Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Waliser Rathenass gesannnelte Schriften

begleiten die Widmung an den Dichter und tönen durch die Schriften Rathenaus.
"Lassen Sie sich ein Schälchen des duftenden Trankes der Levante gefallen!" so
boten in der guten alten Zeit die Hausfrauen Gustav Freytags den Gästen eine
Tasse Kaffee an. Solche preziöfe Umschreibungen mögen noch vor dreißig Jahren
erträglich gewesen sein, heute sind sie es nur im Lichte der Literaturgeschichte;
dieser aber gehört Rathenau noch nicht an.

Stammtischtöner, Festredner, Heilsarmeesendlinge, Hohepriester, Propheten
tragen ihren Schwulst und Glanz in Rathenaus Schriften zusammen. "Steigen
wir hinab in die Schächte unseres unberührbaren innersten Bewußtseins, so finden
wir die dunklen Tiefen nicht leer; wir kehren heim mit der Gewißheit des Unend¬
lichen, der Gottseite der Schöpfung, mit der Verkündung des Berufes unserer
Seele, unserer überintellektualen Mächte und mit dem Geheimnis des Seelen¬
reiches", -- "daß alles irdische Handeln und Zielen in dem einen Sinne seine
Rechtfertigung findet, in der Entsalttmg der Seele und ihres Reiches", -- "die
schwere Erkenntnis, daß wir nicht zum Glücke streben, sondern zur Erfüllung, daß
wir nicht um unserwillen leben, sondern um des Gottes willen". -- "Wage es,
ihn (den heißen Drang der Seele) und nicht das erdachte Absolute zur temporären
Achse unseres Erlebens zu erwählen, so gewinnt das Dasein seinen Sinn zurück".
-- "Der Mensch selber, ungeläutert durch Fall, Bewußtheit und Aufstieg, bleibt
im Seelsnhaften ungeboren". --

Das schwirrt und blubbert und blaggert so von Seele. Verkündung,
Erfüllung, Erlösung, innerm Erleben. Gotiesreich, Schöpferkraft, daß mir für die
Verstandeskräfte der Direktion einer Gesellschaft bang wird, der der Herr Präsident
die Aufschüttung einer Dividende von 25°/" und die Verteilung eines Borns
von 20°/o in adäquaten Stil gebietet.

Neben dem Schwulst zahlreiche sprachliche Nachlässigkeiten und Gewaltsam¬
keiten. Statt "betäuben" sagt Rathenau "tauben" ("taube die Ohren"); "starren"
braucht er als transitivum im Sinne von "zur Erstarrung bringen" ("die Kälte
des Elends starrt alle Keime"); statt "geistig" sagt er "geistlich" ("die heiligen
Quellen geistlicher Erhebung"); für "Verschiedenartigkeit" setzt er "Vieldeutigkeit".
Der Feldgraue führt nicht Handgranaten sondern "Wurfgeschosse" (Schälchen des
duftenden Trankes der Levante). Was mag "Wirkung der Meereskettung" sein?
Dies ist nur auf gewundenen Wegen zu ermitteln. "Vergangenheit" klingt dem
Rhetor zu trivial; daher spricht er vom "Reiche der GeWesenheit". In der feier¬
lichen Stunde des Abschiedes wendet er sich nicht an die Jugend sondern an die
Jugend er sich (turial: an Euere Exzellenz ich mich). Dem falschen Pathos wird
der Sinn geopfert: "Dem Feinde ziemt uns ins Auge zu blicken". Wem ziemt,
was zu tun? Umgekehrt wird ein Schuh daraus. "Es ist Zeit, daß die Kleinen
und Geringen reden, bevor die Steine und die Gräber ihren Mund auftun. Und
da ich unter den Geringen ein Geringster bin, so will auch ich meine Stimme
erheben, so schwach sie ist". Wer kann diese Bescheidenheit eines Mannes für
echt halten, dem nach seinem eigenen Zeugnis "die bewußte Schöpfung einer
neuen Wirtschaftsordnung" gelungen ist, "die nicht vergehen kann und alle
künftigen Wirtschaftsreformen in ihrem Schoße trägt"? Und dies alles, wie
Rathenau in chinesischer Selbstverkleinerung hinzufügt, "durch das geringe Werk¬
zeug meines Kopfes". Also sprach Wulther und unterschätzte sich und uns, seine
Leser, denn in jeder Perspektive werden wir der Kürze seines Mäntelchens gewahr. -

Sollte ich dem Schriftsteller unserer Zeit mit schneidender.Kritik nicht bitter
Unrecht tun? Klebe ich nicht an der Oberfläche statt in der Tiefe zu schürfen?
In des Wesens Kern einzudringen? Zeugen nicht zahlreiche Auflagen von Be¬
deutung und Bedeutsamkeit des epochalen Autors? Ist es recht, anständig und
geschmackvoll, als hinkender Thersites polternd hinter dem hohen Agamemnon
herzulaufen?

Gemachl Ich bin noch nicht zu Ende. Nachdem menschliches -- allzu¬
menschliches abgetan ist, wünsche ich auch den Vorzügen des Schriftstellers gerecht
zu werden, den ich für eine hervorragende, die markanteste Erscheinung unserer


Waliser Rathenass gesannnelte Schriften

begleiten die Widmung an den Dichter und tönen durch die Schriften Rathenaus.
„Lassen Sie sich ein Schälchen des duftenden Trankes der Levante gefallen!" so
boten in der guten alten Zeit die Hausfrauen Gustav Freytags den Gästen eine
Tasse Kaffee an. Solche preziöfe Umschreibungen mögen noch vor dreißig Jahren
erträglich gewesen sein, heute sind sie es nur im Lichte der Literaturgeschichte;
dieser aber gehört Rathenau noch nicht an.

Stammtischtöner, Festredner, Heilsarmeesendlinge, Hohepriester, Propheten
tragen ihren Schwulst und Glanz in Rathenaus Schriften zusammen. „Steigen
wir hinab in die Schächte unseres unberührbaren innersten Bewußtseins, so finden
wir die dunklen Tiefen nicht leer; wir kehren heim mit der Gewißheit des Unend¬
lichen, der Gottseite der Schöpfung, mit der Verkündung des Berufes unserer
Seele, unserer überintellektualen Mächte und mit dem Geheimnis des Seelen¬
reiches", — „daß alles irdische Handeln und Zielen in dem einen Sinne seine
Rechtfertigung findet, in der Entsalttmg der Seele und ihres Reiches", — „die
schwere Erkenntnis, daß wir nicht zum Glücke streben, sondern zur Erfüllung, daß
wir nicht um unserwillen leben, sondern um des Gottes willen". — „Wage es,
ihn (den heißen Drang der Seele) und nicht das erdachte Absolute zur temporären
Achse unseres Erlebens zu erwählen, so gewinnt das Dasein seinen Sinn zurück".
— „Der Mensch selber, ungeläutert durch Fall, Bewußtheit und Aufstieg, bleibt
im Seelsnhaften ungeboren". —

Das schwirrt und blubbert und blaggert so von Seele. Verkündung,
Erfüllung, Erlösung, innerm Erleben. Gotiesreich, Schöpferkraft, daß mir für die
Verstandeskräfte der Direktion einer Gesellschaft bang wird, der der Herr Präsident
die Aufschüttung einer Dividende von 25°/» und die Verteilung eines Borns
von 20°/o in adäquaten Stil gebietet.

Neben dem Schwulst zahlreiche sprachliche Nachlässigkeiten und Gewaltsam¬
keiten. Statt „betäuben" sagt Rathenau „tauben" („taube die Ohren"); „starren"
braucht er als transitivum im Sinne von „zur Erstarrung bringen" („die Kälte
des Elends starrt alle Keime"); statt „geistig" sagt er „geistlich" („die heiligen
Quellen geistlicher Erhebung"); für „Verschiedenartigkeit" setzt er „Vieldeutigkeit".
Der Feldgraue führt nicht Handgranaten sondern „Wurfgeschosse" (Schälchen des
duftenden Trankes der Levante). Was mag „Wirkung der Meereskettung" sein?
Dies ist nur auf gewundenen Wegen zu ermitteln. „Vergangenheit" klingt dem
Rhetor zu trivial; daher spricht er vom „Reiche der GeWesenheit". In der feier¬
lichen Stunde des Abschiedes wendet er sich nicht an die Jugend sondern an die
Jugend er sich (turial: an Euere Exzellenz ich mich). Dem falschen Pathos wird
der Sinn geopfert: „Dem Feinde ziemt uns ins Auge zu blicken". Wem ziemt,
was zu tun? Umgekehrt wird ein Schuh daraus. „Es ist Zeit, daß die Kleinen
und Geringen reden, bevor die Steine und die Gräber ihren Mund auftun. Und
da ich unter den Geringen ein Geringster bin, so will auch ich meine Stimme
erheben, so schwach sie ist". Wer kann diese Bescheidenheit eines Mannes für
echt halten, dem nach seinem eigenen Zeugnis „die bewußte Schöpfung einer
neuen Wirtschaftsordnung" gelungen ist, „die nicht vergehen kann und alle
künftigen Wirtschaftsreformen in ihrem Schoße trägt"? Und dies alles, wie
Rathenau in chinesischer Selbstverkleinerung hinzufügt, „durch das geringe Werk¬
zeug meines Kopfes". Also sprach Wulther und unterschätzte sich und uns, seine
Leser, denn in jeder Perspektive werden wir der Kürze seines Mäntelchens gewahr. -

Sollte ich dem Schriftsteller unserer Zeit mit schneidender.Kritik nicht bitter
Unrecht tun? Klebe ich nicht an der Oberfläche statt in der Tiefe zu schürfen?
In des Wesens Kern einzudringen? Zeugen nicht zahlreiche Auflagen von Be¬
deutung und Bedeutsamkeit des epochalen Autors? Ist es recht, anständig und
geschmackvoll, als hinkender Thersites polternd hinter dem hohen Agamemnon
herzulaufen?

Gemachl Ich bin noch nicht zu Ende. Nachdem menschliches — allzu¬
menschliches abgetan ist, wünsche ich auch den Vorzügen des Schriftstellers gerecht
zu werden, den ich für eine hervorragende, die markanteste Erscheinung unserer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335466"/>
          <fw type="header" place="top"> Waliser Rathenass gesannnelte Schriften</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_198" prev="#ID_197"> begleiten die Widmung an den Dichter und tönen durch die Schriften Rathenaus.<lb/>
&#x201E;Lassen Sie sich ein Schälchen des duftenden Trankes der Levante gefallen!" so<lb/>
boten in der guten alten Zeit die Hausfrauen Gustav Freytags den Gästen eine<lb/>
Tasse Kaffee an. Solche preziöfe Umschreibungen mögen noch vor dreißig Jahren<lb/>
erträglich gewesen sein, heute sind sie es nur im Lichte der Literaturgeschichte;<lb/>
dieser aber gehört Rathenau noch nicht an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_199"> Stammtischtöner, Festredner, Heilsarmeesendlinge, Hohepriester, Propheten<lb/>
tragen ihren Schwulst und Glanz in Rathenaus Schriften zusammen. &#x201E;Steigen<lb/>
wir hinab in die Schächte unseres unberührbaren innersten Bewußtseins, so finden<lb/>
wir die dunklen Tiefen nicht leer; wir kehren heim mit der Gewißheit des Unend¬<lb/>
lichen, der Gottseite der Schöpfung, mit der Verkündung des Berufes unserer<lb/>
Seele, unserer überintellektualen Mächte und mit dem Geheimnis des Seelen¬<lb/>
reiches", &#x2014; &#x201E;daß alles irdische Handeln und Zielen in dem einen Sinne seine<lb/>
Rechtfertigung findet, in der Entsalttmg der Seele und ihres Reiches", &#x2014; &#x201E;die<lb/>
schwere Erkenntnis, daß wir nicht zum Glücke streben, sondern zur Erfüllung, daß<lb/>
wir nicht um unserwillen leben, sondern um des Gottes willen". &#x2014; &#x201E;Wage es,<lb/>
ihn (den heißen Drang der Seele) und nicht das erdachte Absolute zur temporären<lb/>
Achse unseres Erlebens zu erwählen, so gewinnt das Dasein seinen Sinn zurück".<lb/>
&#x2014; &#x201E;Der Mensch selber, ungeläutert durch Fall, Bewußtheit und Aufstieg, bleibt<lb/>
im Seelsnhaften ungeboren". &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_200"> Das schwirrt und blubbert und blaggert so von Seele. Verkündung,<lb/>
Erfüllung, Erlösung, innerm Erleben. Gotiesreich, Schöpferkraft, daß mir für die<lb/>
Verstandeskräfte der Direktion einer Gesellschaft bang wird, der der Herr Präsident<lb/>
die Aufschüttung einer Dividende von 25°/» und die Verteilung eines Borns<lb/>
von 20°/o in adäquaten Stil gebietet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_201"> Neben dem Schwulst zahlreiche sprachliche Nachlässigkeiten und Gewaltsam¬<lb/>
keiten. Statt &#x201E;betäuben" sagt Rathenau &#x201E;tauben" (&#x201E;taube die Ohren"); &#x201E;starren"<lb/>
braucht er als transitivum im Sinne von &#x201E;zur Erstarrung bringen" (&#x201E;die Kälte<lb/>
des Elends starrt alle Keime"); statt &#x201E;geistig" sagt er &#x201E;geistlich" (&#x201E;die heiligen<lb/>
Quellen geistlicher Erhebung"); für &#x201E;Verschiedenartigkeit" setzt er &#x201E;Vieldeutigkeit".<lb/>
Der Feldgraue führt nicht Handgranaten sondern &#x201E;Wurfgeschosse" (Schälchen des<lb/>
duftenden Trankes der Levante). Was mag &#x201E;Wirkung der Meereskettung" sein?<lb/>
Dies ist nur auf gewundenen Wegen zu ermitteln. &#x201E;Vergangenheit" klingt dem<lb/>
Rhetor zu trivial; daher spricht er vom &#x201E;Reiche der GeWesenheit". In der feier¬<lb/>
lichen Stunde des Abschiedes wendet er sich nicht an die Jugend sondern an die<lb/>
Jugend er sich (turial: an Euere Exzellenz ich mich). Dem falschen Pathos wird<lb/>
der Sinn geopfert: &#x201E;Dem Feinde ziemt uns ins Auge zu blicken". Wem ziemt,<lb/>
was zu tun? Umgekehrt wird ein Schuh daraus. &#x201E;Es ist Zeit, daß die Kleinen<lb/>
und Geringen reden, bevor die Steine und die Gräber ihren Mund auftun. Und<lb/>
da ich unter den Geringen ein Geringster bin, so will auch ich meine Stimme<lb/>
erheben, so schwach sie ist". Wer kann diese Bescheidenheit eines Mannes für<lb/>
echt halten, dem nach seinem eigenen Zeugnis &#x201E;die bewußte Schöpfung einer<lb/>
neuen Wirtschaftsordnung" gelungen ist, &#x201E;die nicht vergehen kann und alle<lb/>
künftigen Wirtschaftsreformen in ihrem Schoße trägt"? Und dies alles, wie<lb/>
Rathenau in chinesischer Selbstverkleinerung hinzufügt, &#x201E;durch das geringe Werk¬<lb/>
zeug meines Kopfes". Also sprach Wulther und unterschätzte sich und uns, seine<lb/>
Leser, denn in jeder Perspektive werden wir der Kürze seines Mäntelchens gewahr. -</p><lb/>
          <p xml:id="ID_202"> Sollte ich dem Schriftsteller unserer Zeit mit schneidender.Kritik nicht bitter<lb/>
Unrecht tun? Klebe ich nicht an der Oberfläche statt in der Tiefe zu schürfen?<lb/>
In des Wesens Kern einzudringen? Zeugen nicht zahlreiche Auflagen von Be¬<lb/>
deutung und Bedeutsamkeit des epochalen Autors? Ist es recht, anständig und<lb/>
geschmackvoll, als hinkender Thersites polternd hinter dem hohen Agamemnon<lb/>
herzulaufen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_203" next="#ID_204"> Gemachl Ich bin noch nicht zu Ende. Nachdem menschliches &#x2014; allzu¬<lb/>
menschliches abgetan ist, wünsche ich auch den Vorzügen des Schriftstellers gerecht<lb/>
zu werden, den ich für eine hervorragende, die markanteste Erscheinung unserer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0058] Waliser Rathenass gesannnelte Schriften begleiten die Widmung an den Dichter und tönen durch die Schriften Rathenaus. „Lassen Sie sich ein Schälchen des duftenden Trankes der Levante gefallen!" so boten in der guten alten Zeit die Hausfrauen Gustav Freytags den Gästen eine Tasse Kaffee an. Solche preziöfe Umschreibungen mögen noch vor dreißig Jahren erträglich gewesen sein, heute sind sie es nur im Lichte der Literaturgeschichte; dieser aber gehört Rathenau noch nicht an. Stammtischtöner, Festredner, Heilsarmeesendlinge, Hohepriester, Propheten tragen ihren Schwulst und Glanz in Rathenaus Schriften zusammen. „Steigen wir hinab in die Schächte unseres unberührbaren innersten Bewußtseins, so finden wir die dunklen Tiefen nicht leer; wir kehren heim mit der Gewißheit des Unend¬ lichen, der Gottseite der Schöpfung, mit der Verkündung des Berufes unserer Seele, unserer überintellektualen Mächte und mit dem Geheimnis des Seelen¬ reiches", — „daß alles irdische Handeln und Zielen in dem einen Sinne seine Rechtfertigung findet, in der Entsalttmg der Seele und ihres Reiches", — „die schwere Erkenntnis, daß wir nicht zum Glücke streben, sondern zur Erfüllung, daß wir nicht um unserwillen leben, sondern um des Gottes willen". — „Wage es, ihn (den heißen Drang der Seele) und nicht das erdachte Absolute zur temporären Achse unseres Erlebens zu erwählen, so gewinnt das Dasein seinen Sinn zurück". — „Der Mensch selber, ungeläutert durch Fall, Bewußtheit und Aufstieg, bleibt im Seelsnhaften ungeboren". — Das schwirrt und blubbert und blaggert so von Seele. Verkündung, Erfüllung, Erlösung, innerm Erleben. Gotiesreich, Schöpferkraft, daß mir für die Verstandeskräfte der Direktion einer Gesellschaft bang wird, der der Herr Präsident die Aufschüttung einer Dividende von 25°/» und die Verteilung eines Borns von 20°/o in adäquaten Stil gebietet. Neben dem Schwulst zahlreiche sprachliche Nachlässigkeiten und Gewaltsam¬ keiten. Statt „betäuben" sagt Rathenau „tauben" („taube die Ohren"); „starren" braucht er als transitivum im Sinne von „zur Erstarrung bringen" („die Kälte des Elends starrt alle Keime"); statt „geistig" sagt er „geistlich" („die heiligen Quellen geistlicher Erhebung"); für „Verschiedenartigkeit" setzt er „Vieldeutigkeit". Der Feldgraue führt nicht Handgranaten sondern „Wurfgeschosse" (Schälchen des duftenden Trankes der Levante). Was mag „Wirkung der Meereskettung" sein? Dies ist nur auf gewundenen Wegen zu ermitteln. „Vergangenheit" klingt dem Rhetor zu trivial; daher spricht er vom „Reiche der GeWesenheit". In der feier¬ lichen Stunde des Abschiedes wendet er sich nicht an die Jugend sondern an die Jugend er sich (turial: an Euere Exzellenz ich mich). Dem falschen Pathos wird der Sinn geopfert: „Dem Feinde ziemt uns ins Auge zu blicken". Wem ziemt, was zu tun? Umgekehrt wird ein Schuh daraus. „Es ist Zeit, daß die Kleinen und Geringen reden, bevor die Steine und die Gräber ihren Mund auftun. Und da ich unter den Geringen ein Geringster bin, so will auch ich meine Stimme erheben, so schwach sie ist". Wer kann diese Bescheidenheit eines Mannes für echt halten, dem nach seinem eigenen Zeugnis „die bewußte Schöpfung einer neuen Wirtschaftsordnung" gelungen ist, „die nicht vergehen kann und alle künftigen Wirtschaftsreformen in ihrem Schoße trägt"? Und dies alles, wie Rathenau in chinesischer Selbstverkleinerung hinzufügt, „durch das geringe Werk¬ zeug meines Kopfes". Also sprach Wulther und unterschätzte sich und uns, seine Leser, denn in jeder Perspektive werden wir der Kürze seines Mäntelchens gewahr. - Sollte ich dem Schriftsteller unserer Zeit mit schneidender.Kritik nicht bitter Unrecht tun? Klebe ich nicht an der Oberfläche statt in der Tiefe zu schürfen? In des Wesens Kern einzudringen? Zeugen nicht zahlreiche Auflagen von Be¬ deutung und Bedeutsamkeit des epochalen Autors? Ist es recht, anständig und geschmackvoll, als hinkender Thersites polternd hinter dem hohen Agamemnon herzulaufen? Gemachl Ich bin noch nicht zu Ende. Nachdem menschliches — allzu¬ menschliches abgetan ist, wünsche ich auch den Vorzügen des Schriftstellers gerecht zu werden, den ich für eine hervorragende, die markanteste Erscheinung unserer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/58
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/58>, abgerufen am 18.12.2024.