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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Zur Rätefrage

zu verstehen, daß er die Gewerkschaften ebenso vollständig beseitig wissen will
wie die Unternehmer. Beide sollen in der Kärrner der Arbeit nicht vertreten
sein. Für die Räterepublik gelte die Losung: Enteignung der Kapitalisten. Diese
Aufgaben hätten die Gewerkschaften nicht erfüllt und auch gar nicht erfüllen
können.

Wenn es also nach diesen Stimmen ginge, wäre die Stellung der Gewerk¬
schaften und damit auch die Arbeitsgemeinschaft, welche von der Regierung als
das Bollwerk des sozialen Friedens bezeichnet wurde, verloren. Kein Wunder,
wenn sich die Organisationen gegen das anarcho-syndikalistische Geblaren zur
Wehr setzten und dem "krassen" Nätegedanken, der auf leine Diktatur hinausläuft,
eine wirtschaftspsychologische Abfuhr widerfahren ließen mit dem Hinweis, das;
die Räte als neue Organe >der sozialwirtschastlichen Demokratie völlig überflüssig,
ja störend seien. Der Vorsitzende der Generalkommission, Karl Legler, fällte auf
der Vorständekonferenz der Zentralvevbcinde ein geradezu vernichtendes Urteil
über die revolutionäre Neuschaffung. Das Rätesystem sei keine leistungsfähige
Organisation, es zersplittere die Einheit des Berusszweiges und mache gegen alle
GowerM)astsauschauungen den Lohn -von der Rentabilität des einzelnen
Betriebes abhängig. Alle bisherigen Gesetze der Solidarität, des Eintretens aller
Grade für die Schwächeren, ungünstiger Gestellten -hörten hier auf. Jeder nehme
für sich, was er kriegen könne. Das ".Korrespondenzblatt der Generalkommission"
machte ebenfalls Front gegen die Stabilisierung der Arbeiterräte als "Betriebs¬
räte": "Im Wirtschaftsprozeß kontrollieren und mitbestimmen, sagen Partei¬
vorstand und Fraktion. Mit Verlaub, das ist eine Aufgabe, deren Durchführung
die Gewerkschaften, Angestelltenverbände und Urd-eitgeberverbände in die Hände
genommen haben und man wird zugeben müssen, daß diese Aufgabe nicht von
einzelnen Betriebsarbeitervertretungen, sondern nur für die Gesamtgebiete aller
einzelnen Produktionszweige durch Paritätisches Zusammenwirken aller organi¬
sierten Faktoren zu lösen ist. Man fasse nur einmal zunächst die Schwierigkeiten
der Übergangswirtschaft, den Wiederaufbau, die Umstellung der Betriebe, die
Rohstoffversorgung und die Schaffung neuer Absatzmärkte ins Auge-----.
Die Regelung der Avbeitsverhältnisse ist längst über den Rahmen des einzelnen
Betriebs hinausgewachsen (Orts-, Bezirks- und Neichstavife).. Über diese Tarif¬
verträge können nur die zentralen Vertretungen der Arbeiter und Arbeitgeber
entscheiden. -- Kontrolle der Produktion? Sollen die Betriebsräte die Funk¬
tionen einer Betriebsabteilung übernehmen oder eines ganzen Erwerbszweiges?
Mas sollen sie denn dabei kontrollieren? Die Arbeitsmenge, die Arbeits¬
niethoden, die Arbeitslöhne, die Preise, den Rohstossverbrauch oder die Jnne-
haltung der Arbeitszeit? Die Bezirksorganisation Groß-Verlins operiert mit
reichlich unklaren Begriffen. Man hüte sich, die 'Arbeitermassen zu enttäuschen.
Die Arbeiterräte sind politische Organe der Revolution und können nur politisch
wirken. Dazu bestimmt sie ihre Herkunft, ihre einseitige Zusammensetzung, ihre
ganze Ideologie. Sie haben keine anderen als politische Organisationen hinter
sich, ans die sie sich stützen könnten, und sie versagen völlig im Wirtschaftsprozeß.
Sie sind gewöhnt zu regieren, zu diktieren und zu vollziehen, und das kann uns
im Wirtschaftsleben nicht das geringste nützen. Sie würden die Betriebe in
fortwährender Unruhe erhalten,- -würden sie politisieren und die Produktion
lahmlegen und desorganisieren. Wenn Regierung, Parteivorstand usw. Willens
sind, die Arbeiterräte dauernd zu -erhalten, so haben sie politische Betätignngs-
möglichkeiten zu schaffen. Sie auf das Gebiet wirtschaftlicher Aufgaben zu ver¬
weisen, wäre nichts anderes, als wollte man einen Schwerkranken durch Ver¬
abreichung eines Brausepulvers kurieren."

Ist nun der Zers-etznngsprozeß nur ein Augenblicksvorgang eines wild
gewordenen -vom Zufall empor gehobenen -Soziald>it-ete-antism-us? Nein; denn
er hält -auch heute noch mit unverminderter Heftigkeit all, und die Gefahr der


Zur Rätefrage

zu verstehen, daß er die Gewerkschaften ebenso vollständig beseitig wissen will
wie die Unternehmer. Beide sollen in der Kärrner der Arbeit nicht vertreten
sein. Für die Räterepublik gelte die Losung: Enteignung der Kapitalisten. Diese
Aufgaben hätten die Gewerkschaften nicht erfüllt und auch gar nicht erfüllen
können.

Wenn es also nach diesen Stimmen ginge, wäre die Stellung der Gewerk¬
schaften und damit auch die Arbeitsgemeinschaft, welche von der Regierung als
das Bollwerk des sozialen Friedens bezeichnet wurde, verloren. Kein Wunder,
wenn sich die Organisationen gegen das anarcho-syndikalistische Geblaren zur
Wehr setzten und dem „krassen" Nätegedanken, der auf leine Diktatur hinausläuft,
eine wirtschaftspsychologische Abfuhr widerfahren ließen mit dem Hinweis, das;
die Räte als neue Organe >der sozialwirtschastlichen Demokratie völlig überflüssig,
ja störend seien. Der Vorsitzende der Generalkommission, Karl Legler, fällte auf
der Vorständekonferenz der Zentralvevbcinde ein geradezu vernichtendes Urteil
über die revolutionäre Neuschaffung. Das Rätesystem sei keine leistungsfähige
Organisation, es zersplittere die Einheit des Berusszweiges und mache gegen alle
GowerM)astsauschauungen den Lohn -von der Rentabilität des einzelnen
Betriebes abhängig. Alle bisherigen Gesetze der Solidarität, des Eintretens aller
Grade für die Schwächeren, ungünstiger Gestellten -hörten hier auf. Jeder nehme
für sich, was er kriegen könne. Das „.Korrespondenzblatt der Generalkommission"
machte ebenfalls Front gegen die Stabilisierung der Arbeiterräte als „Betriebs¬
räte": „Im Wirtschaftsprozeß kontrollieren und mitbestimmen, sagen Partei¬
vorstand und Fraktion. Mit Verlaub, das ist eine Aufgabe, deren Durchführung
die Gewerkschaften, Angestelltenverbände und Urd-eitgeberverbände in die Hände
genommen haben und man wird zugeben müssen, daß diese Aufgabe nicht von
einzelnen Betriebsarbeitervertretungen, sondern nur für die Gesamtgebiete aller
einzelnen Produktionszweige durch Paritätisches Zusammenwirken aller organi¬
sierten Faktoren zu lösen ist. Man fasse nur einmal zunächst die Schwierigkeiten
der Übergangswirtschaft, den Wiederaufbau, die Umstellung der Betriebe, die
Rohstoffversorgung und die Schaffung neuer Absatzmärkte ins Auge---—.
Die Regelung der Avbeitsverhältnisse ist längst über den Rahmen des einzelnen
Betriebs hinausgewachsen (Orts-, Bezirks- und Neichstavife).. Über diese Tarif¬
verträge können nur die zentralen Vertretungen der Arbeiter und Arbeitgeber
entscheiden. — Kontrolle der Produktion? Sollen die Betriebsräte die Funk¬
tionen einer Betriebsabteilung übernehmen oder eines ganzen Erwerbszweiges?
Mas sollen sie denn dabei kontrollieren? Die Arbeitsmenge, die Arbeits¬
niethoden, die Arbeitslöhne, die Preise, den Rohstossverbrauch oder die Jnne-
haltung der Arbeitszeit? Die Bezirksorganisation Groß-Verlins operiert mit
reichlich unklaren Begriffen. Man hüte sich, die 'Arbeitermassen zu enttäuschen.
Die Arbeiterräte sind politische Organe der Revolution und können nur politisch
wirken. Dazu bestimmt sie ihre Herkunft, ihre einseitige Zusammensetzung, ihre
ganze Ideologie. Sie haben keine anderen als politische Organisationen hinter
sich, ans die sie sich stützen könnten, und sie versagen völlig im Wirtschaftsprozeß.
Sie sind gewöhnt zu regieren, zu diktieren und zu vollziehen, und das kann uns
im Wirtschaftsleben nicht das geringste nützen. Sie würden die Betriebe in
fortwährender Unruhe erhalten,- -würden sie politisieren und die Produktion
lahmlegen und desorganisieren. Wenn Regierung, Parteivorstand usw. Willens
sind, die Arbeiterräte dauernd zu -erhalten, so haben sie politische Betätignngs-
möglichkeiten zu schaffen. Sie auf das Gebiet wirtschaftlicher Aufgaben zu ver¬
weisen, wäre nichts anderes, als wollte man einen Schwerkranken durch Ver¬
abreichung eines Brausepulvers kurieren."

Ist nun der Zers-etznngsprozeß nur ein Augenblicksvorgang eines wild
gewordenen -vom Zufall empor gehobenen -Soziald>it-ete-antism-us? Nein; denn
er hält -auch heute noch mit unverminderter Heftigkeit all, und die Gefahr der


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[0326] Zur Rätefrage zu verstehen, daß er die Gewerkschaften ebenso vollständig beseitig wissen will wie die Unternehmer. Beide sollen in der Kärrner der Arbeit nicht vertreten sein. Für die Räterepublik gelte die Losung: Enteignung der Kapitalisten. Diese Aufgaben hätten die Gewerkschaften nicht erfüllt und auch gar nicht erfüllen können. Wenn es also nach diesen Stimmen ginge, wäre die Stellung der Gewerk¬ schaften und damit auch die Arbeitsgemeinschaft, welche von der Regierung als das Bollwerk des sozialen Friedens bezeichnet wurde, verloren. Kein Wunder, wenn sich die Organisationen gegen das anarcho-syndikalistische Geblaren zur Wehr setzten und dem „krassen" Nätegedanken, der auf leine Diktatur hinausläuft, eine wirtschaftspsychologische Abfuhr widerfahren ließen mit dem Hinweis, das; die Räte als neue Organe >der sozialwirtschastlichen Demokratie völlig überflüssig, ja störend seien. Der Vorsitzende der Generalkommission, Karl Legler, fällte auf der Vorständekonferenz der Zentralvevbcinde ein geradezu vernichtendes Urteil über die revolutionäre Neuschaffung. Das Rätesystem sei keine leistungsfähige Organisation, es zersplittere die Einheit des Berusszweiges und mache gegen alle GowerM)astsauschauungen den Lohn -von der Rentabilität des einzelnen Betriebes abhängig. Alle bisherigen Gesetze der Solidarität, des Eintretens aller Grade für die Schwächeren, ungünstiger Gestellten -hörten hier auf. Jeder nehme für sich, was er kriegen könne. Das „.Korrespondenzblatt der Generalkommission" machte ebenfalls Front gegen die Stabilisierung der Arbeiterräte als „Betriebs¬ räte": „Im Wirtschaftsprozeß kontrollieren und mitbestimmen, sagen Partei¬ vorstand und Fraktion. Mit Verlaub, das ist eine Aufgabe, deren Durchführung die Gewerkschaften, Angestelltenverbände und Urd-eitgeberverbände in die Hände genommen haben und man wird zugeben müssen, daß diese Aufgabe nicht von einzelnen Betriebsarbeitervertretungen, sondern nur für die Gesamtgebiete aller einzelnen Produktionszweige durch Paritätisches Zusammenwirken aller organi¬ sierten Faktoren zu lösen ist. Man fasse nur einmal zunächst die Schwierigkeiten der Übergangswirtschaft, den Wiederaufbau, die Umstellung der Betriebe, die Rohstoffversorgung und die Schaffung neuer Absatzmärkte ins Auge---—. Die Regelung der Avbeitsverhältnisse ist längst über den Rahmen des einzelnen Betriebs hinausgewachsen (Orts-, Bezirks- und Neichstavife).. Über diese Tarif¬ verträge können nur die zentralen Vertretungen der Arbeiter und Arbeitgeber entscheiden. — Kontrolle der Produktion? Sollen die Betriebsräte die Funk¬ tionen einer Betriebsabteilung übernehmen oder eines ganzen Erwerbszweiges? Mas sollen sie denn dabei kontrollieren? Die Arbeitsmenge, die Arbeits¬ niethoden, die Arbeitslöhne, die Preise, den Rohstossverbrauch oder die Jnne- haltung der Arbeitszeit? Die Bezirksorganisation Groß-Verlins operiert mit reichlich unklaren Begriffen. Man hüte sich, die 'Arbeitermassen zu enttäuschen. Die Arbeiterräte sind politische Organe der Revolution und können nur politisch wirken. Dazu bestimmt sie ihre Herkunft, ihre einseitige Zusammensetzung, ihre ganze Ideologie. Sie haben keine anderen als politische Organisationen hinter sich, ans die sie sich stützen könnten, und sie versagen völlig im Wirtschaftsprozeß. Sie sind gewöhnt zu regieren, zu diktieren und zu vollziehen, und das kann uns im Wirtschaftsleben nicht das geringste nützen. Sie würden die Betriebe in fortwährender Unruhe erhalten,- -würden sie politisieren und die Produktion lahmlegen und desorganisieren. Wenn Regierung, Parteivorstand usw. Willens sind, die Arbeiterräte dauernd zu -erhalten, so haben sie politische Betätignngs- möglichkeiten zu schaffen. Sie auf das Gebiet wirtschaftlicher Aufgaben zu ver¬ weisen, wäre nichts anderes, als wollte man einen Schwerkranken durch Ver¬ abreichung eines Brausepulvers kurieren." Ist nun der Zers-etznngsprozeß nur ein Augenblicksvorgang eines wild gewordenen -vom Zufall empor gehobenen -Soziald>it-ete-antism-us? Nein; denn er hält -auch heute noch mit unverminderter Heftigkeit all, und die Gefahr der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/326>, abgerufen am 18.12.2024.