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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Ist Bismarck durch den Weltkrieg widerlegt worden?

Osterrei6)S, stimiinte man überein. Und in der Tat war, solange Deutsch österreich
mit den slawischen Gebieten und Ungarn ein Reich bildete, das eine eigene, den
deutschen Interessen oft widersprechende Politik trieb, ein deutscher National¬
staat nur ohne Osterreich denkbar. Jetzt ist durch den Zerfall der österreichisch-
ungarischen Monarchie glücklicherweise das größte Hindernis für den Anschluß
Teutschösterreichs an das Deutsche Reich weggefallen. Es ist unverständlich, Wie
Scheidemann das übersehen konnte.

Der Vorwurf, das; Bismarck das Deutsche Reich als Qbrigkeitsstaat und
nicht als Volksstaat begründet habe, ist ebenso unberechtigt. Im Jahre 1866
war das ganze deutsche Volk gegen den Bruderkrieg mit Osterreich, der doch, wie
die Erfahrungen des Jahres 1848 gezeigt hatten, das unvermeidliche Mittel zur
Einigung Deutschlands war. Wie hätte da Bismarck seine Politik im Ein¬
vernehmen mit dem preußischen Abgeordnetenhause oder einem deutscheu
Parlament machen können? Im übrigen scheinen Scheidemann und Preuß nicht
zu wissen, daß Bismarck im April 1866 tatsächlich ein Bundesparlament mit
allgemeinem Wahlrecht vorgeschlagen hat, daß aber der Hohn bes ganzen Volkes
dem "Reaktionär" antwortete. Wenn Bismarck die militärische' Überlegenheit
Preußens 1866 und die Volksstimmung 1870 dazu benutzt hätte, um Deutschland
unter stärkerer Beschneidung der Rechte der Einzelstaaten einheitlicher zu gestalten,
so hätte er bei den Dynastien und den dynastisch gesinnten Bolksterlen der
kleineren Staaten viel unnötige Erbitterung erregt, die er vermeiden wollte.
Bismarck war eben ein viel behutsamerer und vorsichtigerer Politiker als unsere
heutigen Demokraten wie Scheidemann und Preuß. Daß es 1877 nicht zum
Eintritt Bennigscns und seiner Freunde in die Negierung kam, wodurch eine Art
Übergang zum parlamentarischen System vollzogen worden wäre, mag uns
heute als Unglück erscheinen. Aber das wäre beim alten Kaiser nicht durch¬
zusetzen gewesen, und man kann auch dem Manne, der 1862 an die Spitze des
Staates getreten war, um Preußen vor dem Parlamentarismus zu bewahren,
keinen Vorwurf daraus machen, daß er 1877 der Einführung des parlamen¬
tarischen Regiments nicht die Hand bieten wollte. Als treuer Diener seines
Königs konnte Bismarck eine solche Minderung der Machtvollkommenheit der
Krone nicht in Kauf nehmen. Wäre er aber nicht dieser treue Diener gewesen,
dann hätte er nicht der Einiger Deutschlands werden können. Hier zeigt sich
eben die historische Bedingtheit dieser gewaltigen Erscheinung. Kann man also
Bismarck selbst billigerweise nicht einen Vorwurf aus seinem mangelnden
Entgegenkommen gegen die Demokratie machen, so liegt hier eine schwere Ver¬
säumnis seiner Nachfolger -vor. Sie, die von den historischen Bindungen
Bismarcks frei waren, hätten durch rechtzeitige und gründliche Reform des
preußischen Landtags- und Gemeindewahlvechtes und die Aufnahme von
Parlamentariern in die Regierung die gefährliche Spannung zwischen der
monarchischen Gewalt und der immer stärker anwachsenden demokratischen
Strömung zu mildern suchen müssen. Hier wäre Abweichung von den Bismarck¬
schen Methoden mehr im Geiste echt Bismarckscher Politik gewesen als starres
Festhalten. Insbesondere ist es unser Unglück gewesen, daß Bismarcks Nach¬
folger zu der modernen Arbeiterbewegung nicht das richtige Verhältnis zu finden
wußten. Sie hätten erkennen müssen, daß mit patriarchalischer Fürsorge allein,
mit Arbciterversicherung und Arbeiterschutzgesetzgebung, dieser Bewegung nicht
beizukommen war, daß man die Sozialdemokratie vielmehr zur positiven Mit¬
arbeit in Staat und Gemeinde heranziehen mußte, wenn man sie aus einer
revolutionären in eine Reformpartei umwandeln wollte.

Ich will auf die elsaß-lothringische, polnische und dänische Frage nicht ein¬
gehen, da dies den Rahmen meines Aufsatzes sprengen würde. Dagegen möchte
ich Bismarcks auswärtiger Politik nach 1871 und der auswärtigen Politik von
Bismarcks Nachfolgern noch einige Betrachtungen widmen.

Haben wir der Bismarckschen Machtpolitik unser Unglück zuzuschreiben?
Eine Bejahung dieser Frage ist schon aus dem Grunde unmöglich, weil die Poli¬
tik der Nachfolger Bismarcks sich wesentlich von der Bismarckschen Politik unter-


Ist Bismarck durch den Weltkrieg widerlegt worden?

Osterrei6)S, stimiinte man überein. Und in der Tat war, solange Deutsch österreich
mit den slawischen Gebieten und Ungarn ein Reich bildete, das eine eigene, den
deutschen Interessen oft widersprechende Politik trieb, ein deutscher National¬
staat nur ohne Osterreich denkbar. Jetzt ist durch den Zerfall der österreichisch-
ungarischen Monarchie glücklicherweise das größte Hindernis für den Anschluß
Teutschösterreichs an das Deutsche Reich weggefallen. Es ist unverständlich, Wie
Scheidemann das übersehen konnte.

Der Vorwurf, das; Bismarck das Deutsche Reich als Qbrigkeitsstaat und
nicht als Volksstaat begründet habe, ist ebenso unberechtigt. Im Jahre 1866
war das ganze deutsche Volk gegen den Bruderkrieg mit Osterreich, der doch, wie
die Erfahrungen des Jahres 1848 gezeigt hatten, das unvermeidliche Mittel zur
Einigung Deutschlands war. Wie hätte da Bismarck seine Politik im Ein¬
vernehmen mit dem preußischen Abgeordnetenhause oder einem deutscheu
Parlament machen können? Im übrigen scheinen Scheidemann und Preuß nicht
zu wissen, daß Bismarck im April 1866 tatsächlich ein Bundesparlament mit
allgemeinem Wahlrecht vorgeschlagen hat, daß aber der Hohn bes ganzen Volkes
dem „Reaktionär" antwortete. Wenn Bismarck die militärische' Überlegenheit
Preußens 1866 und die Volksstimmung 1870 dazu benutzt hätte, um Deutschland
unter stärkerer Beschneidung der Rechte der Einzelstaaten einheitlicher zu gestalten,
so hätte er bei den Dynastien und den dynastisch gesinnten Bolksterlen der
kleineren Staaten viel unnötige Erbitterung erregt, die er vermeiden wollte.
Bismarck war eben ein viel behutsamerer und vorsichtigerer Politiker als unsere
heutigen Demokraten wie Scheidemann und Preuß. Daß es 1877 nicht zum
Eintritt Bennigscns und seiner Freunde in die Negierung kam, wodurch eine Art
Übergang zum parlamentarischen System vollzogen worden wäre, mag uns
heute als Unglück erscheinen. Aber das wäre beim alten Kaiser nicht durch¬
zusetzen gewesen, und man kann auch dem Manne, der 1862 an die Spitze des
Staates getreten war, um Preußen vor dem Parlamentarismus zu bewahren,
keinen Vorwurf daraus machen, daß er 1877 der Einführung des parlamen¬
tarischen Regiments nicht die Hand bieten wollte. Als treuer Diener seines
Königs konnte Bismarck eine solche Minderung der Machtvollkommenheit der
Krone nicht in Kauf nehmen. Wäre er aber nicht dieser treue Diener gewesen,
dann hätte er nicht der Einiger Deutschlands werden können. Hier zeigt sich
eben die historische Bedingtheit dieser gewaltigen Erscheinung. Kann man also
Bismarck selbst billigerweise nicht einen Vorwurf aus seinem mangelnden
Entgegenkommen gegen die Demokratie machen, so liegt hier eine schwere Ver¬
säumnis seiner Nachfolger -vor. Sie, die von den historischen Bindungen
Bismarcks frei waren, hätten durch rechtzeitige und gründliche Reform des
preußischen Landtags- und Gemeindewahlvechtes und die Aufnahme von
Parlamentariern in die Regierung die gefährliche Spannung zwischen der
monarchischen Gewalt und der immer stärker anwachsenden demokratischen
Strömung zu mildern suchen müssen. Hier wäre Abweichung von den Bismarck¬
schen Methoden mehr im Geiste echt Bismarckscher Politik gewesen als starres
Festhalten. Insbesondere ist es unser Unglück gewesen, daß Bismarcks Nach¬
folger zu der modernen Arbeiterbewegung nicht das richtige Verhältnis zu finden
wußten. Sie hätten erkennen müssen, daß mit patriarchalischer Fürsorge allein,
mit Arbciterversicherung und Arbeiterschutzgesetzgebung, dieser Bewegung nicht
beizukommen war, daß man die Sozialdemokratie vielmehr zur positiven Mit¬
arbeit in Staat und Gemeinde heranziehen mußte, wenn man sie aus einer
revolutionären in eine Reformpartei umwandeln wollte.

Ich will auf die elsaß-lothringische, polnische und dänische Frage nicht ein¬
gehen, da dies den Rahmen meines Aufsatzes sprengen würde. Dagegen möchte
ich Bismarcks auswärtiger Politik nach 1871 und der auswärtigen Politik von
Bismarcks Nachfolgern noch einige Betrachtungen widmen.

Haben wir der Bismarckschen Machtpolitik unser Unglück zuzuschreiben?
Eine Bejahung dieser Frage ist schon aus dem Grunde unmöglich, weil die Poli¬
tik der Nachfolger Bismarcks sich wesentlich von der Bismarckschen Politik unter-


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[0038] Ist Bismarck durch den Weltkrieg widerlegt worden? Osterrei6)S, stimiinte man überein. Und in der Tat war, solange Deutsch österreich mit den slawischen Gebieten und Ungarn ein Reich bildete, das eine eigene, den deutschen Interessen oft widersprechende Politik trieb, ein deutscher National¬ staat nur ohne Osterreich denkbar. Jetzt ist durch den Zerfall der österreichisch- ungarischen Monarchie glücklicherweise das größte Hindernis für den Anschluß Teutschösterreichs an das Deutsche Reich weggefallen. Es ist unverständlich, Wie Scheidemann das übersehen konnte. Der Vorwurf, das; Bismarck das Deutsche Reich als Qbrigkeitsstaat und nicht als Volksstaat begründet habe, ist ebenso unberechtigt. Im Jahre 1866 war das ganze deutsche Volk gegen den Bruderkrieg mit Osterreich, der doch, wie die Erfahrungen des Jahres 1848 gezeigt hatten, das unvermeidliche Mittel zur Einigung Deutschlands war. Wie hätte da Bismarck seine Politik im Ein¬ vernehmen mit dem preußischen Abgeordnetenhause oder einem deutscheu Parlament machen können? Im übrigen scheinen Scheidemann und Preuß nicht zu wissen, daß Bismarck im April 1866 tatsächlich ein Bundesparlament mit allgemeinem Wahlrecht vorgeschlagen hat, daß aber der Hohn bes ganzen Volkes dem „Reaktionär" antwortete. Wenn Bismarck die militärische' Überlegenheit Preußens 1866 und die Volksstimmung 1870 dazu benutzt hätte, um Deutschland unter stärkerer Beschneidung der Rechte der Einzelstaaten einheitlicher zu gestalten, so hätte er bei den Dynastien und den dynastisch gesinnten Bolksterlen der kleineren Staaten viel unnötige Erbitterung erregt, die er vermeiden wollte. Bismarck war eben ein viel behutsamerer und vorsichtigerer Politiker als unsere heutigen Demokraten wie Scheidemann und Preuß. Daß es 1877 nicht zum Eintritt Bennigscns und seiner Freunde in die Negierung kam, wodurch eine Art Übergang zum parlamentarischen System vollzogen worden wäre, mag uns heute als Unglück erscheinen. Aber das wäre beim alten Kaiser nicht durch¬ zusetzen gewesen, und man kann auch dem Manne, der 1862 an die Spitze des Staates getreten war, um Preußen vor dem Parlamentarismus zu bewahren, keinen Vorwurf daraus machen, daß er 1877 der Einführung des parlamen¬ tarischen Regiments nicht die Hand bieten wollte. Als treuer Diener seines Königs konnte Bismarck eine solche Minderung der Machtvollkommenheit der Krone nicht in Kauf nehmen. Wäre er aber nicht dieser treue Diener gewesen, dann hätte er nicht der Einiger Deutschlands werden können. Hier zeigt sich eben die historische Bedingtheit dieser gewaltigen Erscheinung. Kann man also Bismarck selbst billigerweise nicht einen Vorwurf aus seinem mangelnden Entgegenkommen gegen die Demokratie machen, so liegt hier eine schwere Ver¬ säumnis seiner Nachfolger -vor. Sie, die von den historischen Bindungen Bismarcks frei waren, hätten durch rechtzeitige und gründliche Reform des preußischen Landtags- und Gemeindewahlvechtes und die Aufnahme von Parlamentariern in die Regierung die gefährliche Spannung zwischen der monarchischen Gewalt und der immer stärker anwachsenden demokratischen Strömung zu mildern suchen müssen. Hier wäre Abweichung von den Bismarck¬ schen Methoden mehr im Geiste echt Bismarckscher Politik gewesen als starres Festhalten. Insbesondere ist es unser Unglück gewesen, daß Bismarcks Nach¬ folger zu der modernen Arbeiterbewegung nicht das richtige Verhältnis zu finden wußten. Sie hätten erkennen müssen, daß mit patriarchalischer Fürsorge allein, mit Arbciterversicherung und Arbeiterschutzgesetzgebung, dieser Bewegung nicht beizukommen war, daß man die Sozialdemokratie vielmehr zur positiven Mit¬ arbeit in Staat und Gemeinde heranziehen mußte, wenn man sie aus einer revolutionären in eine Reformpartei umwandeln wollte. Ich will auf die elsaß-lothringische, polnische und dänische Frage nicht ein¬ gehen, da dies den Rahmen meines Aufsatzes sprengen würde. Dagegen möchte ich Bismarcks auswärtiger Politik nach 1871 und der auswärtigen Politik von Bismarcks Nachfolgern noch einige Betrachtungen widmen. Haben wir der Bismarckschen Machtpolitik unser Unglück zuzuschreiben? Eine Bejahung dieser Frage ist schon aus dem Grunde unmöglich, weil die Poli¬ tik der Nachfolger Bismarcks sich wesentlich von der Bismarckschen Politik unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/38>, abgerufen am 27.07.2024.