Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Konflikte im Entente-Lager bedeutend sind, daß man schon fast von einem neuen Kriegszustand sprechen kaun. Auf der Friedenskonferenz sind in bislang die allerbedenklichsten Streit¬ "So weit sich die Konferenz bis jetzt abgespielt hat, stellt sie nichts weniger Diese interessante Übersicht wird ergänzt durch leine Auslassung der "Deutsch-Ostafrika wird wahrscheinlich an Großbritannien als Beauf¬ Die Bilanz von zweieinhalb Monaten Friedenskonferenz ist also trotz der 4*
Konflikte im Entente-Lager bedeutend sind, daß man schon fast von einem neuen Kriegszustand sprechen kaun. Auf der Friedenskonferenz sind in bislang die allerbedenklichsten Streit¬ „So weit sich die Konferenz bis jetzt abgespielt hat, stellt sie nichts weniger Diese interessante Übersicht wird ergänzt durch leine Auslassung der „Deutsch-Ostafrika wird wahrscheinlich an Großbritannien als Beauf¬ Die Bilanz von zweieinhalb Monaten Friedenskonferenz ist also trotz der 4*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335463"/> <fw type="header" place="top"> Konflikte im Entente-Lager</fw><lb/> <p xml:id="ID_177" prev="#ID_176"> bedeutend sind, daß man schon fast von einem neuen Kriegszustand sprechen kaun.<lb/> Diese Differenzen bestehen auch zwischen Italien, Frankreich und England, da<lb/> Italien wie der Jude Shylock auf seinem Pfund Fleisch beharrt, das in diesem<lb/> Falle das Londoner Abkommen vom 26. April 1915 ist. Frankreich und England<lb/> aber wollen zugunsten der.Südslawen von diesem Abkommen- nichts mehr wissen.<lb/> Die Folge ist eine überaus gereizte Stimmung der imperialistischen Kreise in<lb/> Italien gegen Frankreich, mit dem man sowohl über die Frage der östlichen<lb/> Adria wie über den Anschluß Deutschösterreichs an Deutschland grundverschiedenen<lb/> Meinung ist. Während in Italien selbst die revolutionäre Arbeiterschaft scharf<lb/> Front macht gegen alle imperialistischen und kapitalistischen Pläne im eignen<lb/> Lande, läßt die Regierung es über die Fiume-Frage fast zur Sprengung des<lb/> Kongresses kommen. Dazu ist Italien auch wegen der geplanten Lösung der<lb/> syrischen Frage sehr unzufrieden mit Frankreich und England, und liegt um<lb/> Kleinasien, den Dodekanes und den Epirus mit Griechenland im Konflikt. Nur<lb/> kurz sei erwähnt, daß auch zwischen Japan einerseits, den Vereinigten Staaten,<lb/> Australien und Neuseeland andrerseits recht scharfe Gegensätze über eine ganze<lb/> Reihe von Fragen bestehen, um zu erkennen, welche wundervollen Fortschritte die<lb/> Harmonie der ganzen Welt seit der Begründung des Völkerbundes gemacht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_178"> Auf der Friedenskonferenz sind in bislang die allerbedenklichsten Streit¬<lb/> fragen, wie Irland, Burenftaaten, Ägypten, Konstantinopel, Calais, Freiheit der<lb/> Meere usw. überhaupt noch nicht zur >Sprache gekommen. Schon bei Erörterung<lb/> der harmloseren Probleme aber hat sich eine „Einigkeit" ergeben, die am<lb/> charakteristischsten ,wohl von der englischen Zeitschrift „Statist" geschildert wurde,<lb/> als sie am 8. Februar schrieb:</p><lb/> <p xml:id="ID_179"> „So weit sich die Konferenz bis jetzt abgespielt hat, stellt sie nichts weniger<lb/> als einen Erfolg dar. Wir empfinden, daß wir in vielen Punkten nachgegeben<lb/> haben, die uns wirklich recht sehr gegen den Strich gingen. . ,. Frankreich<lb/> wiederum ist keineswegs mit der Auffassung bezüglich des Rheines zufrieden.<lb/> Vielleicht ist es überempfindlich. . . Frankreich ist enttäuscht und peinlich berührt,<lb/> weil seine eignen Verbündeten ihm gegenüber Argwohn hegen. . . Zu alledem<lb/> kommt dann noch eine starke Erregung der Serben und Kroaten einerseits, der<lb/> Polen andrerseits. Für deu Augenblick werden sie in Schranken gehalten. Aber<lb/> jeden Augenblick können sie die Schranken durchbrechen. . . Soweit wir urteilen<lb/> können, hat es die Konferenz bisher niemandem recht gemacht."</p><lb/> <p xml:id="ID_180"> Diese interessante Übersicht wird ergänzt durch leine Auslassung der<lb/> „Times" vom 23. Januar über die kolonialen Differenzen:</p><lb/> <p xml:id="ID_181"> „Deutsch-Ostafrika wird wahrscheinlich an Großbritannien als Beauf¬<lb/> tragten des Völkerbundes übergeben werden. Freilich sind hier auch die Ansprüche<lb/> Belgiens zu berücksichtigen. Über Kamerun und Togo gibt es fast (!) nur eine<lb/> Auseinandersetzung zwischen Frankreich und England. . . Die Zukunft der<lb/> Inseln des Stillen Ozeans macht Schwierigkeiten. Nach dein englisch-japanischen<lb/> Vertrag sollte der Äquator die Südgrenze des japanischen Machtbereichs darstellen.<lb/> Dies würde den Japanern den Besitz der Marschall-Jnseln und der Karolinen<lb/> lassen. Die Australier sind aber mit einer solchen Annäherung der Japaner an<lb/> ihr Gebiet keineswegs zufrieden. Sie fragen, warum die Japaner den Besitz<lb/> jener Inselgruppen anstreben, die wirtschaftlich fast wertlos sind, aber strategisch<lb/> eine erhebliche Bedeutung haben."</p><lb/> <p xml:id="ID_182"> Die Bilanz von zweieinhalb Monaten Friedenskonferenz ist also trotz der<lb/> Gründung des Wilsonschen Völkerbundes, über den die lieben Bundesgenossen arg<lb/> boshafte Glossen machen, allgemeine Enttäuschung, Unzufriedenheit, Unsicherheit<lb/> »ut Unfriede. Wilsons in der letzten Märzwoche ausgesprochene Drohung, die<lb/> Friedenskonferenz in ein neutrales Land zu verlegen, wenn Frankreich von seinen<lb/> Überspanntheiten nicht lassen will, beleuchtete die Situationen nicht minder grell<lb/> als Italiens Drohung mit der Boykottierung der ganzen Konferenz. Wohin<lb/> werden wir da erst ein Vierteljahr später geraten, wenn die wirklich ernsten und<lb/> drohenden Konfliktstoffe inzwischen wohl oder übel am Beratungstisch zum<lb/> Vorschein gekommen sind?</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 4*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0055]
Konflikte im Entente-Lager
bedeutend sind, daß man schon fast von einem neuen Kriegszustand sprechen kaun.
Diese Differenzen bestehen auch zwischen Italien, Frankreich und England, da
Italien wie der Jude Shylock auf seinem Pfund Fleisch beharrt, das in diesem
Falle das Londoner Abkommen vom 26. April 1915 ist. Frankreich und England
aber wollen zugunsten der.Südslawen von diesem Abkommen- nichts mehr wissen.
Die Folge ist eine überaus gereizte Stimmung der imperialistischen Kreise in
Italien gegen Frankreich, mit dem man sowohl über die Frage der östlichen
Adria wie über den Anschluß Deutschösterreichs an Deutschland grundverschiedenen
Meinung ist. Während in Italien selbst die revolutionäre Arbeiterschaft scharf
Front macht gegen alle imperialistischen und kapitalistischen Pläne im eignen
Lande, läßt die Regierung es über die Fiume-Frage fast zur Sprengung des
Kongresses kommen. Dazu ist Italien auch wegen der geplanten Lösung der
syrischen Frage sehr unzufrieden mit Frankreich und England, und liegt um
Kleinasien, den Dodekanes und den Epirus mit Griechenland im Konflikt. Nur
kurz sei erwähnt, daß auch zwischen Japan einerseits, den Vereinigten Staaten,
Australien und Neuseeland andrerseits recht scharfe Gegensätze über eine ganze
Reihe von Fragen bestehen, um zu erkennen, welche wundervollen Fortschritte die
Harmonie der ganzen Welt seit der Begründung des Völkerbundes gemacht hat.
Auf der Friedenskonferenz sind in bislang die allerbedenklichsten Streit¬
fragen, wie Irland, Burenftaaten, Ägypten, Konstantinopel, Calais, Freiheit der
Meere usw. überhaupt noch nicht zur >Sprache gekommen. Schon bei Erörterung
der harmloseren Probleme aber hat sich eine „Einigkeit" ergeben, die am
charakteristischsten ,wohl von der englischen Zeitschrift „Statist" geschildert wurde,
als sie am 8. Februar schrieb:
„So weit sich die Konferenz bis jetzt abgespielt hat, stellt sie nichts weniger
als einen Erfolg dar. Wir empfinden, daß wir in vielen Punkten nachgegeben
haben, die uns wirklich recht sehr gegen den Strich gingen. . ,. Frankreich
wiederum ist keineswegs mit der Auffassung bezüglich des Rheines zufrieden.
Vielleicht ist es überempfindlich. . . Frankreich ist enttäuscht und peinlich berührt,
weil seine eignen Verbündeten ihm gegenüber Argwohn hegen. . . Zu alledem
kommt dann noch eine starke Erregung der Serben und Kroaten einerseits, der
Polen andrerseits. Für deu Augenblick werden sie in Schranken gehalten. Aber
jeden Augenblick können sie die Schranken durchbrechen. . . Soweit wir urteilen
können, hat es die Konferenz bisher niemandem recht gemacht."
Diese interessante Übersicht wird ergänzt durch leine Auslassung der
„Times" vom 23. Januar über die kolonialen Differenzen:
„Deutsch-Ostafrika wird wahrscheinlich an Großbritannien als Beauf¬
tragten des Völkerbundes übergeben werden. Freilich sind hier auch die Ansprüche
Belgiens zu berücksichtigen. Über Kamerun und Togo gibt es fast (!) nur eine
Auseinandersetzung zwischen Frankreich und England. . . Die Zukunft der
Inseln des Stillen Ozeans macht Schwierigkeiten. Nach dein englisch-japanischen
Vertrag sollte der Äquator die Südgrenze des japanischen Machtbereichs darstellen.
Dies würde den Japanern den Besitz der Marschall-Jnseln und der Karolinen
lassen. Die Australier sind aber mit einer solchen Annäherung der Japaner an
ihr Gebiet keineswegs zufrieden. Sie fragen, warum die Japaner den Besitz
jener Inselgruppen anstreben, die wirtschaftlich fast wertlos sind, aber strategisch
eine erhebliche Bedeutung haben."
Die Bilanz von zweieinhalb Monaten Friedenskonferenz ist also trotz der
Gründung des Wilsonschen Völkerbundes, über den die lieben Bundesgenossen arg
boshafte Glossen machen, allgemeine Enttäuschung, Unzufriedenheit, Unsicherheit
»ut Unfriede. Wilsons in der letzten Märzwoche ausgesprochene Drohung, die
Friedenskonferenz in ein neutrales Land zu verlegen, wenn Frankreich von seinen
Überspanntheiten nicht lassen will, beleuchtete die Situationen nicht minder grell
als Italiens Drohung mit der Boykottierung der ganzen Konferenz. Wohin
werden wir da erst ein Vierteljahr später geraten, wenn die wirklich ernsten und
drohenden Konfliktstoffe inzwischen wohl oder übel am Beratungstisch zum
Vorschein gekommen sind?
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