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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Schulgemeinden und SchAlerrät"

dann wieder eine aus sozialistischen Boden stehende Arbeitsgemeinschaft auf den
Plan, die in ungeschicktester Weise sich an sämtliche Schülerräte wandte und sie
für ihre Ideale zu begeistern versuchte -- kurz: durch alle diese Streitigkeiten ist
der eigentliche Boden des Erlasses fast unkenntlich geworden, so daß es sich
wirklich verlohnt, einmal zu versuchen, das Wesentliche herauszuschälen und sich
mit ihm sine ira et stuclic" auseinanderzusetzen.
"

"Eine erste Möglichkeit soll der Jugend eröffnet werden, "aus innerer
Wahrhaftigkeit und unter eigener Verantwortung an der Gestaltung ihres Lebens
mitzuwirken". Echt radikal-idealistischI Aber doch wie alles Idealistische mit
einer gewissen Berechtigung gesagt! -- Wenn heut die Jugend vom zwanzigsten
Jahr aufwärts bereits reif genug erscheint, die Vertreter des Volkes, die dessen
Geschicke lenken sollen, mitzuwählen, so muß die Forderung erhoben werden, daß
diese Jugend bis dahin politisch mündig geworden ist. Dazu aber bedarf es
entschieden einer nicht parteipolitischer Schulung bereits in der höheren Schule,
denn diese wird von vielen erst mit dem neunzehnten Jahre verlassen. Es wird
viele geben, die den Eintritt des aktiven Wahlrechts für zu früh angesetzt halten.
Aber wenn einmal dieser Zustand praktisch eingetreten ist, so ist eine Zurück-
schraubung in die früheren Verhältnisse kaum mehr möglich. Zudem aber würde,
selbst wenn der überaus unwahrscheinliche Fall einer Heraufsetzung des Wahlalters
einträte, der leitende Gedanke des Erlasses bestehen bleiben, daß er nämlich die
Jugend zu innerer Wahrhaftigkeit und eigener Verantwortung für ihr Leben
erziehen will. Und daß dieser Gedanke etwas Bestechendes hat, ja daß er --
von jeder politischen Richtung aus gesehen -- geradezu etwas Zwingendes besitzt,
wird niemand leugnen, wenn er auch seine Durchsetzung für schwer, vielleicht für
unmöglich halten wird.

Aber wie? Gibt es nicht in England und Amerika, in Schweden, Nor¬
wegen und der Schweiz längst eine Jugend, die ein viel entwickelteres Gemein-
schaftsgefühl als die unsrige hat? Beklage man nicht bei uns von der äußersten
Rechten bis zur entschiedensten Linken die Abwesenheit solchen Gemeinschafls-
gefühls in unserem Volk? Und wie denkt man sich seine Entwicklung, wenn man
nicht bei der Jugend anfangen will? Sehen wir doch schon heut, daß sich die
Parteien auf die Jugend stürzen, um -- weit über das hinaus, was der Erlaß
will, ja geradezu im Gegensatz zu ihm -- sie für ihre Zwecke zu gewinnen!
Liegt darin nicht das Eingeständnis, daß bei der Jugend begonnen werden muß,
wenn man die Früchte der Erziehung im entwickelten Alter ernten will?

Sehen wir nun zu, wie sich das Ministerium diese Erziehung denkt. Zu-
nächst verlangt es nicht etwa gegen den Willen der Schülerschaft die Einführung
einer "Schulgemeinde", sondern es überläßt diese dein frei zu bekundenden und
deshalb in geheimer Abstimmung vorzunehmenden Beschluß einer ersten Ver-
sammlung. Damit wird der Jugend ein Vertrauen entgegengebracht, das gewiß
bei den Pruner angebracht ist, während bei den übrigen Klassen -- bekanntlich
besteht die Schulgemeinde aus den Obertertianern bis zu den Oberprimanern --
eine Selbständigkeit des Urteils vorausgesetzt wird, die sicher nicht vorhanden ist.
Immerhin war es interessant zu sehen, daß von Anfang an fast die gesamte
Schülerschaft für die Einführung der Neueinrichtungen war. Von außen her ist
dann aus sie ein Einfluß ausgeübt worden, der den Umschlag bewirkte. Daß
dies nicht im Sinne des Erlasses ist. liegt auf der Hand. Jede Bevormundung
und Beeinflussung sollte vermieden werden, die Jugend sich ganz aus sich selbst
entschließen. Nun liegt gewiß in ihrem Wesen -- übrigens im allgemein-mensch¬
lichen ebenfalls -- eine gewisse Neugier. Aber ist es denn gerechtfertigt, eme
Sache, deren Berechtigung man überhaupt noch nicht geprüft hat, ohne weitere--
abzulehnen? Ziemt sich das für die Jugend, ziemt es sich für das Alter?

Das Ministerium wies nun der Kompetenz der Schulgemeinde, die "zunächst
noch nicht" gesetzgebend sein sollte -- solche Gesetzgebung hätte von Anfang an
überhaupt als für alle Zukunft ausgeschlossen bezeichnet werden müssen - "An-
gelegenheiten des Schullebens, der Disziplin, der Ordnuna usw." zu, eine Zu-


Schulgemeinden und SchAlerrät«

dann wieder eine aus sozialistischen Boden stehende Arbeitsgemeinschaft auf den
Plan, die in ungeschicktester Weise sich an sämtliche Schülerräte wandte und sie
für ihre Ideale zu begeistern versuchte — kurz: durch alle diese Streitigkeiten ist
der eigentliche Boden des Erlasses fast unkenntlich geworden, so daß es sich
wirklich verlohnt, einmal zu versuchen, das Wesentliche herauszuschälen und sich
mit ihm sine ira et stuclic» auseinanderzusetzen.
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„Eine erste Möglichkeit soll der Jugend eröffnet werden, „aus innerer
Wahrhaftigkeit und unter eigener Verantwortung an der Gestaltung ihres Lebens
mitzuwirken". Echt radikal-idealistischI Aber doch wie alles Idealistische mit
einer gewissen Berechtigung gesagt! — Wenn heut die Jugend vom zwanzigsten
Jahr aufwärts bereits reif genug erscheint, die Vertreter des Volkes, die dessen
Geschicke lenken sollen, mitzuwählen, so muß die Forderung erhoben werden, daß
diese Jugend bis dahin politisch mündig geworden ist. Dazu aber bedarf es
entschieden einer nicht parteipolitischer Schulung bereits in der höheren Schule,
denn diese wird von vielen erst mit dem neunzehnten Jahre verlassen. Es wird
viele geben, die den Eintritt des aktiven Wahlrechts für zu früh angesetzt halten.
Aber wenn einmal dieser Zustand praktisch eingetreten ist, so ist eine Zurück-
schraubung in die früheren Verhältnisse kaum mehr möglich. Zudem aber würde,
selbst wenn der überaus unwahrscheinliche Fall einer Heraufsetzung des Wahlalters
einträte, der leitende Gedanke des Erlasses bestehen bleiben, daß er nämlich die
Jugend zu innerer Wahrhaftigkeit und eigener Verantwortung für ihr Leben
erziehen will. Und daß dieser Gedanke etwas Bestechendes hat, ja daß er —
von jeder politischen Richtung aus gesehen — geradezu etwas Zwingendes besitzt,
wird niemand leugnen, wenn er auch seine Durchsetzung für schwer, vielleicht für
unmöglich halten wird.

Aber wie? Gibt es nicht in England und Amerika, in Schweden, Nor¬
wegen und der Schweiz längst eine Jugend, die ein viel entwickelteres Gemein-
schaftsgefühl als die unsrige hat? Beklage man nicht bei uns von der äußersten
Rechten bis zur entschiedensten Linken die Abwesenheit solchen Gemeinschafls-
gefühls in unserem Volk? Und wie denkt man sich seine Entwicklung, wenn man
nicht bei der Jugend anfangen will? Sehen wir doch schon heut, daß sich die
Parteien auf die Jugend stürzen, um — weit über das hinaus, was der Erlaß
will, ja geradezu im Gegensatz zu ihm — sie für ihre Zwecke zu gewinnen!
Liegt darin nicht das Eingeständnis, daß bei der Jugend begonnen werden muß,
wenn man die Früchte der Erziehung im entwickelten Alter ernten will?

Sehen wir nun zu, wie sich das Ministerium diese Erziehung denkt. Zu-
nächst verlangt es nicht etwa gegen den Willen der Schülerschaft die Einführung
einer „Schulgemeinde", sondern es überläßt diese dein frei zu bekundenden und
deshalb in geheimer Abstimmung vorzunehmenden Beschluß einer ersten Ver-
sammlung. Damit wird der Jugend ein Vertrauen entgegengebracht, das gewiß
bei den Pruner angebracht ist, während bei den übrigen Klassen — bekanntlich
besteht die Schulgemeinde aus den Obertertianern bis zu den Oberprimanern —
eine Selbständigkeit des Urteils vorausgesetzt wird, die sicher nicht vorhanden ist.
Immerhin war es interessant zu sehen, daß von Anfang an fast die gesamte
Schülerschaft für die Einführung der Neueinrichtungen war. Von außen her ist
dann aus sie ein Einfluß ausgeübt worden, der den Umschlag bewirkte. Daß
dies nicht im Sinne des Erlasses ist. liegt auf der Hand. Jede Bevormundung
und Beeinflussung sollte vermieden werden, die Jugend sich ganz aus sich selbst
entschließen. Nun liegt gewiß in ihrem Wesen — übrigens im allgemein-mensch¬
lichen ebenfalls — eine gewisse Neugier. Aber ist es denn gerechtfertigt, eme
Sache, deren Berechtigung man überhaupt noch nicht geprüft hat, ohne weitere--
abzulehnen? Ziemt sich das für die Jugend, ziemt es sich für das Alter?

Das Ministerium wies nun der Kompetenz der Schulgemeinde, die „zunächst
noch nicht" gesetzgebend sein sollte — solche Gesetzgebung hätte von Anfang an
überhaupt als für alle Zukunft ausgeschlossen bezeichnet werden müssen - „An-
gelegenheiten des Schullebens, der Disziplin, der Ordnuna usw." zu, eine Zu-


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[0081] Schulgemeinden und SchAlerrät« dann wieder eine aus sozialistischen Boden stehende Arbeitsgemeinschaft auf den Plan, die in ungeschicktester Weise sich an sämtliche Schülerräte wandte und sie für ihre Ideale zu begeistern versuchte — kurz: durch alle diese Streitigkeiten ist der eigentliche Boden des Erlasses fast unkenntlich geworden, so daß es sich wirklich verlohnt, einmal zu versuchen, das Wesentliche herauszuschälen und sich mit ihm sine ira et stuclic» auseinanderzusetzen. " „Eine erste Möglichkeit soll der Jugend eröffnet werden, „aus innerer Wahrhaftigkeit und unter eigener Verantwortung an der Gestaltung ihres Lebens mitzuwirken". Echt radikal-idealistischI Aber doch wie alles Idealistische mit einer gewissen Berechtigung gesagt! — Wenn heut die Jugend vom zwanzigsten Jahr aufwärts bereits reif genug erscheint, die Vertreter des Volkes, die dessen Geschicke lenken sollen, mitzuwählen, so muß die Forderung erhoben werden, daß diese Jugend bis dahin politisch mündig geworden ist. Dazu aber bedarf es entschieden einer nicht parteipolitischer Schulung bereits in der höheren Schule, denn diese wird von vielen erst mit dem neunzehnten Jahre verlassen. Es wird viele geben, die den Eintritt des aktiven Wahlrechts für zu früh angesetzt halten. Aber wenn einmal dieser Zustand praktisch eingetreten ist, so ist eine Zurück- schraubung in die früheren Verhältnisse kaum mehr möglich. Zudem aber würde, selbst wenn der überaus unwahrscheinliche Fall einer Heraufsetzung des Wahlalters einträte, der leitende Gedanke des Erlasses bestehen bleiben, daß er nämlich die Jugend zu innerer Wahrhaftigkeit und eigener Verantwortung für ihr Leben erziehen will. Und daß dieser Gedanke etwas Bestechendes hat, ja daß er — von jeder politischen Richtung aus gesehen — geradezu etwas Zwingendes besitzt, wird niemand leugnen, wenn er auch seine Durchsetzung für schwer, vielleicht für unmöglich halten wird. Aber wie? Gibt es nicht in England und Amerika, in Schweden, Nor¬ wegen und der Schweiz längst eine Jugend, die ein viel entwickelteres Gemein- schaftsgefühl als die unsrige hat? Beklage man nicht bei uns von der äußersten Rechten bis zur entschiedensten Linken die Abwesenheit solchen Gemeinschafls- gefühls in unserem Volk? Und wie denkt man sich seine Entwicklung, wenn man nicht bei der Jugend anfangen will? Sehen wir doch schon heut, daß sich die Parteien auf die Jugend stürzen, um — weit über das hinaus, was der Erlaß will, ja geradezu im Gegensatz zu ihm — sie für ihre Zwecke zu gewinnen! Liegt darin nicht das Eingeständnis, daß bei der Jugend begonnen werden muß, wenn man die Früchte der Erziehung im entwickelten Alter ernten will? Sehen wir nun zu, wie sich das Ministerium diese Erziehung denkt. Zu- nächst verlangt es nicht etwa gegen den Willen der Schülerschaft die Einführung einer „Schulgemeinde", sondern es überläßt diese dein frei zu bekundenden und deshalb in geheimer Abstimmung vorzunehmenden Beschluß einer ersten Ver- sammlung. Damit wird der Jugend ein Vertrauen entgegengebracht, das gewiß bei den Pruner angebracht ist, während bei den übrigen Klassen — bekanntlich besteht die Schulgemeinde aus den Obertertianern bis zu den Oberprimanern — eine Selbständigkeit des Urteils vorausgesetzt wird, die sicher nicht vorhanden ist. Immerhin war es interessant zu sehen, daß von Anfang an fast die gesamte Schülerschaft für die Einführung der Neueinrichtungen war. Von außen her ist dann aus sie ein Einfluß ausgeübt worden, der den Umschlag bewirkte. Daß dies nicht im Sinne des Erlasses ist. liegt auf der Hand. Jede Bevormundung und Beeinflussung sollte vermieden werden, die Jugend sich ganz aus sich selbst entschließen. Nun liegt gewiß in ihrem Wesen — übrigens im allgemein-mensch¬ lichen ebenfalls — eine gewisse Neugier. Aber ist es denn gerechtfertigt, eme Sache, deren Berechtigung man überhaupt noch nicht geprüft hat, ohne weitere-- abzulehnen? Ziemt sich das für die Jugend, ziemt es sich für das Alter? Das Ministerium wies nun der Kompetenz der Schulgemeinde, die „zunächst noch nicht" gesetzgebend sein sollte — solche Gesetzgebung hätte von Anfang an überhaupt als für alle Zukunft ausgeschlossen bezeichnet werden müssen - „An- gelegenheiten des Schullebens, der Disziplin, der Ordnuna usw." zu, eine Zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/81>, abgerufen am 18.12.2024.