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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Brauchen wir ein Reichssprachamt?

Dienst erweisen wollt, so laßt sie vor allem von jeder Ordnung und Regelung
durch eine Sprachpolizei ungeschoren!" An dem Einwand ist manches Wahre;
unser bisheriges Amtsdeutsch war vielfach nichts weniger als klar und volks¬
tümlich, es war auch keineswegs immer von falschen oder anfechtbaren Sprach¬
gebräuchen frei oder auch nur immer durch eine gewisse Fernhaltung von
Fremdwörtelei vorbildlich. Aber eben deshalb soll ja nicht zuletzt diese Stelle
geschaffen werden, damit an die Stelle einer oft gut gemeinten, aber nicht immer
glücklichen und vielfach willkürlichen Sprachregelung durch behördliche Amtsgewaltige
eine solche durch erfahrene Sachverständige tritt, und damit zugleich als Folge deS
mittelbaren Einflusses einer solchen Behörde der Sinn für natürliche und un¬
gezwungene Ausdrucksweise auch bei unseren Behörden mehr und mehr geweckt
und gefördert wird. Nicht steifer und papierner. sondern volkstümlicher und
flüssiger soll -- und man darf hoffen -- wird unser Amtsdeutsch durch den
Einfluß der Neichssprachbehörde werden!

Nicht haltbarer ist ein anderer Grund, der von Kennern der Sprach¬
geschichte nicht selten gegen unsere Forderung erhoben wird. Man wendet ein,
daß sprachliche Besserung, glückliche Wortschöpfungen usw. immer nur von einzelnen,,
besonders dafür begabten Persönlichkeiten, nie aber von einer Körperschaft aus¬
gegangen seien; auch die französische Akademie sei hier kein Gegenbeweis, denn
der eine Vaugelas habe für die Regelung des Französischen mehr getan als die
ganze übrige Akademie. Das ist vollkommen richtig; aber -- Vaugelas war
Mitglied der Akademie; nur durch sie konnten seine "Bemerkungen über die
französische Sprache" ihre Wirkung zum unbestrittenen Vorteil für die innere
Ordnung und äußere Geltung der französischen Sprache ausüben. Das ist ja
gerade bei uns der Jammer: wir können heute ein Dutzend Vaugelas haben^
so können sie doch nichts ausrichten, weil uns ebeu das Werkzeug fehlt, das ihren
Vorschlägen und Anregungen zu umfassender Wirkung verhelfen könnte.

Können wir somit keinen der Einwände, mit denen man die Möglichkeit
und Nützlichkeit eines Reichssprachamtes zu bekämpfen sucht, als stichhaltig an¬
erkennen, so bedeutet der Vorschlag andrerseits auch keineswegs eine so grund¬
stürzende Neuerung, wie man nach den Äußerungen der Gegner zumeist glauben
müßte. Seit wir von einem deutschen Staat wissen, haben Staatsmänner und
einflußreiche Beamte ihre Macht mit mehr oder minder El folg zu sprachlichen
Festsetzungen gebraucht; ebenso waren bekanntlich je und je Gesellschaften, ange¬
sehene Schriftsteller und Gelehrte am Werk, an ihrem Teil an der Reinigung der
Sprache zu arbeiten. So soll schon Karl der Große danach gestrebt haben, die
Sprache seiner Kanzlei durch Auswahl der Formen aus einer Mundart -- dem
Westfmnkischen -- zu einer deutschen Gemeinsprache zu machen; im Mittelalter^
wo wir im allgemeinen schrankenlos die Einzelmundarten herrschen sehen, waren
doch einzelne Schriftsteller, Prediger usw. darauf bedacht, ihre Schriften von
allzu enger Mundartlichkeit freizuhalten und ihnen dadurch größere Allgemein¬
verständlichkeit im deutschen Sprachgebiet zu verschaffen; die Bedeutung der kur-
meißnischen, teilweise auch der Wiener Kanzlei und vor allem der Lutherschen Bibel¬
übersetzung für die Entwicklung'unserer deutschen Gemeinsprache sind endlich zu
bekannt, als daß sie besonders hervorgehoben werden müßten. Aber auch nach
Luther, dessen Werk ja natürlicherweise nicht eine ein für allemal feststehende
deutsche Geineinsprache schaffen konnte, hat es an Bestrebungen und Wirkungen
dieser Art nie völlig gefehlt; es sei nur an die "Fruchtbringende Gesellschaft" des
Herzogs von Anhalt-Köthen, an Leibnizens noch heute beachtenswerten "Unvor-
greifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen
Sprache", an den zu Unrecht vielfach lächerlich gemachten Philipp von Zehen, an
das im einzelnen gewiß manchmal schulmeisterliche, aber im ganzen doch hoch¬
verdienstliche Wirken von Männern wie Schotte!, Adelung und Gottsched, an
Johann Heinrich Campe, an Ludwig Jahr, in neuerer Zeit an hohe Beamte, wie
den Generalpostmeister Stephan und die Bestrebungen des Allgemeinen deutschen
Sprachvereins erinnert. An Kräften, die im Sinne bewußter Pflege und


Brauchen wir ein Reichssprachamt?

Dienst erweisen wollt, so laßt sie vor allem von jeder Ordnung und Regelung
durch eine Sprachpolizei ungeschoren!" An dem Einwand ist manches Wahre;
unser bisheriges Amtsdeutsch war vielfach nichts weniger als klar und volks¬
tümlich, es war auch keineswegs immer von falschen oder anfechtbaren Sprach¬
gebräuchen frei oder auch nur immer durch eine gewisse Fernhaltung von
Fremdwörtelei vorbildlich. Aber eben deshalb soll ja nicht zuletzt diese Stelle
geschaffen werden, damit an die Stelle einer oft gut gemeinten, aber nicht immer
glücklichen und vielfach willkürlichen Sprachregelung durch behördliche Amtsgewaltige
eine solche durch erfahrene Sachverständige tritt, und damit zugleich als Folge deS
mittelbaren Einflusses einer solchen Behörde der Sinn für natürliche und un¬
gezwungene Ausdrucksweise auch bei unseren Behörden mehr und mehr geweckt
und gefördert wird. Nicht steifer und papierner. sondern volkstümlicher und
flüssiger soll — und man darf hoffen — wird unser Amtsdeutsch durch den
Einfluß der Neichssprachbehörde werden!

Nicht haltbarer ist ein anderer Grund, der von Kennern der Sprach¬
geschichte nicht selten gegen unsere Forderung erhoben wird. Man wendet ein,
daß sprachliche Besserung, glückliche Wortschöpfungen usw. immer nur von einzelnen,,
besonders dafür begabten Persönlichkeiten, nie aber von einer Körperschaft aus¬
gegangen seien; auch die französische Akademie sei hier kein Gegenbeweis, denn
der eine Vaugelas habe für die Regelung des Französischen mehr getan als die
ganze übrige Akademie. Das ist vollkommen richtig; aber — Vaugelas war
Mitglied der Akademie; nur durch sie konnten seine „Bemerkungen über die
französische Sprache" ihre Wirkung zum unbestrittenen Vorteil für die innere
Ordnung und äußere Geltung der französischen Sprache ausüben. Das ist ja
gerade bei uns der Jammer: wir können heute ein Dutzend Vaugelas haben^
so können sie doch nichts ausrichten, weil uns ebeu das Werkzeug fehlt, das ihren
Vorschlägen und Anregungen zu umfassender Wirkung verhelfen könnte.

Können wir somit keinen der Einwände, mit denen man die Möglichkeit
und Nützlichkeit eines Reichssprachamtes zu bekämpfen sucht, als stichhaltig an¬
erkennen, so bedeutet der Vorschlag andrerseits auch keineswegs eine so grund¬
stürzende Neuerung, wie man nach den Äußerungen der Gegner zumeist glauben
müßte. Seit wir von einem deutschen Staat wissen, haben Staatsmänner und
einflußreiche Beamte ihre Macht mit mehr oder minder El folg zu sprachlichen
Festsetzungen gebraucht; ebenso waren bekanntlich je und je Gesellschaften, ange¬
sehene Schriftsteller und Gelehrte am Werk, an ihrem Teil an der Reinigung der
Sprache zu arbeiten. So soll schon Karl der Große danach gestrebt haben, die
Sprache seiner Kanzlei durch Auswahl der Formen aus einer Mundart — dem
Westfmnkischen — zu einer deutschen Gemeinsprache zu machen; im Mittelalter^
wo wir im allgemeinen schrankenlos die Einzelmundarten herrschen sehen, waren
doch einzelne Schriftsteller, Prediger usw. darauf bedacht, ihre Schriften von
allzu enger Mundartlichkeit freizuhalten und ihnen dadurch größere Allgemein¬
verständlichkeit im deutschen Sprachgebiet zu verschaffen; die Bedeutung der kur-
meißnischen, teilweise auch der Wiener Kanzlei und vor allem der Lutherschen Bibel¬
übersetzung für die Entwicklung'unserer deutschen Gemeinsprache sind endlich zu
bekannt, als daß sie besonders hervorgehoben werden müßten. Aber auch nach
Luther, dessen Werk ja natürlicherweise nicht eine ein für allemal feststehende
deutsche Geineinsprache schaffen konnte, hat es an Bestrebungen und Wirkungen
dieser Art nie völlig gefehlt; es sei nur an die „Fruchtbringende Gesellschaft" des
Herzogs von Anhalt-Köthen, an Leibnizens noch heute beachtenswerten „Unvor-
greifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen
Sprache", an den zu Unrecht vielfach lächerlich gemachten Philipp von Zehen, an
das im einzelnen gewiß manchmal schulmeisterliche, aber im ganzen doch hoch¬
verdienstliche Wirken von Männern wie Schotte!, Adelung und Gottsched, an
Johann Heinrich Campe, an Ludwig Jahr, in neuerer Zeit an hohe Beamte, wie
den Generalpostmeister Stephan und die Bestrebungen des Allgemeinen deutschen
Sprachvereins erinnert. An Kräften, die im Sinne bewußter Pflege und


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[0116] Brauchen wir ein Reichssprachamt? Dienst erweisen wollt, so laßt sie vor allem von jeder Ordnung und Regelung durch eine Sprachpolizei ungeschoren!" An dem Einwand ist manches Wahre; unser bisheriges Amtsdeutsch war vielfach nichts weniger als klar und volks¬ tümlich, es war auch keineswegs immer von falschen oder anfechtbaren Sprach¬ gebräuchen frei oder auch nur immer durch eine gewisse Fernhaltung von Fremdwörtelei vorbildlich. Aber eben deshalb soll ja nicht zuletzt diese Stelle geschaffen werden, damit an die Stelle einer oft gut gemeinten, aber nicht immer glücklichen und vielfach willkürlichen Sprachregelung durch behördliche Amtsgewaltige eine solche durch erfahrene Sachverständige tritt, und damit zugleich als Folge deS mittelbaren Einflusses einer solchen Behörde der Sinn für natürliche und un¬ gezwungene Ausdrucksweise auch bei unseren Behörden mehr und mehr geweckt und gefördert wird. Nicht steifer und papierner. sondern volkstümlicher und flüssiger soll — und man darf hoffen — wird unser Amtsdeutsch durch den Einfluß der Neichssprachbehörde werden! Nicht haltbarer ist ein anderer Grund, der von Kennern der Sprach¬ geschichte nicht selten gegen unsere Forderung erhoben wird. Man wendet ein, daß sprachliche Besserung, glückliche Wortschöpfungen usw. immer nur von einzelnen,, besonders dafür begabten Persönlichkeiten, nie aber von einer Körperschaft aus¬ gegangen seien; auch die französische Akademie sei hier kein Gegenbeweis, denn der eine Vaugelas habe für die Regelung des Französischen mehr getan als die ganze übrige Akademie. Das ist vollkommen richtig; aber — Vaugelas war Mitglied der Akademie; nur durch sie konnten seine „Bemerkungen über die französische Sprache" ihre Wirkung zum unbestrittenen Vorteil für die innere Ordnung und äußere Geltung der französischen Sprache ausüben. Das ist ja gerade bei uns der Jammer: wir können heute ein Dutzend Vaugelas haben^ so können sie doch nichts ausrichten, weil uns ebeu das Werkzeug fehlt, das ihren Vorschlägen und Anregungen zu umfassender Wirkung verhelfen könnte. Können wir somit keinen der Einwände, mit denen man die Möglichkeit und Nützlichkeit eines Reichssprachamtes zu bekämpfen sucht, als stichhaltig an¬ erkennen, so bedeutet der Vorschlag andrerseits auch keineswegs eine so grund¬ stürzende Neuerung, wie man nach den Äußerungen der Gegner zumeist glauben müßte. Seit wir von einem deutschen Staat wissen, haben Staatsmänner und einflußreiche Beamte ihre Macht mit mehr oder minder El folg zu sprachlichen Festsetzungen gebraucht; ebenso waren bekanntlich je und je Gesellschaften, ange¬ sehene Schriftsteller und Gelehrte am Werk, an ihrem Teil an der Reinigung der Sprache zu arbeiten. So soll schon Karl der Große danach gestrebt haben, die Sprache seiner Kanzlei durch Auswahl der Formen aus einer Mundart — dem Westfmnkischen — zu einer deutschen Gemeinsprache zu machen; im Mittelalter^ wo wir im allgemeinen schrankenlos die Einzelmundarten herrschen sehen, waren doch einzelne Schriftsteller, Prediger usw. darauf bedacht, ihre Schriften von allzu enger Mundartlichkeit freizuhalten und ihnen dadurch größere Allgemein¬ verständlichkeit im deutschen Sprachgebiet zu verschaffen; die Bedeutung der kur- meißnischen, teilweise auch der Wiener Kanzlei und vor allem der Lutherschen Bibel¬ übersetzung für die Entwicklung'unserer deutschen Gemeinsprache sind endlich zu bekannt, als daß sie besonders hervorgehoben werden müßten. Aber auch nach Luther, dessen Werk ja natürlicherweise nicht eine ein für allemal feststehende deutsche Geineinsprache schaffen konnte, hat es an Bestrebungen und Wirkungen dieser Art nie völlig gefehlt; es sei nur an die „Fruchtbringende Gesellschaft" des Herzogs von Anhalt-Köthen, an Leibnizens noch heute beachtenswerten „Unvor- greifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache", an den zu Unrecht vielfach lächerlich gemachten Philipp von Zehen, an das im einzelnen gewiß manchmal schulmeisterliche, aber im ganzen doch hoch¬ verdienstliche Wirken von Männern wie Schotte!, Adelung und Gottsched, an Johann Heinrich Campe, an Ludwig Jahr, in neuerer Zeit an hohe Beamte, wie den Generalpostmeister Stephan und die Bestrebungen des Allgemeinen deutschen Sprachvereins erinnert. An Kräften, die im Sinne bewußter Pflege und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/116>, abgerufen am 15.01.2025.