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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Zeit halte, für eine Intelligenz, der unter uns Lebenden in Deutschland ein Gegen¬
bild kaum zur Seite gestellt werden kann.

Der Erfolg seiner Schriften kann mir nicht imponieren. Wir kennen ja
unsere lieben "Leser" und ihre Bibliotheken. Gelaufe -- doch auch gelesen?
Daran liegt's. Wer wird nicht einen Klopstock loben usw. Raihenau ist Mode
für gewisse große Kreise, vielleicht heute schon die Mode von gestern. Mein Tadel
galt dem Pranger mit Worten, dem.Klingeln mit Wörtern, dem in verstiegener
Romantik reale Ziele umnebelnden Asthetentum, der hemmungslos ins Kraut
schießenden betäubenden Beredsamkeit.

Doch Rathenau kann es auch anders, ganz anders. Es klingt wie ein
Wunder, ist aber keines. Rathenau als Jndustriegewaltiger, Bankmann, Organi¬
sator, Ingenieur, Naturwissenschaftler, Realpolitiker, Volkswirt. Soziologe, Philan-
throp, Philosoph, Ethiker, Ästhet/ Dichter -- welche Seite seines Daseins , wird zum
Vorschein kommen, welches Metall oder welche Legierung wird er einschmelzen,
wenn ihn in glücklich-unglückseliger Stunde geheimnisvolle Kraft zum Schöpfen
zwingt, oder wenn er sich kühlen Herzens daran begibt, zu bearbeiten, was ihm
ins Haus geschafft wurde, Wachs zu kneten oder Siein zu beHauen, geschäftsmäßig,
mit mehr oder weniger innerm Anteil? Wer den holden Wahnsinn deS Schaffens
an sich selber erfahren hat, der kennt diese Unterschiede und ihre Auswirkung.
Der weiß auch, daß oft ein einziger Satz, dem Hirn eingebrannt in einsamer
Nacht oder in wogender Versammlung, mit mathematischer Schärfe oder mit
Blüten und Ranken eingeformt und obenan gestellt, bestimmend sein kann für
Gestaltung, Ausdruck und Inhalt bis zum letzten Schlußpunkt. Und da dem
Künstler niemals mehr dieselbe Stimmung gedeiht, so mutet ihn schon bald nach
Vollendung sein eigenes Werk fremd an; nach Jahren betrachtet er es vielleicht
mit lächelndem Mißbehagen wie Goethe feinen Elpenor, Rathenau seine Impres¬
sionen und Reflexionen.

Geschöpftes und Emporgepumptes I Daran liegt's. Rathenau ist ein Former
und Seher, ein Dichter. Er unterliegt dem Gesetz: für Gedanken von innerer
Notwendigkeit findet er straffen, manchmal lessingischen Ausdruck; wo der elementare
Drang, die tiefste Überzeugung fehlt, da schöngeistert, schönredet, schwulstet er, da
wird er ein Opfer der Proteusnatur, die Geburt, Erziehung und Leben seinem
überschwellender Können und Wollen zugeteilt haben. Da kann er einem Größeren
nachsprechen: "ich schleppe noch so vieles mit, das ich nicht loswerden und kaum
verarbeiten kann. Indessen bleibt mir nichts übrig als aus diesem Strom mein
Kcchrzeug so gut zu lenken als es nur gehen will." Schiller sagt irgendwo, daß
die Reinheit des Silbenmaßes zu einer sinnlichen Darstellung der innern Not¬
wendigkeit des Gedankens diene, während eine Lizenz gegen das Silbenmaß eine
gewisse Willkürlichkeit fühlbar mache. Ob dies Kunstgesetz von damals heute noch
Geltung hat, mag dahin gestellt bleiben; für Prosa gilt als ewige Regel, daß
.Klarheit und Prägnanz glaubhaft wirkt, rhetorischer Schwall unglaubhaft, so unglaub-
haft wie die Verteidigungsreden jenes vor einigen Jahrzehnten bekannten Berliner
Rechtsanwaltes, der seine stärksten Register nur ziehen konnte, wenn ihm die
Schuld des Klienten offenbar war.

Unvergleichlich in seiner Einfachheit und Überzeugungskraft ist der kurze
Aufsatz "Schule und Bildung". Besser kann man das "Lehren" nicht charakte¬
risieren als mit den Worten Rathenaus; es bestand (und besteht heute noch) aus
drei Teilen: 1. dem, was man durchnehmen nannte, 2. dem, was der Schüler
für sich zu Hause zu besorgen hatte, 3. dem Überhören und Kontrollieren. Der
Aufsatz "Geschäftliche Lehren" enthält Goldkörner. Die Leitsätze sind geradezu
klassisch. So zum Beispiel: Verlange, daß jeder deiner Leute einen Stellvertreter,
keiner einen Adjutanten halte. -- Bei Streitigkeiten deiner Leute haben beide
Unrecht. -- Der Mann, den du an die Spitze eines Geschäftes stellst, mag sein,
was er will, Jurist oder Techniker: bewährt er sich, so ist er Kaufmann. -- Ein
Direktor, der konstruiert, ist unbrauchbar; als Direktor sicher, meist auch als


Zeit halte, für eine Intelligenz, der unter uns Lebenden in Deutschland ein Gegen¬
bild kaum zur Seite gestellt werden kann.

Der Erfolg seiner Schriften kann mir nicht imponieren. Wir kennen ja
unsere lieben „Leser" und ihre Bibliotheken. Gelaufe — doch auch gelesen?
Daran liegt's. Wer wird nicht einen Klopstock loben usw. Raihenau ist Mode
für gewisse große Kreise, vielleicht heute schon die Mode von gestern. Mein Tadel
galt dem Pranger mit Worten, dem.Klingeln mit Wörtern, dem in verstiegener
Romantik reale Ziele umnebelnden Asthetentum, der hemmungslos ins Kraut
schießenden betäubenden Beredsamkeit.

Doch Rathenau kann es auch anders, ganz anders. Es klingt wie ein
Wunder, ist aber keines. Rathenau als Jndustriegewaltiger, Bankmann, Organi¬
sator, Ingenieur, Naturwissenschaftler, Realpolitiker, Volkswirt. Soziologe, Philan-
throp, Philosoph, Ethiker, Ästhet/ Dichter — welche Seite seines Daseins , wird zum
Vorschein kommen, welches Metall oder welche Legierung wird er einschmelzen,
wenn ihn in glücklich-unglückseliger Stunde geheimnisvolle Kraft zum Schöpfen
zwingt, oder wenn er sich kühlen Herzens daran begibt, zu bearbeiten, was ihm
ins Haus geschafft wurde, Wachs zu kneten oder Siein zu beHauen, geschäftsmäßig,
mit mehr oder weniger innerm Anteil? Wer den holden Wahnsinn deS Schaffens
an sich selber erfahren hat, der kennt diese Unterschiede und ihre Auswirkung.
Der weiß auch, daß oft ein einziger Satz, dem Hirn eingebrannt in einsamer
Nacht oder in wogender Versammlung, mit mathematischer Schärfe oder mit
Blüten und Ranken eingeformt und obenan gestellt, bestimmend sein kann für
Gestaltung, Ausdruck und Inhalt bis zum letzten Schlußpunkt. Und da dem
Künstler niemals mehr dieselbe Stimmung gedeiht, so mutet ihn schon bald nach
Vollendung sein eigenes Werk fremd an; nach Jahren betrachtet er es vielleicht
mit lächelndem Mißbehagen wie Goethe feinen Elpenor, Rathenau seine Impres¬
sionen und Reflexionen.

Geschöpftes und Emporgepumptes I Daran liegt's. Rathenau ist ein Former
und Seher, ein Dichter. Er unterliegt dem Gesetz: für Gedanken von innerer
Notwendigkeit findet er straffen, manchmal lessingischen Ausdruck; wo der elementare
Drang, die tiefste Überzeugung fehlt, da schöngeistert, schönredet, schwulstet er, da
wird er ein Opfer der Proteusnatur, die Geburt, Erziehung und Leben seinem
überschwellender Können und Wollen zugeteilt haben. Da kann er einem Größeren
nachsprechen: „ich schleppe noch so vieles mit, das ich nicht loswerden und kaum
verarbeiten kann. Indessen bleibt mir nichts übrig als aus diesem Strom mein
Kcchrzeug so gut zu lenken als es nur gehen will." Schiller sagt irgendwo, daß
die Reinheit des Silbenmaßes zu einer sinnlichen Darstellung der innern Not¬
wendigkeit des Gedankens diene, während eine Lizenz gegen das Silbenmaß eine
gewisse Willkürlichkeit fühlbar mache. Ob dies Kunstgesetz von damals heute noch
Geltung hat, mag dahin gestellt bleiben; für Prosa gilt als ewige Regel, daß
.Klarheit und Prägnanz glaubhaft wirkt, rhetorischer Schwall unglaubhaft, so unglaub-
haft wie die Verteidigungsreden jenes vor einigen Jahrzehnten bekannten Berliner
Rechtsanwaltes, der seine stärksten Register nur ziehen konnte, wenn ihm die
Schuld des Klienten offenbar war.

Unvergleichlich in seiner Einfachheit und Überzeugungskraft ist der kurze
Aufsatz „Schule und Bildung". Besser kann man das „Lehren" nicht charakte¬
risieren als mit den Worten Rathenaus; es bestand (und besteht heute noch) aus
drei Teilen: 1. dem, was man durchnehmen nannte, 2. dem, was der Schüler
für sich zu Hause zu besorgen hatte, 3. dem Überhören und Kontrollieren. Der
Aufsatz „Geschäftliche Lehren" enthält Goldkörner. Die Leitsätze sind geradezu
klassisch. So zum Beispiel: Verlange, daß jeder deiner Leute einen Stellvertreter,
keiner einen Adjutanten halte. — Bei Streitigkeiten deiner Leute haben beide
Unrecht. — Der Mann, den du an die Spitze eines Geschäftes stellst, mag sein,
was er will, Jurist oder Techniker: bewährt er sich, so ist er Kaufmann. — Ein
Direktor, der konstruiert, ist unbrauchbar; als Direktor sicher, meist auch als


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[0059] Zeit halte, für eine Intelligenz, der unter uns Lebenden in Deutschland ein Gegen¬ bild kaum zur Seite gestellt werden kann. Der Erfolg seiner Schriften kann mir nicht imponieren. Wir kennen ja unsere lieben „Leser" und ihre Bibliotheken. Gelaufe — doch auch gelesen? Daran liegt's. Wer wird nicht einen Klopstock loben usw. Raihenau ist Mode für gewisse große Kreise, vielleicht heute schon die Mode von gestern. Mein Tadel galt dem Pranger mit Worten, dem.Klingeln mit Wörtern, dem in verstiegener Romantik reale Ziele umnebelnden Asthetentum, der hemmungslos ins Kraut schießenden betäubenden Beredsamkeit. Doch Rathenau kann es auch anders, ganz anders. Es klingt wie ein Wunder, ist aber keines. Rathenau als Jndustriegewaltiger, Bankmann, Organi¬ sator, Ingenieur, Naturwissenschaftler, Realpolitiker, Volkswirt. Soziologe, Philan- throp, Philosoph, Ethiker, Ästhet/ Dichter — welche Seite seines Daseins , wird zum Vorschein kommen, welches Metall oder welche Legierung wird er einschmelzen, wenn ihn in glücklich-unglückseliger Stunde geheimnisvolle Kraft zum Schöpfen zwingt, oder wenn er sich kühlen Herzens daran begibt, zu bearbeiten, was ihm ins Haus geschafft wurde, Wachs zu kneten oder Siein zu beHauen, geschäftsmäßig, mit mehr oder weniger innerm Anteil? Wer den holden Wahnsinn deS Schaffens an sich selber erfahren hat, der kennt diese Unterschiede und ihre Auswirkung. Der weiß auch, daß oft ein einziger Satz, dem Hirn eingebrannt in einsamer Nacht oder in wogender Versammlung, mit mathematischer Schärfe oder mit Blüten und Ranken eingeformt und obenan gestellt, bestimmend sein kann für Gestaltung, Ausdruck und Inhalt bis zum letzten Schlußpunkt. Und da dem Künstler niemals mehr dieselbe Stimmung gedeiht, so mutet ihn schon bald nach Vollendung sein eigenes Werk fremd an; nach Jahren betrachtet er es vielleicht mit lächelndem Mißbehagen wie Goethe feinen Elpenor, Rathenau seine Impres¬ sionen und Reflexionen. Geschöpftes und Emporgepumptes I Daran liegt's. Rathenau ist ein Former und Seher, ein Dichter. Er unterliegt dem Gesetz: für Gedanken von innerer Notwendigkeit findet er straffen, manchmal lessingischen Ausdruck; wo der elementare Drang, die tiefste Überzeugung fehlt, da schöngeistert, schönredet, schwulstet er, da wird er ein Opfer der Proteusnatur, die Geburt, Erziehung und Leben seinem überschwellender Können und Wollen zugeteilt haben. Da kann er einem Größeren nachsprechen: „ich schleppe noch so vieles mit, das ich nicht loswerden und kaum verarbeiten kann. Indessen bleibt mir nichts übrig als aus diesem Strom mein Kcchrzeug so gut zu lenken als es nur gehen will." Schiller sagt irgendwo, daß die Reinheit des Silbenmaßes zu einer sinnlichen Darstellung der innern Not¬ wendigkeit des Gedankens diene, während eine Lizenz gegen das Silbenmaß eine gewisse Willkürlichkeit fühlbar mache. Ob dies Kunstgesetz von damals heute noch Geltung hat, mag dahin gestellt bleiben; für Prosa gilt als ewige Regel, daß .Klarheit und Prägnanz glaubhaft wirkt, rhetorischer Schwall unglaubhaft, so unglaub- haft wie die Verteidigungsreden jenes vor einigen Jahrzehnten bekannten Berliner Rechtsanwaltes, der seine stärksten Register nur ziehen konnte, wenn ihm die Schuld des Klienten offenbar war. Unvergleichlich in seiner Einfachheit und Überzeugungskraft ist der kurze Aufsatz „Schule und Bildung". Besser kann man das „Lehren" nicht charakte¬ risieren als mit den Worten Rathenaus; es bestand (und besteht heute noch) aus drei Teilen: 1. dem, was man durchnehmen nannte, 2. dem, was der Schüler für sich zu Hause zu besorgen hatte, 3. dem Überhören und Kontrollieren. Der Aufsatz „Geschäftliche Lehren" enthält Goldkörner. Die Leitsätze sind geradezu klassisch. So zum Beispiel: Verlange, daß jeder deiner Leute einen Stellvertreter, keiner einen Adjutanten halte. — Bei Streitigkeiten deiner Leute haben beide Unrecht. — Der Mann, den du an die Spitze eines Geschäftes stellst, mag sein, was er will, Jurist oder Techniker: bewährt er sich, so ist er Kaufmann. — Ein Direktor, der konstruiert, ist unbrauchbar; als Direktor sicher, meist auch als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/59>, abgerufen am 01.09.2024.