Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Amerika am Scheidewege Industrie zu übernehmen und in Eisen- und Lokomotivfabriken umzuwandeln, wobei All diese Tatsachen lassen es kaum glaublich erscheinen, daß Amerika von Menenius 23*
Amerika am Scheidewege Industrie zu übernehmen und in Eisen- und Lokomotivfabriken umzuwandeln, wobei All diese Tatsachen lassen es kaum glaublich erscheinen, daß Amerika von Menenius 23*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335715"/> <fw type="header" place="top"> Amerika am Scheidewege</fw><lb/> <p xml:id="ID_1288" prev="#ID_1287"> Industrie zu übernehmen und in Eisen- und Lokomotivfabriken umzuwandeln, wobei<lb/> ein alsbald gebildetes amerikanisches Syndikat die Mitwirkung französischer Firmen<lb/> nachdrücklich abgelehnt hat. überall hat Amerika, wie Albert Thomas dem New<lb/> Jork Sun gegenüber bewegliche Klage führte. Geschäftsverbindungen angeknüpft'<lb/> und gewaltige Aufträge n halten, so daß Frankreich tatsächlich zu einem Aus»<lb/> beutungsobjekt des amerikanischen Handels herabzusinken drohe. Endlich ist es<lb/> kein Geheimnis mehr, daß sogleich nach Friedensschluß auch Deutschland eine<lb/> Überschwemmung mit Waren Amerikas, das sich nicht umsonst zum lauten Jammer<lb/> des französischen Verbündeten, den Löwenanteil an der deutschen Handelsflotte<lb/> gesichert hat, bevorsteht, die wir voraussichtlich keinerlei Möglichkeit haben werden,<lb/> abzuwehren. Auch in Belgien, und bis ins Rheinland hinein, sind die Amerikaner<lb/> in Ausnutzung ihrer finanziellen Überlegenheit, eifrig daran, Fabriken zu kaufen<lb/> und in Kopenhagen macht man sich beieits ernstlich Sorgen darüber, ob man<lb/> nicht die Sugrematis des Ostseehandels an Amerika werde abgeben müssen.<lb/> Das einzige, was eine Kolonisierung Europas durch Amerikaner noch hinaus¬<lb/> schieben kann, ist der Umstand, daß Nordamerika bis zur inneren Saturierung<lb/> noch eine riesige Bevölkerungsvermehrung ertragen kann, daß noch heute drüben<lb/> in weiten Kreisen als Erbteil der Aufwärter'erscharen eine gewisse Europascheu<lb/> besteht, die durch das, was der Amerikaner während des Krieges von Europa<lb/> gesehen hat, alles andere als widerlegt ist, und (wie lange noch?) die englische<lb/> Konkurrenz. Sonst aber unterscheidet sich, was jetzt in Frankreich geschieht, in<lb/> nichts von beginnender Kolonialpolitik europäischer Länder in fremden Konti¬<lb/> nenten, naße sich doch Amerika bereits eine Art Kontrolle der europäischen Lebens¬<lb/> mittelankäufe an. Europa soll z. B. seine Lebensmittelbcdürfnisse nicht in dem<lb/> billigeren Südamerika decken dürfen, da Amerika, um während des Krieges seine<lb/> Landwirtschaft zu heben, dieser Mindestpreise garantierte, die die Käufer eben, da<lb/> Amerika sich nicht mit Verlusten belasten könne, tragen müßten. Und das, ob¬<lb/> gleich ganz Frankreich über die Teuerung die Hände ringt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1289"> All diese Tatsachen lassen es kaum glaublich erscheinen, daß Amerika von<lb/> der imperialistischen Bahn, in die es der Krieg und seine Folgen gerissen haben,<lb/> noch einmal wieder ablenken können wird. Die natürlichen Entwicklungstendenzen<lb/> gehen, besonders wenn es, wie eS den Anschein hat, tatsächlich zur weitgehenden<lb/> Demobilisierung des eben geschaffenen Heeres kommt, durchaus auf eine Über¬<lb/> windung der Monroedoktrin. sofern sie sich auf Amerikas äußere Politik bezieht.<lb/> Ist das aber der Fall, so liegt es nicht im Charakter des Amerikaners, sich dabei<lb/> auf lange die Hände durch den Völkerbund binden zu lassen. Er wird anfangen,<lb/> Praktischen Imperialismus zu treiben, und nicht einigen Idealisten zuliebe den,<lb/> Umweg über einen Völkerbund nehmen, der ihm selbst bei der Wahrnehmung der<lb/> eigensten Interessen trotz aller vorsichtigen Klauseln die Hände binden würde.<lb/> Mag sein, daß der Völkerbund in irgendeiner Form dennoch zustande kommt,<lb/> die erste Kraftprobe wird er in Amerika kaum überstehen. Man nutz nur sehen,<lb/> wie unbestimmt die Vündnisnersprechungen an das sich immer noch durch Deutsch¬<lb/> land bedroht fühlende Frankreich gehalten sind, um zu begreifen, daß Amerika<lb/> niemals für Interessen, die nicht amerikanische sind, zu Felde ziehen wird.</p><lb/> <note type="byline"> Menenius</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 23*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0303]
Amerika am Scheidewege
Industrie zu übernehmen und in Eisen- und Lokomotivfabriken umzuwandeln, wobei
ein alsbald gebildetes amerikanisches Syndikat die Mitwirkung französischer Firmen
nachdrücklich abgelehnt hat. überall hat Amerika, wie Albert Thomas dem New
Jork Sun gegenüber bewegliche Klage führte. Geschäftsverbindungen angeknüpft'
und gewaltige Aufträge n halten, so daß Frankreich tatsächlich zu einem Aus»
beutungsobjekt des amerikanischen Handels herabzusinken drohe. Endlich ist es
kein Geheimnis mehr, daß sogleich nach Friedensschluß auch Deutschland eine
Überschwemmung mit Waren Amerikas, das sich nicht umsonst zum lauten Jammer
des französischen Verbündeten, den Löwenanteil an der deutschen Handelsflotte
gesichert hat, bevorsteht, die wir voraussichtlich keinerlei Möglichkeit haben werden,
abzuwehren. Auch in Belgien, und bis ins Rheinland hinein, sind die Amerikaner
in Ausnutzung ihrer finanziellen Überlegenheit, eifrig daran, Fabriken zu kaufen
und in Kopenhagen macht man sich beieits ernstlich Sorgen darüber, ob man
nicht die Sugrematis des Ostseehandels an Amerika werde abgeben müssen.
Das einzige, was eine Kolonisierung Europas durch Amerikaner noch hinaus¬
schieben kann, ist der Umstand, daß Nordamerika bis zur inneren Saturierung
noch eine riesige Bevölkerungsvermehrung ertragen kann, daß noch heute drüben
in weiten Kreisen als Erbteil der Aufwärter'erscharen eine gewisse Europascheu
besteht, die durch das, was der Amerikaner während des Krieges von Europa
gesehen hat, alles andere als widerlegt ist, und (wie lange noch?) die englische
Konkurrenz. Sonst aber unterscheidet sich, was jetzt in Frankreich geschieht, in
nichts von beginnender Kolonialpolitik europäischer Länder in fremden Konti¬
nenten, naße sich doch Amerika bereits eine Art Kontrolle der europäischen Lebens¬
mittelankäufe an. Europa soll z. B. seine Lebensmittelbcdürfnisse nicht in dem
billigeren Südamerika decken dürfen, da Amerika, um während des Krieges seine
Landwirtschaft zu heben, dieser Mindestpreise garantierte, die die Käufer eben, da
Amerika sich nicht mit Verlusten belasten könne, tragen müßten. Und das, ob¬
gleich ganz Frankreich über die Teuerung die Hände ringt.
All diese Tatsachen lassen es kaum glaublich erscheinen, daß Amerika von
der imperialistischen Bahn, in die es der Krieg und seine Folgen gerissen haben,
noch einmal wieder ablenken können wird. Die natürlichen Entwicklungstendenzen
gehen, besonders wenn es, wie eS den Anschein hat, tatsächlich zur weitgehenden
Demobilisierung des eben geschaffenen Heeres kommt, durchaus auf eine Über¬
windung der Monroedoktrin. sofern sie sich auf Amerikas äußere Politik bezieht.
Ist das aber der Fall, so liegt es nicht im Charakter des Amerikaners, sich dabei
auf lange die Hände durch den Völkerbund binden zu lassen. Er wird anfangen,
Praktischen Imperialismus zu treiben, und nicht einigen Idealisten zuliebe den,
Umweg über einen Völkerbund nehmen, der ihm selbst bei der Wahrnehmung der
eigensten Interessen trotz aller vorsichtigen Klauseln die Hände binden würde.
Mag sein, daß der Völkerbund in irgendeiner Form dennoch zustande kommt,
die erste Kraftprobe wird er in Amerika kaum überstehen. Man nutz nur sehen,
wie unbestimmt die Vündnisnersprechungen an das sich immer noch durch Deutsch¬
land bedroht fühlende Frankreich gehalten sind, um zu begreifen, daß Amerika
niemals für Interessen, die nicht amerikanische sind, zu Felde ziehen wird.
Menenius
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