Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Rußland nervöse Furcht der Franzosen vor einer Erstarkung Deutschlands mit russischer Der Nechtsstandpunkt der Entente ist dabei völlig klar. Sowohl auf Grund Dasz eine Unterstützung österreichischer Balkanziele Deutschland in Rußland nervöse Furcht der Franzosen vor einer Erstarkung Deutschlands mit russischer Der Nechtsstandpunkt der Entente ist dabei völlig klar. Sowohl auf Grund Dasz eine Unterstützung österreichischer Balkanziele Deutschland in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336414"/> <fw type="header" place="top"> Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_416" prev="#ID_415"> nervöse Furcht der Franzosen vor einer Erstarkung Deutschlands mit russischer<lb/> Hilfe von deu Engländern klug ausgenutzt wird. Deutschland könnte, begünstigt<lb/> durch seine territoriale Nachbarschaft, den Engländern ein unbequemer Konkurrent<lb/> werden, ja, es könnte, so rechnet man, einen von England völlig unabhängigen<lb/> Machtfaktor unterstützen, der sich weder an die von Kollschak oder Denikin, noch<lb/> von den baltischen Staaten geschlossenen Abkommen gebunden hält. Und deshalb<lb/> darf man von der Goltz nicht auf Riga und Petersburg marschieren lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_417"> Der Nechtsstandpunkt der Entente ist dabei völlig klar. Sowohl auf Grund<lb/> des Waffenstillstands- wie des Friedensvertrages ist sie berechtigt, die Räumung<lb/> des Baltikums zu fordern. Daran kann nur rütteln wollen, wer sich über die<lb/> Folgen der Tatsache, daß Deutschland den Krieg verloren hat, noch immer nicht klar<lb/> geworden ist. Wir haben vorläufig noch keinerlei Mittel, eine der Entente nicht<lb/> genehme russische Politik wirklich durchzuführen und der Standpunkt des „Vielleicht<lb/> geht's doch" ist kein Standpunkt, der politisch zu verteidigen wäre. Da aber die<lb/> Beurteilung der baltischen Frage in Deutschland nahezu zur Parteiangelegenheit<lb/> geworden ist — das schlimmste, was bei der Behandlung eines Problems der<lb/> äußeren Politik eintreten kann — dürfte ein Versuch, in Kürze zu einem vor¬<lb/> urteilsloser Überblick der Möglichkeiten einer deutschen Ostpolitik zu gelangen, nicht<lb/> überflüssig sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_418" next="#ID_419"> Dasz eine Unterstützung österreichischer Balkanziele Deutschland in<lb/> Gegensatz zu einem infolge des unglücklichen Ausgangs des Ostasienkrieges<lb/> wieder westlich gewandten Nußland bringen würde, war vorauszusehen. Nach¬<lb/> dem der Krieg ausgebrochen war, gab es für die beiden Verbündeten Kaiserreiche<lb/> nur drei Möglichkeiten. Entweder man suchte den Gegner soweit zu schlagen,<lb/> daß eine Verständigung über die politischen Ziele im nahen Osten möglich wurde<lb/> oder man schlug ihn so, daß er alle politischen Ziele im Süden völlig aufgab<lb/> oder endlich, man zerschlug den ganzen großrussischen Koloß in Raubstaaten und<lb/> deu moskowitischen Kern. Welche dieser Möglichkeiten ins Auge gefaßt werden<lb/> sollte, hing nicht nur von den militärischen Erfolgen der Mittelmächte, sondern<lb/> mehr noch von ihrer politischen Gesamtkraft und Stabilität ab, keine von ihnen<lb/> war so, daß man nicht auch von feiten der Sieger hätte Opfer bringen müssen.<lb/> Die Verwirklichung der ersten wäre nur auf Kosten der Türkei möglich gewesen,<lb/> worunter die deutschen Bagdadinteressen gelitten hätten, während, wenn man<lb/> Rußland gar zu entschieden nach Norden abgedrängt hätte, seine Skandinavien¬<lb/> pläne bald Konflikte in der Ostsee hervorgerufen haben würden. Die zweite Mög¬<lb/> lichkeit hätte ein völlig gedemütigtes Rußland nur um so bereitwilliger jeder neuen<lb/> Koalition gegen die Mittelmächte in die Arme getrieben. Die dritte aber war,<lb/> wie ja die Folge ergeben hat. nur möglich, wenn man auf Galizien und das von<lb/> Polen bewohnte Preußen verzichten wollte. Man muß annehmen, daß die<lb/> politische Leitung Deutschlands während des Krieges nicht klar zwischen diesen<lb/> drei Möglichkeiten unterschieden, sondern sie miteinander vermengt, und sich schließlich<lb/> für die dritte entschieden hat, ohne sich über ihre Tragweite und das mit ihr ver¬<lb/> bundene und wenn nicht gleich, so doch unvermeidlich später verbundene Risiko<lb/> klar zu sein, und obwohl ihre Verwirklichung einen militärischen Sieg verlangte,<lb/> der trotz der enormen Einzelerfolge eben doch nicht, namentlich da die 1916 be¬<lb/> absichtigte völlige Einkreisung der russischen Zentralarmeen nicht gelang, vollständig<lb/> und jedenfalls nicht überraschend und niederschmetternd genug gewesen ist. Einen<lb/> Teil dieser Randstaatenpolitik nun bildete es, daß man im Baltikum die von den<lb/> Selbständigkeitsbestrebungen der Letten und Esthen bereits bedrohte innerpolitische<lb/> Führerschaft der Deutsch-Ballen stärkte und Ansiedlungsmöglichkeiten für deutsche<lb/> Kolonisten gewann. Durchgeführt werden konnte jedoch dieser an sich verständliche<lb/> und berechtigte Gedanke nur, wenn der modkowitische Kern durch die Nandstacnen-<lb/> politik tatsächlich in einem Maße ohnmächtig wurde, daß er sich dauernd jeder<lb/> ihm natürlichen Expansion zu den Ostseehäfen enthalten mußte. Das aber war<lb/> nur möglich, wenn es gelang, die Raubstaaten dauernd und gleichmäßig unter<lb/> dem politischen Einfluß der Mittelmächte zu halten, eine Aufgabe, deren Durch-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0124]
Rußland
nervöse Furcht der Franzosen vor einer Erstarkung Deutschlands mit russischer
Hilfe von deu Engländern klug ausgenutzt wird. Deutschland könnte, begünstigt
durch seine territoriale Nachbarschaft, den Engländern ein unbequemer Konkurrent
werden, ja, es könnte, so rechnet man, einen von England völlig unabhängigen
Machtfaktor unterstützen, der sich weder an die von Kollschak oder Denikin, noch
von den baltischen Staaten geschlossenen Abkommen gebunden hält. Und deshalb
darf man von der Goltz nicht auf Riga und Petersburg marschieren lassen.
Der Nechtsstandpunkt der Entente ist dabei völlig klar. Sowohl auf Grund
des Waffenstillstands- wie des Friedensvertrages ist sie berechtigt, die Räumung
des Baltikums zu fordern. Daran kann nur rütteln wollen, wer sich über die
Folgen der Tatsache, daß Deutschland den Krieg verloren hat, noch immer nicht klar
geworden ist. Wir haben vorläufig noch keinerlei Mittel, eine der Entente nicht
genehme russische Politik wirklich durchzuführen und der Standpunkt des „Vielleicht
geht's doch" ist kein Standpunkt, der politisch zu verteidigen wäre. Da aber die
Beurteilung der baltischen Frage in Deutschland nahezu zur Parteiangelegenheit
geworden ist — das schlimmste, was bei der Behandlung eines Problems der
äußeren Politik eintreten kann — dürfte ein Versuch, in Kürze zu einem vor¬
urteilsloser Überblick der Möglichkeiten einer deutschen Ostpolitik zu gelangen, nicht
überflüssig sein.
Dasz eine Unterstützung österreichischer Balkanziele Deutschland in
Gegensatz zu einem infolge des unglücklichen Ausgangs des Ostasienkrieges
wieder westlich gewandten Nußland bringen würde, war vorauszusehen. Nach¬
dem der Krieg ausgebrochen war, gab es für die beiden Verbündeten Kaiserreiche
nur drei Möglichkeiten. Entweder man suchte den Gegner soweit zu schlagen,
daß eine Verständigung über die politischen Ziele im nahen Osten möglich wurde
oder man schlug ihn so, daß er alle politischen Ziele im Süden völlig aufgab
oder endlich, man zerschlug den ganzen großrussischen Koloß in Raubstaaten und
deu moskowitischen Kern. Welche dieser Möglichkeiten ins Auge gefaßt werden
sollte, hing nicht nur von den militärischen Erfolgen der Mittelmächte, sondern
mehr noch von ihrer politischen Gesamtkraft und Stabilität ab, keine von ihnen
war so, daß man nicht auch von feiten der Sieger hätte Opfer bringen müssen.
Die Verwirklichung der ersten wäre nur auf Kosten der Türkei möglich gewesen,
worunter die deutschen Bagdadinteressen gelitten hätten, während, wenn man
Rußland gar zu entschieden nach Norden abgedrängt hätte, seine Skandinavien¬
pläne bald Konflikte in der Ostsee hervorgerufen haben würden. Die zweite Mög¬
lichkeit hätte ein völlig gedemütigtes Rußland nur um so bereitwilliger jeder neuen
Koalition gegen die Mittelmächte in die Arme getrieben. Die dritte aber war,
wie ja die Folge ergeben hat. nur möglich, wenn man auf Galizien und das von
Polen bewohnte Preußen verzichten wollte. Man muß annehmen, daß die
politische Leitung Deutschlands während des Krieges nicht klar zwischen diesen
drei Möglichkeiten unterschieden, sondern sie miteinander vermengt, und sich schließlich
für die dritte entschieden hat, ohne sich über ihre Tragweite und das mit ihr ver¬
bundene und wenn nicht gleich, so doch unvermeidlich später verbundene Risiko
klar zu sein, und obwohl ihre Verwirklichung einen militärischen Sieg verlangte,
der trotz der enormen Einzelerfolge eben doch nicht, namentlich da die 1916 be¬
absichtigte völlige Einkreisung der russischen Zentralarmeen nicht gelang, vollständig
und jedenfalls nicht überraschend und niederschmetternd genug gewesen ist. Einen
Teil dieser Randstaatenpolitik nun bildete es, daß man im Baltikum die von den
Selbständigkeitsbestrebungen der Letten und Esthen bereits bedrohte innerpolitische
Führerschaft der Deutsch-Ballen stärkte und Ansiedlungsmöglichkeiten für deutsche
Kolonisten gewann. Durchgeführt werden konnte jedoch dieser an sich verständliche
und berechtigte Gedanke nur, wenn der modkowitische Kern durch die Nandstacnen-
politik tatsächlich in einem Maße ohnmächtig wurde, daß er sich dauernd jeder
ihm natürlichen Expansion zu den Ostseehäfen enthalten mußte. Das aber war
nur möglich, wenn es gelang, die Raubstaaten dauernd und gleichmäßig unter
dem politischen Einfluß der Mittelmächte zu halten, eine Aufgabe, deren Durch-
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