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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Aus den deutschen Volksräten

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Werden kollll Erfreulich ist, daß dieses un¬
erhörte Verbrechen alle deutschen Parteien
wieder zu einer kompakten Masse zusammen¬
schmiedet; auch die heutige Zeit kennt nur
Deutsche und keine Parteien mehrt Wir
wollen nichts Unbilliges, wir wollen Gerechtig¬
keit, wir wollen deutsch bleiben, wie es uns
nach der Bevölkerungszahl zukommt I

Und dieser eine Gedanke beseelte gestern
die Tausende und Abertausende von Männern
in Graudenz, die im festen Tritt mit guter
Ordnung hinauszogen zum Exerzierplatz am
"Schwan", wo sie von einer vieltausend¬
köpfigen Menge erwartet wurden; keine
wehenden Fahnen, keine schreienden Plakate,
keine äußeren Zeichen wurden mitgeführt,
die Truppen, zum Teil im Stahlhelm, und
die Männer im Bürgerrock marschierten in
tiefem Ernst zur Versammlungsstätte. Zum
ersten Male trat auch die Stadtwehr geschlossen
und öffentlich auf und marschierte von drei
verschiedenen Punkten mit weit über 1000
Mann im Zuge. Eine ungeheure Menge'
hatte sich dort auf der weiten Fläche am
"Schwan" zusammengefunden, etwa 16 000
Männer und Frauen erhoben Protest gegen
einen Gewaltfrieden, gegen eine Abtretung
der Ostmark an die Polen. Diesmal dürfte
sich das Graudenzer Polenblatt kaum zu der
hämischen Bemerkung aufschwingen, daß bei
den "Graudenzer Manifestationen" immer
nur die klägliche Zahl von 3000 Beteiligten
aufzubringen sei. Die Einmütigkeit mag
aber den großpolnischen Machthabern weiter¬
hin bewiesen haben, daß das deutsche Volk
im Osten des Reiches kein lebloses Element
ist, das sich gleich einer Ware verschachern
läßt, sondern daß es sich um Männer und
Frauen handelt die alles daranzusetzen
gewillt sind, ihr Deutschtum zu verteidigen.

Während einige Flieger die Versammlung
überkreisten und Flugblätter abwarfen, sprach
Assessor Busse von einem Automobil mit weit¬
hinschallender Stimme:

Deutsche Männer, deutsche Frauen I

Die Stunde der Not ist da. Mit tausend
eisigen Fangarmen greift das Scheusal des
Völkerhasses und der unersättlichen Rachgier
an das deutsche Herz. Ausgesogen und aus¬
gepreßt sollen wir werden bis zum letzten
Tropfen Blut, vernichtet und ausgetilgt aus

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dem Buche der Geschichte. Statt des Friedens
des Rechts und der Freiheit soll uns beschert
sein ein Frieden der Gewalt und der Knecht¬
schaft. Aus den Millionen deutscher Herzen
kommt darauf heute die einzig mögliche
Antwort, ein entschlossenes, unbeugsames
NeinI Allerorten erhebt sich der deutsche
Wille zum Recht, überall ertönt der Schrei
nach Gerechtigkeit. Vergessen ist aller Hader
der Parteien, verraucht ist die Streitlust der
letzten Monate. Einig und geschlossen steht
das Volk hinter seiner von ihm selbst er¬
wählten Negierung.

Besonders schwer und schier unfaßbar
hart ist das Schicksal, das uns Deutschen
der Ostmark zugedacht ist. Wir sollen auf¬
hören, zum Deutschen Reiche zu gehören,
unser lieber schöner Heimatboden, auf dem
jede Ackerfläche und jeder Pflasterstein.von
deutschem Geiste und deutschen: Wesen zeugt,
den jahrhundertlange treue deutsche Arbeit
zu herrlicher deutscher Blüte gebracht hat,
der ein unersetzlicher Teil unseres geliebten
Vaterlandes ist -- er soll für immer der
Beutegier und der Ländersucht des slawischen
Nachbarvolkes zum Opfer fallen, mit seinem
majestätischen Strom, seinen alten Ordens¬
burgen, seinen gepflegten Städten, seinen
heimischen Dörfern. Das kann nicht sein,
das darf nicht sein. Mit banger Sorge
blicken wir auf jene Männer, die das Ver¬
trauen des Volkes auf die verantwortungs¬
vollste Stelle gehoben hat, und aus tiefstem
Herzen dringt heute unser Ruf an ihr Ohr:
Verratet uns nicht an das fremde Volk, gebt
uns nicht preis! Wir halten dem übrigen
Deutschland die Treue, wir verlangen und
erwarten auch, daß uns das Deutsche Reich
nicht im Stiche lüßtl

Nicht unbesonnenes Handeln fordern wir,
nicht tollkühnes, aussichtsloses und verderb¬
liches Wagnis, wohl aber fordern wir, daß
die Negierung handle nach jenem Dichter¬
wort: Wir wollen sein ein einzig Volk von
Brüdern, in keiner Not uns trennen und
GefahrI Deutschland hat sich verpflichtet
den Frieden zu schließen auf der Grundlage
jener 14 Punkts des Präsidenten der Ver¬
einigten Staaten von Amerika. Dieselbe
Verpflichtung aber haben auch unsere Gegner
unzweideutig auf sich genommen. Ein un°

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Aus den deutschen Volksräten

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Werden kollll Erfreulich ist, daß dieses un¬
erhörte Verbrechen alle deutschen Parteien
wieder zu einer kompakten Masse zusammen¬
schmiedet; auch die heutige Zeit kennt nur
Deutsche und keine Parteien mehrt Wir
wollen nichts Unbilliges, wir wollen Gerechtig¬
keit, wir wollen deutsch bleiben, wie es uns
nach der Bevölkerungszahl zukommt I

Und dieser eine Gedanke beseelte gestern
die Tausende und Abertausende von Männern
in Graudenz, die im festen Tritt mit guter
Ordnung hinauszogen zum Exerzierplatz am
„Schwan", wo sie von einer vieltausend¬
köpfigen Menge erwartet wurden; keine
wehenden Fahnen, keine schreienden Plakate,
keine äußeren Zeichen wurden mitgeführt,
die Truppen, zum Teil im Stahlhelm, und
die Männer im Bürgerrock marschierten in
tiefem Ernst zur Versammlungsstätte. Zum
ersten Male trat auch die Stadtwehr geschlossen
und öffentlich auf und marschierte von drei
verschiedenen Punkten mit weit über 1000
Mann im Zuge. Eine ungeheure Menge'
hatte sich dort auf der weiten Fläche am
„Schwan" zusammengefunden, etwa 16 000
Männer und Frauen erhoben Protest gegen
einen Gewaltfrieden, gegen eine Abtretung
der Ostmark an die Polen. Diesmal dürfte
sich das Graudenzer Polenblatt kaum zu der
hämischen Bemerkung aufschwingen, daß bei
den „Graudenzer Manifestationen" immer
nur die klägliche Zahl von 3000 Beteiligten
aufzubringen sei. Die Einmütigkeit mag
aber den großpolnischen Machthabern weiter¬
hin bewiesen haben, daß das deutsche Volk
im Osten des Reiches kein lebloses Element
ist, das sich gleich einer Ware verschachern
läßt, sondern daß es sich um Männer und
Frauen handelt die alles daranzusetzen
gewillt sind, ihr Deutschtum zu verteidigen.

Während einige Flieger die Versammlung
überkreisten und Flugblätter abwarfen, sprach
Assessor Busse von einem Automobil mit weit¬
hinschallender Stimme:

Deutsche Männer, deutsche Frauen I

Die Stunde der Not ist da. Mit tausend
eisigen Fangarmen greift das Scheusal des
Völkerhasses und der unersättlichen Rachgier
an das deutsche Herz. Ausgesogen und aus¬
gepreßt sollen wir werden bis zum letzten
Tropfen Blut, vernichtet und ausgetilgt aus

[Spaltenumbruch]

dem Buche der Geschichte. Statt des Friedens
des Rechts und der Freiheit soll uns beschert
sein ein Frieden der Gewalt und der Knecht¬
schaft. Aus den Millionen deutscher Herzen
kommt darauf heute die einzig mögliche
Antwort, ein entschlossenes, unbeugsames
NeinI Allerorten erhebt sich der deutsche
Wille zum Recht, überall ertönt der Schrei
nach Gerechtigkeit. Vergessen ist aller Hader
der Parteien, verraucht ist die Streitlust der
letzten Monate. Einig und geschlossen steht
das Volk hinter seiner von ihm selbst er¬
wählten Negierung.

Besonders schwer und schier unfaßbar
hart ist das Schicksal, das uns Deutschen
der Ostmark zugedacht ist. Wir sollen auf¬
hören, zum Deutschen Reiche zu gehören,
unser lieber schöner Heimatboden, auf dem
jede Ackerfläche und jeder Pflasterstein.von
deutschem Geiste und deutschen: Wesen zeugt,
den jahrhundertlange treue deutsche Arbeit
zu herrlicher deutscher Blüte gebracht hat,
der ein unersetzlicher Teil unseres geliebten
Vaterlandes ist — er soll für immer der
Beutegier und der Ländersucht des slawischen
Nachbarvolkes zum Opfer fallen, mit seinem
majestätischen Strom, seinen alten Ordens¬
burgen, seinen gepflegten Städten, seinen
heimischen Dörfern. Das kann nicht sein,
das darf nicht sein. Mit banger Sorge
blicken wir auf jene Männer, die das Ver¬
trauen des Volkes auf die verantwortungs¬
vollste Stelle gehoben hat, und aus tiefstem
Herzen dringt heute unser Ruf an ihr Ohr:
Verratet uns nicht an das fremde Volk, gebt
uns nicht preis! Wir halten dem übrigen
Deutschland die Treue, wir verlangen und
erwarten auch, daß uns das Deutsche Reich
nicht im Stiche lüßtl

Nicht unbesonnenes Handeln fordern wir,
nicht tollkühnes, aussichtsloses und verderb¬
liches Wagnis, wohl aber fordern wir, daß
die Negierung handle nach jenem Dichter¬
wort: Wir wollen sein ein einzig Volk von
Brüdern, in keiner Not uns trennen und
GefahrI Deutschland hat sich verpflichtet
den Frieden zu schließen auf der Grundlage
jener 14 Punkts des Präsidenten der Ver¬
einigten Staaten von Amerika. Dieselbe
Verpflichtung aber haben auch unsere Gegner
unzweideutig auf sich genommen. Ein un°

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[0520] Aus den deutschen Volksräten Werden kollll Erfreulich ist, daß dieses un¬ erhörte Verbrechen alle deutschen Parteien wieder zu einer kompakten Masse zusammen¬ schmiedet; auch die heutige Zeit kennt nur Deutsche und keine Parteien mehrt Wir wollen nichts Unbilliges, wir wollen Gerechtig¬ keit, wir wollen deutsch bleiben, wie es uns nach der Bevölkerungszahl zukommt I Und dieser eine Gedanke beseelte gestern die Tausende und Abertausende von Männern in Graudenz, die im festen Tritt mit guter Ordnung hinauszogen zum Exerzierplatz am „Schwan", wo sie von einer vieltausend¬ köpfigen Menge erwartet wurden; keine wehenden Fahnen, keine schreienden Plakate, keine äußeren Zeichen wurden mitgeführt, die Truppen, zum Teil im Stahlhelm, und die Männer im Bürgerrock marschierten in tiefem Ernst zur Versammlungsstätte. Zum ersten Male trat auch die Stadtwehr geschlossen und öffentlich auf und marschierte von drei verschiedenen Punkten mit weit über 1000 Mann im Zuge. Eine ungeheure Menge' hatte sich dort auf der weiten Fläche am „Schwan" zusammengefunden, etwa 16 000 Männer und Frauen erhoben Protest gegen einen Gewaltfrieden, gegen eine Abtretung der Ostmark an die Polen. Diesmal dürfte sich das Graudenzer Polenblatt kaum zu der hämischen Bemerkung aufschwingen, daß bei den „Graudenzer Manifestationen" immer nur die klägliche Zahl von 3000 Beteiligten aufzubringen sei. Die Einmütigkeit mag aber den großpolnischen Machthabern weiter¬ hin bewiesen haben, daß das deutsche Volk im Osten des Reiches kein lebloses Element ist, das sich gleich einer Ware verschachern läßt, sondern daß es sich um Männer und Frauen handelt die alles daranzusetzen gewillt sind, ihr Deutschtum zu verteidigen. Während einige Flieger die Versammlung überkreisten und Flugblätter abwarfen, sprach Assessor Busse von einem Automobil mit weit¬ hinschallender Stimme: Deutsche Männer, deutsche Frauen I Die Stunde der Not ist da. Mit tausend eisigen Fangarmen greift das Scheusal des Völkerhasses und der unersättlichen Rachgier an das deutsche Herz. Ausgesogen und aus¬ gepreßt sollen wir werden bis zum letzten Tropfen Blut, vernichtet und ausgetilgt aus dem Buche der Geschichte. Statt des Friedens des Rechts und der Freiheit soll uns beschert sein ein Frieden der Gewalt und der Knecht¬ schaft. Aus den Millionen deutscher Herzen kommt darauf heute die einzig mögliche Antwort, ein entschlossenes, unbeugsames NeinI Allerorten erhebt sich der deutsche Wille zum Recht, überall ertönt der Schrei nach Gerechtigkeit. Vergessen ist aller Hader der Parteien, verraucht ist die Streitlust der letzten Monate. Einig und geschlossen steht das Volk hinter seiner von ihm selbst er¬ wählten Negierung. Besonders schwer und schier unfaßbar hart ist das Schicksal, das uns Deutschen der Ostmark zugedacht ist. Wir sollen auf¬ hören, zum Deutschen Reiche zu gehören, unser lieber schöner Heimatboden, auf dem jede Ackerfläche und jeder Pflasterstein.von deutschem Geiste und deutschen: Wesen zeugt, den jahrhundertlange treue deutsche Arbeit zu herrlicher deutscher Blüte gebracht hat, der ein unersetzlicher Teil unseres geliebten Vaterlandes ist — er soll für immer der Beutegier und der Ländersucht des slawischen Nachbarvolkes zum Opfer fallen, mit seinem majestätischen Strom, seinen alten Ordens¬ burgen, seinen gepflegten Städten, seinen heimischen Dörfern. Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Mit banger Sorge blicken wir auf jene Männer, die das Ver¬ trauen des Volkes auf die verantwortungs¬ vollste Stelle gehoben hat, und aus tiefstem Herzen dringt heute unser Ruf an ihr Ohr: Verratet uns nicht an das fremde Volk, gebt uns nicht preis! Wir halten dem übrigen Deutschland die Treue, wir verlangen und erwarten auch, daß uns das Deutsche Reich nicht im Stiche lüßtl Nicht unbesonnenes Handeln fordern wir, nicht tollkühnes, aussichtsloses und verderb¬ liches Wagnis, wohl aber fordern wir, daß die Negierung handle nach jenem Dichter¬ wort: Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und GefahrI Deutschland hat sich verpflichtet den Frieden zu schließen auf der Grundlage jener 14 Punkts des Präsidenten der Ver¬ einigten Staaten von Amerika. Dieselbe Verpflichtung aber haben auch unsere Gegner unzweideutig auf sich genommen. Ein un°

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/520>, abgerufen am 27.07.2024.