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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frcige

Rheingebiet, getrennt ist, so Danzig von Polen. Wäre es nicht vorteilhafter,
Danzig gehörte auch politisch zu seinem Hinterkante? Es hätte dann die Lage
Hamburgs, das als Hafen das ganze Mb- und einen Teil des Ostscegebiets
umfaßt. Hamburg mit 23 Millionen Tonnen (1911) ist mit Aniwerpen der
gröszte Hasen des europäischen Flstlandes. Mir Rotterdam mit 21 Millionen
Tonnen (1911) reicht außerordentlich nahe heran, dabei hat es Antwerpen noch
als Mitbewerber. Diese Häfen erhalten ihre Bedeutung durch die geordneten
Zustände im Hinterkante, durch die Emsigkeit der Bevölkerung, einer Bevölkerung,
die Haudelswerte schafft, die eine gewisse Wohlhabenheit errungen hat und mit ihr
Bedürfnisse, welche der Handel befriedigen muß. Das polnische Hinterland Danzigs
hingegen ist arm, nicht zur Arbeit erzogen, es schafft wenig Werte, hat geringe
Bedürfnisse. Dies zu ändern, ist Danz'g nicht in der Lage, sollte es gleich zu
Polen gehören. Denn nicht von der politischen Zugehörigkeit hängt die Blüte
eines Seehafens ab, sondern von dem Fleiß, dem Wohlstande und den Bedürf¬
nissen seines Hinterlandes.

Westpreußen ist im preußischen Staat eine arme Provinz. Sowohl an
Einkommensverhältnissen wie an Vermögen hält sie sich an der untersten Grenze
im Staat. Unter den zwölf Provinzen, dem Stadtkreis Berlin und den Hodl-n-
zollernschen Landen steht Westpreußen mit dem Erträgnis der Einkommensteuer
aus den Kopf der Bevölkerung an vorletzter, mit dem der Ergänzungssteuer
an letzter Stelle.

Während im preußischen Staate von 1000 Einwohnern (1912) 397 ein
Einkommen bis zu 900 Mark jährlich hatten, kamen im Regierungsbezirk Danzig
auf 1000 Einwohner 569, im Regierungsbezirk Marienmerder gar 654, also
gut zwei Drittel. Etwa ein Drittel der Bevölkerung hatte mehr als 900 Mark
Einkommen. Zur Erfüllung ihrer Kulturaufgaben muß die Provinz deshalb vom
preußischen Staat beträchtliche Zuschüsse erhalten. 16,6 Millionen Mark wandte
Westpreußen 1911 für die Volksschulen auf. dazu gab der Staat mehr als die
Hälfte: 8.5 Millionen Mark. Volks-, Mittel- und höhere Schulen erforderten
einen Aufwand von 21,614 Millionen Mark, davon allein 10,111 Millionen
aus Staatsmitteln. Die Zuschüsse, die der Provinzialverband für seine Aus¬
gaben 1903 erhielt, beliefen sich auf 3,2 Millionen Mark, fast die Hälfte seiner
Gesamteinnahmen.

Solch reiche Unterstützung ist nur möglich, weil die westlichen Provinzen
(Brandenburg, Sachsen, Schleswig-Holstein,' Hannover, Hessen-Nassau, Rhein¬
provinz und der Stadtkreis Berlin) dem Staate durch ihren Reichtum hohe
Einnahmen geben.

Würde Westpreußen polnisch, so fiele der hohe preußische Staa'szuschuß
fort. Aus eigenen Mitteln kann es seine Kultur nicht erhalten, geschweige gar
ausbauen. Und diese ungenügenden eigenen Mittel hätte es nicht einmal sür
sich zur Verfügung. Es müßte davon reichlich abgeben. Denn im polnischen
Staat wäre Westpreußen eine der reichsten Provinzen. Das Geld, das hier vom
Staat herausgeholt würde, müßte dazu dieren, die polnischen Gebiete in die
Höhe zu bringen, dort Verkehrswege zu bauen, die Wasserwege herzurichten,
Schulen zu gründen, den Polen zu Wohlstand zu verhelfen; denn aus eigenen
Mitteln können sie es nicht. Und dazu bürdet uns die Entente eine Milliarden¬
schuld auf, die der polnische Staat zu tragen nicht hilft I Durch Waffensiillstands-
verirag ist das gesamte deutsche Staatsvermögen beschlagnahmt. Altl's Staats¬
eigentum (Bahnen, Straßen, Gebäude, Schulen, Hochschulen) bürgt der Entente-
Sie duldet keine Beeinträchtigung, und sie hat die Mittel, die Bezahlung bei der
Abtrennung Westpreußens zu erzwingen.

Westpreußen muß diese Schuld mitnehmen I

Ohne Staatszuschuß, der eigenen ungenügenden Mittel zum Teil beraubt,
mit hohen Schulden belastet, ginge Westpreußen unier polnischer Herrschaft
zugrunoe, ehe die aufbauende Tätigkeit in Polen Früchte brächte.-

Denn die Erziehung einer Bevölkerung zur Arbeit erfordert Jahrhunderte


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Rheingebiet, getrennt ist, so Danzig von Polen. Wäre es nicht vorteilhafter,
Danzig gehörte auch politisch zu seinem Hinterkante? Es hätte dann die Lage
Hamburgs, das als Hafen das ganze Mb- und einen Teil des Ostscegebiets
umfaßt. Hamburg mit 23 Millionen Tonnen (1911) ist mit Aniwerpen der
gröszte Hasen des europäischen Flstlandes. Mir Rotterdam mit 21 Millionen
Tonnen (1911) reicht außerordentlich nahe heran, dabei hat es Antwerpen noch
als Mitbewerber. Diese Häfen erhalten ihre Bedeutung durch die geordneten
Zustände im Hinterkante, durch die Emsigkeit der Bevölkerung, einer Bevölkerung,
die Haudelswerte schafft, die eine gewisse Wohlhabenheit errungen hat und mit ihr
Bedürfnisse, welche der Handel befriedigen muß. Das polnische Hinterland Danzigs
hingegen ist arm, nicht zur Arbeit erzogen, es schafft wenig Werte, hat geringe
Bedürfnisse. Dies zu ändern, ist Danz'g nicht in der Lage, sollte es gleich zu
Polen gehören. Denn nicht von der politischen Zugehörigkeit hängt die Blüte
eines Seehafens ab, sondern von dem Fleiß, dem Wohlstande und den Bedürf¬
nissen seines Hinterlandes.

Westpreußen ist im preußischen Staat eine arme Provinz. Sowohl an
Einkommensverhältnissen wie an Vermögen hält sie sich an der untersten Grenze
im Staat. Unter den zwölf Provinzen, dem Stadtkreis Berlin und den Hodl-n-
zollernschen Landen steht Westpreußen mit dem Erträgnis der Einkommensteuer
aus den Kopf der Bevölkerung an vorletzter, mit dem der Ergänzungssteuer
an letzter Stelle.

Während im preußischen Staate von 1000 Einwohnern (1912) 397 ein
Einkommen bis zu 900 Mark jährlich hatten, kamen im Regierungsbezirk Danzig
auf 1000 Einwohner 569, im Regierungsbezirk Marienmerder gar 654, also
gut zwei Drittel. Etwa ein Drittel der Bevölkerung hatte mehr als 900 Mark
Einkommen. Zur Erfüllung ihrer Kulturaufgaben muß die Provinz deshalb vom
preußischen Staat beträchtliche Zuschüsse erhalten. 16,6 Millionen Mark wandte
Westpreußen 1911 für die Volksschulen auf. dazu gab der Staat mehr als die
Hälfte: 8.5 Millionen Mark. Volks-, Mittel- und höhere Schulen erforderten
einen Aufwand von 21,614 Millionen Mark, davon allein 10,111 Millionen
aus Staatsmitteln. Die Zuschüsse, die der Provinzialverband für seine Aus¬
gaben 1903 erhielt, beliefen sich auf 3,2 Millionen Mark, fast die Hälfte seiner
Gesamteinnahmen.

Solch reiche Unterstützung ist nur möglich, weil die westlichen Provinzen
(Brandenburg, Sachsen, Schleswig-Holstein,' Hannover, Hessen-Nassau, Rhein¬
provinz und der Stadtkreis Berlin) dem Staate durch ihren Reichtum hohe
Einnahmen geben.

Würde Westpreußen polnisch, so fiele der hohe preußische Staa'szuschuß
fort. Aus eigenen Mitteln kann es seine Kultur nicht erhalten, geschweige gar
ausbauen. Und diese ungenügenden eigenen Mittel hätte es nicht einmal sür
sich zur Verfügung. Es müßte davon reichlich abgeben. Denn im polnischen
Staat wäre Westpreußen eine der reichsten Provinzen. Das Geld, das hier vom
Staat herausgeholt würde, müßte dazu dieren, die polnischen Gebiete in die
Höhe zu bringen, dort Verkehrswege zu bauen, die Wasserwege herzurichten,
Schulen zu gründen, den Polen zu Wohlstand zu verhelfen; denn aus eigenen
Mitteln können sie es nicht. Und dazu bürdet uns die Entente eine Milliarden¬
schuld auf, die der polnische Staat zu tragen nicht hilft I Durch Waffensiillstands-
verirag ist das gesamte deutsche Staatsvermögen beschlagnahmt. Altl's Staats¬
eigentum (Bahnen, Straßen, Gebäude, Schulen, Hochschulen) bürgt der Entente-
Sie duldet keine Beeinträchtigung, und sie hat die Mittel, die Bezahlung bei der
Abtrennung Westpreußens zu erzwingen.

Westpreußen muß diese Schuld mitnehmen I

Ohne Staatszuschuß, der eigenen ungenügenden Mittel zum Teil beraubt,
mit hohen Schulden belastet, ginge Westpreußen unier polnischer Herrschaft
zugrunoe, ehe die aufbauende Tätigkeit in Polen Früchte brächte.-

Denn die Erziehung einer Bevölkerung zur Arbeit erfordert Jahrhunderte


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[0484] Materialien zur ostdeutschen Frcige Rheingebiet, getrennt ist, so Danzig von Polen. Wäre es nicht vorteilhafter, Danzig gehörte auch politisch zu seinem Hinterkante? Es hätte dann die Lage Hamburgs, das als Hafen das ganze Mb- und einen Teil des Ostscegebiets umfaßt. Hamburg mit 23 Millionen Tonnen (1911) ist mit Aniwerpen der gröszte Hasen des europäischen Flstlandes. Mir Rotterdam mit 21 Millionen Tonnen (1911) reicht außerordentlich nahe heran, dabei hat es Antwerpen noch als Mitbewerber. Diese Häfen erhalten ihre Bedeutung durch die geordneten Zustände im Hinterkante, durch die Emsigkeit der Bevölkerung, einer Bevölkerung, die Haudelswerte schafft, die eine gewisse Wohlhabenheit errungen hat und mit ihr Bedürfnisse, welche der Handel befriedigen muß. Das polnische Hinterland Danzigs hingegen ist arm, nicht zur Arbeit erzogen, es schafft wenig Werte, hat geringe Bedürfnisse. Dies zu ändern, ist Danz'g nicht in der Lage, sollte es gleich zu Polen gehören. Denn nicht von der politischen Zugehörigkeit hängt die Blüte eines Seehafens ab, sondern von dem Fleiß, dem Wohlstande und den Bedürf¬ nissen seines Hinterlandes. Westpreußen ist im preußischen Staat eine arme Provinz. Sowohl an Einkommensverhältnissen wie an Vermögen hält sie sich an der untersten Grenze im Staat. Unter den zwölf Provinzen, dem Stadtkreis Berlin und den Hodl-n- zollernschen Landen steht Westpreußen mit dem Erträgnis der Einkommensteuer aus den Kopf der Bevölkerung an vorletzter, mit dem der Ergänzungssteuer an letzter Stelle. Während im preußischen Staate von 1000 Einwohnern (1912) 397 ein Einkommen bis zu 900 Mark jährlich hatten, kamen im Regierungsbezirk Danzig auf 1000 Einwohner 569, im Regierungsbezirk Marienmerder gar 654, also gut zwei Drittel. Etwa ein Drittel der Bevölkerung hatte mehr als 900 Mark Einkommen. Zur Erfüllung ihrer Kulturaufgaben muß die Provinz deshalb vom preußischen Staat beträchtliche Zuschüsse erhalten. 16,6 Millionen Mark wandte Westpreußen 1911 für die Volksschulen auf. dazu gab der Staat mehr als die Hälfte: 8.5 Millionen Mark. Volks-, Mittel- und höhere Schulen erforderten einen Aufwand von 21,614 Millionen Mark, davon allein 10,111 Millionen aus Staatsmitteln. Die Zuschüsse, die der Provinzialverband für seine Aus¬ gaben 1903 erhielt, beliefen sich auf 3,2 Millionen Mark, fast die Hälfte seiner Gesamteinnahmen. Solch reiche Unterstützung ist nur möglich, weil die westlichen Provinzen (Brandenburg, Sachsen, Schleswig-Holstein,' Hannover, Hessen-Nassau, Rhein¬ provinz und der Stadtkreis Berlin) dem Staate durch ihren Reichtum hohe Einnahmen geben. Würde Westpreußen polnisch, so fiele der hohe preußische Staa'szuschuß fort. Aus eigenen Mitteln kann es seine Kultur nicht erhalten, geschweige gar ausbauen. Und diese ungenügenden eigenen Mittel hätte es nicht einmal sür sich zur Verfügung. Es müßte davon reichlich abgeben. Denn im polnischen Staat wäre Westpreußen eine der reichsten Provinzen. Das Geld, das hier vom Staat herausgeholt würde, müßte dazu dieren, die polnischen Gebiete in die Höhe zu bringen, dort Verkehrswege zu bauen, die Wasserwege herzurichten, Schulen zu gründen, den Polen zu Wohlstand zu verhelfen; denn aus eigenen Mitteln können sie es nicht. Und dazu bürdet uns die Entente eine Milliarden¬ schuld auf, die der polnische Staat zu tragen nicht hilft I Durch Waffensiillstands- verirag ist das gesamte deutsche Staatsvermögen beschlagnahmt. Altl's Staats¬ eigentum (Bahnen, Straßen, Gebäude, Schulen, Hochschulen) bürgt der Entente- Sie duldet keine Beeinträchtigung, und sie hat die Mittel, die Bezahlung bei der Abtrennung Westpreußens zu erzwingen. Westpreußen muß diese Schuld mitnehmen I Ohne Staatszuschuß, der eigenen ungenügenden Mittel zum Teil beraubt, mit hohen Schulden belastet, ginge Westpreußen unier polnischer Herrschaft zugrunoe, ehe die aufbauende Tätigkeit in Polen Früchte brächte.- Denn die Erziehung einer Bevölkerung zur Arbeit erfordert Jahrhunderte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/484>, abgerufen am 09.11.2024.