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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Zur masurischen Frage

seiner starken Vermehrung auch sprachlich weit vor, so mußte er andererseits der
überlegenen deutschen Kultur auch sprachlich seinen Tribut leisten. Die Sprache
seiner Väter hat sich,nur noch in den ursprünglichen Ansiedlungsgebieten erhalten,
aber auch dort nur noch als Haussprache mit einem geringen Wortschatze, der
über die notwendigsten Dinge der Alltäglichkeit nicht hinausgeht und ihm nicht
einmal mehr religiöse Erkenntnisbcgriffe vermittelt, geschweige denn ihn dazu
befähigt, seine entwickelten kulturellen und wirtschaftlichen, politischen und sozialen
Ansckauungsbegriffe zu verlautbarcn. Der Masur bis hin zur Mitte des sechsten
Lebensjahrzehnts kann sich gegenwärtig nur der deutschen Sprache als Schrift¬
sprache bedienen.

Darf man in völkischer Hinsicht von einem Alipreußentum reden, so bildet
das Masurentum einen zur Vollständigkeit unerläßlichen Bestandteil des ersteren.
Die Masuren haben als Altpreußen schon unter den Fahnen des Großen Kur¬
fürsten gefochten und die Entwicklung Preußens zum tragenden Unterbau deS
Deutschen Reiches in allen ihren Abschnitten mit Gut und Blut mitgemacht. Sie
würden auch über die Überreste ihrer sprachlichen Eigentümlichkeit längst hinauf¬
gekommen sein, wenn nicht deutsche Gefühlsduselei, politischer Unverstand und
übel verstandene kirchliche Belange sie geflissentlich vor dem gänzlichen Aufgehen
in das Deutschtum bewahrt hätten.

Weshalb sollte man den treuesten Söhnen Ostpreußens ihr sprachliches Erbe
mißgönnen? Deutsche Gelehrte und Altertumsforscher wollten sich ihr masurisches
Vetätigungsgebiet nicht verkümmern lassen. Wozu sollte man serner die Masuren
dem deutschen Liberalismus geradezu in die Arme treiben, indem man sie daran
Gefallen finden ließ, deutsche Zeitungen zu lesen? Politische Klugheit überschüttete
sie und überschüttet sie noch heute mit zweifelhaften Übersetzungen deutscher Auf-
klärungsschriften, anstatt diese selbst der lesebedürftigen, durchaus deutsch geschulten
Bevölkerung in die Hand zu geben. Und schließlich, wozu sollte man die treuen
Bekenner der Kirche der kirchenleerenden Tagesweisheit und ihren verderblichen
Treibereien aussetzen? In der kirchlichen Statistik schnitt Masuren seit alten
Tagen immer gut ab. Sein Ruhm durfte nicht verloren gehen. So entstanden
in den Schreibstuben jene Nachweise, auf die unsere Gegner sich als auf amtliche
berufen, wenn sie die Zuweisung Masurens zu Polen betreiben. Das Recht der
Selbstbestimmung darf aber auch dem Masuren gegenüber nicht unterbunden werden.
Es gestaltet ihm zu verlangen, daß sür seine Zuweisung zu einem nationalen Ver¬
bände nicht die kurzsichtige Kirchturmspolitik seiner vermeintlichen Freunde, noch
die weitsichtige Ausdehmmgspolitik seiner offenbaren Feinde, sondern aLein sein
eigener Wille maßgebend sein darf. Über völkische Bedürfnisse entscheidet im
letzten Grunde doch nicht der Laut der Lippen, sondern der Schlag des Herzens.

Die Aufrollung der masurischen Frage ist von langer Hand vorbereitet --
etwa seit jenen Tagen, da nicht nur die außeroeutsche, sondern auch eine gewisse
großdeutsche Politik alle Hebel in Bewegung setzte, um eine Einigung der deutschen
Stämme und Gaue unter Preußens Führung zu verhindern, und da man den
Plan faßte, zur Unschädlichmachung der Hohenzollern den allprotestantischen Herd
in Preußen durch Einkreisung von Osten und Westen zu erdrücken. Ich meine
die Zeit um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Tausende und abertausende
Masuren. denen die Heimat zu eng wurde, wanderten in die Jndustriegegenden
des Westens ab. In ihre leer gewordenen Plätze schob eine unsichtbare Hand
neue polnische Einwanderer hinein und polnisches Kapital, zumeist aus preußischem
Boden erworben, begann planmäßig alten deutschen Besiy in Masuren auszulaufen.
Die Absicht war zu deutlich, als daß man sie prcußischerseiis gänzlich hätte über¬
sehen können. Aber die nachbismarckschen Politiker -- auch die Polenpolitiker --
haben zum mindesten eine unglückliche Hand gehabt, wenn sie nicht unter unsicht¬
barer Willensbeeinflussung gerade das tun mußten, was vom preußischen Stand¬
punkte aus das Verkehrteste war. Anstatt neue Verwaltungsbezirke mit überwiegend
rein deutschem Charakter zu bilden und diesen gefährdete Teile Masurens zur
völkischen und wirtschaftlichen Aufsaugung zuzuweisen, vereinigte man die Kreise


Zur masurischen Frage

seiner starken Vermehrung auch sprachlich weit vor, so mußte er andererseits der
überlegenen deutschen Kultur auch sprachlich seinen Tribut leisten. Die Sprache
seiner Väter hat sich,nur noch in den ursprünglichen Ansiedlungsgebieten erhalten,
aber auch dort nur noch als Haussprache mit einem geringen Wortschatze, der
über die notwendigsten Dinge der Alltäglichkeit nicht hinausgeht und ihm nicht
einmal mehr religiöse Erkenntnisbcgriffe vermittelt, geschweige denn ihn dazu
befähigt, seine entwickelten kulturellen und wirtschaftlichen, politischen und sozialen
Ansckauungsbegriffe zu verlautbarcn. Der Masur bis hin zur Mitte des sechsten
Lebensjahrzehnts kann sich gegenwärtig nur der deutschen Sprache als Schrift¬
sprache bedienen.

Darf man in völkischer Hinsicht von einem Alipreußentum reden, so bildet
das Masurentum einen zur Vollständigkeit unerläßlichen Bestandteil des ersteren.
Die Masuren haben als Altpreußen schon unter den Fahnen des Großen Kur¬
fürsten gefochten und die Entwicklung Preußens zum tragenden Unterbau deS
Deutschen Reiches in allen ihren Abschnitten mit Gut und Blut mitgemacht. Sie
würden auch über die Überreste ihrer sprachlichen Eigentümlichkeit längst hinauf¬
gekommen sein, wenn nicht deutsche Gefühlsduselei, politischer Unverstand und
übel verstandene kirchliche Belange sie geflissentlich vor dem gänzlichen Aufgehen
in das Deutschtum bewahrt hätten.

Weshalb sollte man den treuesten Söhnen Ostpreußens ihr sprachliches Erbe
mißgönnen? Deutsche Gelehrte und Altertumsforscher wollten sich ihr masurisches
Vetätigungsgebiet nicht verkümmern lassen. Wozu sollte man serner die Masuren
dem deutschen Liberalismus geradezu in die Arme treiben, indem man sie daran
Gefallen finden ließ, deutsche Zeitungen zu lesen? Politische Klugheit überschüttete
sie und überschüttet sie noch heute mit zweifelhaften Übersetzungen deutscher Auf-
klärungsschriften, anstatt diese selbst der lesebedürftigen, durchaus deutsch geschulten
Bevölkerung in die Hand zu geben. Und schließlich, wozu sollte man die treuen
Bekenner der Kirche der kirchenleerenden Tagesweisheit und ihren verderblichen
Treibereien aussetzen? In der kirchlichen Statistik schnitt Masuren seit alten
Tagen immer gut ab. Sein Ruhm durfte nicht verloren gehen. So entstanden
in den Schreibstuben jene Nachweise, auf die unsere Gegner sich als auf amtliche
berufen, wenn sie die Zuweisung Masurens zu Polen betreiben. Das Recht der
Selbstbestimmung darf aber auch dem Masuren gegenüber nicht unterbunden werden.
Es gestaltet ihm zu verlangen, daß sür seine Zuweisung zu einem nationalen Ver¬
bände nicht die kurzsichtige Kirchturmspolitik seiner vermeintlichen Freunde, noch
die weitsichtige Ausdehmmgspolitik seiner offenbaren Feinde, sondern aLein sein
eigener Wille maßgebend sein darf. Über völkische Bedürfnisse entscheidet im
letzten Grunde doch nicht der Laut der Lippen, sondern der Schlag des Herzens.

Die Aufrollung der masurischen Frage ist von langer Hand vorbereitet —
etwa seit jenen Tagen, da nicht nur die außeroeutsche, sondern auch eine gewisse
großdeutsche Politik alle Hebel in Bewegung setzte, um eine Einigung der deutschen
Stämme und Gaue unter Preußens Führung zu verhindern, und da man den
Plan faßte, zur Unschädlichmachung der Hohenzollern den allprotestantischen Herd
in Preußen durch Einkreisung von Osten und Westen zu erdrücken. Ich meine
die Zeit um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Tausende und abertausende
Masuren. denen die Heimat zu eng wurde, wanderten in die Jndustriegegenden
des Westens ab. In ihre leer gewordenen Plätze schob eine unsichtbare Hand
neue polnische Einwanderer hinein und polnisches Kapital, zumeist aus preußischem
Boden erworben, begann planmäßig alten deutschen Besiy in Masuren auszulaufen.
Die Absicht war zu deutlich, als daß man sie prcußischerseiis gänzlich hätte über¬
sehen können. Aber die nachbismarckschen Politiker — auch die Polenpolitiker —
haben zum mindesten eine unglückliche Hand gehabt, wenn sie nicht unter unsicht¬
barer Willensbeeinflussung gerade das tun mußten, was vom preußischen Stand¬
punkte aus das Verkehrteste war. Anstatt neue Verwaltungsbezirke mit überwiegend
rein deutschem Charakter zu bilden und diesen gefährdete Teile Masurens zur
völkischen und wirtschaftlichen Aufsaugung zuzuweisen, vereinigte man die Kreise


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[0098] Zur masurischen Frage seiner starken Vermehrung auch sprachlich weit vor, so mußte er andererseits der überlegenen deutschen Kultur auch sprachlich seinen Tribut leisten. Die Sprache seiner Väter hat sich,nur noch in den ursprünglichen Ansiedlungsgebieten erhalten, aber auch dort nur noch als Haussprache mit einem geringen Wortschatze, der über die notwendigsten Dinge der Alltäglichkeit nicht hinausgeht und ihm nicht einmal mehr religiöse Erkenntnisbcgriffe vermittelt, geschweige denn ihn dazu befähigt, seine entwickelten kulturellen und wirtschaftlichen, politischen und sozialen Ansckauungsbegriffe zu verlautbarcn. Der Masur bis hin zur Mitte des sechsten Lebensjahrzehnts kann sich gegenwärtig nur der deutschen Sprache als Schrift¬ sprache bedienen. Darf man in völkischer Hinsicht von einem Alipreußentum reden, so bildet das Masurentum einen zur Vollständigkeit unerläßlichen Bestandteil des ersteren. Die Masuren haben als Altpreußen schon unter den Fahnen des Großen Kur¬ fürsten gefochten und die Entwicklung Preußens zum tragenden Unterbau deS Deutschen Reiches in allen ihren Abschnitten mit Gut und Blut mitgemacht. Sie würden auch über die Überreste ihrer sprachlichen Eigentümlichkeit längst hinauf¬ gekommen sein, wenn nicht deutsche Gefühlsduselei, politischer Unverstand und übel verstandene kirchliche Belange sie geflissentlich vor dem gänzlichen Aufgehen in das Deutschtum bewahrt hätten. Weshalb sollte man den treuesten Söhnen Ostpreußens ihr sprachliches Erbe mißgönnen? Deutsche Gelehrte und Altertumsforscher wollten sich ihr masurisches Vetätigungsgebiet nicht verkümmern lassen. Wozu sollte man serner die Masuren dem deutschen Liberalismus geradezu in die Arme treiben, indem man sie daran Gefallen finden ließ, deutsche Zeitungen zu lesen? Politische Klugheit überschüttete sie und überschüttet sie noch heute mit zweifelhaften Übersetzungen deutscher Auf- klärungsschriften, anstatt diese selbst der lesebedürftigen, durchaus deutsch geschulten Bevölkerung in die Hand zu geben. Und schließlich, wozu sollte man die treuen Bekenner der Kirche der kirchenleerenden Tagesweisheit und ihren verderblichen Treibereien aussetzen? In der kirchlichen Statistik schnitt Masuren seit alten Tagen immer gut ab. Sein Ruhm durfte nicht verloren gehen. So entstanden in den Schreibstuben jene Nachweise, auf die unsere Gegner sich als auf amtliche berufen, wenn sie die Zuweisung Masurens zu Polen betreiben. Das Recht der Selbstbestimmung darf aber auch dem Masuren gegenüber nicht unterbunden werden. Es gestaltet ihm zu verlangen, daß sür seine Zuweisung zu einem nationalen Ver¬ bände nicht die kurzsichtige Kirchturmspolitik seiner vermeintlichen Freunde, noch die weitsichtige Ausdehmmgspolitik seiner offenbaren Feinde, sondern aLein sein eigener Wille maßgebend sein darf. Über völkische Bedürfnisse entscheidet im letzten Grunde doch nicht der Laut der Lippen, sondern der Schlag des Herzens. Die Aufrollung der masurischen Frage ist von langer Hand vorbereitet — etwa seit jenen Tagen, da nicht nur die außeroeutsche, sondern auch eine gewisse großdeutsche Politik alle Hebel in Bewegung setzte, um eine Einigung der deutschen Stämme und Gaue unter Preußens Führung zu verhindern, und da man den Plan faßte, zur Unschädlichmachung der Hohenzollern den allprotestantischen Herd in Preußen durch Einkreisung von Osten und Westen zu erdrücken. Ich meine die Zeit um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Tausende und abertausende Masuren. denen die Heimat zu eng wurde, wanderten in die Jndustriegegenden des Westens ab. In ihre leer gewordenen Plätze schob eine unsichtbare Hand neue polnische Einwanderer hinein und polnisches Kapital, zumeist aus preußischem Boden erworben, begann planmäßig alten deutschen Besiy in Masuren auszulaufen. Die Absicht war zu deutlich, als daß man sie prcußischerseiis gänzlich hätte über¬ sehen können. Aber die nachbismarckschen Politiker — auch die Polenpolitiker — haben zum mindesten eine unglückliche Hand gehabt, wenn sie nicht unter unsicht¬ barer Willensbeeinflussung gerade das tun mußten, was vom preußischen Stand¬ punkte aus das Verkehrteste war. Anstatt neue Verwaltungsbezirke mit überwiegend rein deutschem Charakter zu bilden und diesen gefährdete Teile Masurens zur völkischen und wirtschaftlichen Aufsaugung zuzuweisen, vereinigte man die Kreise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/98>, abgerufen am 06.10.2024.