektuellen, ja leider wirklichen Intellektuellen . . .1 Di?s Mani¬
fest ist ein schlimmeres Verbrechen als alle anderen Taten, von denen wir wissen.
Die geistige Kultur ist ein Element sittlicher Bescherung. Je höher ein Mensch
auf den Stufen des Wissens steigt, desto tiefer will ich mich vor ihm beugen,
weil er nach meiner Überzeugung Möglichkeiten des Urteils besitzen muß, die nur
ein sittliches Empfinden von besonderer Feinheit verleihen kann. Und nun
kommen 93 Männer, Männer, von denen ich einige kenne, und deren Werke, —
soweit es sich nur um Bücher handelt I — ich bewundere, aber die ich um
dieses Manifestes willen verachten muß. (Anfall.) Die 93, Gelehrte, Techniker,
Philosophen. Schriftsteller, Priester, kurz alle, die durch ihr Wort auf die
öffentliche Meinung wirken können, haben es gewagt, am 11. Oktober 1914 zu
verkünden: Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg provoziert hat (Ach,
wie gern möchten sie ihr Wort heute zurücknehmen!). Weder das Volk, noch der
Kaiser haben den Krieg gewollt usw. (Clemenceau verliest, von Beifall und
Entrüstungsrufen unterbrochen, das bekannte Manifest und führt dann fort:)
Wenn die bedeutendsten Männer eines Landes, die berufenen Führer der sittlichen
Gesinnung und der hohen Gedanken, nach denen die Völker geleitet werden sollen,
so dreist zu lügen wagen, dann ist es wohl erlaubt, einige Zweifel an der Rück-
kehr zur Vernunft auszudrücken, die uns die Herren Debiörre und Flaisiercs
ankündigen. Wir müssen es abwarten. Der Präsident Wilson, der keineswegs
Prodeutsch ist, — das will ich mit lauter Stimme sagen — hatte dennoch die
Hoffnung, daß die Deutschen bald in den Völkerbund eintreten könnten. Wenn
die Zeit gekommen ist, darüber zu sprechen, dann wollen wir sie fragen, was sie
von diesem Manifest ihrer Intellektuellen halten. Und danach wollen wir sie
beurteilen."
Das „Berliner Tageblatt" kann den Tag nicht erwarten, wo der Unter-
drücker Deutschlands diese dreiste Frage an unser Volk richten wird. Nachdem
schon Theodor Wolff in einem Montagsartikel die deutschen Intellektuellen hatte
fallen lassen, leitet nunmehr der bekannie Pazifist Dr. Hans Wehberg in der
Nummer vom 23. Oktober eine Aktion ein, die auf pazifistische Art, nämlich
durch reumütigen Widerruf und öffentlich zur Schau des Auslands getragene
Zerknirschung der Angeklagten unseren moralischen Kredit in der Welt wieder-
herzustellen sucht. Ausgerechnet den gegenwärtigen Augenblick, wo durch Clemenceaus
unerhörte Anwürfe moralisch eine völlig neue Lage geschaffen ist, benützt das
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |