Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Gewalt und Recht Spannung wachsen; denn in demselben Maße hörte dieser ja auf, Ausdruck einer Daher bedeutet jede Gebietseroberung solange eine Gefahr für den Frieden, Das Feslstellungsverfahren zwischen den physischen Gewalten der beiden Indessen scheint den hemmungslosen Demokraten -- das sind sie doch vor Gewalt und Recht Spannung wachsen; denn in demselben Maße hörte dieser ja auf, Ausdruck einer Daher bedeutet jede Gebietseroberung solange eine Gefahr für den Frieden, Das Feslstellungsverfahren zwischen den physischen Gewalten der beiden Indessen scheint den hemmungslosen Demokraten — das sind sie doch vor <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336430"/> <fw type="header" place="top"> Gewalt und Recht</fw><lb/> <p xml:id="ID_472" prev="#ID_471"> Spannung wachsen; denn in demselben Maße hörte dieser ja auf, Ausdruck einer<lb/> wirklich bestehenden Machtrelation zu sein. Daß dieser Friede in Frankreich desto<lb/> mehr als nicht mehr zu Recht bestehend, als Unrecht, gewertet werden mußte,<lb/> je mehr sich das Verhältnis der physischen Gewalten zu seinen Gunsten verschob;<lb/> daß Frankreich auf ein neues gewaltsames Feststellungsverfahren hinarbeiten<lb/> mußte, sobald es die physische Übermacht des Dreiverbandes als hinreichend ein¬<lb/> schätzte, um die Annullierung des Frankfurter Friedens, die Rückgabe Elsaß-<lb/> Lothringens zu erzwingen; daß es endlich, nachdem das neue Verfahren zu se nen<lb/> Gunsten entschieden hat, den Siegespreis einzieht: das alles ist nicht nur notwendig,<lb/> im Weien der Macht begründet; es ist auch historisch gerecht. Ein Staat hat<lb/> eine kriegerische Eroberung gemacht; sie ist zwar durch den Friedensschluß legitimiert,<lb/> zu Recht gemacht worden, aber er hat nicht verstanden, seine physische Gewalt,<lb/> sei allein, sei es virstärkt durch wertvolle Bündnisse, auf der Höhe zu hallen,<lb/> die ihn befähigt, jederzeit mit dem Schwerte die Berechtigung der Eroberung<lb/> nachzuweisen, das Nochbestehen der Gewaltenrelation, die sie ermöglicht hatte:<lb/> dieser Staat verdient, daß er das eroberte Land wieder verliert, und mögen alle<lb/> historischen Rechte der Welt auf seiner Seite stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_473"> Daher bedeutet jede Gebietseroberung solange eine Gefahr für den Frieden,<lb/> als der Besiegte sich nicht versöhnen läßt, als er seine ganze Politik darauf<lb/> einstellt, das Gewaltenverhälmis, die in seinem Gebietsverluste den völkerrechtlichen<lb/> Ausdruck fand, zu seinen Gunsten zu ändern, um, sobald ihm dies gelungen,<lb/> eine neue Feststellung zu betreiben. Ich glaube, jeder Besiegte, der Gebiet<lb/> verloren hat, kann Europa, kaun heute die Welt so lange in Atem halten, bis<lb/> er eine Revision des Verlustfriedens zu seinen Gunsten erreicht — und wäre es<lb/> nur um seines unverschämten Geilenz willen. Freilich, eins gehört dazu: eine<lb/> Kraft und Gläubigkeit dir Hingabe an den Staat, die vor keinem Opfer zurück¬<lb/> schreckt; ein nationaler Eigensinn von einer erhabenen Größe — die Demokraten<lb/> würden sogen: von einer bösartigen Beschränktheit — der nicht jedem Volke und<lb/> nicht zu jeder Zeit geschenkt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_474"> Das Feslstellungsverfahren zwischen den physischen Gewalten der beiden<lb/> Machtballungen, die sich 1914 gegenüber standen, hat gegen Deutschland entschieden.<lb/> Nachdem das Reich durch die Annahme der Waffenstillstandsbedingungen sich<lb/> seiner physischen Gewalt begeben hatte, war es gar nicht anders möglich, als daß<lb/> der Frudensvertrag das bedeuten würde, was er tatsächlich bedeutet: die<lb/> Verewigung des gegenwärtigen Gewaltenverhältmsses, der vollendeten Ohnmacht<lb/> Deutschlands also, durch ihre Umwandlung in Völkerrecht. Der G.w.iluriede ist<lb/> die notwendige Folge davon, daß bei seinem Abschlüsse hinter dem Recht?begriffe<lb/> „Deutsches Reich" keine Physische Gewalt mehr stand, fähig und bereit, sich für<lb/> die Erkaltung seiner Integrität einzusetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_475" next="#ID_476"> Indessen scheint den hemmungslosen Demokraten — das sind sie doch vor<lb/> allem, welcher Partei sie auch angehören mögen — von denen sich die deutsche<lb/> Nation gegenwärtig regieren läßt, das Versailler Friedensinstrument allein noch<lb/> keine bini einsende Garantie für die Verewigung der deutschen Ohnmacht zu<lb/> enthalten; das geht aus ihrem Drängen auf baldige Aufnahme Deutschlands in<lb/> den Völkerbund unzweideutig hervor. Ihr Deutschland gleicht einem eing> fangenen<lb/> Verbrecher, dem die Füße gefesselt sind; er aber streckt seinen Häschern die Hände<lb/> hin: „Bitte, fesselt die auch, aber rasch; es ist mir unerträglich zu denken, daß<lb/> ihr an der Aufrichtigkeit meiner Reue zweifelt und womöglich glaubt, ich trage<lb/> mich trotz meiner Fußfesseln mit Fluch'gebauten." Ich kann mir nickt vorstellen,<lb/> was ein Völkerbund anders sein könnte als eine völkerrechtliche Fixierung deS<lb/> Machtverhältnisses, die bei seiner Gründung zwischen den Mächten bestebt, die ihm<lb/> beiireten. Wilsons Völkerbund soll alle zivilisierten Staaten umfassen. Das<lb/> Drängen der Negierung auf den Beitritt Deutschlands besagt also: „mit der<lb/> völkerrechtlichen Fixierung unserer Omunacht durch den Versailler Frieden können<lb/> wir uns unmöglich begnügen, denn für das Friedensinstrumeul bürgen nur »eine<lb/> Unterzeichner, die ehemaligen Kriegführenden. Nun sind aber noch einige neutrale</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0140]
Gewalt und Recht
Spannung wachsen; denn in demselben Maße hörte dieser ja auf, Ausdruck einer
wirklich bestehenden Machtrelation zu sein. Daß dieser Friede in Frankreich desto
mehr als nicht mehr zu Recht bestehend, als Unrecht, gewertet werden mußte,
je mehr sich das Verhältnis der physischen Gewalten zu seinen Gunsten verschob;
daß Frankreich auf ein neues gewaltsames Feststellungsverfahren hinarbeiten
mußte, sobald es die physische Übermacht des Dreiverbandes als hinreichend ein¬
schätzte, um die Annullierung des Frankfurter Friedens, die Rückgabe Elsaß-
Lothringens zu erzwingen; daß es endlich, nachdem das neue Verfahren zu se nen
Gunsten entschieden hat, den Siegespreis einzieht: das alles ist nicht nur notwendig,
im Weien der Macht begründet; es ist auch historisch gerecht. Ein Staat hat
eine kriegerische Eroberung gemacht; sie ist zwar durch den Friedensschluß legitimiert,
zu Recht gemacht worden, aber er hat nicht verstanden, seine physische Gewalt,
sei allein, sei es virstärkt durch wertvolle Bündnisse, auf der Höhe zu hallen,
die ihn befähigt, jederzeit mit dem Schwerte die Berechtigung der Eroberung
nachzuweisen, das Nochbestehen der Gewaltenrelation, die sie ermöglicht hatte:
dieser Staat verdient, daß er das eroberte Land wieder verliert, und mögen alle
historischen Rechte der Welt auf seiner Seite stehen.
Daher bedeutet jede Gebietseroberung solange eine Gefahr für den Frieden,
als der Besiegte sich nicht versöhnen läßt, als er seine ganze Politik darauf
einstellt, das Gewaltenverhälmis, die in seinem Gebietsverluste den völkerrechtlichen
Ausdruck fand, zu seinen Gunsten zu ändern, um, sobald ihm dies gelungen,
eine neue Feststellung zu betreiben. Ich glaube, jeder Besiegte, der Gebiet
verloren hat, kann Europa, kaun heute die Welt so lange in Atem halten, bis
er eine Revision des Verlustfriedens zu seinen Gunsten erreicht — und wäre es
nur um seines unverschämten Geilenz willen. Freilich, eins gehört dazu: eine
Kraft und Gläubigkeit dir Hingabe an den Staat, die vor keinem Opfer zurück¬
schreckt; ein nationaler Eigensinn von einer erhabenen Größe — die Demokraten
würden sogen: von einer bösartigen Beschränktheit — der nicht jedem Volke und
nicht zu jeder Zeit geschenkt ist.
Das Feslstellungsverfahren zwischen den physischen Gewalten der beiden
Machtballungen, die sich 1914 gegenüber standen, hat gegen Deutschland entschieden.
Nachdem das Reich durch die Annahme der Waffenstillstandsbedingungen sich
seiner physischen Gewalt begeben hatte, war es gar nicht anders möglich, als daß
der Frudensvertrag das bedeuten würde, was er tatsächlich bedeutet: die
Verewigung des gegenwärtigen Gewaltenverhältmsses, der vollendeten Ohnmacht
Deutschlands also, durch ihre Umwandlung in Völkerrecht. Der G.w.iluriede ist
die notwendige Folge davon, daß bei seinem Abschlüsse hinter dem Recht?begriffe
„Deutsches Reich" keine Physische Gewalt mehr stand, fähig und bereit, sich für
die Erkaltung seiner Integrität einzusetzen.
Indessen scheint den hemmungslosen Demokraten — das sind sie doch vor
allem, welcher Partei sie auch angehören mögen — von denen sich die deutsche
Nation gegenwärtig regieren läßt, das Versailler Friedensinstrument allein noch
keine bini einsende Garantie für die Verewigung der deutschen Ohnmacht zu
enthalten; das geht aus ihrem Drängen auf baldige Aufnahme Deutschlands in
den Völkerbund unzweideutig hervor. Ihr Deutschland gleicht einem eing> fangenen
Verbrecher, dem die Füße gefesselt sind; er aber streckt seinen Häschern die Hände
hin: „Bitte, fesselt die auch, aber rasch; es ist mir unerträglich zu denken, daß
ihr an der Aufrichtigkeit meiner Reue zweifelt und womöglich glaubt, ich trage
mich trotz meiner Fußfesseln mit Fluch'gebauten." Ich kann mir nickt vorstellen,
was ein Völkerbund anders sein könnte als eine völkerrechtliche Fixierung deS
Machtverhältnisses, die bei seiner Gründung zwischen den Mächten bestebt, die ihm
beiireten. Wilsons Völkerbund soll alle zivilisierten Staaten umfassen. Das
Drängen der Negierung auf den Beitritt Deutschlands besagt also: „mit der
völkerrechtlichen Fixierung unserer Omunacht durch den Versailler Frieden können
wir uns unmöglich begnügen, denn für das Friedensinstrumeul bürgen nur »eine
Unterzeichner, die ehemaligen Kriegführenden. Nun sind aber noch einige neutrale
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