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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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fühlenden Menschheit, der fähig und groß genug gewesen wäre, um den Völkern
einen Ausweg aus dem Engpaß zu zeigen, in dem sie sich befanden.- Klinger
hat einmal dieses Schicksal klargestellt, als großes gewaltiges Raubtier, das am
Ende zweier ungeheuer steil in die Höhe starrenden Felswände hart und not¬
wendig die zwischen diesen Wänden Eingeklemmten erwartet.

So mag Bethmann, als er seine Regierung übernahm, den Alp der Lage
bisweilen erfunden haben, in dem das Land sich befand. Er ist keiner von den
Staatsmännern gewesen, die wie Vülow durch eine Politik des Opportunismus
und der politischen kleinen Mittel sich selbst über den Ernst der Lage getäuscht
hätte, in der sich Deutschland befand. Bethmann war ein Mann, der Tag und
Nacht mit dem Schicksal rang -- der wirklich grosse politische Gedanken halte und
sie auch auszuführen suchte. Er sagt es einmal in seinem Buche, daß niemandem
so wie ihm "die Gefahr des Landes auf Herz und Seele lag". Man braucht
solche Worte nur zu lesen, um den tiefen sittlichen Ernst zu erkennen, von dem
ihr Urheber erfüllt war.

Er hat versucht und ist dabei vom Kaiser unterstützt worden, durch eine
Verständigung mit England der drohenden Weltlage diejenige Schärfe zu nehmen,
die zum Kriege führen mußte. Mit aller Energie arbeitete er an dem Gedanken,
der schließlich, trotzdem er zeitweise eine Entspannung der Lage brachte, doch im
ganzen nicht ausgeführt werden konnte. Bethmann glaubte an seine Mission, den
Frieden der Welt auf diese Weise zu sichern, er gesteht auch jetzt noch dem Gegner
guten Willen zu -- aber bei seiner Abschätzung der Weltlage schon während der
Zeit der Unterhandlungen mit England ist der tragische Unterton seiner Gedanken
unverkennbar. "Es verschlangen sich von Anfang an in den Wunsch nach An¬
näherung doch zugleich von beiden Seiten Fäden, die schwer zu entwirren waren."

Bethman Hollweg erkennt, daß er so wenig wie die englischen Staatsmänner
der Mann gewesen ist/ die erlösende Tat für die Menschheit zu tun. "Der Zu¬
sammenhang ist wohl der, daß die Staatskunst in beiden Ländern nicht stark
genug oder nicht willens war, die Welt durch eine große Tat vor einem Schicksal
zu bewahren, das als gewaltiges Unwetter sichtbar am Himmel stand."

Das eben war die Tragik im Leben der beiden Völker, daß die großen
neuen Wcltideen, ivie sie jetzt am Horizont der Menschheit schwach erscheinen,
weder gekannt noch durchdacht noch gar zum Gemeingut der Nation geworden
waren. Woher hätte ein einzelner Mann die Kraft schöpfen sollen, um gegen
sein Volk, gegen alle überlieferten Macht- und Staatsbegriffe den Ausweg und
Ausgleich zu finden? Jede Nation suchte ihre Weltgeltung, ihren Anspruch auf
die Aufrechterhaltung ihres Imperiums bis zum äußersten zu verteidigen. Da
alle mächtig und blühend und groß waren und anderseits die beiden Gruppen,
die zum Teil durch alte Gegensätze (Elsaß) und neue Begierden (Rußlands An¬
spruch auf Konstantinopel, serbische Gelüste auf österreich - ungarische Gebietsteile)
sich gegenüberstanden, so wuchsen die Gegensätze. "Grenzenloses wechselseitiges Mi߬
trauen, imperialistischer Jdeenzwcmg und auf materiellen Nationaliustinkl beschränkier
Patriotismus haben einander gegenseitig in die Höhe geschraubt, ohne daß erkennbar
Wäre, welche Nation der allgemeinen Weltstimmung am lautesten nachgegeben hätte."

Aber eine Überzeugung wird man "us der Lektüre des Bethmann Holl¬
wegscheu Buches mitnehmen, daß dieser Kanzler ebenso wie sein Kaiser reines
Herzens gewesen sind -- ebenso wie das deutsche Volk trotz allem in seinen
gefunden Schichten auch heute noch für sich in Anspruch nimmt, das Gute gewollt
SU haben. Daran soll uns kein TaimTcun feindlicher Propaganda, kein würde-
Isser Lärm eigener "Bekenner" irremachen.

Bethmann Hvllweg hat den Frieden gewollt bis zuletzt. Kaiser Wilhelm
Kot alle seine Anstrengungen bis zuletzt diesem Ziele gewidmet. Rußlands
Entschlossenheit, den Krieg zu entfesseln, Frankreichs Geneigtheit den Krieg zu
akzeptieren, Englands Wille, bei einem ausbrechenden Streite dein Kriege nicht
Mu zu bleiben, sondern an die Seite des Z'veibundcs zu treten, machten Deutsch-
lanoS Anstrengungen einer Vermittlung in den: Momente hinfällig, wo die


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Bethmann Hollwegs Betrachtungen

fühlenden Menschheit, der fähig und groß genug gewesen wäre, um den Völkern
einen Ausweg aus dem Engpaß zu zeigen, in dem sie sich befanden.- Klinger
hat einmal dieses Schicksal klargestellt, als großes gewaltiges Raubtier, das am
Ende zweier ungeheuer steil in die Höhe starrenden Felswände hart und not¬
wendig die zwischen diesen Wänden Eingeklemmten erwartet.

So mag Bethmann, als er seine Regierung übernahm, den Alp der Lage
bisweilen erfunden haben, in dem das Land sich befand. Er ist keiner von den
Staatsmännern gewesen, die wie Vülow durch eine Politik des Opportunismus
und der politischen kleinen Mittel sich selbst über den Ernst der Lage getäuscht
hätte, in der sich Deutschland befand. Bethmann war ein Mann, der Tag und
Nacht mit dem Schicksal rang — der wirklich grosse politische Gedanken halte und
sie auch auszuführen suchte. Er sagt es einmal in seinem Buche, daß niemandem
so wie ihm „die Gefahr des Landes auf Herz und Seele lag". Man braucht
solche Worte nur zu lesen, um den tiefen sittlichen Ernst zu erkennen, von dem
ihr Urheber erfüllt war.

Er hat versucht und ist dabei vom Kaiser unterstützt worden, durch eine
Verständigung mit England der drohenden Weltlage diejenige Schärfe zu nehmen,
die zum Kriege führen mußte. Mit aller Energie arbeitete er an dem Gedanken,
der schließlich, trotzdem er zeitweise eine Entspannung der Lage brachte, doch im
ganzen nicht ausgeführt werden konnte. Bethmann glaubte an seine Mission, den
Frieden der Welt auf diese Weise zu sichern, er gesteht auch jetzt noch dem Gegner
guten Willen zu — aber bei seiner Abschätzung der Weltlage schon während der
Zeit der Unterhandlungen mit England ist der tragische Unterton seiner Gedanken
unverkennbar. „Es verschlangen sich von Anfang an in den Wunsch nach An¬
näherung doch zugleich von beiden Seiten Fäden, die schwer zu entwirren waren."

Bethman Hollweg erkennt, daß er so wenig wie die englischen Staatsmänner
der Mann gewesen ist/ die erlösende Tat für die Menschheit zu tun. „Der Zu¬
sammenhang ist wohl der, daß die Staatskunst in beiden Ländern nicht stark
genug oder nicht willens war, die Welt durch eine große Tat vor einem Schicksal
zu bewahren, das als gewaltiges Unwetter sichtbar am Himmel stand."

Das eben war die Tragik im Leben der beiden Völker, daß die großen
neuen Wcltideen, ivie sie jetzt am Horizont der Menschheit schwach erscheinen,
weder gekannt noch durchdacht noch gar zum Gemeingut der Nation geworden
waren. Woher hätte ein einzelner Mann die Kraft schöpfen sollen, um gegen
sein Volk, gegen alle überlieferten Macht- und Staatsbegriffe den Ausweg und
Ausgleich zu finden? Jede Nation suchte ihre Weltgeltung, ihren Anspruch auf
die Aufrechterhaltung ihres Imperiums bis zum äußersten zu verteidigen. Da
alle mächtig und blühend und groß waren und anderseits die beiden Gruppen,
die zum Teil durch alte Gegensätze (Elsaß) und neue Begierden (Rußlands An¬
spruch auf Konstantinopel, serbische Gelüste auf österreich - ungarische Gebietsteile)
sich gegenüberstanden, so wuchsen die Gegensätze. „Grenzenloses wechselseitiges Mi߬
trauen, imperialistischer Jdeenzwcmg und auf materiellen Nationaliustinkl beschränkier
Patriotismus haben einander gegenseitig in die Höhe geschraubt, ohne daß erkennbar
Wäre, welche Nation der allgemeinen Weltstimmung am lautesten nachgegeben hätte."

Aber eine Überzeugung wird man «us der Lektüre des Bethmann Holl¬
wegscheu Buches mitnehmen, daß dieser Kanzler ebenso wie sein Kaiser reines
Herzens gewesen sind — ebenso wie das deutsche Volk trotz allem in seinen
gefunden Schichten auch heute noch für sich in Anspruch nimmt, das Gute gewollt
SU haben. Daran soll uns kein TaimTcun feindlicher Propaganda, kein würde-
Isser Lärm eigener „Bekenner" irremachen.

Bethmann Hvllweg hat den Frieden gewollt bis zuletzt. Kaiser Wilhelm
Kot alle seine Anstrengungen bis zuletzt diesem Ziele gewidmet. Rußlands
Entschlossenheit, den Krieg zu entfesseln, Frankreichs Geneigtheit den Krieg zu
akzeptieren, Englands Wille, bei einem ausbrechenden Streite dein Kriege nicht
Mu zu bleiben, sondern an die Seite des Z'veibundcs zu treten, machten Deutsch-
lanoS Anstrengungen einer Vermittlung in den: Momente hinfällig, wo die


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[0315] Bethmann Hollwegs Betrachtungen fühlenden Menschheit, der fähig und groß genug gewesen wäre, um den Völkern einen Ausweg aus dem Engpaß zu zeigen, in dem sie sich befanden.- Klinger hat einmal dieses Schicksal klargestellt, als großes gewaltiges Raubtier, das am Ende zweier ungeheuer steil in die Höhe starrenden Felswände hart und not¬ wendig die zwischen diesen Wänden Eingeklemmten erwartet. So mag Bethmann, als er seine Regierung übernahm, den Alp der Lage bisweilen erfunden haben, in dem das Land sich befand. Er ist keiner von den Staatsmännern gewesen, die wie Vülow durch eine Politik des Opportunismus und der politischen kleinen Mittel sich selbst über den Ernst der Lage getäuscht hätte, in der sich Deutschland befand. Bethmann war ein Mann, der Tag und Nacht mit dem Schicksal rang — der wirklich grosse politische Gedanken halte und sie auch auszuführen suchte. Er sagt es einmal in seinem Buche, daß niemandem so wie ihm „die Gefahr des Landes auf Herz und Seele lag". Man braucht solche Worte nur zu lesen, um den tiefen sittlichen Ernst zu erkennen, von dem ihr Urheber erfüllt war. Er hat versucht und ist dabei vom Kaiser unterstützt worden, durch eine Verständigung mit England der drohenden Weltlage diejenige Schärfe zu nehmen, die zum Kriege führen mußte. Mit aller Energie arbeitete er an dem Gedanken, der schließlich, trotzdem er zeitweise eine Entspannung der Lage brachte, doch im ganzen nicht ausgeführt werden konnte. Bethmann glaubte an seine Mission, den Frieden der Welt auf diese Weise zu sichern, er gesteht auch jetzt noch dem Gegner guten Willen zu — aber bei seiner Abschätzung der Weltlage schon während der Zeit der Unterhandlungen mit England ist der tragische Unterton seiner Gedanken unverkennbar. „Es verschlangen sich von Anfang an in den Wunsch nach An¬ näherung doch zugleich von beiden Seiten Fäden, die schwer zu entwirren waren." Bethman Hollweg erkennt, daß er so wenig wie die englischen Staatsmänner der Mann gewesen ist/ die erlösende Tat für die Menschheit zu tun. „Der Zu¬ sammenhang ist wohl der, daß die Staatskunst in beiden Ländern nicht stark genug oder nicht willens war, die Welt durch eine große Tat vor einem Schicksal zu bewahren, das als gewaltiges Unwetter sichtbar am Himmel stand." Das eben war die Tragik im Leben der beiden Völker, daß die großen neuen Wcltideen, ivie sie jetzt am Horizont der Menschheit schwach erscheinen, weder gekannt noch durchdacht noch gar zum Gemeingut der Nation geworden waren. Woher hätte ein einzelner Mann die Kraft schöpfen sollen, um gegen sein Volk, gegen alle überlieferten Macht- und Staatsbegriffe den Ausweg und Ausgleich zu finden? Jede Nation suchte ihre Weltgeltung, ihren Anspruch auf die Aufrechterhaltung ihres Imperiums bis zum äußersten zu verteidigen. Da alle mächtig und blühend und groß waren und anderseits die beiden Gruppen, die zum Teil durch alte Gegensätze (Elsaß) und neue Begierden (Rußlands An¬ spruch auf Konstantinopel, serbische Gelüste auf österreich - ungarische Gebietsteile) sich gegenüberstanden, so wuchsen die Gegensätze. „Grenzenloses wechselseitiges Mi߬ trauen, imperialistischer Jdeenzwcmg und auf materiellen Nationaliustinkl beschränkier Patriotismus haben einander gegenseitig in die Höhe geschraubt, ohne daß erkennbar Wäre, welche Nation der allgemeinen Weltstimmung am lautesten nachgegeben hätte." Aber eine Überzeugung wird man «us der Lektüre des Bethmann Holl¬ wegscheu Buches mitnehmen, daß dieser Kanzler ebenso wie sein Kaiser reines Herzens gewesen sind — ebenso wie das deutsche Volk trotz allem in seinen gefunden Schichten auch heute noch für sich in Anspruch nimmt, das Gute gewollt SU haben. Daran soll uns kein TaimTcun feindlicher Propaganda, kein würde- Isser Lärm eigener „Bekenner" irremachen. Bethmann Hvllweg hat den Frieden gewollt bis zuletzt. Kaiser Wilhelm Kot alle seine Anstrengungen bis zuletzt diesem Ziele gewidmet. Rußlands Entschlossenheit, den Krieg zu entfesseln, Frankreichs Geneigtheit den Krieg zu akzeptieren, Englands Wille, bei einem ausbrechenden Streite dein Kriege nicht Mu zu bleiben, sondern an die Seite des Z'veibundcs zu treten, machten Deutsch- lanoS Anstrengungen einer Vermittlung in den: Momente hinfällig, wo die 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/315>, abgerufen am 01.09.2024.