Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Verbrauchssteuer statt Reichseinkommensteuer nicht zu brauchen, well wir vor allen Dingen Steuern haben müssen." Nicht so Diese Erkenntnis kann natürlich im Augenblick nicht dazu führen, daß die Steuertechnisch könnte eingeworfen werden: Wie soll man den Verbrauch Verbrauchssteuer statt Reichseinkommensteuer nicht zu brauchen, well wir vor allen Dingen Steuern haben müssen." Nicht so Diese Erkenntnis kann natürlich im Augenblick nicht dazu führen, daß die Steuertechnisch könnte eingeworfen werden: Wie soll man den Verbrauch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336401"/> <fw type="header" place="top"> Verbrauchssteuer statt Reichseinkommensteuer</fw><lb/> <p xml:id="ID_377" prev="#ID_376"> nicht zu brauchen, well wir vor allen Dingen Steuern haben müssen." Nicht so<lb/> voreilig! Die Entwicklung geht langsam! Die Steuerpolitik kann nie mit jahr¬<lb/> zehntelanger Entwicklung rechnen. Sie lebt in gewissem Grade immer, besonders<lb/> aber in wirtschaftlich schweren Zeiten — und das ist volkswirtschaftlich not¬<lb/> wendig — ans der Hand in den Mund. Der Versasser hat keine Sorge über<lb/> die Rentabilität der Steuer in den nächsten Jahren. Im Gegenteil, er ist über¬<lb/> zeugt, daß die Erträge den Pessimisten angenehm enttäuschen würden. Er ist der<lb/> Ansicht, daß das Sinken der Erträge in keinem größeren Verhältnis vor sich geht,<lb/> als es bei fortschreitender wirtschaftlicher Auflösung bei einer neuen Einkommen¬<lb/> steuer mit Sicherheit der Fall sein wird. Dann aber noch eine weitere Erwägung:<lb/> Besitz- und Einkommensteuern sind — wie wir gesehen haben — ihrem Wesen<lb/> nach produktionszeistörend, sie sind nur in geringen Dosen zu ertragen, und auch<lb/> dann schon ein Übel. Heute sind sie bereits längst überspannt. In einer kranken<lb/> Volkswirtschaft müssen sie den Ruin beschleunigen. Die neue Verbrauchssteuer<lb/> aber ist ihrem Wesen noch produktionsbelebend. Sie baut neue Werte auf und<lb/> schafft damit neue Stcuerobjekte sür zukünftigen neuen Steuerbedars. Was sie<lb/> später an Rentabilität einbüßt, wird also ersetzt durch die neuen Wege, die<lb/> sie der Steuerpolitik eröffnet. Gerade wer also eine weitschauende Steuerpolitik<lb/> treiben will, nutz ein Anizänger der Verbrauchssteuer sein. Die Verbrauchssteuer<lb/> ist produktiv, Besitz- und Einkommensteuern aber sind unproduktiv. Sie sind im<lb/> Grunde nichts weiter als Konfiskation. Sie sind die primitivsten Formen, die die<lb/> Sleuerwissenschaft kennt. In der heutigen Zeit steht am nahen Ende dieser Steuern<lb/> das Nichts, das nicht mehr besteuert werden kann. Man betrachte doch einmal<lb/> die anderen Länder mit äußerster Produklionsenifaltung. Ich verweise nur aus<lb/> das Beispiel Belgiens. Man hat sich hier vor dem Kriege völlig von der Ein¬<lb/> kommensteuer freigehalten und besteuerte den Besitz nur in vorsichtigster Weise,<lb/> Besitzsteuern in unserem Sinne waren dort unbekannt. Mit unserer Krankheit,<lb/> der Einkommensteuer, haben wir Belgien erst im Kriege infiziert. Unser Steuer¬<lb/> system der letzten Jahrzehnte ist im Grunde nichts anderes, als eine große Kon¬<lb/> zession an die über die Naturgesetze des Wirtschaftslebens irrende Theorie der Sozial-<lb/> demokratie (vgl. meinen oben zitierten Aufsatz). Im Frieden war das System<lb/> erträglich, weil produktive Kräfte in unerschöpflichen Matze an der Arbeit waren,<lb/> und darum seine Schäden nicht ins Gewicht fulen. Jetzt fehlen diese produktiven<lb/> Kräfte und übrig bleibt uns allein zur Deckung des Staatsbedarfs das nackte<lb/> Konfiskationssystein.</p><lb/> <p xml:id="ID_378"> Diese Erkenntnis kann natürlich im Augenblick nicht dazu führen, daß die<lb/> Steuern auf Besitz und Eigentum nun sofort abgebaut werden, das ist praktisch<lb/> undurchführbar. Wir müssen die Krankheit, trotz ihrer Gefährlichkeit vorläufig<lb/> weiter in unserm Körper herumtragen, wir müssen sie aber als Krankheit erkennen<lb/> und müssen ängstlich darüber wachen, daß sie nicht zum Siechtum ausartet.<lb/> Was wichtig ist, ist hier wieder nur die neue Richtung des Willens, die aus<lb/> ein „Hall!" gehen muß, und später auf einen langsamen Abbau. Das eine<lb/> aber kann jetzt praktisch gefordert werden: Keine neue Neichseinkommensteuerl</p><lb/> <p xml:id="ID_379"> Steuertechnisch könnte eingeworfen werden: Wie soll man den Verbrauch<lb/> kontrollieren? Dieselbe Frage könnte mit demselben Recht gegen die Einkommen¬<lb/> steuer erhoben werden. Der Staat kann weder den Verbrauch noch das Ein¬<lb/> kommen feststellen. Die Einkommensteuer wurde erst rentabel, als die Selbst-<lb/> cinschötzung eingeführt wurde. Es ist aber nicht erfindlich, wieso die Selbst¬<lb/> einschätzung bei der Verbrauchssteuer schwieriger sein soll, als bei der Einkommen¬<lb/> steuer. Im Gegenteil, der Verbrauch des letzten Jahres ist jedem bekannt, die<lb/> Ermittlung des eignen Einkommens verursacht häufig viel größere Schwierigkeiten.<lb/> Im übrigen haben wir ja die Einkommensteuer noch, an ihr kann ohne Mühe der<lb/> Verbrauch jederzeit gemessen werden. Was nicht als produktive Anlage oder<lb/> sonstiger steuerfreier Verbrauch nachgewiesen wird, ist verbrauchtes Einkommen<lb/> im Sinne des Gesetzes.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
Verbrauchssteuer statt Reichseinkommensteuer
nicht zu brauchen, well wir vor allen Dingen Steuern haben müssen." Nicht so
voreilig! Die Entwicklung geht langsam! Die Steuerpolitik kann nie mit jahr¬
zehntelanger Entwicklung rechnen. Sie lebt in gewissem Grade immer, besonders
aber in wirtschaftlich schweren Zeiten — und das ist volkswirtschaftlich not¬
wendig — ans der Hand in den Mund. Der Versasser hat keine Sorge über
die Rentabilität der Steuer in den nächsten Jahren. Im Gegenteil, er ist über¬
zeugt, daß die Erträge den Pessimisten angenehm enttäuschen würden. Er ist der
Ansicht, daß das Sinken der Erträge in keinem größeren Verhältnis vor sich geht,
als es bei fortschreitender wirtschaftlicher Auflösung bei einer neuen Einkommen¬
steuer mit Sicherheit der Fall sein wird. Dann aber noch eine weitere Erwägung:
Besitz- und Einkommensteuern sind — wie wir gesehen haben — ihrem Wesen
nach produktionszeistörend, sie sind nur in geringen Dosen zu ertragen, und auch
dann schon ein Übel. Heute sind sie bereits längst überspannt. In einer kranken
Volkswirtschaft müssen sie den Ruin beschleunigen. Die neue Verbrauchssteuer
aber ist ihrem Wesen noch produktionsbelebend. Sie baut neue Werte auf und
schafft damit neue Stcuerobjekte sür zukünftigen neuen Steuerbedars. Was sie
später an Rentabilität einbüßt, wird also ersetzt durch die neuen Wege, die
sie der Steuerpolitik eröffnet. Gerade wer also eine weitschauende Steuerpolitik
treiben will, nutz ein Anizänger der Verbrauchssteuer sein. Die Verbrauchssteuer
ist produktiv, Besitz- und Einkommensteuern aber sind unproduktiv. Sie sind im
Grunde nichts weiter als Konfiskation. Sie sind die primitivsten Formen, die die
Sleuerwissenschaft kennt. In der heutigen Zeit steht am nahen Ende dieser Steuern
das Nichts, das nicht mehr besteuert werden kann. Man betrachte doch einmal
die anderen Länder mit äußerster Produklionsenifaltung. Ich verweise nur aus
das Beispiel Belgiens. Man hat sich hier vor dem Kriege völlig von der Ein¬
kommensteuer freigehalten und besteuerte den Besitz nur in vorsichtigster Weise,
Besitzsteuern in unserem Sinne waren dort unbekannt. Mit unserer Krankheit,
der Einkommensteuer, haben wir Belgien erst im Kriege infiziert. Unser Steuer¬
system der letzten Jahrzehnte ist im Grunde nichts anderes, als eine große Kon¬
zession an die über die Naturgesetze des Wirtschaftslebens irrende Theorie der Sozial-
demokratie (vgl. meinen oben zitierten Aufsatz). Im Frieden war das System
erträglich, weil produktive Kräfte in unerschöpflichen Matze an der Arbeit waren,
und darum seine Schäden nicht ins Gewicht fulen. Jetzt fehlen diese produktiven
Kräfte und übrig bleibt uns allein zur Deckung des Staatsbedarfs das nackte
Konfiskationssystein.
Diese Erkenntnis kann natürlich im Augenblick nicht dazu führen, daß die
Steuern auf Besitz und Eigentum nun sofort abgebaut werden, das ist praktisch
undurchführbar. Wir müssen die Krankheit, trotz ihrer Gefährlichkeit vorläufig
weiter in unserm Körper herumtragen, wir müssen sie aber als Krankheit erkennen
und müssen ängstlich darüber wachen, daß sie nicht zum Siechtum ausartet.
Was wichtig ist, ist hier wieder nur die neue Richtung des Willens, die aus
ein „Hall!" gehen muß, und später auf einen langsamen Abbau. Das eine
aber kann jetzt praktisch gefordert werden: Keine neue Neichseinkommensteuerl
Steuertechnisch könnte eingeworfen werden: Wie soll man den Verbrauch
kontrollieren? Dieselbe Frage könnte mit demselben Recht gegen die Einkommen¬
steuer erhoben werden. Der Staat kann weder den Verbrauch noch das Ein¬
kommen feststellen. Die Einkommensteuer wurde erst rentabel, als die Selbst-
cinschötzung eingeführt wurde. Es ist aber nicht erfindlich, wieso die Selbst¬
einschätzung bei der Verbrauchssteuer schwieriger sein soll, als bei der Einkommen¬
steuer. Im Gegenteil, der Verbrauch des letzten Jahres ist jedem bekannt, die
Ermittlung des eignen Einkommens verursacht häufig viel größere Schwierigkeiten.
Im übrigen haben wir ja die Einkommensteuer noch, an ihr kann ohne Mühe der
Verbrauch jederzeit gemessen werden. Was nicht als produktive Anlage oder
sonstiger steuerfreier Verbrauch nachgewiesen wird, ist verbrauchtes Einkommen
im Sinne des Gesetzes.
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