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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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bestehen und lief selbständig weiter, und die neue radikale Linie lief nur nebenher,
nachdem sie sich abgezweigt und losgelöst hatte. Es gab jetzt einfach zwei
verschiedene Oppositionsrichtungen gegenüber dem dynastisch verhafteten und
territorial gebundenen Staatsbegriffe der Überlieferung: eine "gemäßigte" und
national bestimmte mit ihrem fortwährenden Glauben an den Kaisergedant'en, und
eine demokratisch-revolutionäre mit ihrer Überzeugung von den kosmopolitischen
Werten der Republik, Neben die charakterfester 'Professoren und philosophisch
folgernden Reichspolitiker, neben die romantischen Hohenstaufenschwärmer und
jugendlich Gläubigen, die von der Geschichtsherrlichkeit der Nation fast religiös
erfüllt waren, trat nun auf der anderen Seite der Typus der "Ferschtekiller",
wie man sie nach 48 im Jargon der ausgewanderten Deutschamerikaner genannt Hai.

In den praktischen Angelegenheiten der politischen Taktik und den Schichtungen
der Parteigruppen gab es gewiß Zwischenstufen oder Mischungszustände. Aber
es handelte sich bei diesen Mischungszuständen nur um ein Verschwimmen der
Grenze zwischen zwei andersartigen Bewegungskräften, die ein wesentlicher und
grundsätzlicher Unterschied trennte. Wie leicht dieser Unterschied für oberflächliche
Eindrücke verschwamm und wie scharf er gerade im Wesenhaften, in dein eigentüm¬
lichen Erlebnis politischer Bedeutungen dennoch bestand, geht aus dem wechselnden
Sinn der schwarz-rot goldenen Fahne hervor, die alle diese Verschiebungen mitzu¬
machen hatte. Ihr Sinn wurde zweideutig. Allenthalben daran gewöhnt, in den
Scham-z-rot-goldenen Farben das Wahrzeichen einer oppositionell g-stimmten
Gesinnungsweise zu sehen, blieben die Radikalen bei der lieben alten Gewohnheit,
diese Farben auch weiterhin für sich in Anspruch zu nehmen. Daß aber die
angeblich nationalhistorische und auf jeden Fall nationalpolitisch geartete Ur¬
bedeutung der "deutschen" Fahne für sie ihre Geltung verlor, daß sie überhaupt
diese nationale Bedeutung vergaßen oder zum mindesten außer acht ließen, dies
zeigt sich unverhohlen in ihrem Bedürfnis, die drei Farben durch eine neue und
ganz revolutionär durchhauchte Symbolik selbständig aufzufassen und noch einmal
zu erklären. ES gibt aus den vierziger Jahren etliche derartige Sprüche: "Aus
schwarzer Nacht durch blut'gen Tod zur goldenen Freiheit", und: "Schwarz ist
das Pulver, rot ist das Blut, golden flackert die Flamme!" In den Jahren
um 1848 hatte das schwarz-rot°goldene Banner einen von Grund ans gespaltenen,
einen verschiedenartigen und zwiefachen Sinn, auf der einen Seite einen national-
Politischen und auf der anderen einen demokratisch-revolutionären. Beide Sinn-
bedeutungen hatten im Kern ebensowenig etwas miteinander zu tun, wie in der
Nationalversammlung der Paulskirche die "Kaiserpartei" der alten Einheits¬
bewegung mit dem radikalen Republikanismus der äußersten Linken noch ein
gemeinsames Ziel kannte.

Die urtümliche Herkunft des alten deutschen Banners verflüchtigt sich in
einen Schatten oder bestenfalls in die Illusion sehr dunkler Erinnerungen. Sie
kann nicht mehr durch ihre historische Kraft die Zwiespältigkeit im Charakter
dieser Fahne zu einem in sich geschlossenen Sinnbilde machen. Auch auf dein
Umwege über die großdeutsche Denkart, die vermeintlich beiden Bedeutungen oder
Vewegungskräften eigen gewesen sei. würde das niemals glücken. Dergleichen
beruht, mit Verlaub zu sagen, auf glatter Unbildung oder auf einer macklen
Geschichtsfälschung. Denn die doktrinäre Demokratie 'des neunzehnten Jahr¬
hunderts hat seit ihrer Entstehung die kosmopolitischen Orientierungen und End¬
zwecke ihres Republikanismus grundsätzlich immer über das Nationale gestellt,
und die Kaiserpartei unter Heinrich von Gngern, die dahin gelangte, daß sie
Friedrich Wilhelm dem Vierten die Krone anbot, hatte eigentlich schon in der Idee
die kleindeutsche Neichssorm geschaffen. Der kleindeutsche Gedanke ist keine
Bisnmrcksche Entdeckung gewesen, die mit der Erfindung der schwarz-weiß-roten
Farben zusammenfiel. Dieser Gedanke war älter als die Bismarcksche Politik, er
hatte sich wie von selber aus den Zielrichtungen der Nationalbcwegunn des neun¬
zehnten Jahrhunderts ergeben und wurde ebenfalls unter dem Zeichen der
schwarz-rot-goldenen Fahne geboren. Umgekehrt haben beispielsweise in den


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bestehen und lief selbständig weiter, und die neue radikale Linie lief nur nebenher,
nachdem sie sich abgezweigt und losgelöst hatte. Es gab jetzt einfach zwei
verschiedene Oppositionsrichtungen gegenüber dem dynastisch verhafteten und
territorial gebundenen Staatsbegriffe der Überlieferung: eine „gemäßigte" und
national bestimmte mit ihrem fortwährenden Glauben an den Kaisergedant'en, und
eine demokratisch-revolutionäre mit ihrer Überzeugung von den kosmopolitischen
Werten der Republik, Neben die charakterfester 'Professoren und philosophisch
folgernden Reichspolitiker, neben die romantischen Hohenstaufenschwärmer und
jugendlich Gläubigen, die von der Geschichtsherrlichkeit der Nation fast religiös
erfüllt waren, trat nun auf der anderen Seite der Typus der „Ferschtekiller",
wie man sie nach 48 im Jargon der ausgewanderten Deutschamerikaner genannt Hai.

In den praktischen Angelegenheiten der politischen Taktik und den Schichtungen
der Parteigruppen gab es gewiß Zwischenstufen oder Mischungszustände. Aber
es handelte sich bei diesen Mischungszuständen nur um ein Verschwimmen der
Grenze zwischen zwei andersartigen Bewegungskräften, die ein wesentlicher und
grundsätzlicher Unterschied trennte. Wie leicht dieser Unterschied für oberflächliche
Eindrücke verschwamm und wie scharf er gerade im Wesenhaften, in dein eigentüm¬
lichen Erlebnis politischer Bedeutungen dennoch bestand, geht aus dem wechselnden
Sinn der schwarz-rot goldenen Fahne hervor, die alle diese Verschiebungen mitzu¬
machen hatte. Ihr Sinn wurde zweideutig. Allenthalben daran gewöhnt, in den
Scham-z-rot-goldenen Farben das Wahrzeichen einer oppositionell g-stimmten
Gesinnungsweise zu sehen, blieben die Radikalen bei der lieben alten Gewohnheit,
diese Farben auch weiterhin für sich in Anspruch zu nehmen. Daß aber die
angeblich nationalhistorische und auf jeden Fall nationalpolitisch geartete Ur¬
bedeutung der „deutschen" Fahne für sie ihre Geltung verlor, daß sie überhaupt
diese nationale Bedeutung vergaßen oder zum mindesten außer acht ließen, dies
zeigt sich unverhohlen in ihrem Bedürfnis, die drei Farben durch eine neue und
ganz revolutionär durchhauchte Symbolik selbständig aufzufassen und noch einmal
zu erklären. ES gibt aus den vierziger Jahren etliche derartige Sprüche: „Aus
schwarzer Nacht durch blut'gen Tod zur goldenen Freiheit", und: „Schwarz ist
das Pulver, rot ist das Blut, golden flackert die Flamme!" In den Jahren
um 1848 hatte das schwarz-rot°goldene Banner einen von Grund ans gespaltenen,
einen verschiedenartigen und zwiefachen Sinn, auf der einen Seite einen national-
Politischen und auf der anderen einen demokratisch-revolutionären. Beide Sinn-
bedeutungen hatten im Kern ebensowenig etwas miteinander zu tun, wie in der
Nationalversammlung der Paulskirche die „Kaiserpartei" der alten Einheits¬
bewegung mit dem radikalen Republikanismus der äußersten Linken noch ein
gemeinsames Ziel kannte.

Die urtümliche Herkunft des alten deutschen Banners verflüchtigt sich in
einen Schatten oder bestenfalls in die Illusion sehr dunkler Erinnerungen. Sie
kann nicht mehr durch ihre historische Kraft die Zwiespältigkeit im Charakter
dieser Fahne zu einem in sich geschlossenen Sinnbilde machen. Auch auf dein
Umwege über die großdeutsche Denkart, die vermeintlich beiden Bedeutungen oder
Vewegungskräften eigen gewesen sei. würde das niemals glücken. Dergleichen
beruht, mit Verlaub zu sagen, auf glatter Unbildung oder auf einer macklen
Geschichtsfälschung. Denn die doktrinäre Demokratie 'des neunzehnten Jahr¬
hunderts hat seit ihrer Entstehung die kosmopolitischen Orientierungen und End¬
zwecke ihres Republikanismus grundsätzlich immer über das Nationale gestellt,
und die Kaiserpartei unter Heinrich von Gngern, die dahin gelangte, daß sie
Friedrich Wilhelm dem Vierten die Krone anbot, hatte eigentlich schon in der Idee
die kleindeutsche Neichssorm geschaffen. Der kleindeutsche Gedanke ist keine
Bisnmrcksche Entdeckung gewesen, die mit der Erfindung der schwarz-weiß-roten
Farben zusammenfiel. Dieser Gedanke war älter als die Bismarcksche Politik, er
hatte sich wie von selber aus den Zielrichtungen der Nationalbcwegunn des neun¬
zehnten Jahrhunderts ergeben und wurde ebenfalls unter dem Zeichen der
schwarz-rot-goldenen Fahne geboren. Umgekehrt haben beispielsweise in den


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[0289] Das Banner Schwarz-Rot-Gold bestehen und lief selbständig weiter, und die neue radikale Linie lief nur nebenher, nachdem sie sich abgezweigt und losgelöst hatte. Es gab jetzt einfach zwei verschiedene Oppositionsrichtungen gegenüber dem dynastisch verhafteten und territorial gebundenen Staatsbegriffe der Überlieferung: eine „gemäßigte" und national bestimmte mit ihrem fortwährenden Glauben an den Kaisergedant'en, und eine demokratisch-revolutionäre mit ihrer Überzeugung von den kosmopolitischen Werten der Republik, Neben die charakterfester 'Professoren und philosophisch folgernden Reichspolitiker, neben die romantischen Hohenstaufenschwärmer und jugendlich Gläubigen, die von der Geschichtsherrlichkeit der Nation fast religiös erfüllt waren, trat nun auf der anderen Seite der Typus der „Ferschtekiller", wie man sie nach 48 im Jargon der ausgewanderten Deutschamerikaner genannt Hai. In den praktischen Angelegenheiten der politischen Taktik und den Schichtungen der Parteigruppen gab es gewiß Zwischenstufen oder Mischungszustände. Aber es handelte sich bei diesen Mischungszuständen nur um ein Verschwimmen der Grenze zwischen zwei andersartigen Bewegungskräften, die ein wesentlicher und grundsätzlicher Unterschied trennte. Wie leicht dieser Unterschied für oberflächliche Eindrücke verschwamm und wie scharf er gerade im Wesenhaften, in dein eigentüm¬ lichen Erlebnis politischer Bedeutungen dennoch bestand, geht aus dem wechselnden Sinn der schwarz-rot goldenen Fahne hervor, die alle diese Verschiebungen mitzu¬ machen hatte. Ihr Sinn wurde zweideutig. Allenthalben daran gewöhnt, in den Scham-z-rot-goldenen Farben das Wahrzeichen einer oppositionell g-stimmten Gesinnungsweise zu sehen, blieben die Radikalen bei der lieben alten Gewohnheit, diese Farben auch weiterhin für sich in Anspruch zu nehmen. Daß aber die angeblich nationalhistorische und auf jeden Fall nationalpolitisch geartete Ur¬ bedeutung der „deutschen" Fahne für sie ihre Geltung verlor, daß sie überhaupt diese nationale Bedeutung vergaßen oder zum mindesten außer acht ließen, dies zeigt sich unverhohlen in ihrem Bedürfnis, die drei Farben durch eine neue und ganz revolutionär durchhauchte Symbolik selbständig aufzufassen und noch einmal zu erklären. ES gibt aus den vierziger Jahren etliche derartige Sprüche: „Aus schwarzer Nacht durch blut'gen Tod zur goldenen Freiheit", und: „Schwarz ist das Pulver, rot ist das Blut, golden flackert die Flamme!" In den Jahren um 1848 hatte das schwarz-rot°goldene Banner einen von Grund ans gespaltenen, einen verschiedenartigen und zwiefachen Sinn, auf der einen Seite einen national- Politischen und auf der anderen einen demokratisch-revolutionären. Beide Sinn- bedeutungen hatten im Kern ebensowenig etwas miteinander zu tun, wie in der Nationalversammlung der Paulskirche die „Kaiserpartei" der alten Einheits¬ bewegung mit dem radikalen Republikanismus der äußersten Linken noch ein gemeinsames Ziel kannte. Die urtümliche Herkunft des alten deutschen Banners verflüchtigt sich in einen Schatten oder bestenfalls in die Illusion sehr dunkler Erinnerungen. Sie kann nicht mehr durch ihre historische Kraft die Zwiespältigkeit im Charakter dieser Fahne zu einem in sich geschlossenen Sinnbilde machen. Auch auf dein Umwege über die großdeutsche Denkart, die vermeintlich beiden Bedeutungen oder Vewegungskräften eigen gewesen sei. würde das niemals glücken. Dergleichen beruht, mit Verlaub zu sagen, auf glatter Unbildung oder auf einer macklen Geschichtsfälschung. Denn die doktrinäre Demokratie 'des neunzehnten Jahr¬ hunderts hat seit ihrer Entstehung die kosmopolitischen Orientierungen und End¬ zwecke ihres Republikanismus grundsätzlich immer über das Nationale gestellt, und die Kaiserpartei unter Heinrich von Gngern, die dahin gelangte, daß sie Friedrich Wilhelm dem Vierten die Krone anbot, hatte eigentlich schon in der Idee die kleindeutsche Neichssorm geschaffen. Der kleindeutsche Gedanke ist keine Bisnmrcksche Entdeckung gewesen, die mit der Erfindung der schwarz-weiß-roten Farben zusammenfiel. Dieser Gedanke war älter als die Bismarcksche Politik, er hatte sich wie von selber aus den Zielrichtungen der Nationalbcwegunn des neun¬ zehnten Jahrhunderts ergeben und wurde ebenfalls unter dem Zeichen der schwarz-rot-goldenen Fahne geboren. Umgekehrt haben beispielsweise in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/289>, abgerufen am 01.09.2024.