Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Idee und Ursprung der Revolution zum ewigen Sinnbild des nationalen Kraft- und Gemeiuschastsgedankens wurde, Mit seinem Zerfall hatte das alte Deutsche Reich in den deutschen Landen Bismarck hatte gewissermaßen in dem Skelett des Neichsgefüges eine Lücke °) Geben-ken und Erinnerungen. II. Bmw, S. V1.
Idee und Ursprung der Revolution zum ewigen Sinnbild des nationalen Kraft- und Gemeiuschastsgedankens wurde, Mit seinem Zerfall hatte das alte Deutsche Reich in den deutschen Landen Bismarck hatte gewissermaßen in dem Skelett des Neichsgefüges eine Lücke °) Geben-ken und Erinnerungen. II. Bmw, S. V1.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0043" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335451"/> <fw type="header" place="top"> Idee und Ursprung der Revolution</fw><lb/> <p xml:id="ID_115" prev="#ID_114"> zum ewigen Sinnbild des nationalen Kraft- und Gemeiuschastsgedankens wurde,<lb/> von heiligen Dämpfen umwittert: der Kaiser.</p><lb/> <p xml:id="ID_116"> Mit seinem Zerfall hatte das alte Deutsche Reich in den deutschen Landen<lb/> eine vielfältige Anzahl dynastisch zusammengehaltener Territorialstaaten zurück¬<lb/> gelassen. Da es eben diese territorialen Sondergewalten und dynastischen Eigen¬<lb/> bestrebungen gewesen waren, die Jahrhunderte lang im Innern des Reichs-<lb/> gefüges gewühlt hatten, um es endlich zu sprengen, so mußte es eine geschichtliche<lb/> Notwendigkeit sein, daß der wiedergeborene, volkstümlich eigenmächtige Selbst¬<lb/> schöpfungsdrang der Nation sich in einem bewußten und gewollten Gegensatz zu<lb/> den bestehenden dynastischen Staatswesen befand. So lag das Verhältnis der<lb/> deutschen Einheitsbewegung um 1848. Und es ist nun das Seltsame, daß<lb/> dennoch die neue deutsche Reichseinheit sich nicht aus der Wirkung von Kollektiv¬<lb/> kräften des nationalen Willens ergab, sondern daß sie das Werk eines einzelnen<lb/> Mannes war, eines Mannes, dessen Staatsgefühl hauptsächlich im „Royalis-<lb/> mus", wie er selber gern sagte, seinen Grund hatte: in der Monarchie, die er<lb/> vorfand, Ä. h. im dynastischen Staat. In den fünfziger und sechziger Jahren des<lb/> vorigen Jahrhunderts ist die „deutsche Sache" für Bismarck ein sehr wichtiger<lb/> Teilbezirk, wahrscheinlich der wichtigste, aber immerhin doch nur ein Teilbezirk<lb/> der preußischen auswärtigen Politik gewesen und nichts anderes. Er hat in<lb/> dieser Hinsicht das Wort von Preußens „Beziehungen zum deutschen und außer¬<lb/> deutschen Auslande" gebraucht. °) Die Frage der deutschen Einheit war für ihn<lb/> in demselben Augenblick zu einer Lebensfrage seiner Politik geworden, da er er¬<lb/> kannte, daß sie sich am einfachsten lösen ließ durch eine entsprechende Macht-<lb/> erweiteruug Preußens, die sie sozusagen indirekt aufhob. Die Gewalt der<lb/> preußischen Krone sollte mittelbar das kleindeutsche Gesamtgebiet und das Ge-<lb/> santtvolk umfassen. Freilich war er nicht unbedeutend genug, um den ethischen<lb/> Wert, den die alte Volksbewegung für sein Ziel haben mußte, zu übersehen oder<lb/> außer acht zu lassen. Er kam ihr entgegen und nahm sie bereitwillig auf. Er<lb/> hob sie teilweise in seine eigenen Bestrebungen hinein, um sie gleichzeitig un¬<lb/> schädlich zu machen. Aber er hat sie nicht bloß benutzt. 'Denn er ist ein Mann<lb/> von ehrlicher Gesinnung und patriotischen: Gewissen gewesen, der aufrichtig<lb/> daran gearbeitet hat, zwischen dem Monarchismus und dem nationalen Gedanken<lb/> eine Synthese zustande zu bringen, d. h. letzten Endes: zwischen den beiden<lb/> Kräften des Kollektivbewußtseins in der Nation mit ihrem Ideal eines Bolks-<lb/> kcn'sertums und 'dem dynastischen Herrschaftsprinzip über Untertanen und Terri¬<lb/> torien, — Kräften, die ihrem Ursprünge nach ein Gegensatz waren. Und aus<lb/> jeden Fall sollte immer der überlieferte Rechtszustcind der monarchischen „Autori¬<lb/> tät" den Vorrang haben und das Entscheidende sein, und nicht etwa „die Barri¬<lb/> kade." Das Produkt dieser Staatskunst war naturgemäß nicht eine Schöpfung<lb/> der selbsttätigen Kräfte in der Nation, die von innen nach außen ihre Form ge¬<lb/> staltet, um sich in ihr darzustellen, sondern es war mehr eine oberhalb geschehende<lb/> Zusammenfügung dynastischer Machtflächen unter der Kuppel einer dynastischen<lb/> Vormacht. Darum könnte man sagen, in .seiner Struktur sei das bisherige<lb/> Deutsche Reich eine vorwiegend dynastisch geartete Leistung gewesen. Daß es<lb/> sich so verhielt, trat unter Wilhelm dem Zweiten ganz besonders in die Er¬<lb/> scheinung.</p><lb/> <p xml:id="ID_117" next="#ID_118"> Bismarck hatte gewissermaßen in dem Skelett des Neichsgefüges eine Lücke<lb/> für das Rückgrat gelassen, die nur er ausfüllen konnte. Nach seinem Abgang<lb/> stand die Lücke leer. Die nachfolgenden .Kanzler versagten und mußten ver¬<lb/> sagen; denn die von der .neuen Tradition ihnen auferlegte Pflicht war zu schwer<lb/> für Männer, die keine Genies waren. Und der Reichstag ist neben Bismarck und<lb/> unter dem Druck der genialen Stärke dieses großen Einzelnen nicht fähig ge¬<lb/> wesen, sich zu entwickeln und die von ihm getragene volkstümliche Kraft des er¬<lb/> neuerten Kaisertums wirklich wachsen zu lassen. So blieb zunächst nur das<lb/> Gesetz mit seinen behördlichen Umständlichkeiten, es blieben nur die verfassungs-</p><lb/> <note xml:id="FID_24" place="foot"> °) Geben-ken und Erinnerungen. II. Bmw, S. V1.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
Idee und Ursprung der Revolution
zum ewigen Sinnbild des nationalen Kraft- und Gemeiuschastsgedankens wurde,
von heiligen Dämpfen umwittert: der Kaiser.
Mit seinem Zerfall hatte das alte Deutsche Reich in den deutschen Landen
eine vielfältige Anzahl dynastisch zusammengehaltener Territorialstaaten zurück¬
gelassen. Da es eben diese territorialen Sondergewalten und dynastischen Eigen¬
bestrebungen gewesen waren, die Jahrhunderte lang im Innern des Reichs-
gefüges gewühlt hatten, um es endlich zu sprengen, so mußte es eine geschichtliche
Notwendigkeit sein, daß der wiedergeborene, volkstümlich eigenmächtige Selbst¬
schöpfungsdrang der Nation sich in einem bewußten und gewollten Gegensatz zu
den bestehenden dynastischen Staatswesen befand. So lag das Verhältnis der
deutschen Einheitsbewegung um 1848. Und es ist nun das Seltsame, daß
dennoch die neue deutsche Reichseinheit sich nicht aus der Wirkung von Kollektiv¬
kräften des nationalen Willens ergab, sondern daß sie das Werk eines einzelnen
Mannes war, eines Mannes, dessen Staatsgefühl hauptsächlich im „Royalis-
mus", wie er selber gern sagte, seinen Grund hatte: in der Monarchie, die er
vorfand, Ä. h. im dynastischen Staat. In den fünfziger und sechziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts ist die „deutsche Sache" für Bismarck ein sehr wichtiger
Teilbezirk, wahrscheinlich der wichtigste, aber immerhin doch nur ein Teilbezirk
der preußischen auswärtigen Politik gewesen und nichts anderes. Er hat in
dieser Hinsicht das Wort von Preußens „Beziehungen zum deutschen und außer¬
deutschen Auslande" gebraucht. °) Die Frage der deutschen Einheit war für ihn
in demselben Augenblick zu einer Lebensfrage seiner Politik geworden, da er er¬
kannte, daß sie sich am einfachsten lösen ließ durch eine entsprechende Macht-
erweiteruug Preußens, die sie sozusagen indirekt aufhob. Die Gewalt der
preußischen Krone sollte mittelbar das kleindeutsche Gesamtgebiet und das Ge-
santtvolk umfassen. Freilich war er nicht unbedeutend genug, um den ethischen
Wert, den die alte Volksbewegung für sein Ziel haben mußte, zu übersehen oder
außer acht zu lassen. Er kam ihr entgegen und nahm sie bereitwillig auf. Er
hob sie teilweise in seine eigenen Bestrebungen hinein, um sie gleichzeitig un¬
schädlich zu machen. Aber er hat sie nicht bloß benutzt. 'Denn er ist ein Mann
von ehrlicher Gesinnung und patriotischen: Gewissen gewesen, der aufrichtig
daran gearbeitet hat, zwischen dem Monarchismus und dem nationalen Gedanken
eine Synthese zustande zu bringen, d. h. letzten Endes: zwischen den beiden
Kräften des Kollektivbewußtseins in der Nation mit ihrem Ideal eines Bolks-
kcn'sertums und 'dem dynastischen Herrschaftsprinzip über Untertanen und Terri¬
torien, — Kräften, die ihrem Ursprünge nach ein Gegensatz waren. Und aus
jeden Fall sollte immer der überlieferte Rechtszustcind der monarchischen „Autori¬
tät" den Vorrang haben und das Entscheidende sein, und nicht etwa „die Barri¬
kade." Das Produkt dieser Staatskunst war naturgemäß nicht eine Schöpfung
der selbsttätigen Kräfte in der Nation, die von innen nach außen ihre Form ge¬
staltet, um sich in ihr darzustellen, sondern es war mehr eine oberhalb geschehende
Zusammenfügung dynastischer Machtflächen unter der Kuppel einer dynastischen
Vormacht. Darum könnte man sagen, in .seiner Struktur sei das bisherige
Deutsche Reich eine vorwiegend dynastisch geartete Leistung gewesen. Daß es
sich so verhielt, trat unter Wilhelm dem Zweiten ganz besonders in die Er¬
scheinung.
Bismarck hatte gewissermaßen in dem Skelett des Neichsgefüges eine Lücke
für das Rückgrat gelassen, die nur er ausfüllen konnte. Nach seinem Abgang
stand die Lücke leer. Die nachfolgenden .Kanzler versagten und mußten ver¬
sagen; denn die von der .neuen Tradition ihnen auferlegte Pflicht war zu schwer
für Männer, die keine Genies waren. Und der Reichstag ist neben Bismarck und
unter dem Druck der genialen Stärke dieses großen Einzelnen nicht fähig ge¬
wesen, sich zu entwickeln und die von ihm getragene volkstümliche Kraft des er¬
neuerten Kaisertums wirklich wachsen zu lassen. So blieb zunächst nur das
Gesetz mit seinen behördlichen Umständlichkeiten, es blieben nur die verfassungs-
°) Geben-ken und Erinnerungen. II. Bmw, S. V1.
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