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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Frankreich und Deutschland

ihrer Ziele wäre gegeben, wenn sie von den Franzosen die sofortige Zurückziehung
der Besatzungstruppen zu erlangen vermöchten. Anders werden sie nur der aus
dem Bündel gleitende Stab sein, der einzeln zerbrochen werden wird.

Noch ein Wort über die französischen Sozialisten. Es hat in Deutschland
in manchen Kreisen unangenehm überrascht, daß sie den Antrag Lefevre, der eine
rigorose Entwaffnung Deutschlands forderte, mit aller Kraft unterstützten. Sie
taten es, weil sie sich von einer Abrüstung Deutschlands die allgemeine Abrüstung
versprachen. (Mit Unrecht, denn durch die von Deutschland gezählten Ent-
schädigungssummen können alle französischen Nüstungsausgaben für die nächsten
Jahrzehnte gedeckt werden, ohne daß das Land viel davon merkt, besonders da
es um eine umwälzende Finanzreform, die im nächsten Jahre einsetzen muß, doch
nicht herumkommt). Sie taten es aber auch aus Wahlrücksichten. Die Wahlen werden
unter der Parole: Niederhaltung Deutschlands gemacht werden. Wer diese Parole
nicht unterschreibt, hat keinerlei Aussicht auf Erfolg. Auch die französischen
Sozialisten sind überzeugt (und werden darin durch die Organe der Unabhängigen
ständig bestärkt), daß bei uns die Reaktion am Werke ist und der Militarismus
wieder das Haupt erhebt. Es ist ein Irrtum, wenn man bei uns annimmt, die
französischen Sozialisten würden irgendeine Maßregel, die die Niederhaltung
Deutschlands bezweckt, ernsthaft zu Fall bringen. Sie werden bestenfalls, um
innerpolitische Konzessionen herauszuschlagen, dagegen opponieren, aber sofort
schweigen oder sich, wie es während des Krieges geschehen ist, zersplittern, wenn
diese Opposition Aussicht hätte, sich durchzusetzen. Das Mißtrauen gegen Deutsch,
land lebt in jedem Franzosen bis auf weiteres, was wir auch tun und sagen
können, fort und die Versicherung des sozialistischen Abgeordneten Albert Thomas,
daß sich auch in Deutschland Anzeichen eines neuen Geistes bemerkbar gemacht
haben, hat wenig Glauben gefunden. Vor allem aber dürfen wir nicht vergessen,
daß als solche bessere Deutsche in Frankreich nur diejenigen gelten, die in
merkwürdiger weltfremder Verkennung der Lehren der Friedenskonferenz nach
Kräften dazu beigetragen haben, unsere nationale Stellung zu erschwer^?. Der
Denkschriftenfälscher Eismer, Liebknecht, Maximilian Harden, das sind für die
französischen Sozialisten die Vertreter jener "besseren" Deutschen. Und man bilde
sich ja nicht ein, daß unsere nationale Stellung verstärkt und die Achtung des
Auslandes für den Deutschen durch international gehaltene Verbrüderungsreden
erhöht oder nur gewonnen haben könnte. In allen Ländern haben vorderhand
die national gerichteten Kreise absolut die Oberhand, auch in Italien, selbst in
Nußland (siehe voriges Heft) und in Frankreich werden, wenn nicht alle An¬
zeichen täuschen, die Sozialisten bei den Wahlen eine katastrophale Niederlage er¬
halten, den nalionalgesinnten Kreisen aber erscheint der Nationslose, gleichgültig
nun, ob er über oder unter den Nationen steht oder zu stehen behauptet, als
outest, mit dem nicht zu verhandeln ist. Auch ein Regiment der Unabhängigen in
Deutschland würde uns jenseits des Rheins keine Freunde erwecken, da ihre Aus¬
sichten dort täglich als gefährdet und staatsfeindlich gebrandmarkt werden. Gewiß
sollten wir peinlich alles unterlassen, was herausfordernd wirken könnte, aber
uns anzuschmeißen, wie das erst jüngst wieder von einem deutschen Schriftsteller
geschehen ist, ist. abgesehen von einem bedauernswürdigen Mangel an Würde,
das Törichtste, was wir tun .können. Bis jetzt ist in Frankreich keinerlei Anzeichen
vorhanden, daß ein solches Werben um Liebe und Versöhnung Erfolg haben
könnte; es gibt von einer Gruppe politisch übrigens gänzlich einflußloser Schrift¬
steller ein versöhnlich gehaltenes Manifest, von dem wir dankbar Kenntnis ge¬
nommen haben, aber solange wir keine Taten sehen, solange insbesondere die
französischen Militärs in den besetzten Gebieten ihre Gewaltherrschaft fortsetzen
dürfe-,, haben wir keinerlei Anlaß, in solchen Manifesten mehr als sympathische
Schwärmereien zu sehen. Eine Annäherung kann nicht auf Grund von Mani¬
festationen einzelner schriftellenscher Cliquen geschehen, sondern nur durch eine von
beiden Seiten anstündig durchgeführte wirtschaftliche Zusammenarbeit. Daß diese
kommen wird, dafür wird der ständige Fall des Franken mehr sorgen als alle
V Menenius erbrüderungsmanifeste.




Frankreich und Deutschland

ihrer Ziele wäre gegeben, wenn sie von den Franzosen die sofortige Zurückziehung
der Besatzungstruppen zu erlangen vermöchten. Anders werden sie nur der aus
dem Bündel gleitende Stab sein, der einzeln zerbrochen werden wird.

Noch ein Wort über die französischen Sozialisten. Es hat in Deutschland
in manchen Kreisen unangenehm überrascht, daß sie den Antrag Lefevre, der eine
rigorose Entwaffnung Deutschlands forderte, mit aller Kraft unterstützten. Sie
taten es, weil sie sich von einer Abrüstung Deutschlands die allgemeine Abrüstung
versprachen. (Mit Unrecht, denn durch die von Deutschland gezählten Ent-
schädigungssummen können alle französischen Nüstungsausgaben für die nächsten
Jahrzehnte gedeckt werden, ohne daß das Land viel davon merkt, besonders da
es um eine umwälzende Finanzreform, die im nächsten Jahre einsetzen muß, doch
nicht herumkommt). Sie taten es aber auch aus Wahlrücksichten. Die Wahlen werden
unter der Parole: Niederhaltung Deutschlands gemacht werden. Wer diese Parole
nicht unterschreibt, hat keinerlei Aussicht auf Erfolg. Auch die französischen
Sozialisten sind überzeugt (und werden darin durch die Organe der Unabhängigen
ständig bestärkt), daß bei uns die Reaktion am Werke ist und der Militarismus
wieder das Haupt erhebt. Es ist ein Irrtum, wenn man bei uns annimmt, die
französischen Sozialisten würden irgendeine Maßregel, die die Niederhaltung
Deutschlands bezweckt, ernsthaft zu Fall bringen. Sie werden bestenfalls, um
innerpolitische Konzessionen herauszuschlagen, dagegen opponieren, aber sofort
schweigen oder sich, wie es während des Krieges geschehen ist, zersplittern, wenn
diese Opposition Aussicht hätte, sich durchzusetzen. Das Mißtrauen gegen Deutsch,
land lebt in jedem Franzosen bis auf weiteres, was wir auch tun und sagen
können, fort und die Versicherung des sozialistischen Abgeordneten Albert Thomas,
daß sich auch in Deutschland Anzeichen eines neuen Geistes bemerkbar gemacht
haben, hat wenig Glauben gefunden. Vor allem aber dürfen wir nicht vergessen,
daß als solche bessere Deutsche in Frankreich nur diejenigen gelten, die in
merkwürdiger weltfremder Verkennung der Lehren der Friedenskonferenz nach
Kräften dazu beigetragen haben, unsere nationale Stellung zu erschwer^?. Der
Denkschriftenfälscher Eismer, Liebknecht, Maximilian Harden, das sind für die
französischen Sozialisten die Vertreter jener „besseren" Deutschen. Und man bilde
sich ja nicht ein, daß unsere nationale Stellung verstärkt und die Achtung des
Auslandes für den Deutschen durch international gehaltene Verbrüderungsreden
erhöht oder nur gewonnen haben könnte. In allen Ländern haben vorderhand
die national gerichteten Kreise absolut die Oberhand, auch in Italien, selbst in
Nußland (siehe voriges Heft) und in Frankreich werden, wenn nicht alle An¬
zeichen täuschen, die Sozialisten bei den Wahlen eine katastrophale Niederlage er¬
halten, den nalionalgesinnten Kreisen aber erscheint der Nationslose, gleichgültig
nun, ob er über oder unter den Nationen steht oder zu stehen behauptet, als
outest, mit dem nicht zu verhandeln ist. Auch ein Regiment der Unabhängigen in
Deutschland würde uns jenseits des Rheins keine Freunde erwecken, da ihre Aus¬
sichten dort täglich als gefährdet und staatsfeindlich gebrandmarkt werden. Gewiß
sollten wir peinlich alles unterlassen, was herausfordernd wirken könnte, aber
uns anzuschmeißen, wie das erst jüngst wieder von einem deutschen Schriftsteller
geschehen ist, ist. abgesehen von einem bedauernswürdigen Mangel an Würde,
das Törichtste, was wir tun .können. Bis jetzt ist in Frankreich keinerlei Anzeichen
vorhanden, daß ein solches Werben um Liebe und Versöhnung Erfolg haben
könnte; es gibt von einer Gruppe politisch übrigens gänzlich einflußloser Schrift¬
steller ein versöhnlich gehaltenes Manifest, von dem wir dankbar Kenntnis ge¬
nommen haben, aber solange wir keine Taten sehen, solange insbesondere die
französischen Militärs in den besetzten Gebieten ihre Gewaltherrschaft fortsetzen
dürfe-,, haben wir keinerlei Anlaß, in solchen Manifesten mehr als sympathische
Schwärmereien zu sehen. Eine Annäherung kann nicht auf Grund von Mani¬
festationen einzelner schriftellenscher Cliquen geschehen, sondern nur durch eine von
beiden Seiten anstündig durchgeführte wirtschaftliche Zusammenarbeit. Daß diese
kommen wird, dafür wird der ständige Fall des Franken mehr sorgen als alle
V Menenius erbrüderungsmanifeste.




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[0148] Frankreich und Deutschland ihrer Ziele wäre gegeben, wenn sie von den Franzosen die sofortige Zurückziehung der Besatzungstruppen zu erlangen vermöchten. Anders werden sie nur der aus dem Bündel gleitende Stab sein, der einzeln zerbrochen werden wird. Noch ein Wort über die französischen Sozialisten. Es hat in Deutschland in manchen Kreisen unangenehm überrascht, daß sie den Antrag Lefevre, der eine rigorose Entwaffnung Deutschlands forderte, mit aller Kraft unterstützten. Sie taten es, weil sie sich von einer Abrüstung Deutschlands die allgemeine Abrüstung versprachen. (Mit Unrecht, denn durch die von Deutschland gezählten Ent- schädigungssummen können alle französischen Nüstungsausgaben für die nächsten Jahrzehnte gedeckt werden, ohne daß das Land viel davon merkt, besonders da es um eine umwälzende Finanzreform, die im nächsten Jahre einsetzen muß, doch nicht herumkommt). Sie taten es aber auch aus Wahlrücksichten. Die Wahlen werden unter der Parole: Niederhaltung Deutschlands gemacht werden. Wer diese Parole nicht unterschreibt, hat keinerlei Aussicht auf Erfolg. Auch die französischen Sozialisten sind überzeugt (und werden darin durch die Organe der Unabhängigen ständig bestärkt), daß bei uns die Reaktion am Werke ist und der Militarismus wieder das Haupt erhebt. Es ist ein Irrtum, wenn man bei uns annimmt, die französischen Sozialisten würden irgendeine Maßregel, die die Niederhaltung Deutschlands bezweckt, ernsthaft zu Fall bringen. Sie werden bestenfalls, um innerpolitische Konzessionen herauszuschlagen, dagegen opponieren, aber sofort schweigen oder sich, wie es während des Krieges geschehen ist, zersplittern, wenn diese Opposition Aussicht hätte, sich durchzusetzen. Das Mißtrauen gegen Deutsch, land lebt in jedem Franzosen bis auf weiteres, was wir auch tun und sagen können, fort und die Versicherung des sozialistischen Abgeordneten Albert Thomas, daß sich auch in Deutschland Anzeichen eines neuen Geistes bemerkbar gemacht haben, hat wenig Glauben gefunden. Vor allem aber dürfen wir nicht vergessen, daß als solche bessere Deutsche in Frankreich nur diejenigen gelten, die in merkwürdiger weltfremder Verkennung der Lehren der Friedenskonferenz nach Kräften dazu beigetragen haben, unsere nationale Stellung zu erschwer^?. Der Denkschriftenfälscher Eismer, Liebknecht, Maximilian Harden, das sind für die französischen Sozialisten die Vertreter jener „besseren" Deutschen. Und man bilde sich ja nicht ein, daß unsere nationale Stellung verstärkt und die Achtung des Auslandes für den Deutschen durch international gehaltene Verbrüderungsreden erhöht oder nur gewonnen haben könnte. In allen Ländern haben vorderhand die national gerichteten Kreise absolut die Oberhand, auch in Italien, selbst in Nußland (siehe voriges Heft) und in Frankreich werden, wenn nicht alle An¬ zeichen täuschen, die Sozialisten bei den Wahlen eine katastrophale Niederlage er¬ halten, den nalionalgesinnten Kreisen aber erscheint der Nationslose, gleichgültig nun, ob er über oder unter den Nationen steht oder zu stehen behauptet, als outest, mit dem nicht zu verhandeln ist. Auch ein Regiment der Unabhängigen in Deutschland würde uns jenseits des Rheins keine Freunde erwecken, da ihre Aus¬ sichten dort täglich als gefährdet und staatsfeindlich gebrandmarkt werden. Gewiß sollten wir peinlich alles unterlassen, was herausfordernd wirken könnte, aber uns anzuschmeißen, wie das erst jüngst wieder von einem deutschen Schriftsteller geschehen ist, ist. abgesehen von einem bedauernswürdigen Mangel an Würde, das Törichtste, was wir tun .können. Bis jetzt ist in Frankreich keinerlei Anzeichen vorhanden, daß ein solches Werben um Liebe und Versöhnung Erfolg haben könnte; es gibt von einer Gruppe politisch übrigens gänzlich einflußloser Schrift¬ steller ein versöhnlich gehaltenes Manifest, von dem wir dankbar Kenntnis ge¬ nommen haben, aber solange wir keine Taten sehen, solange insbesondere die französischen Militärs in den besetzten Gebieten ihre Gewaltherrschaft fortsetzen dürfe-,, haben wir keinerlei Anlaß, in solchen Manifesten mehr als sympathische Schwärmereien zu sehen. Eine Annäherung kann nicht auf Grund von Mani¬ festationen einzelner schriftellenscher Cliquen geschehen, sondern nur durch eine von beiden Seiten anstündig durchgeführte wirtschaftliche Zusammenarbeit. Daß diese kommen wird, dafür wird der ständige Fall des Franken mehr sorgen als alle V Menenius erbrüderungsmanifeste.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/148>, abgerufen am 15.01.2025.