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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Gewalt und Recht

bleibt ihm ein Drittes: er selber bestimmt in einem Präventivkriege noch einmal
die Gewaltrelation und befestigt in einem neuen Frieden das Ergebnis des früheren
dergestalt, daß er vor einem gefährlichen Machtzuwachse des zweimal Geschlagenen
auf absehbare Zeit Ruhe hat."

Dies "auf absehbare Zeit ist der schwache Punkt in der Machtrcchnung
jedes Siegers. Wer die Geschichte liest, musz immer wieder staunen, wie rasch
sich die Staaten, große und kleine, rach "vernichtenden" Niederlagen und ent¬
sprechend harten Friedensbedingungen wieder erholt haben. Unter zwei Be¬
dingungen allerdings. Der Kontakt der Bürger untereinander und mit der
heimatlichen Scholle mußte erhallen bleiben. Wenn, wie es im Altertum geschah,
tue gesamte Bürgerschaft abgeführt und in die Sklaverei verlauft wurde, dann
war es um die staatliche Existenz des Besiegten geseh>h>n. Eigentlich war auch
dieses Minel nicht radikal genug. Wenn jeder einzelne dieser versklavten Bürger
an seinem Staate festgehalten, sich kuren zu jedem Opfer für seine Wiederher-
stellung eingesetzt hätte: dieses auseinander gerissene, von der Scholle gelöste Volk
wäre zu einer so unerträglichen Beunruhigung sür das Sicgervolk geworden, daß
dieses bald vor der Alternative gestar den batie, die besiegte Naiion staatsrechtlich
wieder herzustellen oder sie buchstäblich auszurotten, durch Tötung aller ihrer
Bürger; sie ist das einzige sichere Mittel zur Vernichtung einer nationalen Existenz.
Weil sie allein die zweite Bedingung zuverlässig ausschalten kann, von der jede
nationale Erhebung abhängt: den Willen des Besiegten zu seinem Staate. Es
ist zu allen Zeiten bcguemer gewesen, sich mit dem Bedrücker zu versöhnen, sein
Joch so gut wie möglich zu Polstern und an einer halbvollen Futterkrippe -- auch
Bescheidenheit ist bignem -- den eigensinnigen Willen zum Staate und den un"
versöhnlichen Haß gegen den Bedrücker als heroische Schwachheit zu bespötteln, das
war immer bequemer, als sich mit allen Kräften zu sperren und wider den Stachel
zu töten. Eine Nation, die nicht bereit war, jeden, auch den unbilligsten Preis
für die Wiedergewinnung ihrer Unabhängigkeit und ihrer Größe zu zahlen, die
verdiente, daß sie zugrunde ging, und mochte ihr ewiger Bestand durch die heiligsten
Verträge gewährt"istet sein.

Die Nutzanwendung dieser Betrachtung auf die gegenwärtige Lage Deutsch¬
lands liegt so nahe, daß ich sie füglich dem Leser ersparen könnte. Aber eS
gibt Dinge, die man heute nicht oft und nicht eindringlich genug wiederholen karrn.

Ein Urteil über die deutsche Politik vor dem Kriege Steyl mir nicht zu; ich
greife nur einen Punkt heraus, der mir für die Erkenntnis der Beziehungen
zwischen Gewalt und Recht besonders instruktiv zu sein scheint: unser Verhältnis
zu Frankreich seit 1871.

Der Frankfurter Frieden war, als er geschlossen wurde, ein brauchbarer
Ausdruck des wahren Kräfteverhältnisses der Parteien. Die physische Gewalt
Frankreichs war nicht imstande gewesen, Elsaß-Lothringen, ein altes Streitobjekt
zwischen den Parteien, zu behaupten; dieses Ergebnis bekam in der Abtretung
der Provinzen an das Deutsche Reich seine völkerrechtliche Sanktionierung. Wären
Deutschland und Frankreich allein auf der Welt, so wäre 1914 das Frankfurter
Friedensinstrument nicht mehr wahrer Ausdruck des Machtverhäitnisses gewesen; denn
Deutschlands physische Gewalt war viel schneller gewachsen als die Frankreichs.
Deutschland wäre also früher oder später, falls Frankreich nicht in friedlichen
Konzessionen dem deutschen Machtzuwachs Rechnung getragen hätte, durch die
unerbittliche Logik der Macht zu einem neuen Kriege gedrängt worden, um
seinen Machizuwachs zu realisieren. In Wahrheit standen sich nun aber die
beiden schon 1870 nicht isoliert gegenüber, sondern als Glieder der europäischen
Siaatenfamrlie, mit deren andern Gliedern durch mannigfache Beziehungen
verknüpft, zu beständiger Rücksicht auf sie gezwungen. Vismarck hatte für die
gewaltsame Auseinandersetzung mit Frankreich eine Preußen günstige europäische
Konjunktur geschaffen. Das Vertrauen Rußlands besaß er, seit er, dem Gezeter
des gesamten Fortschrittes zum Trotz, ihm durch freundnachbarliche Haltung die
Niederwerfung des Polenaufstandes erleichtert hatte. Rußlands Freund ichaft


Gewalt und Recht

bleibt ihm ein Drittes: er selber bestimmt in einem Präventivkriege noch einmal
die Gewaltrelation und befestigt in einem neuen Frieden das Ergebnis des früheren
dergestalt, daß er vor einem gefährlichen Machtzuwachse des zweimal Geschlagenen
auf absehbare Zeit Ruhe hat."

Dies „auf absehbare Zeit ist der schwache Punkt in der Machtrcchnung
jedes Siegers. Wer die Geschichte liest, musz immer wieder staunen, wie rasch
sich die Staaten, große und kleine, rach „vernichtenden" Niederlagen und ent¬
sprechend harten Friedensbedingungen wieder erholt haben. Unter zwei Be¬
dingungen allerdings. Der Kontakt der Bürger untereinander und mit der
heimatlichen Scholle mußte erhallen bleiben. Wenn, wie es im Altertum geschah,
tue gesamte Bürgerschaft abgeführt und in die Sklaverei verlauft wurde, dann
war es um die staatliche Existenz des Besiegten geseh>h>n. Eigentlich war auch
dieses Minel nicht radikal genug. Wenn jeder einzelne dieser versklavten Bürger
an seinem Staate festgehalten, sich kuren zu jedem Opfer für seine Wiederher-
stellung eingesetzt hätte: dieses auseinander gerissene, von der Scholle gelöste Volk
wäre zu einer so unerträglichen Beunruhigung sür das Sicgervolk geworden, daß
dieses bald vor der Alternative gestar den batie, die besiegte Naiion staatsrechtlich
wieder herzustellen oder sie buchstäblich auszurotten, durch Tötung aller ihrer
Bürger; sie ist das einzige sichere Mittel zur Vernichtung einer nationalen Existenz.
Weil sie allein die zweite Bedingung zuverlässig ausschalten kann, von der jede
nationale Erhebung abhängt: den Willen des Besiegten zu seinem Staate. Es
ist zu allen Zeiten bcguemer gewesen, sich mit dem Bedrücker zu versöhnen, sein
Joch so gut wie möglich zu Polstern und an einer halbvollen Futterkrippe — auch
Bescheidenheit ist bignem — den eigensinnigen Willen zum Staate und den un»
versöhnlichen Haß gegen den Bedrücker als heroische Schwachheit zu bespötteln, das
war immer bequemer, als sich mit allen Kräften zu sperren und wider den Stachel
zu töten. Eine Nation, die nicht bereit war, jeden, auch den unbilligsten Preis
für die Wiedergewinnung ihrer Unabhängigkeit und ihrer Größe zu zahlen, die
verdiente, daß sie zugrunde ging, und mochte ihr ewiger Bestand durch die heiligsten
Verträge gewährt»istet sein.

Die Nutzanwendung dieser Betrachtung auf die gegenwärtige Lage Deutsch¬
lands liegt so nahe, daß ich sie füglich dem Leser ersparen könnte. Aber eS
gibt Dinge, die man heute nicht oft und nicht eindringlich genug wiederholen karrn.

Ein Urteil über die deutsche Politik vor dem Kriege Steyl mir nicht zu; ich
greife nur einen Punkt heraus, der mir für die Erkenntnis der Beziehungen
zwischen Gewalt und Recht besonders instruktiv zu sein scheint: unser Verhältnis
zu Frankreich seit 1871.

Der Frankfurter Frieden war, als er geschlossen wurde, ein brauchbarer
Ausdruck des wahren Kräfteverhältnisses der Parteien. Die physische Gewalt
Frankreichs war nicht imstande gewesen, Elsaß-Lothringen, ein altes Streitobjekt
zwischen den Parteien, zu behaupten; dieses Ergebnis bekam in der Abtretung
der Provinzen an das Deutsche Reich seine völkerrechtliche Sanktionierung. Wären
Deutschland und Frankreich allein auf der Welt, so wäre 1914 das Frankfurter
Friedensinstrument nicht mehr wahrer Ausdruck des Machtverhäitnisses gewesen; denn
Deutschlands physische Gewalt war viel schneller gewachsen als die Frankreichs.
Deutschland wäre also früher oder später, falls Frankreich nicht in friedlichen
Konzessionen dem deutschen Machtzuwachs Rechnung getragen hätte, durch die
unerbittliche Logik der Macht zu einem neuen Kriege gedrängt worden, um
seinen Machizuwachs zu realisieren. In Wahrheit standen sich nun aber die
beiden schon 1870 nicht isoliert gegenüber, sondern als Glieder der europäischen
Siaatenfamrlie, mit deren andern Gliedern durch mannigfache Beziehungen
verknüpft, zu beständiger Rücksicht auf sie gezwungen. Vismarck hatte für die
gewaltsame Auseinandersetzung mit Frankreich eine Preußen günstige europäische
Konjunktur geschaffen. Das Vertrauen Rußlands besaß er, seit er, dem Gezeter
des gesamten Fortschrittes zum Trotz, ihm durch freundnachbarliche Haltung die
Niederwerfung des Polenaufstandes erleichtert hatte. Rußlands Freund ichaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/138>, abgerufen am 15.01.2025.